Donnerstag, 13. Juli 2017

Great Women # 107: Gertrude Bell


Die "Great Woman", über die heute schreiben will, ist in den letzten Jahren wieder ins Blickfeld geraten, weil plötzlich ihr Anteil an der Neuorganisation des Nahen Ostens nach dem Untergang des Osmanischen Reiches mit all seinen heutigen dramatischen Folgen klar wurde. Ein - durchaus umstrittener - Film von Werner Herzog tat 2015 ein Übriges. Es geht heute um Gertrude Bell. Morgen ist ihr 149. Geburtstag.




3 jährig
Gertrude Margaret Lowthian Bell kommt am 14. Juli 1868 im englischen Durham zur Welt. Ihr Vater Hugh Bell ist nach einem Studium der Chemie & Mathematik in Frankreich und Deutschland in das familieneigene Unternehmen "Bell Brothers Ironworks" eingetreten. Ihre Mutter ist die Kaufmannstochter Mary Shield, die allerdings bei der Geburt ihres zweiten Kindes stirbt. Da ist die kleine Gerty - so wird das Kind gerufen - gerade drei Jahre alt.

Die Familie lebt in immensem Wohlstand und hat zeitweilig zu den reichsten Briten gezählt, denn Gertrudes Großvater Sir Isaac Lowthian Bell, ein zum Christentum konvertierter und für seine Verdienste um die Industrialisierung Northumbriens geadelter Jude, hat einst mit seinen Brüdern besagte Firma gegründet, die in den 1870er Jahren ein Drittel des Eisenbedarfs Großbritanniens und als erste im Land Aluminium produziert hat. Darüber hinaus hat er naturwissenschaftliche Forschungen betrieben und sich als liberaler Politiker engagiert.

Red Barns, Gertruds Elternhaus
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Auch Gertrudes Vater ist politisch aktiv und vertritt im Bildungs- und Gesundheitswesen für damalige Verhältnisse sehr liberale Ansichten. 

In zweiter Ehe heiratet er Florence Olliffe, eine Musikerin und erfolgreiche Dramatikerin. Das Kind wächst also mit lauter Menschen auf, die literarische und wissenschaftliche Interessen verfolgen, in der Welt herumgekommen sind und oft auch im Staatsdienst arbeiten. 


16 jährig
Die Stiefmutter teilt die liberalen Erziehungsvorstellungen ihres Ehemannes. Und so schicken sie die lernbegierige Gertrude 1884 auf das Queens College, eine Mädchenschule in London - für damalige Zeiten ungewöhnlich, denn Mädchen ihres Standes werden sonst von Hauslehrerinnen unterrichtet. 

Noch nicht ganz 20 Jahre alt, schließt sie als erste Frau ihr Studium der Neueren Geschichte an der Universität Oxford mit Auszeichnung ab. Zu den Vorlesungen sind die Studentinnen jener Tage noch in Begleitung einer Anstandsdame zugelassen...

Gertrud spricht außerdem fließend Französisch, Deutsch und Italienisch. ( Später wird noch Persisch, Türkisch und Arabisch dazu kommen, das ihr schließlich eine zweite Muttersprache werden wird... )

Eine auffällige Erscheinung, groß, schlank und athletisch, mit feinen, ernsten Zügen und rotem Kraushaar, wird sie von den Eltern nach dem Studium zu ihrem Onkel Frank Lascelles, britischer Botschafter in Bukarest, geschickt, um dort den nötigen gesellschaftlichen Schliff zu erhalten. Ihre Intelligenz und ihre weit gefächerten, bisweilen exotischen Kenntnisse beeindrucken manch einen in den Kreisen, in die sie durch ihre Verwandten gerät. Sie lernt u.a. den rumänischen König Karl I. und seine Frau Elisabeth sowie den späteren Vizekönig von Indien kennen. Bevor sie mit dem Orient-Express nach Hause zurückkehrt, besucht sie noch Konstantinopel.

Wie damals in ihren Kreisen üblich, wird sie nach ihrer Rückkehr offiziell am britischen Hofe vorgestellt. Und die Erwartung der Eltern ist, dass sie innerhalb von drei Ballsaisonen einen passenden Ehepartner findet. Aber Gertrude verliert immer wieder sehr schnell das Interesse an ihren Verehrern, ist sie denen doch an Bildung & Weltläufigkeit überlegen und schnell von ihnen gelangweilt.

