Donnerstag, 22. November 2018

Great Women # 162: George Eliot

Schon wieder eine Person des 19. Jahrhunderts? Und dann dieser Name, wohl doch kein Mann? Ich kann nur betonen, es lohnt sich, sich auf das heutige Porträt einzulassen, denn diese Lebensgeschichte liest sich wie ein Roman. Für mich hat es sich zum wiederholten Male gelohnt, einmal tiefer in die Menschheitsgeschichte einzutauchen, um mich bestätigt zu fühlen, dass Frauen zu jeder Zeit großartig waren, unsere Kultur aber, die zur Überbewertung männlicher Leistungen neigt, ihnen einen Schattenplatz zuweist. So ist es den Malerinnen Berthe Morisot und Eva Gonzalès ergangen, die zu ihren Lebzeiten mindestens so erfolgreich ihre Bilder verkauften wie die männlichen Impressionisten. Oder der Schriftstellerin Marie von Ebner - Eschenbach, die zu ihren Lebzeiten als eine der ganz Großen in der deutschsprachigen Literaturwelt galt. Und die politischen Leistungen von Emma Herwegh oder Johanna Kinkel für die Demokratisierung unserer Gesellschaft sind auch nicht zu verachten, wurden sie ja zusätzlich neben der Familien- & teilweise auch der Erwerbsarbeit für die gesamte Familie erbracht. Doch nun zur heutigen großartigen Frau mit dem seltsamen Namen: George Eliot, die ihre Biografin Elsemarie Maletzke als die "erfolgreichste Autorin ihrer Zeit, hoch verehrt als Äbtissin des viktorianischen Kulturbetriebes, ein literarischer Stern und eine moralische Instanz" beschreibt:



George Eliot kommt am 22. November 1819, also heute vor 199 Jahren, als Mary Anne Evans auf der South Farm auf dem Landgut "Arbury Hall" am Rande von Nuneaton, Warwickshire, in Mittelengland zur Welt. Sie ist das fünfte Kind von Robert Evans, und das dritte seiner zweiten Frau Christiana Pearson, Tochter eines reichen Freisassen.

Robert Evans ist Verwalter auf dem Landgut der Familie Newdigate, das über einem der reichsten Kohlefelder in Warwickshire liegt. Der als groß & stark und sehr konservativ beschriebene Mann ist Sohn eines Dorfzimmermanns aus Boston, Derbyshire, der sich nach dem Besuch der Schule und der Selbständigkeit mit einer Tischlerei in Staffordshire beim örtlichen Grundbesitzer unersetzlich gemacht hat. Als der 1806 "Arbury Hall" erbt, nimmt er Evans als Verwalter mit und betraut ihn mit der Beaufsichtigung von Land, Gebäuden, Kohlenmine und Bauern und dem Eintreiben von Miete & Pacht. Er scheint ob seiner Integrität geachtet zu sein und fungiert als Schiedsrichter in Streitfällen.

Ihn wird seine Tochter später zu seinen diversen Einsätzen in der Kutsche begleiten. Im Gegensatz zum Vater wird die Mutter im Leben der späteren Schriftstellerin kaum Spuren und in der Vatertochter keine sehr hohe Meinung von ihrem eigenen Geschlecht hinterlassen.

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Noch ist Mary Anne ein Baby, als die Familie in ein größeres Anwesen - "Griff House" in der Nähe Nuneatons - umzieht, das der Vater - aufgrund seiner Kompetenzen zu einem ziemlich wohlhabenden Mann geworden - sich nun leisten kann.

Dort, in dem weitläufigen Obstgarten mit Teich verbringt das kleine Mädchen, eng verbunden mit dem drei Jahre älteren Bruder Isaac, seine Zeit draußen in der Natur und zeigt noch keine Anzeichen geistiger Interessen. Doch der Vater sorgt bald für eine schulische Erziehung für das gerade fünfjährige Mädchen, damals keineswegs die Regel, und schickt sie mit der doppelt so alten Schwester in ein drei Meilen von zu Hause entferntes Institut nacht Attleborough. Eine eher mit Alpträumen behaftete Erfahrung! Kein Wunder, dass das Kind eher verschlossen und sehr ernst ist, wenig Interessen an anderen Kindern zeigt und sich in den Ferien lieber in ihrer Midlands - Idylle bewegt.

Mit neun Jahren wechselt George auf Mrs. Wellingtons Internat in Nuneaton, wo sie in ihrer Lehrerin Maria Lewis, einer eisernen irischen Evangelikalen, einen Erwachsenen findet, der sich gerne mit ihr unterhält und ihre "leidenschaftlich willige Seele (...) in eine strikte Frömmigkeit" ( Maletzke ) lenkt. Das Mädchen, ohnehin nicht sehr ansehnlich und inzwischen ein trauriger Vogel, da Lebensfreude nicht auf dem Lehrplan des Instituts steht, sucht ihr Heil in der Ansammlung von Wissen und entwickelt sich zur allen Besuchern vorzeigbaren Musterschülerin. Sie lernt, in druckreifen Sätzen zu sprechen, verfasst eine erste Geschichte, legt sich selbst strenge Regeln auf und macht sich mit alledem bei ihren Mitschülerinnen nicht gerade beliebt.

