Donnerstag, 2. Oktober 2014

Great Women #1: Hannah Höch


Vor drei Wochen fing Barbara/barbarabee eine donnerstägliche Reihe an, in der sie großartige Frauen in Wort und Bild vorstellen will. Und sie forderte dazu auf, sich ihr anzuschließen...

Ich habe mich immer geärgert, dass sie, wenn vom Dadaismus die Rede war, jener provokativen & befruchtenden künstlerischen Bewegung, die in Berlin unmittelbar nach dem Ende des 1. Weltkrieges mit großem Getöse einschlug, immer im Schatten der männlichen Protagonisten, allen voran ihr Geliebter Raoul Hausmann, stand: Hannah Höch.

Dabei verdanken wir ihr einen ganz eigenständigen Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts, dem der Fotocollage. Ihr "Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands" gilt heute als eine der Inkunabeln des Mediums:

Küchenmesser Dada durch die
letzte Weimarer Bierbauch-Kulturepoche Deutschlands  (1919)
Anna Therese Johanne Höch wird am 1. November 1989 in Gotha in eine wohlsituierte bürgerliche Familie hineingeboren. 1912 geht sie nach Berlin, um an der Kunstgewerbeschule zu studieren, eine der wenigen Möglichkeiten für eine Frau der damaligen Zeit. Bei Kriegsbeginn wird die Schule geschlossen und erst 1915 kann Hannah Höch ihre Ausbildung an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums bei Emil Orlik fortsetzen. Im gleichen Jahr lernt sie Raoul Hausmann kennen, und eine anregende, tiefe Liebe beginnt, die aber wegen der Unentschiedenheit Hausmanns ( der verheiratet ist ) auch schwierig ist.

Hannah Höch arbeitet während des Studiums auch als Entwurfszeichnerin für die Handarbeitsredaktion des Ullsteinverlages, entwirft Vorlagen für Spitzenmuster, Stickereien und Druckstoffe und schreibt Texte für die Zeitschriften "Die Dame" & "Die praktische Berlinerin". Sie hat dadurch Zugang zu vielen Publikationen des Verlages, die sie als Motivquelle für ihre Collagen nutzen kann. Eine erste Collage fertigt sie 1916 aus Abdeckschablonen für Holzschnitte, die sie gegen Bezahlung für Orlik anfertigt.

Die Dada - Bewegung beginnt sich in Berlin zu formieren. Noch vor Kriegsende 1918 endet die erste Dada - Soirée allerdings mit einem Éclat. Hannah Höch war wegen einer persönlichen Krise nicht beteiligt, stellt aber bei der ersten Schau des Berliner Club Dada 1919 eigene Arbeiten aus.

       

Ihre bekannten Dada - Puppen sind erst bei der "Ersten internationalen Dada - Messe" 1920  zu sehen, wo auch die ganz oben gezeigte Collage ausgestellt  wurde.

1921 lernt sie Kurt Schwitters kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft pflegt.  1922 geht die Beziehung zu Hausmann in die Brüche. Sie arbeitet an ihrer Collage "Meine Haussprüche":

Source

In den folgenden produktiven Jahren lernt Hannah Höch viele andere Künstler kennen wie das Ehepaar Arp, den Fotografen Moholy - Nagy, Piet Mondrian oder Theo van Doesburg. Bei einem Hollandaufenthalt 1926 trifft sieauf ihre künftige Lebensgefährtin Til Brugman und zieht am Ende des Jahres zu ihr nach Den Haag, nachdem sie bei Ullstein gekündigt & ihr Atelier vermietet hat. Erst 1929 kehren die Beiden nach Berlin zurück.

"Mutter" (1925/26)
In Berlin nimmt Hannah Höch wieder Kontakt zu Mitgliedern der Dada - Bewegung auf, beteiligt sich an Ausstellungen wie der gegen den § 218 & äußert sich zu Fragen der Zensur. Repressalien gegen sie von Seiten der Nationalsozialisten nehmen zu und sie wird als "Kulturbolschewistin" diskreditiert. Ausstellungen sind für sie ab 1933 nur noch im Ausland möglich.