26 jährig
Da das ihr vorgezeichnete Leben zwischen Hof und Geldadel also nicht so recht glücken will und sich keine gute "Partie" findet,  kommt es gelegen, als ihr Onkel Frank Lascelles 1892 zum britischen Botschafter in Persien berufen wird, ihn und seine Familie in dem kleinen Wüstenort Teheran zu besuchen. Sie lernt dort die Größen der Kolonialmächte kennen - Offiziere, regionale Fürsten - und verliebt sich in Henry Cadogan, einen jungen Diplomaten. Der aber ist so spielsüchtig wie verarmt - Gertrudes Eltern stellen sich gegen eine Heirat. Sie beugt sich ihrem Wunsch, kommt nach Großbritannien zurück, während Cadogan in Persien versuchen soll, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Unglücklicherweise stirbt er aber bald an den Folgen eines Reitunfalls...

Gertrude beginnt nun die Erregung der Gefahr zu suchen: Sie fängt an zu reisen und ungewöhnlichen Beschäftigungen nachzugehen, etwa als Alpinistin in der Schweiz ( die 2633 Meter hohe Gertrudspitze im Berner Oberland trägt heute ihren Namen). Ihren ersten Berg, den 3983 m hohen La Meije in den Dauphiné-Alpen, besteigt sie noch in Unterwäsche, weil der bodenlange Rock sie sonst behindert hätte. ( Im August 1904 wird sie auch das Matterhorn kurz nach an ihrem 36. Geburtstag erklimmen. ) 1897 macht sie sich auf eine sechsmonatige Reise rund um die Welt mit ihrem jüngeren Bruder auf mit  Zwischenstationen in Hongkong und Tokio.

Auf einem Empfang damals in Teheran hat sie auch einen deutschen Diplomaten kennengelernt, der 1899 Generalkonsul in Jerusalem wird und sie dorthin einlädt. Unbegleitet streift sie durch die Stadt - für eine englische Lady von damals der Gipfel des Wagemuts. Dabei macht sie die Entdeckung, dass die meisten Palästinenserinnen unverschleiert herum laufen, was sie unerhört findet. Der Konsul und seine Frau verhelfen Gertrude 1900 zu einigen mehrtägigen Ausflügen, nur in Begleitung von Dienern & Köchin, in die Wüste und eine Expedition ins ferne Damaskus.

Zurück in England, vervollkommnet Gertrude Bell ihre Sprachkenntnisse im Persischen und Arabischen, widmet sich ihrer Familie und dem Alpinismus, bevor sie ab 1905 ihre Liebe zur Wüste lebt und in den folgenden Jahren sieben Reisen dorthin unternimmt:

1909
Die erste führt sie nach Beirut, der Hauptstadt des Libanon ( für Gertrude Syrien, aber so genau weiß man das damals nicht), um vor allem byzantinische und römische Ruinen in der weiteren Umgebung zu studieren und für ein Buch zu recherchieren.
Von dort aus wagt sie sich bis in die Türkei, in die alte Seldschuken-Hauptstadt Konya, das Zentrum des Sufismus.

Auf ihrer Reise 1907 entdeckt sie in Nordsyrien ein Ruinenfeld am Ostufer des Oberlaufs des Euphrat über dem Steilhang des einstigen Flusstales. Von 1909 an bereist sie Mesopotamien, abermals Syrien und den Norden der Arabischen Halbinsel. In der Zwischenzeit hat sie in London gelernt, Landkarten anzufertigen, Landvermessungen vorzunehmen und astronomische Beobachtungen anzustellen, die sie nun nutzt. 1911 unternimmt sie eine lange Wanderung von Syrien nach Bagdad, von dort über die Türkei und wieder zurück.

Charakteristisch für ihre Unternehmungen ist ihr Bemühen um Kontakt zu den Scheichs und Stammesführern, denen sie selbstbewusst und ohne Scheu oder Zurückhaltung, aber stets mit ausgesuchter Höflichkeit gegenübertritt. Die Schutzzusagen der Scheichs und Stammesführer sind in jenen Regionen notwendig, in die die herrschenden Osmanen sie nicht gerne reisen lassen, um dort ungehindert und weitgehend ungefährdet unterwegs sein zu können.

