Donnerstag, 14. September 2023

Great Women #350: Margaret Sanger

Im letzten Sommer kippte das oberste amerikanische Gericht das landesweite Recht auf Abtreibung. Seither haben bereits 13 US-Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche ganz verboten, fünf untersagen sie nach einem bestimmten Zeitpunkt der Schwangerschaft, zwischen der 6. und 20. Woche. In acht weiteren Staaten haben Frauenrechtsorganisationen ein Verbot angefochten, nun müssen Gerichte darüber entscheiden. Die Zwischenwahlen in den USA gerieten dann auch zu einer Abstimmung über das Recht auf Abtreibung, denn die Sorge bleibt, dass eine von den Republikanern kontrollierte Regierung einen landesweiten Abtreibungsbann verhängen könnte. In diesem Zusammenhang fiel auch immer wieder ihr Name: Margaret Sanger, heute vor 126 Jahren geboren.

 


"The church has ever opposed the progress of woman 
on the ground that her freedom would lead to immorality."

Margaret Sanger kommt also am 14. September 1879 als Margaret Louise Higgins in Corning im US-Bundesstaat New York zur Welt. Sie ist das sechste Kind von Anne Purcell Higgins und des Steinmetzen Michael Hennessey Higgins. Die Eltern, seit 1869 verheiratet, stammen aus Irland, die Mutter ist eine strenggläubige Katholikin, macht in 22 Jahren 18 Schwangerschaften durch, von denen nur elf mit der Geburt eines Kindes enden. Der Vater hingegen versteht sich als Atheist, ist politisch aktiv und setzt sich für Arbeitsreformen und soziale Gerechtigkeit ein. Margaret bewundert diesen unkonventionellen Mann & sein Denken und Handeln, aber sie leidet auch daran, dass sein Engagement Einbußen an Status und finanzieller Sicherheit für die Familie mit sich bringt. 

Als Kind hat Margaret das faszinierende Erlebnis bezüglich der Machtausübung der katholischen Kirche, als nämlich der örtliche Priester die Türen des Rathauses abschließt, damit der Agnostiker Robert Ingersoll in Corning nicht zu den Leuten sprechen kann. Daraufhin verlegt er seinen Auftritt in den Wald, was das Mädchen ungeheuer beeindruckt. 

Sie ist neunzehn, als ihre Mutter, ausgelaugt durch die vielen Schwangerschaften und dem Aufziehen einer so großen Kinderschar unter widrigen Bedingungen, mit 49 Jahren an Tuberkulose stirbt ( während der Vater 80 Jahre alt werden wird ). Ihrem Vater wird sie diese Tatsache als Ursache für den frühen Tod  bei der Beerdigung um die Ohren hauen, und das Trauma wird die junge Frau zu ihrem künftigen Handeln antreiben, so ihre Autobiografie.

Da ihre zwei älteren Schwestern immer gearbeitet haben, um das Familieneinkommen aufzubessern, ist es möglich, dass Margaret eine Ausbildung an einem College in den Catskills machen kann. Nach der Schule wird sie Lehrerin für Einwandererkinder, bemerkt aber schnell, dass ihr diese Arbeit nicht liegt. Als ihr Vater von ihr erwartet, sie solle den Platz ihrer Mutter im Haushalt der Familie übernehmen, verlässt sie diese und geht nach New York, wo sie Krankenpflegeschulen besucht. Zu viele Opfer haben Mutter wie Schwestern schon erbringen müssen, so Margaret, sie ist nicht mehr bereit dazu. 1902 will sie die Ausbildung am White Plains Hospital in New York abschließen, doch ihr kommt etwas dazwischen:

In New York hat sie den sechs Jahre älteren "William" Wilhelm Sanger kennengelernt, einen Maler & Architekten von deutsch-jüdischer Herkunft, als der einen Arzt ihres Krankenhauses besucht, um für ihn ein Haus zu entwerfen.

Die gängige Legende über ihre Hochzeit am 18. August 1902 besagt, dass Sanger Margaret nie wirklich gefragt hat, ob sie ihn heiraten wolle. An besagtem Tag holt er sie einfach ab, bringt sie zu einem Geistlichen und klärt dort auf, was er im Schilde führt. Untypisch für sie, willigt sie sofort ein. Sie wird auch bald schwanger mit ihrem ersten Kind. Da sie aber auch an Lungentuberkulose leidet, muss Margaret eine Zeit in einem Sanatorium verbringen, das sie erst kurz vor der Geburt von Stuart 1903 verlassen kann.