1832 ein erneuter Schulwechsel nach Nantglyn, eine der besten Schulen der Midlands, in Coventry. Dann, Weihnachten 1835, nach ihrer Konfirmation, muss George die Schule verlassen, denn sie wird bei ihren kranken Eltern, vor allem der krebskranken Mutter gebraucht, die im Februar darauf stirbt. Sie ist nun dazu verdammt, mit ihrer Schwester den Mittelstandshaushalt zu führen, während der Bruder den wieder genesenen Vater, diesen "erfolgreichen Manager von fünf Besitzungen", als Juniorpartner begleiten kann. Sie selbst fühlt sich - aufgrund des ihr eigenen Grundsatzes der Pflichterfüllung - auf einen Posten gezwungen, für den sie überqualifiziert ist. Dem Vater nahe ist sie nur, wenn sie ihm abends aus Romanen vorliest ( aber auch feststellen muss: "Der geistige Schlaf dieses Mannes ist erschreckend". )

1837 heiratet die Schwester, und George hat nun die alleinige Leitung des großen Hauses und der dazu gehörigen Molkerei inne. Der Vater ist immerhin sensibel genug - vor allem aber sehr stolz auf seine gescheite Tochter - zu merken, dass es ihr an geistiger Anregung fehlt, und sie darf sich jedes Buch auf seine Rechnung in Nuneaton besorgen. Sie bildet sich weiter in Mathematik, Geometrie, Astronomie, Insektenkunde, Chemie, Metaphysik und Phrenologie ( damals sehr populär ). Mit dem Pfarrer liest sie Texte auf Latein & Griechisch, und für Italienisch & Deutsch engagiert der Vater einen Lehrer.

Arburry Hall
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Auch die Bibliothek von "Arbury Hall" darf sie mit Erlaubnis der Mrs. Newdigate benutzen- in einer Zeit, in der Frauen nicht zur Universität gehen dürfen, sicher ein Glücksfall. Dafür steht George der Dame bei ihren sozialen Aktivitäten zur Unterstützung Armer bei und unterrichtet in der Sonntagsschule, die der Vater gegründet hat. Wichtig ist auch der Kontakt zur Tante Elizabeth Evans, einer Methodisten- Predigerin, deren bescheidener Lebenstil Vorbild ist und mit der George eine religiös - fundamentalistische Korrespondenz unterhält.

1841 will der Bruder heiraten und die Geschäfte des Vaters übernehmen. Für George ist dann kein Platz mehr als Hausherrin in "Griff House", und so zieht der Vater mit ihr nach Foleshill in der Nähe von Coventry. Sie "fühlt sich wie ein Möbel, das die Familie nur aus Pietät nicht auf die Straße stellt" ( Maletzke ).

Das stattliche georgianische Haus in illustrer Nachbarschaft soll der nunmehr 22jährigen den Start in ein städtisches Eheleben erleichtern. Doch George bevorzugt ihre Chemie- und Sprachlektionen, lernt jetzt auch noch Hebräisch und verweigert sich dem üblichen gesellschaftlichen Getue, weshalb ihre sozialen Kontakte sehr überschaubar bleiben: ihre ehemaligen Lehrerinnen, ein Pfarrersehepaar, deren Theologie studierender Sohn und eine Nachbarin, die sie gegenüber Maria Lewis als Freundin bezeichnet.

Ausgerechnet diese Elizabeth Pears, geborene Bray, führt ihre ernsthafte, fromme Freundin in jenen Sündenpfuhl ein ( in der Hoffnung, diese möge einen heilsamen Einfluss auf Bruder und Schwägerin haben ), als der der Freidenker - Haushalt des 30jährigen Bänderfabrikanten Charles Bray und seiner Frau Cara zu gelten hat. Beide pflegen eine offene Ehe. Zur Wohngemeinschaft gehört der Bruder Caras, Charles Christian Hennell, der nach dem ausgiebigen Studium der Bibel zu dem Schluss kommt: Der Mensch kann gut und edel sein auch ohne Glauben. Elizabeths Plan geht voll daneben: Sofort sind die Grays wie George völlig voneinander begeistert, empfinden sie doch eine Geistesverwandtschaft.

In diesem Kreis lernt George weitere Menschen kennen, mit denen sie sich intellektuell auseinandersetzen kann, darunter eine weitere Schwester von Cara & Charles Hennell, Sara, die die wichtigste Freundin in den nächsten Jahren sein wird. "Es ist deine Seele, der ich anverwandt bin", wird sie ihr schreiben und sie mit dem deutschen Begriff "Geliebte" anreden.

George macht nun eine Metamorphose durch, die sie endlich lachen& singen, aber auch ironisch & boshaft sein lässt. In diesem Kreis fühlt sie sich frei, so frei, ihre wahre Natur zum Ausdruck bringen zu können. Und am Ende der Verwandlung, Weihnachten 1846, gesteht sie der langjährigen Freundin Maria Lewis ihre Zweifel an Religion und Kirche. Die ist bestürzt, ebenso der Vater, dem sie am 2. Januar unterbreitet, dass sie ihn nicht mehr zur Kirche begleiten werde, weil sie ihren Glauben verloren habe: "Mein einziger Wunsch ist, aufrecht zu gehen."

1849
gemalt von Alexandre-Louis-François d'Albert-Durade
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Der Ruf der Familie ist der einzige Beweggrund, den Vater Evans hat, um seine Tochter umzustimmen. Und er setzt alle anderen Familienmitglieder, das befreundete Pfarrerspaar samt Theologensohn, aber auch als Argument ihre materielle Abhängigkeit von ihm, ein. Ein Brief, in dem sie ihm ihre Beweggründe auseinandersetzt, bringt nichts, denn der Vater ist außerstande, mit dieser intellektuellen Tochter einen weltanschaulichen Diskurs zu führen. Im März setzt er George vor die Tür und bietet ihr gemeinsames Zuhause einem Makler an.

Ihre Schwägerin nimmt sie im Gästezimmer von "Griff House" auf und bearbeitet zusammen mit Georges Freundinnen den alten Hagestolz. Ende April 1846 lässt sich George auf seine Bedingungen ein. Was bleibt ihr als Frau, als Tochter übrig in jener Zeit? Und George ist eine, die sich ihre Pflichten zu Herzen nimmt. Sie wird ab da ihren Vater auch wieder sonntäglich zur Kirche begleiten, dabei die Ohren verschließen und zur Decke starren...

