Donnerstag, 14. Februar 2019

Great Women # 171: Marta Hegemann

"DER Räderscheidt" war zu meiner Zeit in der Kölner Werkschule natürlich ein Begriff, und mancher Kunststudent meinte, mit einem steifen Hut auf dem Kopf ähnlich genial zu sein. Dass "der Räderscheidt" eine Frau hatte, nämlich "die Hegemann" habe ich dann bei meinem Schwager erfahren, der ein früher Sammler von August - Sander-Fotos war  und der hatte ein berühmtes Paarporträt von den Beiden mit dem Titel "Malerehepaar" für seine "Menschen des 20. Jahrhundertsgeschaffen. Auch ein anderer Kölner Fotograf, Hannes Maria Flach, hatte die Sagenumwobene fotografiert. Das war's aber schon: Gemälde von ihr habe ich nie bewusst zu Gesicht bekommen. Gemeint ist Marta Hegemann, der mein heutiges Porträt gewidmet ist:

Frieda Wilhelmine Martha "Marta" Hegemann kommt am 14. Februar 1894 in Düsseldorf auf die Welt. Ihre Eltern sind die gebürtige Kölnerin Wilhelmine Wiesel und Friedrich Hegemann, ein Beamter, und Marta ihr erstes Kind. Sechs Geschwister werden noch folgen und ganz bürgerlich in Düsseldorf, später in der "kleinen Waldstadt" Iserlohn aufwachsen, in die der Vater versetzt worden ist, um "Herr über die Eisenbahnen" zu werden.

Stefan Lochner "Weltgericht" ( ca. 1435 )
Das Mädchen besucht die Volksschule und anschließend das Lyzeum bis 1910. Ihre Ferien verbringt sie bei den Großeltern mütterlicherseits in Köln - Mülheim. Mit der Domstadt verbindet sie viele frühe Eindrücke:

Die Taubenschwärme in "wunderschönen Farben von Kieseln", die Fülle der Blumen in der Flora, die die Großmutter als Witwe betreibt,  und die Ausstellungs- & Museumsbesuche, bei denen sie in Kontakt mit den Kunstschätzen des Wallraf - Richartz - Museums kommt. Besonders das "Weltgericht" von Stefan Lochner weiß das Mädchen zu beeindrucken, aber auch die Malerei eines Arnold Böcklin. Im Kunstverein  lernt sie August Macke schätzen: "Aquarelle wie Edelsteine", die sie sich als 16jährige nicht leisten kann. Marta malt und zeichnet gerne und entwirft eigene Kleidung, wohlwollend unterstützt von den Tanten, besonders ihrer lebenslang zuverlässigen "Mäzenin" Johanna.

Nach dem Schulabschluss entscheidet sich Marta 1911 zum Studium an der Kunstgewerbeschule Köln, die erst im Jahr zuvor Frauen zugelassen hat. Auch wenn sich die Schule in puncto Frauenstudium aufgeschlossen gibt, ist das Klima sehr konservativ und der Unterricht eher handwerklich ausgerichtet. Marta lernt dort den aus Köln stammenden Anton Räderscheidt kennen, der im Jahr zuvor sein Studium aufgenommen hat, sowie Heinrich Hoerle und Franz W. Seiwert, ebenfalls gebürtige Kölner, mit denen sie in Zukunft noch gemeinsame Wege gehen wird.

Im Januar 1912 ist im Kölner "Gereonsclub" eine Ausstellung des "Blauen Reiters" zu sehen. Diese sowie die "Sonderbund" - Ausstellung mit Werken der Moderne beeindrucken Marta, besonders die Malereien Paul Klees.

Hildeboldplatz heute
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1912 wechselt sie mit Räderscheidt an das Zeichenlehrerseminar der Staatlichen Kunstgewerbeschule in Düsseldorf in die Klasse von Lothar von Kunowski, um eine Ausbildung zur Kunsterzieherin zu machen, die sie 1918 mit dem Examen in Bad Godesberg abschließt. Auch Räderscheidt legt, nachdem er 1915 erst einmal zum Kriegsdienst eingezogen und in Verdun verwundet worden ist, 1917 das Examen ab. Am 27. März 1918 heiraten sie in Mülheim und beziehen ein Wohnatelier am Hildeboldplatz 9 im Kölner Gereonsviertel.