Ähnlich wie ihre Mutter leidet Margaret auch nach dieser Niederkunft  an Tuberkulose-Attacken, wird aber noch zwei weitere Kinder zur Welt bringen, Grant 1908 und Margaret Louisa, genannt Peggy, 1910. In ihrer Autobiografie wird Margaret später schreiben: 

"Meine eigene Mutterschaft war freudig, liebevoll und glücklich. Ich wollte diese Freuden mit anderen Frauen teilen."

Zu Beginn ihrer Ehe pflegen die Sangers ein recht konventionelles Leben. Dem Paar schwebt ein Umfeld mit gleichgesinnter menschlicher Gemeinschaft in einer Gegend vor, in der man in die Weite blicken kann. William, der den Lebensunterhalt der Familie erarbeitet, indem er Häuser, Mietshäuser und öffentliche Brunnen entwirft und als Vertragszeichner für ein großes Architekturbüro in New York City fungiert, schafft ein eigenes Haus im William-Morris-Stil auf dem Locust Hill in in Hastings on Hudson, Westchester County, New York. Die Lage ist vielversprechend, und das neuerbaute Haus hat sogar Modellcharakter für weitere Interessenten der neuen Ansiedlung.
 
Kurz vor der Geburt des zweiten Sohnes, Grant, ziehen die Sangers dort ein.

Margaret kommt also in den Vorort voller Hoffnung auf ein gesundes, stabiles Leben als junge Mutter. Für sie bleibt das Haus auf Dauer dann aber nicht nur das Symbol für ein glückliches Familienleben, sondern verkörpert immer mehr die engen vorstädtischen Werte, die sie später nur schwer ertragen kann. 

Der Start in Hastings ist dann auch ein sehr einschneidendes Erlebnis: Ein Feuerausbruch im großen Ofen in der ersten Nacht nach dem Umzug bereitet all ihren Träumen ein vorzeitiges Ende. Da kein Telefon vorhanden, versucht der Ehemann, noch im Schlafanzug, Alarm zu schlagen, Margaret hüllt den kleinen Sohn komplett in seinen Bademantel ein, steigt mit ihm vorsichtig die Treppe hinunter und gelangt so zu den nächsten Nachbarn. 
Das Haus der Sangers in Hastings rechts
"Irgendwo in meinem Hinterkopf erkannte ich die Absurdität, alle Hoffnungen, alle Anstrengungen … in die Schaffung von etwas Äußerem zu stecken, das im Laufe weniger Augenblicke unwiederbringlich untergehen kann. Meine Skala vorstädtischer Werte war in den Flammen vernichtet worden, genau wie meine kostbare Rosette aus Bleiglas zerstört worden war. …", beschreibt sie die Veränderung ihrer Vorstellungen später. 
Glücklicherweise ist das Haus feuerfest konstruiert. Nur der Innenausbau aus Holz hat den Flammen nicht widerstehen können. Die Familie lebt dann noch einige Zeit weiter in der restaurierten Hülle. Doch für Margaret ist alles anders geworden: "Es kam mir vor, als wären wir in einen Sumpf geraten und müssten darauf warten, dass die Flut uns befreit. Der Brand, die Zerstörung der Rosette, hatte dies bewirkt.

Und so beschließt das Paar 1912, zurück nach New York zu ziehen. Margaret ist jetzt 33 Jahre alt und Mutter von drei Kindern im Alter von 9, 4 und knapp zwei Jahren.

Das Ehepaar taucht in New York nun in die radikale politische und intellektuelle Welt von Greenwich Village ein, wo sie mit verschiedenen Aktivisten und Intellektuellen der Progressiven Ära zusammenarbeiten, darunter Max Eastman, Upton Sinclair und Emma Goldman, die William Sanger als Mitglied der Socialist Party schon länger kennt, und aktiviert sich entsprechend:

Von links nach rechts: Mabel Dodge, Max Eastman, Upton Sinclair, Emma Goldman

Margaret wird Mitglied des Frauenkomitees der New Yorker Sektion der Partei und veröffentlicht in "The New York Call", der parteieigenen Zeitung, Artikel über Sexualerziehung. Sie beteiligt sich an Protesten der Arbeiterinnen und ist Mitorganisatorin zusammen mit ihrem Mann des Streiks der Textilarbeiter in Lawrence, Massachusetts im Jahr 1912. Die Sangersche Küche in ihrem Appartement in Harlem bietet sich dafür als Treffpunkt an. 