Für Charles Bray, der 1846 den "Coventry Herald and Observer" gekauft hat, schreibt sie nun - allerdings ohne Namensnennung - viele Artikel und Buchrezensionen und macht sich damit langsam, aber sicher auf eine Laufbahn als Schriftstellerin auf. Gleichzeitig arbeitet George über zwei Jahre an der Übersetzung von David Friedrich Strauss "Das Leben Jesu" - eine kritische Auseinandersetzung mit Jesus als Gottessohn - die im Juni 1846 ohne Hinweis auf die Übersetzerin veröffentlicht wird.

Doch die Gesundheit des Vaters bedarf der Pflege. Und da dies nur unter Beachtung der Regeln der Konvention geschehen kann, ist dieser Dienst doppelt schwer. Als der äußerst anspruchsvolle Patient am 30. Mai 1849 stirbt, ist George emotional und körperlich ausgelaugt. Da kommt das Angebot der Brays kurz nach der Beerdigung recht, sie auf einer Europareise zu begleiten.

Doch genießen kann sie diese Reise überhaupt nicht, im Gegenteil. Angelangt in Genf, kann sie weder weiterreisen noch zurück. Da beschließt sie, von den hundert Pfund aus der Auflösung des väterlichen Haushalts sich einen Aufenthalt in einem Pensionszimmer in Plongeon den Winter über zu genehmigen. Später zieht sie dann nach Genf in das Haus des Malers Durade und seiner Frau. Tatsächlich tut ihr der Aufenthalt gut: "Diese immer gegenwärtige Schönheit hat fast eine hypnotische Wirkung...", schreibt sie in ihr Tagebuch ( und ich kann das gut nachvollziehen! ).

Rosehill, Radford Coventry
Nach neun Monaten in der Fremde, als die Alpenpässe wieder passierbar sind und Charles Bray ihre Reisekasse aufgebessert hat, kommt sie nach Frühlingsanfang 1850 nach Coventry zurück, herzlich empfangen von den Brays, weniger herzlich von ihrer Familie. Sieben Monate kann sie bei den Brays in Rosehill leben und ihre weiteren Möglichkeiten eruieren, zumal der Bruder ihr recht willkürlich die Zinsen ihres Erbes zukommen lässt.

Da kommt wieder einmal ein Angebot zur rechten Zeit: John Chapman, der Londoner Verleger von "Das Leben Jesu", bietet ihr an, sie beim "Westminster Review" unterzubringen und bei ihm in seinem Haus am Strand zur Pension zu logieren. George ist fasziniert von dem zwei Jahre Jüngeren, eloquent und charmant, aber der "Prototyp des unbesiegbaren Nichtskönners" ( Maletzke ). Und sie kommt zu der Erkenntnis, dass sie nur in London auf einen grünen Zweig kommen kann. Also packt sie Weihnachten 1850 ihre Siebensachen und wird Mitglied im Chapmanschen Zirkus, bestehend aus Ehefrau, Geliebter und manch anderem Gast, viele interessante Menschen darunter wie Charles Dickens oder Charles Darwin. Doch die großen Aufträge bleiben aus, und die beiden Erstfrauen des Herrn setzen der neuen Geliebten zu. Also kehrt sie wieder heim nach Coventry.

Doch Chapman lässt nicht locker und umgarnt sie mit neuen Angeboten: Er hat inzwischen die "Westminster Review" gekauft, ein einflussreiches Vierteljahresblatt in Intellektuellenkreisen, und bittet George, ihn zu unterstützen, denn ihm sind seine beschränkten geistigen Mittel bewusst. In der Zeitschrift sollen religiöse Dogmen in Frage gestellt und die nationale Bildung, das allgemeine Wahlrecht und die Justizreform gefördert werden. Dazu braucht Chapman die begabte & gebildete junge Frau, die er zur anonymen Herausgeberin macht.

Es beginnen fünf Jahre mit harter Arbeit, Unmengen an Lektüre und anregenden neuen Freundschaften mit den führenden Reformern und Intellektuellen dieser Tage, wie die Frauenrechtlerinnen Bessie Parkes und Barbara Leigh Smith, den Philosophen Herbert Spencer und George Henry Lewes. In jeder Ausgabe der Zeitschrift veröffentlicht George etwa hundert Buchrezensionen, von zeitgenössischer Literatur bis hin zu Philosophie und Wissenschaft. Und sie schreibt als Redakteurin über Religion, Geologie, Sklaverei, Frauenrechte, Irland, die Rolle der ererbten Mitgliedschaft im House of Lords und  über eine Reform des Wahlsystems.

Mit den jungen Frauenrechtlerinnen tut sich George zunächst sehr schwer, denn die müssen sich kraft des Vermögens ihrer Väter keine Gedanken um Miete & Nebenkosten machen wie sie. Außerdem gibt sie sich mit dem "schleichenden Fortgang der Bemühungen diverser Komitees" (Maletzke) bezüglich der Frauenrechte zufrieden. Mit Spencer, dem Begründer der Soziologie, steht sie eher auf vertrautem Fuß, führt er sie doch aus in Theater & Oper, ihre Gespräche sind profund, und es entwickelt sich eine reizende "Cameraderie". Doch der Eigenbrötler ist außerstande, ihre Liebe zu erwidern. Zu Georges Glück tritt dann George Henry Lewes auf den Plan...