Ihre Bücher über ihre Expeditionen – "Durch die Wüsten und Kulturstätten Syriens" sowie "Amurath to Amurath" – zeigen sie als exzellente Beobachterin und bringen ihr viel Lob ein. Sonst bleibt sie in ihrem Heimatland im Status einer unverheirateten Exotin gefangen. In Arabien hingegen gilt sie zwar als seltsam, aber ist hoch geehrt, man nennt sie "Wüstentochter" oder "Khatun" ("Königin"), und sie hat dort die Möglichkeit & Freiheit, ein Leben führen, wie es Zuhause nur einem Mann zugestanden wird. Auf die Frauen im England ihrer Zeit sieht sie herab und positioniert sich als strikte Gegnerin des Frauenwahlrechts und der Gleichberechtigung - das Sein bestimmt nicht immer das Bewusstsein!

In die Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkrieges fallen die Begegnungen mit zwei für Gertrude wichtigen Männern:

T.H.Lawrence (links), Richard Doughty - Wylie (rechts)
Im Mai 1911 begegnet sie erstmals dem damals 23-jährigen T. E. Lawrence, der später als "Lawrence von Arabien" weltberühmt werden wird, zu diesem Zeitpunkt aber noch ein unbedeutender Spezialist für mittelalterliche Töpferkunst bei den Ausgrabungen der alten Hethiter-Metropole Karkemisch ist.

1912  trifft sie Richard Doughty-Wylie wieder, den sie bereits flüchtig 1909 in Konya kennengelernt hat, als er für das Rote Kreuz die Hilfsmaßnahmen für die Opfer des Ersten Balkankrieges organisiert. Gertrude Bell fühlt sich immer stärker zu ihm hingezogen, was Doughty - Wylie erwidert. Aber er scheut die gesellschaftlichen Konsequenzen einer Scheidung von seiner Frau.

Im Grunde flüchtet sie vor der Tyrannei ihrer Gefühle, als sie sich zu ihrem historischen Wüstenritt von 1913/14 nach Hail, einem legendären Ziel in der Wüste, aufmacht. "Hail ist einer der wenigen Orte, an denen man den ursprünglichen Orient in seiner seit Jahrhunderten unveränderten Lebensweise erleben kann."  Hail ist das Hauptquartier von Ibn Raschid und ihr Wunschziel seit Jahren. Doch der Weg dorthin gilt wegen der Stammesauseinandersetzungen ( die Raschid-Familie befindet sich in Blutfehde mit den Saudis ) und der vielen Räuberbanden als äußerst gefährlich. Die britische Regierung lässt ihr mitteilen, dass sie keinerlei Schritte unternehmen werde, wenn ihr auf der Reise etwas passiert. Und gegenüber der osmanischen Regierung muss Gertrude Bell erklären, dass sie auf eigene Gefahr reist....

Sie selbst bemerkt in ihrem Tagebuch über einen der vielen Zusammenstösse nur lapidar: "Es bestand für uns kein Risiko."

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrt sie von diesem Abenteuer heim und ihr werden weitere Reisen untersagt. Doch bald werden ihre Kenntnisse und Fähigkeiten gebraucht, immerhin verfügt Gertrude Bell über eine differenziertere Erfahrung mit Land und Leuten im Nahen Osten, sie hat mehr Ahnung als fast alle britischen Diplomaten zusammen, die sich ja nie aus ihren Residenzen hinaus und in die Innenstädte Teherans, Jerusalems oder Bagdads gewagt haben, geschweige denn in die Wüste.

Als das Osmanische Reich also nun zusammenzubrechen droht, gilt sie als die Richtige, um die Situation zu analysieren. 1915 darf sie in Kairo als "Sekretärin" arbeiten, ist aber in Wirklichkeit inoffizielle Mitarbeiterin des militärischen Geheimdienstes. Im "Arabischen Büro", dem britischen Spionage-Zentrum, trifft sie wieder T. E. Lawrence, inzwischen berühmt als Anführer des Araberaufstands gegen die Türken, arbeitet und besichtigt die Pyramiden mit ihm.