"Dompteuse" (1930/64 )
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1935 lernt sie den 25jährigen Kurt Heinz Matthies kennen & die Beziehung zu Til Brugman geht zu Ende. 1938 heiratet Hannah Höch Matthies und die beiden bereisen mit dem Wohnwagen Deutschland. Doch auch diese Beziehung ist durch diverse Erkrankungen beider Partner immer wieder belastet. Die politische Entwicklung im Land beginnt Höch zudem immer mehr zu ängstigen und lässt sie ihre Kontakte einfrieren.

1939 erwirbt sie ein ehemaliges Flugwärterhäuschen in Berlin - Heiligensee als Refugium. Dort im Garten vergräbt sie die in ihrem Besitz befindlichen Werke der Dada - Freunde und Dokumente aus der Vergangenheit. Mit ihrem Mann ist sie auch während der ersten Kriegsjahre weiterhin in Europa unterwegs, bis dieser sie 1942 verlässt. 

Von da an verbringt Hannah Höch die Zeit abgeschieden und isoliert in ihrem Häuschen und hofft, " dass es vorüber gehen möge." Bei Kriegsende notiert sie in ihrem Tagebuch: "Eine 12jährige Leidenszeit, die von einer wahnsinnigen u. unmenschlichen ja viehischen Klike uns aufgezwungen war, mit allen Mitteln des Geistes, mit allen Mitteln des vor keinem Verbrechen zurückschreckenden Barbarentums - ist zu Ende. In meiner Seele ist eine Ruhe wie ich sie seit vielen Jahren nicht gefühlt habe."

Das Höchsche Refugium in Heiligensee ist heutzutage zu besichtigen, und ich empfehle den Besuch jedem kunstbegeisterten Berlin - Besucher, nachdem er/sie in der Berlinischen Galerie die Werke der Künstlerin betrachtet hat ( wenn diese denn wieder geöffnet ist ). 

Das Haus und besonders der Garten machen eine weitere Facette des künstlerischen Schaffen der Hannah Höch klar, der des Sammelns. Und dieses Sammeln bezog sich nicht nur auf Bilder oder Bildmaterial, sondern auch auf Pflanzen. Diese Pflanzen waren Teil ihrer "Gartenmontage":


( Die Fotos sind bei einem Besuch im Hannah - Höch - Haus entstanden. Als meinen Kultur - Tipp verlinke ich diesen Post mit Tanja Praske. )

Nach und nach erobert sich Hannah Höch den Platz in der Berliner Kunstwelt zurück, der ihr gebührt. Sie nimmt wieder die Verbindungen zu alten Freunden auf und stellt wieder aus. 1948 gibt es sogar drei Fotomontagen von ihr im Museum of Modern Art in New York zu sehen. In dieser Zeit ist auch diese Collage entstanden:


Zu ihrem 65. Geburtstag 1954 erhält sie von der Stadt Berlin ein Ehrenruhegeld, was ihre prekäre materielle Lage sehr entspannt. Auf zahlreichen Ausstellungen werden ihre Arbeiten wieder gezeigt und zur großen Dada - Retrospektive 1958 in Düsseldorf reist sie an und trifft dort alte Weggefährten wie Man Ray & Hans Richter:

HH ganz links mit Bubikopf, daneben Richter,
ganz rechts Man Ray
In den Folgejahren ist sie sehr produktiv, an vielen Ausstellungen beteiligt und erhält einige Ehrungen, so zu ihrem 80. Geburtstag in der Akademie der Künste in Berlin. 


Doch ihre Sehkraft lässt nach. 1972 beginnt sie mit der Arbeit an der Großcollage "Lebensbild":

1972/73
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Weitere Ausstellungen & Ehrungen folgen: So wird sie z.B. zum Professor ehrenhalber in Berlin ernannt. Am 31. Mai 1978 stirbt Hannah Höch 88jährig. Sie ist auf dem Friedhof in Heiligensee begraben.


Eine meiner Lieblingscollagen ist "Der Strauß", an der sie von 1929 bis 1965 gearbeitet hat:



Wer noch mehr über die Künstlerin erfahren möchte, der sei an den virtuellen Büchertisch verwiesen.