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Der 1817 als uneheliches Kind des Poeten John Lee in London geborene Lewes hat sich nach missglückten Versuchen als Kaufmann, in der Chirurgie und als Schauspieler zu reüssieren, sich als Amateur der Literatur, Wissenschaft und Philosophie zugewandt und u.a. mit leichter Hand geschriebene Theaterstücke veröffentlicht. Seit 1841 ist er verheiratet, hat drei Söhne, lebt aber nicht mehr mit seiner Ehefrau zusammen, die mit seinem Geschäftspartner und bestem Freund zwei weitere Kinder hat. Da Lewes diese Kinder als ehelich anerkannt hat, ist sein Recht auf eine Scheidung verwirkt. Diese vertrackte Situation bleibt aber sein Geheimnis... 
Der "hässlichste Mann Londons", ein notorischer Womanizer und Atheist, aber zugleich auch der geistreichste & liebenswürdigste, wird das Leben der zum Zeitpunkt der Bekanntschaft 32jährigen George einschneidend verändern. Es macht ihr Spaß, mit Lewes ins Theater zu gehen, das er in- und auswendig kennt, und sie fühlt sich alsbald "glücklich und dumm wie eine wohlgenährte Kuh". 

Doch als ihre Verbindung nicht mehr verheimlicht wird, ist die Entrüstung groß, und George Eliot wird nie wieder gesellschaftsfähig werden. Gentlemen, so lange sie sich diskret verhalten, wird eine "widerliche Geschichte"im viktorianischen Zeitalter immer nachgesehen. Die Ächtung trifft also nicht den neuen Gefährten, nicht den Vater eines weiteren außerehelichen Kindes von dessen Noch - Ehefrau ( der diese dann auch noch verlässt, als die eigene Noch - Ehefrau zur ungefähr gleichen Zeit ein zehntes Kind bekommt ). Es ist George, die der Bann der viktorianischen Gesellschaft trifft. Dabei fühlt sich die künftige Schriftstellerin auch noch verpflichtet, für diese ganze Mischpoke ihres Liebsten alsbald die Brötchen zu verdienen, denn sie auch ist die Einzige, die Lewes wahre Familienprobleme kennt.

Erst einmal zieht George aber bei Chapman am Strand aus, mietet zwei möblierte Zimmer in der Nähe des Hyde Park Square und zieht auch beruflich die Reißleine, als Chapman sie zu überfordern droht: Am 1. Januar 1854 verlässt sie die "Westminster Review" und widmet sich ausschließlich der Übersetzung von Ludwig Feuerbachs "Das Wesen des Christentums" ( das einzige ihrer Bücher übrigens, das ihren Vornamen Marian Evans auf der Titelseite getragen hat ). Am 20. Juli 1854 reist sie mit Lewes als "Ehepaar" auf den Kontinent, um dort acht Monate zu verbringen, drei davon in Weimar, wo sie von Franz von Liszt, der offen bei seiner Geliebten, der Prinzessin Wittgenstein lebt, in den Bann gezogen werden. In der freieren Atmosphäre des liberalen Europas werden sie von allen akzeptiert und sind in der Gesellschaft willkommen. ( Dass sie auf dieser Reise auch Köln besuchen, und George Eliot diese Stadt erst im sanften Abendlicht erträglicher findet, sei der Kuriosität halber hier erwähnt. )

Währenddessen zieht der Klatsch & Tratsch über ihre Beziehung in England immer weitere Kreise und wird unter den Intellektuellen kontrovers, ja zuweilen bösartig, diskutiert. Es wird sogar nach Anzeichen von Wahnsinn in der Familie der Miss Evans geforscht. Andere, wie die Frauenrechtlerinnen Parkes und Leigh Smith spenden hingegen Beifall. Auf jeden Fall rückt das Paar angesichts des heimatlichen Unwetters immer enger zusammen und fühlt sich bemüßigt, in Briefen an diverse männliche Freunde wie u.a. Chapman und Bray die Sache ins richtige Licht zu rücken. Die Freundinnen Cara und Sara muss George aussparen, denn die damalige Konvention verlangt, dass man zu Frauen mit "schlechtem Ruf" keinen Kontakt hält. Da will sie die Freundinnen nicht in Schwierigkeiten bringen. Doch die sind ob des mangelnden Vertrauens enttäuscht und reagieren mit Rückzug bzw. Versachlichung der Beziehung. "Ich habe das merkwürdige Gefühl, dass ich an eine Gestalt aus einem Buch schreibe und nicht an eine (....), die wir so viele Jahre gekannt und geliebt haben", schreibt Sara Hennell über dieses Ende ihrer Freundschaft. Es ist einfach nicht George Eliots Sache, sich über ihre ambivalenten Gefühle in dieser Lebenskrise in irgendeiner Form zu äußern.

Porträt von Samuel Laurence
(ca. 1860)
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Am 14. März 1855 treffen die Beiden wieder in Dover ein. Lewes sondiert als Vorhut in London die Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten und Mitte April beziehen sie als Mr. und Mrs. Lewes eine erste gemeinsame Wohnung in der Nähe von Kew Gardens. 

George wird jetzt von ihren Besuchern als offen, freundlich und randvoll vor Glück erlebt. Ja, sie unterzeichnet sogar eine Petition von Barbara Leigh Smith, dass verheiratete Frauen ein Recht auf ihre eigenen Einkünfte haben sollen, und schickt sie an Freundinnen. ( 60.000 Unterschriften werden dem Parlament vorgelegt werden und dort auf erbitterten Widerstand treffen. ) Man muss allerdings auch zu Georges Rechtfertigung sagen, dass der Feminismus jener Tage leidenschaftliche Beziehungen zu Männern als unseriös abgelehnt hat, hat man doch geglaubt,  die revolutionären Ideen dadurch zu diskreditieren - George Eliot passt da nicht wirklich.