William und Margaret besuchen aber auch Mabel Dodges Salon, dem "Herzstück" der damaligen Avantgarde in der Fifth Avenue, wo Margaret zu den versammelten Gästen über das Thema "Sex" spricht. Mabel Dodge wird Margaret in ihren Memoiren als "Madonnen-Typ" bezeichnen.

Margaret, die als Krankenschwester in der Lower East Side häufig die Häuser armer Einwanderer besucht, trifft dort oft auf kinderreiche Familien und Ehefrauen, deren Gesundheit durch zu viele Schwangerschaften, Fehlgeburten oder dilettantische Abtreibungen beeinträchtigt ist und die sie bitten,  "das Geheimnis" zu verraten, wie man die Familiengröße begrenzt. Das ist schließlich ausschlaggebend für ihre regelmäßige Artikelserie in "The New York Call" namens "Was jedes Mädchen wissen sollte". Von der Zensur wird sie kritisch beobachtet: Ihr Artikel über Geschlechtskrankheiten wird später z.B. wegen "Obszönität" verboten.

William Sanger: "Peggy"
(ca. 1915)
Die Mischung aus sozialistischen Einflüssen, den Künstlerfreunden Williams und seinem zunehmendem Engagement für die Kunst, ihren Überlegungen hinsichtlich der gesundheitlichen Ungleichheiten unter armen Frauen und die Unzufriedenheit mit New Yorks Bohème entwickelt eine gewisse Brisanz im Eheleben der Sangers. Die persönlichen und beruflichen Ziele der beiden Partner weisen bald eine ernst zu nehmende Divergenz auf.

Als Mabel Dodge im Februar 1913 die "Armory Show", eine wegweisende Kunstausstellung mit ausrichten wird, entscheidet sich William, zum Malen nach Paris zu gehen. Margaret begleitet ihn mit den beiden Kleinen, und das Paar bezieht ein Studio in Montparnasse. Doch sie kehrt innerhalb eines Vierteljahres zurück in die Staaten. Peggy erkrankt dort an Polio, überlebt ( doch das Bein bleibt beeinträchtigt ). Sie selbst hat eine immer größere Distanz in Bezug auf ihr Eheleben entwickelt und dazu noch ein größer werdendes Interesse an der Geburtenkontrolle, während William völlig von der Kunst gefangen ist.

1914 gründet Margaret "The Woman Rebel", einen monatlichen Rundbrief, in dem es um Empfängnisverhütung und das Recht der Frau auf ihren Körper geht. In diesen Rundbriefen prägt sie das Wort birth control. Im August 1914 wird gegen sie wegen der Veröffentlichung "unanständiger Inhalte" ein Haftbefehl erlassen. Daraufhin flüchtet sie unter einem Decknamen an Bord der "RMS Virginian" über Kanada nach Europa. Sobald das Schiff auf hoher See ist, telegrafiert sie einem Verleger in New Jersey, damit der hunderttausend Exemplare ihrer Broschüre "Family Limitation" unter die Leute bringt. 




William hingegen muss dann wegen Ausbruch des Ersten Weltkrieges Frankreich verlassen. Er nimmt seine Aktivität in einem Architekturbüro in New York wieder auf und gleichzeitig das Sorgerecht für die Kinder. 

Die amerikanische Bundesregierung hingegen lässt in puncto Strafverfolgung nicht locker:

Anthony Comstock, ihr oberster Moralapostel, nach dem die entsprechenden Comstock-Gesetze auf Bundes- und Landesebene benannt worden sind, entwickelt einen Plan, um William Sanger dazu zu bringen, den Aufenthaltsort seiner flüchtigen Frau preiszugeben. Ein Undercover-Agent überlistet ihn, indem er vorgibt, ein Mitarbeiter seiner Frau zu sein, und bittet um eine Broschüre, damit man sie in verschiedenen Sprachen nachdrucken könne. William händigt ihm "Family Limitation" aus, und Comstock höchstpersönlich bietet ihm anschließend einen Deal an: Gegen Nennung des Aufenthaltsortes werden alle Anklagen fallen gelassen. William lehnt ab. Am 10. September 1915 wird er vor dem New Yorker Strafgerichtshof angeklagt. 