Nach kurzer Zeit im Schuldienst entscheidet sich das Paar jedoch für ein Leben als freischaffende Künstler, und ihre Wohnung entwickelt sich zum Treffpunkt eines großen Künstlerfreundeskreises, zu dem Max Ernst und seine erste Frau, die Kunsthistorikerin Luise Straus gehören. Für Marta ist zu diesem Zeitpunkt besonders der Austausch mit Max Ernst wichtig, der sie mit den Werken von Giorgio de Chirico und Carlo Cará bekannt macht. Sie werden eine nachhaltige Inspirationsquelle für Marta, ebenso wie die Bildsprache Klees.

1919 bringt Marta ihren ersten Sohn Johann Paul Ferdinand zur Welt. Den nötigen Beitrag zum Lebensunterhalt der jungen Familie verdient sie mit kunstgewerblichen Arbeiten, darunter bemalte Bucheinbände, Stoffe  & Seidenbänder.

In diesem Jahr schließt sie sich mit ihrem Ehemann, Seiwert, Hoerle und dessen Frau Angelika, Martas wichtigster Freundin, und deren Bruder Willy Fick zur "Neuköllnischen Malerschule" ( in Anlehnung an die mittelalterliche "Altköllnische Malerschule" ) zusammen, die sich als dadaistische Gruppe versteht. "Es war keineswegs klar, was wir wollten", wird Marta 1965 in ihren Lebenserinnerungen schreiben. Entscheidend scheint aber auch der Wunsch der progressiven Künstlerinnen & Künstler in jenen Anfangsjahren der Weimarer Republik nach Zusammenhalt gewesen zu sein: "… wir froren, wir hungerten, wir feierten, aber vor allem, wir suchten. Und dieses Suchen war das ungeheuer Belebende."

Doch schon im November 1919 kommt es anlässlich einer geplanten Ausstellung im Kölner Kunstverein zu einem kleineren Zerwürfnis mit dem "Dadamax" Max Ernst, und die Freunde spalten sich von den Kölner Dadaisten ab: "Dada ist bürgerlicher Kunstbetrieb", urteilt Seiwert.

Die neue Gruppierung nennt sich "stupid" und lädt "mittwochs 3-7 Uhr und sonntags 11-2 Uhr" zur Dauerschau ins hegemann- räderscheidtsche Wohnatelier ein, Eintrittspreis eine Mark. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog - "stupid1" -, in dem auch fünf Arbeiten von Marta abgebildet sind. Auch diese Gruppierung ist nicht von langer Dauer, denn Seiwert und Hoerle wollen politisch wirksamer arbeiten, während Marta und ihr Mann sich ehr von den Ideen der "Kalltalgemeinschaft" angezogen fühlen, einem vom Kölner Ehepaar Jatho begründeter Intellektuellenzirkel in der Eifel mit anarchistischen Tendenzen. Dort lernen sie den Schriftsteller Ret Marut ( B. Traven ) kennen.

Die Lebensverhältnisse der jungen Familie sind prekär: "Von unserer Armut damals kann man sich keine Vorstellung machen, von unserem Reichtum auch nicht." Droht der Besuch eines Geldeintreibers, verzieht man sich mit der Malmappe in ein Lokal. Auf kleinstem Raum gemeinsam als Künstler zu arbeiten, stellt schon Ansprüche an die Toleranz. Zusätzlich wird das Familienleben durch die ständigen Zusammenkünfte weit bis in die Nacht mit dem großen Freundeskreis bestimmt. Kein Wunder, dass Marta sich auch gegenüber ihrem kleinen Sohn die notwendige Ruhe für ihre Malerei recht rabiat verschafft: Sie schließt einfach die Tür, und der Kleine bleibt draußen auf der Straße. Dort spielt er mit dem Sohn von Max Ernst und Luise Straus, Jimmy, die um die Ecke wohnen, und die Zwei beziehen auch öfter Prügel von älteren Kindern. Marta scheint nicht viel Aufhebens davon zu machen, sie ist ohnehin "weder mütterlich, noch warmherzig", wie sie ihre Enkelin MAF Räderscheidt später charakterisieren wird. Dass mit den Kindern etwas Schönes unternommen wird, geht wohl eher auf die Initiative von Luise Straus zurück...