Oktober 1855 zieht das Paar weiter nach Richmond, was zu einer weiteren Isolation führt, die sich aber als fruchtbar für die Arbeit herausstellen wird. Der Tagesplan sieht so aus: Frühstück um 8.30 h; allein lesen bis 10h; Schreiben bis 13.30h; unterwegs sein bis 16h; um 17h Abendessen und dann jeden Tag drei Stunden lang lautes Vorlesen. Das bringt auch den Gefährten als Schriftsteller weiter, dessen Goethe - Biografie alsbald von der Kritik gut aufgenommen wird. Und während sie im Februar 1856 ihre Übersetzung von Baruch de Spinozas Ethik abschließt ( unveröffentlcht ), wechselt Lewes zur Meeresbiologie, verlässt also den virtuellen Raum der Buchwissenschaft und wendet sich den realen Lebewesen zu. Im Mai 1856 begleitet George ihn zu einer meeresbiologischen Exkursion nach Devon. Die Abwesenheit vom Londoner Klatsch und den ständigen Sorgen um den guten Ruf tut gut und fördert auch die Arbeit an Rezensionen, die sie für die "Westminster Review" zu verfassen hat.

Ihre Beziehung ist mehr als eine gewöhnliche Ehe: Für sie ist Lewes ein Mentor, dessen wissenschaftlicher Scharfsinn einen Anreiz für den Realismus bietet, den sie literarisch erreichen will. Ihr Umgang miteinander ist durch uneingeschränkte Gegenseitigkeit im sozialen Austausch gekennzeichnet. 1857 erscheint im "Blackwood’s Edinburgh Magazine" die Kurzgeschichte "The Sad Fortunes of the Reverend Amos Barton". Das Manuskript ist von George Henry Lewes an den Verleger übermittelt worden und als Autor ein Mann namens "George Eliot" benannt - die Schriftstellerin dieses Namens ist damit geboren. Reaktion eines Beraters des Verlegers: Der Autor könne nur ein wissenschaftlicher Mann sein, kein geübter Schriftsteller, denn es gäbe zu viel Schnupfen und schmutzige Nasen in dem Text...

1859 dann der Durchbruch mit dem Roman "Adam Bede", ein Bestseller, der den Namen George Eliot in aller Munde bringt, aber dennoch ein Rätsel bleibt, den George bewacht ihren Nom de Plume mit Argusaugen. Der Roman wird sogar von Königin Victoria hoch gelobt, und diese lässt gar zwei Bilder mit Themen aus dem Roman malen.

Herbert Spencer ist der einzige, dem George ihre Identität als Autorin anvertraut hat. Und Spencer erliegt dem Nachbohren von Chapman - alle beide Klatschmäuler, die kein Geheimnis für sich behalten können! Und noch einem ist sofort klar, wer im Mittelpunkt des Romans steht: Isaac Evans hat das väterliche Vorbild erkannt und seine Schwester als jenen geheimnisvollen Autor ausgemacht. Das Rätsel George Eliot ist und bleibt ein beliebtes Gesellschaftsspiel, bis vor der Veröffentlichung ihres nächsten Romans mit Einverständnis des Paares Lewes herauskommt, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt. "Die Mühle am Floss" erscheint 1860 und trägt starke biografische Bezüge. Auf den letzten Seiten des Buches sterben Tom & Maggie "in einer Umarmung, die niemals getrennt werden sollte". 

"Die Mühle am Floss"
Was George Eliot dazu treibt, ist ihre eigene, inzwischen zerbrochene Beziehung zu ihrem geliebten Bruder der frühen Kindertage, mit dem sie auf der Farm wie Tom und Maggie einst die Felder durchstreift hat und den sie nun nie wieder sehen wird, seit sie ihm drei Jahre zuvor von ihren wahren "ehelichen Verhältnissen" geschrieben hat - für den streng respektablen Isaac nicht akzeptabel, ja eine Schande, und er tritt mit ihr nur über einen Anwalt in Kontakt. Um Georges Schmerz zu erhöhen, hat er auch die Schwester angewiesen, den Kontakt abzubrechen. 23 Jahre später wird er dann als Schwerstbetroffener hinter dem Sarg George Eliots hergehen...

Die Schwester, 1859 an Tuberkulose erkrankt, stirbt, bevor sich George aufraffen kann, sie zu besuchen. Sie kümmert sich aber darum, dass die vollverwaisten beiden Töchter in einem Internat unterkommen, staffiert sie aus, besucht sie auch. Die jüngere der beiden Nichten stirbt im Jahr darauf.

Schon längst sind die Rollen zwischen George und George verteilt: Lewes reitet zwar weiter seine Steckenpferde, aber hauptberuflich ist er die literarische Hebamme seiner Frau, der einzige, mit dem sie über ihre Bücher im Werden spricht. Und er ist auch insofern eine glückliche Ergänzung für die Autorin, dass er ihre Psyche zu pflegen weiß. Bei Männern nennt man so jemanden "die Frau an seiner Seite". Und Elsemarie Maletzke bescheinigt ihm darin "Talent und Hingabe".

"Silas Marner"
Die finanziellen Auswirkungen des Erfolgs ermutigen das Paar, ein Haus in Wandsworth zu mieten, in das nun auch Lewes seine Bücher, seine Goethebüste und all die anderen Sachen einbringt, die bei der Mutter seiner Söhne die Anwesenheit eines Vaters vorgespielt haben. George fühlt sich in dem Haus bzw. der Umgebung aber nicht wirklich wohl, auch nicht mit der Tatsache, dass nun Haushaltshilfen "summende Geräusche in den Zimmern" machen.

"Silas Marner", der nächste Roman, folgt 1861, eine Geschichte, auf die sie stößt, während sie sich darauf vorbereitet, ihren großen italienischen Roman "Romola" zu schreiben. Wieder ist es eine Erinnerung aus ihrer Kindheit, als sie einen "Leinenweber mit einem Sack auf dem Rücken" gesehen hat. In vier Monaten geschrieben, ist auch dieser Roman ein weiterer sofortiger Erfolg. 