Obwohl das Paar ehelich inzwischen getrennt ist ( und er nicht gerade begeistert ist über Margarets Beziehungen zu anderen Männern, darunter Havelock Ellis, der britische Sexualforscher ), unterstützt William Margarets Engagement für die Verhütung und teilt ihre Wahrnehmung der unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen. Auch ergänzt er für ihre Artikel, indem er Zeichnungen für sie anfertigt.

William wird zu einer Geldstrafe von 150 US-Dollar oder 30 Tagen Gefängnis verurteilt, letzteres verlangt seine Selbstachtung von ihm. Kurz danach – im Oktober 1915 – kehrt Margaret in die USA zurück, um sich der Anklage zu stellen. Das Verfahren wird für den folgenden Januar angesetzt, als am 6. November 1915 ihre Tochter Peggy im Alter von fünf Jahren an einer Lungenentzündung stirbt. Die öffentlichen Sympathiebekundungen aus dem ganzen Land und der Druck von prominenten Unterstützern auf die Behörden zeigten Wirkung: Ihre Anklage wird abgelehnt, offiziell damit begründet, diese sei bereits zwei Jahre alt. 

William verschwindet nach diesen Ereignissen von der öffentlichen Bildfläche. Die Ehe wird 1921 dann offiziell geschieden, 1924 heiratet er erneut und wird 1961 noch vor Margaret sterben. In einem Brief, der ihm nach ihrem Tod ausgehändigt werden soll, attestiert sie ihm seine Bedeutung als "the lover of all the world", was für die Frauen der Welt ihrer Meinung nach viel bewirkt hat. 

Ihre Berühmtheit - da nutzt Margaret die Gunst der Stunde - spült Massen von Frauen & Männern in die Vorlesungen über Geburtenkontrolle, die sie 1916 auf ihrer allererste Tour durch die USA an vielen Orten halten wird. 

Ethel Byrne & Margaret Sanger vor Gericht
Die Kontroversen schrecken Margaret nicht: Mit ihrer Schwester Ethel Byrne, ebenfalls Krankenschwester, errichtet sie die erste Geburtenkontrollklinik in den Vereinigten Staaten, nach dem Vorbild derjenigen, die sie in Holland gesehen hat. Am 16. Oktober 1916 stellen sich Dutzende jüdische und italienische Einwanderinnen aus dem überbevölkerten Stadtteil Brownsville in Brooklyn an, um Beratung und Informationen zur Geburtenkontrolle zu erhalten. Neun Tage später schließt die Polizei die Klinik und verhaftet Margaret, Ethel und den Dolmetscher der Klinik. 

Ethel wird zuerst vor Gericht gestellt und verurteilt. Sie tritt in einen Hungerstreik, wird zwangsernährt und schließlich begnadigt. Margaret verbüßt nach ihrem Urteil 30 Tage im Gefängnis. Während sie ihre Strafe in einem Arbeitshaus absitzt, klärt sie ihre Mitinsassinnen über Verhütung auf und geht gegen das Urteil in Berufung.

Juristisch sind die beiden Frauen gescheitert, die Publizität rund um ihre Aktivitäten hat die Geburtenkontrolle nun aber zu einem Thema öffentlicher Debatte gemacht.

Bei einer ihrer Vortragsreisen lernt Margaret 1917 in Boston Katharine McCormick kennen, die reiche Erbin eines Mähdrescher-Imperiums. Ihr eigenes Schicksal hat McCormick für das Thema Verhütung sensibilisiert: Ihr Mann leidet an Schizophrenie. Aus Angst, die Krankheit würde vererbt, will Katharine keine Kinder bekommen. Doch das ist schwierig: Enthaltsamkeit, unsichere Verhütungsmittel vom Schwarzmarkt oder einem befreundeten Arzt sind ihre einzigen Möglichkeiten. Margarets Visionen von einer "magischen Pille" begeistern Katharine McCormick sofort. Sie wird eine zuverlässige materielle Unterstützerin werden.

1918 befindet ein US-Gericht, dass die Verschreibung von Verhütungsmitteln durch Ärzte rechtmäßig sei. Mit diesem Erfolg im Rücken kann Margaret Sanger in die Offensive gehen: Mit der 1921 gegründeten "American Birth Control League" im Rücken betreibt sie Lobbyarbeit für eine Lockerung der Comstock-Gesetze und gründet landesweit neue Kliniken für Geburtenkontrolle, die meisten betrieben von einem Arzt & seiner Ehefrau. 