Hotel "Monopol" mit dem Künstlercafé im Parterre
Nichtsdestotrotz weiß man zu leben. Und es wird erzählt, dass bei ihrem Auftauchen in den von ihr häufig frequentierten Lokalen Marta mit ihrem Lieblingslied "La Paloma" begrüßt wird. Man geht gemeinsam aus zu Künstler- und Karnevalsfesten ( "Lumpenball" ) sowie ins "Café Monopol" im gleichnamigen Hotel am Wallrafplatz, Treffpunkt der progressiven Künstler der Stadt.

1920 ist auch das Jahr, in dem erste Arbeiten Martas ausgestellt werden, und zwar im Graphischen Kabinett Van den Bergh & Co in Düsseldorf. In den nächsten beiden Jahren entstehen etliche Gemälde wie "Stilleben ( Lampe und Tiere )", "Hafen" und "Lampe mit Vase".

"Stilleben ( Lampen und Tiere )" (1920)
Martas Freundin seit Studienzeiten, Angelika Hoerle,  die "Deutsche Meisterin der Dadaisten", so die Zeitungen, erkrankt in jenen Tagen an Tuberkulose. "Fluchtartig" soll Heinrich Hoerle seine Frau nach der Diagnose verlassen haben ( um dann mit kaum 41 Jahren der Tuberkulose ebenfalls zu erliegen ).

Marta hält ihr die Stange, ebenso Räderscheidt, und die Malerin wird der Freundin gar ihr einziges Porträt widmen, ein bis heute verschollenes Aquarell, und eine Erzählung schreiben: "Angelika - eine Verwandlung". Angelikas Tod im September 1923 lässt Marta geschockt zurück: "Ich glaubte, die Welt müsse stillstehen." ( Angelika Hoerles Begabung & ihr schmales Werk ist erst wieder auf Initiative ihrer Nichte Angie Littlefield in den späten 1960er Jahren erkannt worden. )

Infolge der Inflation geraten Marta und Räderscheidt immer wieder in existenzielle Not. 1924 kommt dann auch der zweite Sohn, Karl - Anton, zur Welt, der wegen einer Diabetes - Erkrankung lebenslang besonderer Pflege bedarf. Die Diagnose kommentiert Marta später: "Es war mir, als seien mir die Arme abgefallen."

Um diese Zeit entsteht das - verschollene - "Familienbild", das den "Dualismus, den Hegemann am eigenen Leibe zu spüren bekam und der zum dauernden Antrieb ihres künstlerischen Schaffens werden sollte" ( Silke Schultz hier ) verdeutlicht, der aufgrund der in der Zeit aufkommenden Vorstellung von der emanzipierten "Neuen Frau" und der vorherrschenden traditionellen Rolle als Ehe- & Hausfrau sowie Mutter besteht. Dass Marta ihren Blick an mittelalterlicher Heiligenmalerei schon in jungen Jahren geschult hat, merkt man an den beiden Engelchen, die den Hut des Mannes über seinem Kopf in der Schwebe halten und ihn so zum Oberhaupt der Familie krönen. Es ist übrigens das einzige Gemälde Martas mit einer männlichen Figurine, der weiblichen größenmäßig entsprechend: "...ich male keine Männer, weil sie nicht faßbar sind..."


"Familienbild" (1924, verschollen )
Ab diesem Zeitpunkt sind Martas Werke erst in regionalen, dann aber auch immer mehr überregionalen Ausstellungen vertreten und auch publizistisch gewürdigt, vor allem auch durch die Veröffentlichungen ihrer Freundin Luise Straus - Ernst, die sich in ihren Veröffentlichungen besonders den zahlreichen namhaften deutschen Künstlerinnen der 1920er Jahre widmet. 1925 wird ein zukunftsweisendes Jahr für das Paar Hegemann & Räderscheidt ( indem auch das berühmte Foto von August Sander entsteht ): Räderscheidt ist als einziger Kölner Künstler in der Mannheimer Ausstellung zur "Neuen Sachlichkeit - Deutsche Malerei seit dem Expressionismus " vertreten, Marta als einzige Frau in einem Aufsatz "Zur jüngsten niederrheinischen Malerei" von Franz Roh hervorgehoben, betont auch durch die Abbildung ihrer Malerei "Stadt".