George Eliot ist aber auch entschlossen, mit "Romola" fortzufahren, einem Plot, der in Florenz Ende des 15. Jahrhunderts angesiedelt ist und auf einer Idee ihres Mannes beruht, die dem bei einem Florenz - Urlaub gekommen ist. Für diesen Roman wechselt sie sogar den Verleger, denn George Smith von Smith Elder, macht ihr ein "großartiges Angebot", das in heutiger Währung fast eine halbe Million Pfund ausmachen würde. Leider wird das Buch nur mit gemischten Gefühlen von den Lesern aufgenommen: "Ihr Renaissance - Florenz ist eine überrestaurierte Antiquität, in der jede Figur die korrekten Requisiten trägt, aber im moralischen Geist des 19. Jahrhunderts spricht." ( Maletzke ) Doch Schatzkanzler William Gladstone lobt das Buch in der feinen Gesellschaft. Und der wunderbare Henry James findet es später das beste Buch, das George Eliot geschrieben habe. Immerhin wird die verfemte Autorin mit "Romola" als große Moralistin gesellschaftsfähig...

Während George an diesem Roman schreibt, schlägt sie sich und Lewes mit seinen erwachsen werdenden Söhnen und all ihren Irrungen & Wirrungen herum und der Suche nach einem neuen Domizil, da ihr alter Mietvertrag ausläuft. Schließlich pachten sie eine alte Priorei nahe Regent's Park, lassen sie aufwändig durch einen gefragten Innenarchitekten umbauen ( der die Schriftstellerin dann gleich für ihren ersten Auftritt auch noch "umstyled" ) - Lewes ist entschlossen, seiner "Madonna" einen passenden Schrein zu schaffen und damit auch die gesellschaftliche Anerkennung ihres Erfolgs:
"In diesem Winter 1863 beginnen die kleinen Sonntagnachmittag - Partys, die sich in späteren Jahren zu den gesuchtesten und exklusivsten gesellschaftlichen Veranstaltungen in London entwickeln sollten", beschreibt Elsemarie Maletzke  die Anfänge.
Zelebritäten der Zeit kommen nach und nach zur sonntäglichen Geselligkeit, Wissenschaftler wie Darwin und Huxley, die präraffaelitischen Maler, fortschrittliche adlige Damen, Charles Dickens gehört auch zu den Gästen. Umgekehrt wird George Henry Lewes in aristokratische Gesellschaften eingeladen - George Eliot hingegen nicht.

Wie diese Doppelmoral ein Mr. Norton aus den Vereinigten Staaten bewertet, hat er so in einem Brief nach Hause beschrieben:
"Sie ist ein Gegenstand großen Interesses und großer Neugierde hier. Sie wird in Gesellschaft nicht empfangen und die Frauen, die sie besuchen, sind entweder so emancipée, daß ihnen das Gerede über sie nichts ausmacht, oder sie haben keine Stellung zu verlieren... Alle, mit denen ich mich unterhielt, sprachen nur mit dem größten Respekt von Mrs. Lewes, aber man fühlt doch allgemein, daß die Gesellschaft nicht gewillt ist, einen derartigen Affront wie den ihren gegen eine Konvention und ein Gefühl (...), das der Moral zur Stütze dient, hinzunehmen. Ich glaube, die Gesellschaft ist da im Recht... Sie gibt ein verderbliches Beispiel...."
1865 - nach einer in jeglicher Hinsicht schwierigen Zeit - beginnt George einen neuen Roman zu schreiben: "Felix Holt, The Radical". Mit dem kehrt sie 1866 zu ihrem alten Verleger Blackwood zurück. Und im August 1869 beginnt sie mit dem Schreiben des Buches, das allgemein heute als ihr Meisterstück gilt: "Middlemarch" ( veröffentlicht 1871 ), in dem sie den Leser in die stummen Kämpfe einer enttäuschten Frau, Dorothea Casaubon, hineinzieht. Sie nimmt den Roman in Angriff mit den bei ihr üblichen Selbstzweifeln und Depressionen. Es ist auch das Jahr, in dem ihr Stiefsohn zum Sterben in ihr Haus zurückgekehrt ist.

George Eliots letzter Roman "Daniel Deronda" kommt schließlich 1876 heraus, und sie erzielt damit Bewunderung für ihre Darstellung eines sympathischen jüdischen Charakters. Englische Literatur hat sich bis dahin ausgezeichnet durch die hässlichsten antisemitischen Ritualmordlegenden. Bemerkenswert an diesem Roman ist auch die Aussage: "Du kannst es versuchen, aber du kannst dir nicht vorstellen, was es heißt, die Genialität eines Mannes in dir zu haben und die Sklaverei eines Mädchens zu erleiden." Bemerkenswert auch deshalb, weil sie diese Feststellung dreißig Jahre, bevor die Suffragetten den Kampf für Frauenrechte aufgenommen werden, schon getroffen hat.

Das Jahr 1878 beginnt mit der allmählichen gesellschaftlichen Anerkennung der berühmten Schriftstellerin: Die Tochter Queen Victorias, Louise, bittet den ersten Lord der Admiralität um ein Dinner, bei dem sie George Eliot vorgestellt werden möchte. Da mag auch ihre Schwester, die deutsche Kronprinzessin Victoria, nicht zurückstehen.

Doch im Herbst des Jahres wird die Beziehung der beiden Georges auf eine harte Probe gestellt, als Lewes an Darmkrebs erkrankt. Nur wenige Wochen nach der Diagnose stirbt er am 30. November. Die Schriftstellerin ist am Boden zerstört, heult wochenlang und sperrt sich ein. In den Monaten als Einsiedlerin kann sie nur ihr Stiefsohn Charles Lewes erreichen.

Da Lewes während ihres Zusammenlebens auch alle Verhandlungen und Geschäfte für sie geführt hat, kann George Eliot in jener Situation nicht einmal an ihr eigenes Vermögen heran. Erst eine Namensänderung in Mary Ann Evans Lewes macht das möglich.