Unverheiratete Frauen werden allerdings abgewiesen: Den Kliniken geht es nicht darum, uneheliche Kinder zu verhindern, sondern verheirateten Frauen zu helfen. Damit schützen sie sich auch vor der Kritik, mit ihrer Arbeit eine unchristliche Sexualmoral zu unterstützen. Zu Hilfe kommt dieser Entwicklung die Tatsache, dass die Kriegsteilnehmer infiziert mit Geschlechtskrankheiten aus Europa heimkehren. Damit erfüllt die Bewegung auch einen weiteren Aspekt der Gesundheitsversorgung.

Im November 1921 macht Margaret am eigenen Leib die Erfahrung, welche Macht die katholische Kirche hat und ausübt, als der Erzbischof von New York erreichen kann, dass die Gründung der "American Birth Control League" in der Town Hall von Manhattan nicht stattfinden kann. Als die Menschenmenge den Saal trotzdem stürmt, und Margaret zu reden beginnt, wird sie verhaftet, alsbald aber wieder frei gelassen. Die Aufregung über den Vorfall ist in der New Yorker Presse groß und bringt der Bewegung viel publicity unter Prominenten und Reichen. 

1922
In den 1920er Jahren konzentriert sich die Aktivistin international auf das Thema, hält Vorträge in ganz Asien und Europa. 

Dazwischen findet sie Zeit, am 18. September 1922 den aus Südafrika eingewanderten, zwanzig Jahre älteren Ölmagnaten & Milliardär James Noah Henry Slee, ein konservativer Republikaner dazu, aber sehr verliebt in sie, heimlich zu heiraten. Der wird sie fortan auf ihren vielen Reisen begleiten und alsbald die Holland-Rantos Company begründen, die Kontrazeptiva für den nationalen medizinischen Bedarf herstellen wird. "She was, and always will be, the greatest adventure in my life", wird Slee auf die Fragen Neugieriger auf die Gründe für diese Liaison einmal antworten.

Margaret betrachtet die Geburtenkontrolle als das Recht und die Verantwortung der Frau und schreibt 1922, dass 

"... die Frage der Geburt und Erziehung von Kindern die Angelegenheit der Mutter und potenziellen Mutter ist …. Keine Frau kann sich frei nennen, die ihren eigenen Körper nicht besitzt und kontrolliert." Kondome sieht sie kritisch, denn sie "gefährdeten dieses Ziel, indem sie das Fortpflanzungsschicksal der Frauen in die Hände der Männer legten."

Folgerichtig bemüht sie sich parallel zu ihrer Arbeit als Lobbyistin und Publizistin ständig, einfachere, billigere und wirksamere Verhütungsmittel ausfindig zu machen und zu propagieren. Die Firma ihres Mannes produziert das ursprünglich holländische Diaphragma, das sie von dort eingeschmuggelt hat, und sie kümmert sich darüberhinaus um viele Forschungsprojekte für spermizide Cremes, kontrazeptiven Schaum und Puder und hormonelle Verhütungsmittel. Kritikerinnen wenden immer wieder ein, dass dadurch die Macht über den Körper von Frauen wieder auf Ärzte übertragen werden, die Margaret auf ihre Produkte eingeschworen hat. Margaret Sanger ist darin typisch amerikanisch: sendungsbewusst & gleichzeitig geschäftstüchtig!

 Mit J. Noah H. Slee

1930 wird die "Birth Control League" fünfundfünfzig Kliniken in 23 Städten installiert haben. Vorwürfen, sie befeuere damit die Promiskuität, entgegnet die Unerschrockene, Henry Ford würde auch nicht dafür gescholten, dass seine Autos es Männer & Frauen leicht machten, weiter weg aus ihrer häuslichen Umgebung zu fahren und dort auf den Rücksitzen des Autos Sex miteinander zu haben. Und sie lässt keinen Zweifel daran zu, dass Frauen daran ebensolche Freude haben sollten wie Männer.