An "Stadt" lässt sich im Formalen der Einfluss Giorgio de Chiricos erkennen: Häuserkuben und zweidimensionale, silhouettenhafte Figuren, immer Frauen, dazu Segelboote, Vögel, Katzen, Taubenschwärme, Lampen Kaffeekannen in strenger zweidimensionaler Darstellung gehören zu Martas Bildrepertoire, mit dem sie Tableaus mit surrealer Anmutung schafft, denn die banalen Gegenstände sind immer Chiffren für diffizile Inhalte. Es sind eben nicht jene anmutigen Bilderbogen, wie sie die Kritik oft auffasst, sondern faszinierende Kompositionen mit evidenten Aussagen - so nehme ich es jedenfalls wahr ( und darin unterscheiden sie sich gewaltig von jenen der Marie Laurencin, mit der Marta ab und an, wohl wegen der Farbigkeit, gleichgesetzt wird ).

"Stadt" (1925, verschollen )
Typisch für Marta ist an diesem Gemälde die Darstellung der Frau als dominierende Gestalt im Bildzentrum. Und dann ist da auch wieder der kleine unscheinbare Hinweis auf die wahren Geschlechter - Verhältnisse: dem "Männlein" im Boot fliegen die Fische nur so zu, während die Frau mit einer leeren Angel da steht.

Beide, Marta wie Anton Räderscheidt, beteiligen sich an der Ausstellungstournee des wiederbelebten "Jungen Rheinland" in Dresden, Berlin, Chemnitz und Düsseldorf. Der namhafte Kritiker des "Kunstblatts", Willi Wolfradt, findet Marta "der ferneren Aufmerksamkeit Würdigste", erwähnt den Ehemann hingegen mit keinem Wort. Auch bei den beiden Ausstellungen der "Kölner Sezession" 1925 & 1926 sind wieder beide Partner mit ihren Bildern vertreten. 1926 heißt es im "Kölner Stadt- Anzeiger":
"Marta Hegemann, die früher amüsante, spielerische Bilderbogen machte, hat drei Schritte auf einmal nach vorwärts getan und sich auf rein malerische Aufgaben besonnen; man atmet förmlich auf über diese Selbstbefreiung eines in der Theorie verhafteten Talents (...) Anton Räderscheidt stellt eine Rheinlandschaft aus, die, im Verein mit drei andern, als Zimmerschmuck gedacht, vielleicht nur an Ort und Stelle wirken kann (...) Ein Stilleben bleibt das Beste, was Räderscheidt diesmal gab." ( Quelle hier )
Durch eine Erbschaft nach dem Tode von Vater Räderscheidt im Sommer 1926 kann die junge Familie eine Reise nach Südfrankreich - Marseille und Sanary, wo Räderscheidt später einmal leben wird - unternehmen. Im Gegensatz zu ihrem Mann notiert Marta im Tagebuch, dass die Reise "nicht (brachte), was wir suchten." Ein Teil der Südfrankreich - Arbeiten gelangt im Herbst in die Ausstellung "Neue Kunst - Alte Kunst" in der Galerie von Kasimir Hagen. Anton Räderscheidt ist mit zwei Gemälden ( "Maler und Modell" und "Bild Marta 2" ) und einem Foto vertreten mit der Bemerkung: " Ich bin 34 Jahre  und in Köln geboren. Ich male den Mann mit dem steifen Hut und die hundertprozentige Frau, die ihn durch das Bild steuert...."