John Walter Cross
Im folgenden Frühling erlaubt die Schriftstellerin John Walter Cross, einem Bankier & ihrem Finanzberater, der mit seiner Mutter und seinen Schwestern schon länger zu ihrem Freundeskreis gehört und gerade auch die Mutter verloren hat, sie zu besuchen. Gemeinsam Unternehmungen wie Besuche von Kunstgalerien und Museen folgen, und im Sommer 1879 schlägt ihr der um zwanzig Jahre Jüngere die Ehe vor - so seine spätere Version in den von ihm gereinigten Tagebucheintragungen. Schon im November des Jahres tauchen darin allerdings Bemerkungen auf, die den umgekehrten Schluss zulassen, schließlich ist George Eliot eine die "nicht geschaffen (war), alleine zu stehen; immer brauchte sie einen anderen Menschen, auf den sie sich stützen konnte."

Im Mai 1880 wird dann eine Eheschließung gefeiert, die an Konventionalität, angefangen mit einer Hochzeit im angesagten "St. George's" am Hanover Square, nicht zu überbieten ist, nachdem George Eliot ein Vierteljahrhundert als unverheiratete Frau all dem getrotzt hat. Ihr Bruder nimmt unter diesen Bedingungen den Kontakt wieder auf, ganz, ganz formell im Stil der Zeit.

Es folgen die Flitterwochen in Venedig und der unerklärliche Vorfall vom 16. Juni 1880, als Mr. Cross aus einem Fenster springt oder fällt und aus dem Canale Grande gefischt werden muss. Seine Frau kommentiert: "Ein Albtraum" und macht eine Depression verantwortlich. Diejenigen, die sie in Venedig erlebt haben, bewahren ein respektvolles Schweigen. Den Spekulationen in London ist aber wieder Tür & Tor geöffnet...

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Nach der Rückkehr von der venezianischen Katastrophe geht es George Eliot nie wieder gut. Man verbringt zwar gemeinsam den Sommer und Herbst im 1876 erworbenen Landhaus "The Heights" in Surrey und zieht dann im Dezember nach Chelsea in ein frisch erworbenes schönes Haus mit Blick auf die Themse. Doch die Schriftstellerin erkrankt nach einer Erkältung ganz ernsthaft an einer Kehlkopfentzündung, die ihre Nieren angreift. Am 22. Dezember 1880 stirbt sie, 61jährig, an den Folgen.

Da sie vom christlichen Glauben abgefallen und sie "ehebrecherische Beziehung" zu Lewes unterhalten hat, wird sie nicht in der Westminster Abbey bestattet, sondern auf dem Highgate Cemetery auf dem Feld für gesellschaftliche Außenseiter, religiös Andersdenkende und Agnostiker, aber neben der Liebe ihres Lebens, George Henry Lewes .

1885 veröffentlich der Witwer John Cross "George Eliot's Life as Related in her Journals and Letters", in der er durch seine eigenwillige Auswahl und Streichungen das Bild der beeindruckenden Persönlichkeit seiner Frau bestimmt. Genauso wie der wilde Ruf von Mary Shelley nach ihrem Tod durch ihren Sohn und ihre Schwiegertochter und der von Emily Brontë durch ihre Schwester Charlotte bezähmt worden ist, so ergeht es nun auch George Eliot - aber wie bei diesen früheren Schriftstellerinnen ist eine solche Geschichte - zum Glück - nicht von Dauer.

Für die zeitgenössischen Bewunderer von Eliots Romanen ist immer das Gefühl wichtig gewesen, mit "ihrem Autor" in Kontakt zu sein, von ihrer Weisheit und ihrem Trost zu profitieren. Sie hat das, was ihr eigenes Leben ausgemacht und das, was das Leben sie gelehrt hat, in ihre Erzählungen einfließen lassen, um die Widersprüche des menschlichen Verhaltens aufzudecken, sie hat also ihr Leben in ihre Romane übertragen. Sie ist eine unsentimentale Schreiberin zu einer Zeit, als die Sentimentalität zum Markenzeichen ihrer Kolleginnen gehört hat. Ihre Charaktere zeichnet sie in einem realistischen Licht mit all ihren Eigenschaften & Fehlern: Jeder ihrer Figuren ist abwechselnd gut, schlecht oder gleichgültig: "Der Charakter ist nicht in Marmor geschnitten - es ist nicht etwas Solides und Unveränderliches. Es ist etwas, das lebt und sich verändert und krank werden kann, wie es unser Körper tut."

Virginia Woolf, zwei Jahre nach Eliots Tod geboren, hat "Middlemarch" später als "einen der wenigen englischen Romane für erwachsene Menschen" bezeichnet

In den 1990er Jahren kommt es zu einer regelrechten "Middlemarch-Manie" unter Literaturstudentinnen, als der Roman ein zweites Mal von der BBC dramatisiert worden ist. Die englischen Schriftsteller unserer Tage, Martin Amis und Julian Barnes, meinen, dass es der "größte Roman in englischer Sprache" sei. Tatsächlich bestätigen sie darin 82 internationale Literaturkritiker und -wissenschaftler, die 2015 den Roman zum bedeutendsten britischen Roman küren.

Wer Mary Anne Evans alias George Eliot noch nie gelesen hat, sollte dies schleunigst nachholen. Ich habe mich auf den Rat hin von Gustav Seibt, Kritiker der "Süddeutschen Zeitung", erst einmal für "Silas Marner" entschieden...