Um die Sache weiter voranzubringen, beginnt die inzwischen über Vierzigjährige ihre einstige radikalere & feministische Haltung zu verschleiern und orientiert sich argumentativ stattdessen mehr an einer der neuesten wissenschaftlichen Strömungen ihrer Zeit: der Eugenik. In Europa und in Amerika beschäftigen sich zahlreiche Forschende mit der Idee, dass vor allem gesunde Menschen Kinder bekommen sollen, um die Menschheit zu stärken. Dadurch gewinnt sie zunehmend die Unterstützung von Ärzten und Politikern. 

Für uns heutzutage ist ihre Haltung mehr als problematisch, da wir ja erfahren haben, wie kurz der Weg von einer solchen Theorie zur nationalsozialistischen Euthanasie gewesen ist. Geschadet hat dieser Richtungswechsel jedenfalls auch ihrem Ruf als "crusader for the poor". Sozialistische Freunde wie Upton Sinclair bleiben aber auf ihrer Seite.

Margaret befürwortet also die Idee einer "Rassenhygiene", wobei ihr Verständnis von Rasse die menschliche Spezies im Gesamten meint und nicht auf eine bestimmte Ethnie reduziert. Dass sie bei weitem nicht alle Pläne der Eugeniker unterstützt hat und schon früh über die Pläne der Nazis in Deutschland entsetzt gewesen ist, wird in einigen ihrer Briefe klar:

"All diese Nachrichten aus Deutschland sind traurig und fürchterlich, und für mich viel gefährlicher als alle anderen Kriege, die irgendwo stattfinden, da es dort so viele gute Menschen gibt, die den Gräueltaten applaudieren und sie als rechtens sehen. Der plötzliche Antagonismus gegen die Juden in Deutschland und der beißende Hass ihnen gegenüber, der sich hier im Untergrund verbreitet, ist viel gefährlicher als die aggressive Politik der Japaner in der Mandschurei."

Im Zuge mehrerer Gerichtsprozesse, die Margaret Sanger zusammen mit ihren Unterstützern anstrengt, entscheidet die "American Medical Association" 1937, dass die Empfängnisverhütung fortan als legitime medizinische Dienstleistung und als Bestandteil der ärztlichen Ausbildung anzuerkennen sei.

Gäste in Margaret Sangers Haus
(1941)
Obwohl sie eine Abneigung gegen die Hitze hat, zieht sie im Herbst 1937 mit ihrem an Arthritis erkrankten Ehemann nach Tucson/ Arizona und legt ihre Aufgaben und Ämter nieder. Von 1939 bis 1942 ist sie deshalb nur ehrenamtliches Mitglied der "Birth Control Federation of America". 

1943, nach dem Tod ihres Ehemannes zieht sie in die Nähe der Familie ihres Sohnes Stuart in Arizona in ein eigens für sie gebautes, durchaus extravagantes Haus. Ende der 1940er sucht sie auch wieder verstärkt das Licht der Öffentlichkeit, hat aber in den Jahren zuvor Geselligkeit und gesellschaftliches Leben und ihre hochkarätigen Kontakte - u.a. zu Eleanor Roosevelt - eher unbeobachtet weiter gepflegt: Margaret liebt Partys! Auch eine neue Ehe mit einem zwanzig Jahre jüngeren Künstler, Hobson Pittman, erwägt sie noch einmal einzugehen, entscheidet sich dann aber anders.

Auf einer dieser Partys trifft Margaret 1951 den US-amerikanischer Physiologen Gregory Pincus, der ihr erklärt, man könne die von ihr erträumte "magische Pille", also ein Medikament zur Verhütung entwickeln. Ab da trommelt sie für die Antibabypille und wirbt Gelder für die weitere Erforschung ein, Katharine McCormick ist natürlich auch diesmal dabei.

1961
1952 unterstützt Margaret Sanger die Gründung der "International Planned Parenthood Federation", deren erste Präsidentin sie wird, und die damals die größte private Organisation zur Familienplanung ist. Sie tourt auch durch Europa, Afrika und Asien, hält dort Vorlesungen und hilft bei der Gründung neuer Kliniken. Auch die deutsche Profamilia, Weihnachten 1952 als "Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie" in Kassel gegründet, geht auf die Vorarbeit Aktivistin zurück. 

1956 wird in Puerto Rico der erste groß angelegte Versuch mit der Antibabypille am Menschen durchgeführt. Der Schritt, so wichtig er für die Geschichte der Menschheit ist, wird allerdings ohne Einverständnis der puertoricanischen Frauen durchgeführt. Die in der Studie verwendeten Pillen haben damals einen 20-mal höheren Hormonspiegel als die heute auf dem Markt erhältlichen Antibabypillen gehabt. 

