Mittwoch, 16. September 2020

Leben zu Zeiten von Corona - Halbjahres-Update


"Die historische Bedeutung von COVID 
liegt nicht in dem, 
was es für unser tägliches Leben 
bedeutet."
Wade Davis, Anthropologe
"Es ist die Ironie dieser Pandemie, 
dass sich manche Menschen 
gegen die Maßnahmen wehren, 
gerade weil sie gewirkt haben."
Alexandra Bröhm & Felix Straumann
"Corona ist die Stunde der Schwätzer."
Herbert Renz-Polster, Kinderarzt

Ein halbes Jahr ist es auf den Tag genau her, dass wir unsere Überlegungen, wie wir mit der COVID19- Pandemie umgehen wollen, umgesetzt haben und die Haustür sozusagen hinter uns verschlossen. Nach langem Hin- und Hersimelieren habe ich mich entschieden, hier & heute trotz der Erfahrungen bei den letzten Malen doch noch mal eine Art Rückschau zu halten. Die Gedanken, die mich seit meinem Post vor einem Vierteljahr innwendig umhertreiben, würden mich auch in Zukunft nicht so einfach in Ruhe lassen. Es geht heute also nicht darum, was wir gemacht haben, wie wir das Geschehen beurteilen, unseren Wissensstand et cetera pp, sondern darum, wie ich einen Teil der Öffentlichkeit hier in meinem Blog erlebt habe.

Erst einmal aber vorneweg: Es geht uns gut. Mein Mann hat seine physische & psychische Krise vom Mai überwunden, freut sich wieder seines Lebens und beschäftigt sich nicht mehr damit, ob & warum ihm Außenstehende seine Daseinsberechtigung absprechen. Ich bin stolz auf mich, dass ich die Geduld & Zuversicht, gepaart mit Beobachtungsgabe & Entscheidungsfreude, besessen habe, um ihm dazu verhelfen zu können. Der junge Physiotherapeut, den ich damals mit ins Boot geholt habe und der eher ein "Zufallsfund" gewesen ist, hat sich als Glücksfall erwiesen, weil er sich mit meinem Mann gut versteht und sehr schnell auffasst, was er benötigt. Und noch besser: Er verfügt über das vielfältige Repertoire, darauf einzugehen.

Ich war damals, als ich diese Krise hier im Blog erwähnt habe, von meinem Einsatz und  sorgenvollen Gedanken geschafft. Umso tiefer haben mich manche Leserinnen-Reaktionen getroffen. Neben vielen freundlichen, aufmunternden Kommentaren gab es nämlich etliche ohne Einfühlungsvermögen bis hin zur Unverschämtheit & Häme, und das von überwiegend mir wildfremden Menschen, die sich in der Anonymität verstecken konnten, da sie kein Blog führen. Warum auf die Schilderung eines persönlichen Leids solch feindselige Reaktionen? Die Frage ist eher rhetorisch, mir ist schon klar, was damit bezweckt werden soll... Die Frage der Menschlichkeit & des zwischenmenschlichen Umgangs beantworte ich jedenfalls anders als diese Kommentatorinnen.

Dann gibt es wohl im Bloggerland Instanzen ( nein, es sind nicht Larry Page oder Sundar Pichai von Google ), die wissen, ob man genug gelitten und ertragen hat, dass frau darüber in ihrem Blog überhaupt schreiben darf ( ich anscheinend nicht ). Die maßen sich auch an zu entscheiden, wann einer lang genug gelebt hat, es Zeit für den Abgang ist, wie traurig man sein darf und setzen das dann auch noch, ohne rot zu werden, in Kommentare. Und nachdem man derart jede Feinfühligkeit mit Füßen getreten hat, besitzt man noch die Unverfrorenheit, allerorten davon zu schreiben, man dürfe seine Meinung nicht äußern.

Schließlich gab es noch Versuche an "Derailing", was so viel heißt, dass man auf die angesprochenen Themen im Post überhaupt nicht eingegangen ist, stattdessen ein eigenes Thema installiert hat, von dem nicht die Rede war, um die Diskussion in diese Richtung zu deuen (  "Thema verfehlt" hätte früher unter solchen Aufsätzen gestanden ). Die krönten die Kommunikation per Kommentar dann ab und an.



Zwar kannte ich das von anderen, die einschlägige Erfahrungen in sonstigen sozialen Medien gemacht hatten, hat es mich in der eher freundlich gestimmten Bloggerwelt mit eher wohlwollendem Umgang überrascht und erfüllt mich bis heute mit einem schon ewig nicht mehr empfundenen Groll. Meine Reaktion damals, solche Kommentare schließlich nicht nur nicht mehr zu veröffentlichen, sondern gleich bei Ankunft in meinem Mailfach in den Mülleimer zu bugsieren -  mein Blog ist mein Blog und bleibt mein Blog -  geschah aus Notwehr und meinem  Seelenfrieden zuliebe.