"Die Kniende" (1930)
Auch bei dieser Ausstellung fällt die Resonanz zugunsten Martas aus: Über ihn heißt es im "Kölner Tageblatt": "Er tut so, als ob er in allen Humoren und Ironien schwelge - aber in Wahrheit ist er so umgrotesk, so humorlos, wie man das allenfalls seinem schwarzen steifen Hut und dem schwarzen Rock, mit Handschuhen und Krawatte zutrauen könnte." Zu Marta hingegen:
"Neben ihm, gleichsam als Komponente, die pralle Martha Hegemann, die von der Malerei sagt, sie 'sei die Balance zwischen Himmel und Hölle' - und dazu 'ein ehrsames Handwerk' Zuerst hat die Hegemann das Handwerk gelernt: sie kann viel und malt geschäftig, und dann balanciert sie unbekümmert zwischen Himmel und Hölle, d.h. sie malt lustig drauf los, sie hat ein Ungestüm, ein Temperament des Malens, um das man sie fast beneiden könnte. Sie hat Witz, Ironie, Scherz, Satire - und hinter allem auch eine klein wenig tiefere Bedeutung."  ( Quelle hier )
Trotz all des Lobes: Das Kölner Wallraf - Richartz - Museum kauft 1927 ein einziges Gemälde von Marta Hegemann, das dann während der Nazizeit entfernt wird, höchstwahrscheinlich die "Sitzende Dame"...

Es ist vor allem er, der Bilder verkaufen und so die materielle Situation der Familie verbessern kann. Das macht auch möglich, der räumlichen Enge am Hildeboldplatz zu entfliehen und eine größere Wohnung mit Dachatelier in der neu errichteten Siedlung der GAG in Köln Bickendorf 1927 zu mieten. Marta entwirft für diese Siedlung Spielplätze. Der Architekt Wilhelm Ripahn gehört zu ihrem Freundeskreis.

Schlehdornweg in Köln Bickendorf heute
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Die Wohnungseinrichtung gestaltet Marta mit einfachen Mitteln, Hauptsache sind ihr die Menschen, die diese Räume beleben. Die Lage am Stadtrand erschwert allerdings die Teilnahme am Leben der Kölner Künstlerschaft. Aus dieser Zeit erwächst die Freundschaft zum Maler Heinrich Maria Davringhausen, der in der Nähe lebt.

Die zunehmende Politisierung der Kölner Progressiven hat das Paar Hegemann - Räderscheidt ohnehin nicht mitvollzogen, dazu ist vor allem Räderscheidt wohl zu individualistisch veranlagt. 1931 konstatiert Seiwert: "Mit Räderscheidt und der Hegemann haben wir weder persönlich noch künstlerisch etwas zu tun". 


In den 1930er Jahren, fotografiert von Hannes Maria Flach
An einem anderen Kölner Projekt des Architekten Hans Heinz Lüttgen für die Ausstellung "Raum und Wandbild" sind allerdings viele der befreundeten Künstler wieder beteiligt. Marta steuert zwei großformatige Wandbilder für ein Jungen- und ein Mädchenzimmer bei ( Abbildung hier ),  das ihr erneut viel Anerkennung bringen. 1929 wird eine neue Galerie in Köln am Wallrafplatz eingerichtet, Dr. Becker - Newman, die u.a. Aquarelle von Marta ausstellt und ihr 1931 ihre erste Einzelausstellung mit Gemälden ausrichtet ( zwei kleinere Einzelausstellungen werden ihr erst wieder 1954 und 1969 gewidmet werden und eine 1983 nach ihrem Tod ).

Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 bringt für Marta und ihren Mann tiefe biografische und künstlerische Einschnitte: Da sie mit den Kölner Progressiven "verbandelt" sind, gelten sie als "entartet", ihre Nichtmitgliedschaft in der "Reichskulturkammer" macht sie überwachenswert und schneidet sie von allen Ausstellungsmöglichkeiten ab. Sie nehmen sich ein Beispiel am Freund Davringhausen, der Deutschland schon im Januar verlassen hat, und erwägen nach Italien auszuwandern. Die Wohnung wird aufgelöst, finanzielle Unterstützung durch die Familie und andere "Sponsoren", darunter das Ehepaar Rudolf & Ilse Metzger - Salberg, ersucht und im Juni 1933 macht man sich mit den 14- bzw. 9jährigen Söhnen auf den Weg, zuerst nach Rom, dann Neapel und die Insel Procida.

Anton Räderscheidt. um 1930,
 fotografiert von Hannes Maria Flach
Die Bemühungen um ein Stipendium an der Villa Massimo in Rom schlagen fehl, auch andere Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, so dass die Familie im Herbst wieder nach Köln zurückkehrt und nun notdürftig in Köln - Müngersdorf unterkommt. Man versucht, mit Entwürfen für Wandbehänge, die das Paar selbst produzieren lässt, sich eine finanzielle Basis zu verschaffen, Marta steuert auch einen Holzschnitt für eine Sammelmappe der "Arbeitsgemeinschaft Kölner Künstler" bei. Zu den pekuniären Nöten tragen auch die Kosten für den kranken jüngsten Sohn bei, der Marta auch pflegerisch fordert.