1960 wird die Pille offiziell als Verhütungsmittel zugelassen, und 1965 entscheidet der Obersten Gerichtshof - im Fall Griswold vs. Connecticut - dass die Geburtenkontrolle für verheiratete Paare legal ist. 

Da ist Margaret Sanger schon im Altersheim in Tucson, wo sie am 6. September 1966 im Alter von 87 Jahren stirbt. Ihre letzte Ruhestätte erhält sie auf dem "Fishkill Rural Cemetery" in New York zwischen ihrem zweiten Ehemann und ihrer Schwester Anna Higgins. Judy Chicago ( siehe dieser Post ) wird ihr einen Platz bei ihrer "Dinner Party" einräumen. 1999 wird Margaret Sanger vom "Time Magazin" zu einer der hundert wichtigsten Persönlichkeiten des Zwanzigsten Jahrhunderts gekürt.

Judy Chicago "The Dinner Party"
Unumstritten bleibt sie auch in der Folgezeit nie:

Angela Davis etwa behauptet 1983, dass es Margaret Sanger seinerzeit nicht um die selbstbestimmte Empfängnisverhütung von schwarzen Müttern gegangen sei, sondern darum, den Anteil von Schwarzen an der US-amerikanischen Bevölkerung zu minimieren. 2015 greift der afroamerikanische republikanische Präsidentschaftskandidat Ben Carson, die Kritik auf und konstatiert, Sanger und "Planned Parenthood" hätten Kliniken vorrangig in schwarzen Vierteln eröffnet, um das Wachstum der schwarzen Bevölkerung zu kontrollieren. 

Die Kritik wird seit 2021 von der Führung "Planned Parenthood" als teilweise berechtigt eingeräumt. Frau vertritt nun den Standpunkt, Margaret Sanger nicht mehr als Ikone gegen alle Vorwürfe in Schutz zu nehmen, sondern ihr Werk differenziert zu betrachten. Aber "... es gibt keinerlei Beweise für die Behauptung, Sanger habe einen 'schwarzen Genozid' unterstützt."

Eine noch recht junge Studie der Universität Passau zeigt anhand einer Auswertung einzigartiger historischer Daten, dass die Kliniken für Geburtenkontrolle und Familienplanung der Margaret Sanger Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur die Geburtenrate gesenkt, sondern auch substantielle Gesundheitseffekte gehabt hat wie den Rückgang der Totgeburten um 4,5 Prozent und den der Säuglingssterblichkeit im ersten Lebensjahr um 7 Prozent, aber auch dass insbesondere die Müttersterblichkeit durch Kindbettfieber in Regionen mit einer Klinik stärker zurückgegangen sind als in Regionen ohne Klinik. Die Lebensumstände von Frauen und Kindern haben sich also signifikant verbessert.

Dass Margaret ganz schön viel Veränderung in das Leben als Frau gebracht hat, stellt wohl keiner in Frage...




3 Kommentare:

  1. Wieder einmal hast Du eine mutige Frau vorgestellt, die viel für uns Frauen erreicht hat und mir gänzlich unbekannt war. Sie hat einen echten Paradigmenwechsel vollzogen, jedoch teilweise auch einen hin zur Pharmaindustrie, was ich nicht unproblematisch finde. Zumindest aus heutiger Sicht.
    Dennoch weitsichtig und mutig und oft sehr hilfreich, was sie alles getan und projektiert hat. Ich bin beeindruckt und danke für die Vorstellung!
    Herzlichst, Sieglinde

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  2. Wieder ein sehr interessantes Frauenportrait. Ich wusste auch nichts über diese Frau. Ohne sie wären wir Frauen sicher noch nicht so frei zu entscheiden, ob und wie viele Kinder wir bekommen.
    Danke Dir
    Liebe Grüße
    Nina

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  3. eine sehr interessante Frau
    die sich sehr für das Wohl von Frauen und auch Kindern dadurch eingsetzt hat
    zu einer Zeit als das noch völlig undenkbar war
    was man ja auch an den Verhaftungen ect. sehen kann
    leider deutet sich da ja in USA ein starker Rückschritt an
    danke für das Portrait
    liebe Grüße
    Rosi

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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