10 Kommentare:

  1. Was für großartige Puppen. Hannah Höch ist mir zwar als Künstlerin in den dunklen Wirrungen meines Hirns ein Begriff, aber eigentlich weiß ich nicht besonders viel über sie. Schön, dass du Lust machst, diese kreative Frau zu entdecken. Wirklich spannender Lebens-Schaffens-Lauf. LG mila

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  2. Liebe Astrid, erstmal vielen Dank, daß du dir soviel Mühe gemacht hast und mitmachst. Ich habe mir schon gedacht und gehofft, daß du Hannah Höch nehmen würdest über die ich gar nicht soviel weiß, idiotisch ich weiß, wo ich doch selbst Collagen mache. Ein ganz toller Bericht einer ganz besonderen Künstlerin, die zu Recht ins Rampenlicht gehört. Witzigerweise erwähne ich Hans Richter auch, denn meine heutige Protagonistin spielte in seinem Film mit...
    L.g. barbara bee
    Du kannst dich jetzt gern verlinken, ich hinke ja meiner Zeit immer ein bisschen hinterher, weil ich noch die engl. Übersetzung machen musste!

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  3. diesen post finde ich sehr interessant, wie viele von dir. du hast so ein weites spektrum. was deine kulturellen vorlieben anlangt.
    ich kann heute auch einen post über eine bemerkenswerte frau beisteuern, vielleicht interessiert es dich ja darüber zu lesen!

    lieben gruß, susi

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  4. Liebe Astrid,

    vielen herzlichen Dank für diesen wunderbaren Artikel als #KultTipp zu meiner Blogparade! Zwei Dinge erfuhr ich darüber: 1) über die Künstlerin an sich, 2) über die Donnerstagreihe von Barbara Böttcher. Ich werde auch dort reinlesen. Ich stimme dir zu, dass die Künstlerinnen aus der Zeit noch ein Schattendasein führen, wenngleich es Gegenbewegungen gibt, wie auch dein Post zeigt. Ich wusste nicht allzu viel über Hannah Höch, eine sehr vielseitige Frau!

    Schöne Grüße aus München
    Tanja Praske


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  5. Da schließt sich jetzt schon wieder irgendein Kreis. Von hanna höch war bei uns in Berlin die rede, seit ich denken kann. Der patenonkel war mit ihr befreundet, und ich wusste wohl, dass sie Künstlerin war, aber mehr? Fehlanzeige. dass ich jetzt ausgerechnet bei dir von ihr mehr erfahre, hat ja was. ;-)

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  6. Toll, liebe Astrid, ich freue mich im besten Sinne weitergebildet ;-). Spannend und anregend, Lust machend auf mehr... Sich so kundig und mit Verve dieser Frau zu widmen, das ist auch Astrid! Vielen, vielen Dank dafür! Herzlich Ghislana

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  7. Liebe Astrid,
    vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht über Hanna Höch, durch den ich mich erinnerte,
    dass ich ihre Lebensgeschichte kannte und zwar aus dem Buch " So viel Energie - Künstlerinnen in der dritten Lebensphase".
    Dieses Buch kann ich nur wärmstens empfehlen. Man erfährt viel über die nicht immer leichten Jahre vor dem 50. Geburtstag der Künstlerinnen und wie sie jenseits ihres 50. Geburtstages bis ins hohe Alter bedeutende Werke schufen.
    Das ist so spannend und macht so viel Hoffnung!
    Liebe Grüße
    Renate D.

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  8. Ein großartiger Beitrag! Ich gebe zu, dass mir der Name nichts sagte, aber ich dann doch Bilder wiedererkannte. Es freut mich, dass ich jetzt mehr weiß!
    Liebe Grüße
    Mary

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  9. Liebe Astrid,

    ein paar Tage nach deinem Post beteiligte sich Tanja Neumann an der Blogparade. Sie rezensiert die Ausstellung der Helene Schjerfbeck in der Schirn. Ich finde hier gibt es spannende Parallelen, aber auch Abweichungen der in etwa zeitgleich tätigen Künstlerinnen.

    http://www.museumstraum.de/mein-kultur-tipp-helene-schjerfbeck-in-der-schirn/

    Schönen Abend noch!
    Tanja

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  10. Danke, Tanja! Die Künstlerin kenne ich aus einem Buch über skandinavische Malerinnen, habe aber noch kein Original gesehen. Leider muss ich aus persönlichen Gründen zur Zeit immer an Frankfurt vorbeifahren, wenn ich meine alten kranken Eltern aufsuche. Schaun wir mal, was da drin ist.
    LG

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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