Inzwischen wird auch die Entfremdung zwischen den Ehepartnern unübersehbar: Räderscheidt intensiviert den Kontakt zu Ilse Metzger - Salberg, einer Fotografin.

Zur Paarbeziehung  Hegemann - Räderscheid sollte an dieser Stelle etwas weiter ausgeholt werden, spiegelt sie sich doch eklatant im künstlerischen Werk, vor allem Anton Räderscheidts wieder, der seit Mitte der 1920er Jahre mit seinen Paar - Figurationen aufgefallen ist. Und die strahlen eine Einsamkeit, eine Isoliertheit bei gleichzeitigem Aneinander-Gefesselt -Sein aus, dass mir dabei ganz unwohl wird.

A. Räderscheidt: "Selbstbildnis mit Ehefrau
Martha Hegemann" (Lithographie, 1927)
Man kann diese Bilder auch als Aussage zum Spannungsverhältnis des Malers zu seiner  - auch als Künstlerin - eigenständigen & selbstbewussten Frau lesen, das verkompliziert wird durch die von ihm geäußerte Auffassung von der "Feindschaft der Geschlechter und der Dominanz des Mannes". Bildlich drückt er das auch mit der traditionellen Ausstattung seiner männlichen Gestalten aus, die nie ironisch gebrochen wird. Zeitgenossen erleben und beschreiben Räderscheidt als Mensch als dezidierten Einzelgänger und Solipsisten.

Von Marta gibt es bemerkenswerter Weise kein weiteres authentisches oder verschlüsseltes Bild ihres Mannes. Aber in der Gestaltung ihrer Frauenfiguren über das Jahrzehnt lassen sich die einzelnen Stadien ihres Ringen um die Befreiung von der tradierten weiblichen Rolle ablesen bis hin zur erotischen Autonomie - kein Wunder, dass das Zusammenleben wie auf dem "Rasiermesser" erlebt wird, denn Räderscheidt sieht als Basis für eine glückende Beziehung  die vollkommenen Polarität der Geschlechter.

Weihnachten 1934 kommt es dann auch zum endgültigen Bruch: Räderscheidt besucht noch einmal Karl - Anton im Israelitischen Krankenhaus und übersiedelt dann mit Ilse Metzger - Salberg nach Berlin. Zunächst ist auch geplant, dass Marta mit den Söhnen sich in seiner Nähe niederlässt. 1935 kommen sie auch nach Berlin, und Marta lässt die Kinder bei ihrem Mann, um sich stationär im Krankenhaus behandeln zu lassen. Doch dann wird er mit seiner neuen Lebensgefährtin, die Jüdin ist, verhaftet und verlässt mit ihr nach der Freilassung Deutschland in Richtung Schweiz.

Marta bricht den Sanatoriumsaufenthalt ab, um die Kinder zu versorgen. Später reist sie über München nach Genf und stellt dort einen Einwanderungsantrag, den sie aber auf Wunsch Räderscheidts zurückzieht. Erst im Jahr darauf werden Unterhaltszahlungen vereinbart, bis dahin schlägt sich Marta als Alleinerziehende durch mit einem Kind, das kostspieliger medizinischer Versorgung bedarf, und belegt mit der Verbannung aus dem Kunstbetrieb ihres Landes. "Du willst eine Familie gegen alle Naturgesetze zusammen halten und daran scheitert eben sehr viel", wirft er ihr in einem Brief vor. Wenn Marta sich zu sehr beschwert, bietet er an, den kranken Karl - Anton zu übernehmen. Konkrete Verabredungen scheitern aber, weil dann die Briefe als "Postirrtum" oder "unzustellbar" zurückkommen.