Der Mangel an Respekt, das fehlende Verständnis, der Missbrauch meines Blogs als Forum für die eigene, teilweise sehr fragwürdige Agenda haben in mir vorhandene Ressourcen an Neugier, Interesse und Verstehenwollen auch von Menschen mit anderen Vorstellungen & Anschauungen erschöpft. Eigentlich hatte ich zeitlebens nach dem Motto "Der Hergott hat viele Kostgänger" agiert und das auch auf die Blogosphäre angewandt, in der ich mich bis dato gerne bewegt habe. Das war blauäugig. Mein grundsätzlich positives Menschenbild ist hinüber, meine Interesse, meine Bereitschaft, mich in andere hineinzuversetzen, perdu. Warum soll ich Energien verschwenden auf tendenziell Böswillige?

Ich kann mich zum Glück darauf stützen, dass sich in meinem täglichen Umfeld, in meinem Freundes- und Familienkreis, in meiner Nachbarschaft und beim Großteil der Bloggerinnen bzw. Leserinnen meines Blogs nur Menschen befinden, die die derzeitige Sachlage ähnlich einschätzen wie ich. Noch nie in meinem Leben bin ich in eine so große gesellschaftliche Mehrheit eingebunden gewesen. Daraus abzuleiten, dass ich alle Maßnahmen gelungen und sinnvoll gefunden habe, wäre allerdings daneben. Der Glaube, dass alles durchdacht und angemessen abgelaufen ist, ist auch nichts anderes als ein weiterer Glaube, also nichts für mich... 

Zum Schluss möchte ich noch an das eingangs erwähnte Zitat anknüpfen und den kanadisch-US-kolumbianischen Anthropologen Wade Davis etwas ausführlicher zu Wort kommen lassen: 
"Die COVID-Pandemie wird als ein solcher Moment in der Geschichte in Erinnerung bleiben, ein wegweisendes Ereignis, dessen Bedeutung sich erst im Zuge der Krise entfalten wird. Es wird diese Ära ebenso markieren wie die Ermordung von Erzherzog Ferdinand im Jahr 1914, der Börsencrash von 1929 und der Aufstieg von Adolf Hitler im Jahr 1933 zu grundlegenden Maßstäben des letzten Jahrhunderts, die alle Vorboten größerer und konsequenterer Ergebnisse waren." 
Ja, in diesen Corona-Zeiten spielt auch bei mir die historische bzw. politische Dimension eine Rolle, insofern, dass Ideologien auf den Veranstaltungen gegen die Maßnahmen geäußert werden und eine Offenheit nach rechts gezeigt wird, die meine Toleranzgrenze als Zoon politikon schon immer überschritten haben und für mich bis heute in keinster Weise diskutabel & verhandelbar sind. Dazu kenne ich mich zu gut mit Geschichte aus. Der österreichische Identitäten-Import Martin S*llner reibt sich ja schon die Hände: "Die Mehrheit der Teilnehmer ist weder explizit rechts noch migrationskritisch, sie ist aber eindeutig ,rechtsoffen' und das bedeutet (...) bereits die Welt." Fragt sich also, wer da die tatsächlichen Schlafschafe sind.

Ich finde jedenfalls keine versöhnliche Erklärung für diese Koalitionen der letzten Aktionen. Überschneidungen von Antisemitismus, Rassismus und Esoterik hatten nämlich in diesem Lande schon eine lange Tradition, auch schon Jahrzehnte vor dem Nationalsozialismus. Über das Endresultat unter diesem muss man meiner Ansicht nach nicht mehr diskutieren.

Ich nehme mir auch deshalb das Recht, in besonderem Maße auf meinem Blog, das alles nicht akzeptieren oder verstehen zu müssen, mich nicht als Ignorant beleidigen zu lassen und im Gegenzug selbstgefällig-pompöses Durchblickertum zu ertragen. Ich weiß: "Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt." Mit so einem Auserwählten habe ich gelebt und vor Jahrzehnten damit Schluss gemacht und im Gegensatz zu diesem Herrn ein gutes Leben in guter Gemeinschaft führen dürfen...

Ansonsten bin ich froh, auf meine alten Tage über den notwendigen Stoizismus zu verfügen, um die Pandemie auszuhalten, indem ich für uns das Vorsorgeprinzip über alles andere stelle. Ich bin bodenständig genug, die damit verbundenen Einschränkungen als kleineres Übel zu erleben, und mit meinen Einsatz für mich und meine wichtigsten Mitmenschen ein Überleben möglich zu machen.