17 Kommentare:

  1. danke für das ausführliche portrait! ich habe es sehr interessiert gelesen!
    lg kathrin

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  2. ..so ein faszinierendes leben..! lg

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  3. ""Diese immer gegenwärtige Schönheit hat fast eine hypnotische Wirkung...", schreibt sie in ihr Tagebuch ( und ich kann das gut nachvollziehen! )" - Haha, nach Rom (und schon vorher...) ich auch..., そうですか, soudeska, so ist das also ;-). Und ich bin immer noch hypnotisiert. Gehört hatte ich wohl schon von ihr, immerhin, und gleich in der Excel-Bibliothek der Eltern geschaut, doch da ist nichts von ihr. Aber die beiden Bände mit Erzählungen von Marie von Ebner-Eschenbach sind vom Standort in den Regalen der Schwester nun bei mir im Winterquartier zur Lektüre eingetroffen... Ein phänomenales Porträt hast du da wieder geschrieben über die verschlungenen Lebenspfade dieser Frau. Danke für diese interessante und fesselnde Morgenlektüre... Liebe Grüße Ghislana

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  4. Ein Wahnsinn, was alles in 61 Jahre Frauenleben passt! Die ganze Geschichte der Frauen bis heute findet sich für mich da.
    Danke für dieses außergewöhnliche und ausführliche Portrait, das Du selbst so wunderbar und spannend geschrieben hast.
    Ich habe noch nie etwas von ihr gelesen. Mal sehen, womit ich anfange...
    Herzlichst, Sieglinde

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  5. Ich bin froh, dass ich heute mal meine Blogrunde am Vormittag machen konnte, weil ich auf einen Handwerker warten mußte. Vielen, vielen Dank für das Portrait. Es war wie alle deine Posts sehr lesenswert. Einen schönen Tag wünscht Rela

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  6. Ein beeindruckender Post über eine großartige Frau. Wirklich ein ausführliches Portrait, treffend kommentiert. Ich weiß gar nicht was mich gerade mehr fasziniert, das Leben von Georg Eliot oder Deine Arbeit. Vielen Dank für Deine Mühen. Jetzt gerade erscheinen ja so viele Bücher, die Sammlungen von großartigen Frauen beinhalten (z.B. zu “100-Jahre-Wahlrecht für Frauen), ist es eigentlich schade, dass Deine Texte “nur” auf Deinem Blog erscheinen. Vielleicht gibt es ja VerlegerInnen die hier mitlesen. Liebe Grüsse Maren

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  7. ...eine unglaubliche Lebensgeschichte liebe Astrid, sehr beeindrucken!!

    Liebe Grüße
    Kerstin

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  8. Ein schönes Portrait, und eine Aufforderung, der ich gerne nachkommen werde. Silas Marner und Middlemarch waren mir schon als Titel über den Weg gelaufen. Ich bin auf das Leseabenteuer gespannt!

    Liebe Grüße,
    Franziska

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  9. Bewundernswert, dieses umfangreiche, interessante Portrait hast du mit Erkältung schreiben können! Ich konnte es jetzt kaum richtig lesen, weil es mich wohl nun auch erwischt hat. Schnief und liebe Grüße
    Ulrike

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  10. Wieder sehr spannend zu erfahren, was für eine Frau und welch ein (pralles) Leben hinter dem Namen steckt, den man mal gelesen hat.
    Danke für den Lesetipp.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  11. Du hast dir wieder eine enorme Mühe gemacht... Ehrlich, ich kannte diese Frau nicht und habe auch nur am Rande den Zirkus um ihr Buch mitbekommen. Aber nachdem ich jetzt ihre Geschichte kenne, muss ich wohl doch mal zugreifen.
    Lieben Gruß
    Andrea

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  12. Gerade habe ich dein ausführliches & fesselndes Portrait von dieser großartigen Frau George Eliot zu Ende gelesen und kann mich dem Kommentar von Maren nur anschließen: Es ist schade, dass deine Texte nur auf deinem Blog erscheinen, statt quasi ebenfalls von Verlagen mit veröffentlicht zu werden.
    LG von Gerda

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  13. Für den Bericht bekommst Du von mir 10 Punkte! George Eliot war eins der wichtigsten Themen während meines Studiums. Diese tolle Frau ist hier weitgehend unbekannt. Ich habe mir mal gleich Middlemarch auf den Nachttisch gelegt. Das muss ich unbedingt nochmal lesen.
    LG
    Magdalena

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  14. ein weitergeleiteter Kommentar von meiner Mama:

    Liebe Astrid,

    Ich mußte diesen Roman wie Du es Eingangs erwähntest auf zweimal lesen. Es ist so umfassend recherchiert, daß ich mich frage, wie man soviel Liebe und Geduld zum Detail aufbringen kann. Es ist wirklich schade, daß nicht mehr Menschen in der Lage sind, Deinen Themen zu folgen. Immer immer wieder sind es die Frauen die diese Geschichten schreiben. Männer bleiben da eher blaß und selbstherrlich. Danke für die Mühen und liebe Grüße von der Helga, die dies alles bewundert.

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  15. ja, du hast recht: ihre geschichte liest sich wie ein spannender roman und ich möchte jetzt eigentlich noch viel mehr über sie selbst erfahren. wenn ich wieder besser lesen kann, werde ich mir als erstes eins ihrer bücher besorgen. und die biographie von maletzke - die gibt es, wie eben gesehen, schon für 2,70 € zu kaufen!!
    liebe grüße
    mano

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  16. Vielen Dank für dieses anregegende Portrait! Ich war so inspiriert, dass ich Middlemarch gleich bestellt habe und das werde ich meiner Mutter zu Weihnachten schenken. Tolle Entdeckung! Liebe Grüße von Sylvia

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  17. Deine Portraits fixen wie immer an, sich näher zu befassen. Middlemarch steht auf der Liste. Hab Dank für Deine so ausführlichen Recherchen und Portraits verschlungenster Lebenswege von Frauen. (immer doppelt so viel Gegenwind) Liebe Grüße, Eva

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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