Dennoch tauschen sich die ehemaligen Partner weiter brieflich über ihre künstlerischen Arbeiten aus, die sie einander mittels Fotos vorstellen. Räderscheidt will Marta sogar Ausstellungsmöglichkeiten in Paris verschaffen. Die reist dann tatsächlich während der Weltausstellung 1938 mit den Söhnen in die Stadt, weitere Absprachen zur Auswanderung und/oder dem Lebensmittelpunkt der gemeinsamen Kinder kommen wieder nicht zustande. Erst einmal bleiben sie beim Vater, und Marta kehrt mittellos und alleine nach Deutschland zurück und kommt bei ihrer Schwester im elterlichen Haus in Iserlohn unter.

In der Zwischenzeit sind sämtliche Bilder des Künstlerpaares aus den Museen entfernt worden. Durch Trennung, Umzüge, Verfolgung und Flucht werden Beide in Zukunft einen Großteil ihrer Arbeiten verlieren...

"Liegendes Mädchen" (1930)
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1938 findet sich Marta mit ihrem Jüngsten in Frankfurt/Main bei Bekannten ein, später wohnt sie in Heidelberg, verkauft aber schon 1939 ihre restliche Habe aus der Wohnung und zieht zum Bruder nach München. Erst kommt sie im Atelier einer verreisten Malerin unter, wechselt dann aber wegen der Luftangriffe nach Beginn des 2. Weltkrieges in ein Gartenhaus des Bruders außerhalb der Stadt. Ihren Lebensunterhalt verdient Marta mit Stoffentwürfen für die Münchner Werkstätten und Porzellanmalereien. Die künstlerische Arbeit kommt völlig zum Erliegen. 1942 folgt sie ihrem Bruder nach Straßburg im Elsass, in der Hoffnung, so leichter nach Frankreich zu gelangen, muss die Stadt aber im Verlauf der Invasion der Alliierten 1944 unter Zurücklassung ihres gesamten Besitzes - Bilder wie Bücher und Gegenstände aus Familienbesitz - verlassen. Das alles wird nie mehr aufgefunden werden. Zuflucht findet sie wieder in Iserlohn.

Doch auch dort wird sie in den letzten Tagen des Krieges noch Opfer der Bombardierungen, bei denen die wenigen noch vorhandenen Gemälde, darunter das "Liegende Mädchen", das heute restauriert im Kölner Stadtmuseum zu sehen ist, beschädigt werden. Die folgenden Nachkriegsjahre schlägt sie sich weiter durch mit dem Verkauf von Zeichnungen & Aquarellen, Siebdrucken, Seidenmalereien. Sie erarbeitet Stoffmusterkollektionen, die aber nie in Serienproduktion gehen. Doch sie nimmt, trotz Materialknappheit, auch wieder ihre künstlerische Arbeit auf. Zum 60. Geburtstag zeigt das "Haus der Heimat" in Iserlohn eine Werkschau.

1953 ist Marta Hegemann offiziell als "Geschädigte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" anerkannt worden, aber erst fünf Jahre später kehrt sie nach Köln zurück. Dort kann sie jedoch nicht mehr an ihre Vorkriegserfolge anknüpfen. Stattdessen produziert sie weiterhin Porzellanmalereien, Buchumschläge, Mappen, Dosen und Batik-Textilien.

Sie lebt zwar jetzt wieder in der Nähe ihrer Söhne, wird aber vom jahrzehntelangen Trennungskrieg mit Räderscheidt,  den sie als "öffentliche Auspeitschung" empfindet, zermürbt. Schließlich wird 1961 die Scheidung juristisch durchgesetzt. Getroffen haben sich die langjährigen Ehepartner in Köln nur einmal außergerichtlich, im Café Füllenbach am Eigelstein.

1969
Martas Lebenssituation - sie bekommt nur eine kleine Rente - ist wie immer prekär, und sie ist nach wie vor auf den Verkauf ihrer Arbeiten angewiesen:

1964 erwirbt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zehn Aquarelle und Zeichnungen. Sie schreibt ihre "Erinnerungen" und pflegt Kontakt zu den früheren Freunden, die sich nach der Trennung zu ihr bekennen.

Zu ihrem 75. Geburtstag würdigt sie die Kölner GEDOK, der Marta seit 1930 angehört hat, mit einer Soiree & Werkschau und die "Kellergalerie" widmet ihre Einzelausstellung.

Am 28. Januar 1970 stirbt Marta Hegemann an einer Angina pectoris. Anton Räderscheidt wird ihr nur fünf Wochen später folgen.

Die Enkelin MAF Räderscheidt, ebenfalls Künstlerin, mag den Tod der geschätzten Großmutter nicht akzeptieren: "Aber schließlich begreife ich, daß Malerinnen sowieso unsterblich sind, weil sie viel mehr anzubieten haben, als ihre bloße Gegenwart. Die Bilder erfahre ich, teilen etwas mit..." ( Quelle hier )

Mir haben sie viel mitgeteilt, obwohl sie nicht in öffentlichen Sammlungen gegenwärtig und teilweise nur in Schwarz-Weiß- Reproduktionen in wenigen Veröffentlichungen zugänglich sind. Euch, liebe Leserinnen, wünsche ich es auch. Einige Werke kann man hier betrachten, andere an dieser Stelle. Es gilt eine Epoche in der Kunst kennenzulernen, die es im Nachkriegsdeutschland schwer hatte, populär  zu werden, dazu hatten die vor der Machtergreifung noch jungen Künstler wenig Zeit, auf sich aufmerksam zu machen. Manchen Männern ist es geglückt, der recht beachtlichen Gruppe der Malerinnen nicht.






Ich danke MAF Räderscheidt und dem Hannes-Maria -Flach- Archiv für die Erlaubnis, einige Bilder hier zu zeigen.


9 Kommentare:

  1. welch leben!!!habe wieder etwas gelernt... bises

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  2. Tolle Recherche! Da hast Du echt Pionierarbeit geleistet, scheint mir. Was Du für Quellen aufgetan hast und welche Fotos Du zeigst. Einfach toll.
    Das macht das Leben und Werk dieser mir bis dato unbekannten Malerin Marta Hegemann richtig deutlich und lebendig.
    Wieder einmal ein Frauen-Künstlerinnen-Ehe-Leben, das so arm an Geld und so reich an Kunst ist. Wer aber verkauft dann Bilder??
    Bis heute läufts im Kunstbetrieb doch so. Frauen bekommen viel weniger Geld für ihre Kunst und haben einen viel kleineren Markt dafür. Sie können sich ja im Kunsthandwerk austoben... selbst das Bauhaus hat dies ja auch so gehalten. Da hat sich nicht viel geändert.
    Danke für dieses Künsterlinnen-Portrait und den Zugang zu den Bildern von ihr.
    Herzlichst, Sieglinde

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  3. Wunderbar, dass Du die Erinnerung an diese Künstlerin belebt hast. Wenn ich mit ihre bis dato unbekannten Werke so anschaue, gefallen sie mir auch viel besser als jene ihres Ex-Mannes.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  4. Künstlerinnen im 20. Jh. hatten wirklich nur Hürden zu überwinden. Von ihr habe ich noch nicht gehört. Wirklich interessant.
    LG
    Magdalena

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  5. Wieder zwei , die ich nicht kannte! Lieben Dank, Taija

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  6. Es wäre mir wahrlich etwas entgangen, hätte ich diesen großartigen Bericht nicht gelesen! Liebe Astrid, danke dir fürs Anschubsen. Vielen Links bin ich gefolgt und bin fasziniert von Martha Hegemanns Arbeiten! Wie unglaublich traurig, dass so viel davon nicht mehr existiert.
    Liebe Grüße

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  7. wieder ein interessantes Portrait
    aber sie scheint ja zeitweise mehr Erfolg gehabt zu haben als ihr Mann
    auch hier sind die Wirren des Krieges ursächlich für sehr viel Leid
    und immer noch gibt es Betonköpfe die diese Zeit verherrlichen
    gerade geschehen in Budapest

    liebe Grüße
    Rosi

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  8. ein sehr, sehr spannender und aufschlussreicher bericht über eine künstlerin, von der ich bisher noch nie gehört hatte. höchst bedauerlich, dass so viele ihrer arbeiten verschollen sind. ich hätte gerne viel mehr angeschaut!
    liebe grüße
    mano

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  9. ein sehr interessanter bericht über zwei die irgendwie nicht ohneeinander konnten. schade, dass so viele arbeiten von ihr verschollen sind. ich hatte noch nie von ihr gehört. liebe grüße, eva

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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