Britische Delegation an den Pyramiden (1921)
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Gertrude Bell ist in dem illustren Team diejenige, die sich am besten mit den Stämmen im Irak, am Golf und in der Nadschd auskennt. Sie ist auch die letzte Europäerin gewesen, die in dieser Region gereist ist und aus erster Hand Informationen über das Denken der dort ansässigen Stämme hat.

"Ich bin recht glücklich", schreibt sie ihrer Mutter. "Von 8.15 Uhr bis 9 Uhr nehme ich Arabischunterricht. Dann gehe ich hinauf in mein Büro und befasse mich mit den Stämmen." Das heißt, sie versucht das verzweigte Geflecht der Abstammungen der arabischen Stämme, ihre Konflikte, Bündnisse und politischen Neigungen zu entwirren. Dazu fertigt sie Landkarten an, auf denen sie Routen durch die Wüste, Eisenbahnlinien, Pässe übers Gebirge, Brunnen und andere strategische Informationen einzeichnet, die sie auf ihren Reisen gesammelt hat. 

Die britische Regierung fällt, noch vor dem Fall Bagdads 1917, alsbald die schicksalhafte Entscheidung, sie von Kairo an einen Brennpunkt der Front im Osten, Basra, zu versetzen, zunächst als erster weiblicher Geheimdienstoffizier des britischen Militärs ( "Major Miss Bell" ): in die osmanische Provinz Mesopotamien, den heutigen Irak. Die Politiker durften sich nach Gertrudes Reiseberichten in dem Glauben wiegen, dass sie so etwas wie politisches Gespür und Verständnis für die von ihr bereisten Regionen besitzt.... 

"Major Bell" wird warmherzig empfangen: Ein Scheich, mit dessen Vater sie bei früheren Reisen im selben Zeltlager kampiert hat, kommt vom anderen Ufer des Euphrat herüber und bringt ihr ein Pferd als Geschenk. Weitere Bekannte suchen sie auf, um sie willkommen zu heißen.

1917
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Die Generäle vor Ort aber irritiert sie. Viele fühlen sich von ihrem Intellekt und ihrem Selbstbewusstsein in die Ecke gedrängt. Ein Kollege spricht von ihrer "grenzenlosen Selbstgefälligkeit", der Diplomat Mark Sykes, britischer Hauptverhandler des Sykes-Picot Abkommen, beschimpft sie bereits Jahre davor als "doof herumschnatternden, eingebildeten Windbeutel". 

Doch es sind vor allem ihre politische Ansichten, mit denen sie aneckt: Gertrude Bell ist inzwischen zur Verfechterin arabischer Selbstbestimmung geworden, während ihre Landsleute die Einheimischen abfällig als "Frocks ("Kittel") ansehen.

Dennoch blüht sie in Bagdad regelrecht auf: Sie liebt die Ausritte mit ihrem Pferd, die Picknicke unter Dattelpalmen mit ihrem Vertrauten, einem Obst- und Gemüsebauer, die stundenlangen Unterhaltungen mit Bazarhändlern, von denen sie bei vielen Zigaretten und süßem Tee die neuesten Gerüchte des Landes erfährt. Und sie liebt auch ihre Rolle als einflussreiche Gastgeberin der "Pleasant Sunday Afternoon(s)" in ihrem Haus, wo sie mit den Mächtigen des Landes politische Entwicklungen erörtert, Stammesfehden analysiert und in der nächsten Minute aktuelle Modetänze aus England beschreibt. Kenner meinen, sie habe hier in Bagdad ihre unglücklichen Beziehungen aus längst vergangenen Zeiten endlich vergessen.

In Anerkennung ihrer Verdienste wird ihr im Oktober 1917 die Auszeichnung eines "Commander of the British Empire" verliehen. Auch die Überprüfung der Grenzziehung des zukünftigen Staates Irak wird ihr vom britischen Außenministerium angetragen - eine undankbare Aufgabe, geht es doch den Alliierten nach dem gewonnenen Krieg darum, den Nahen Osten in mundgerechte Happen aufzuteilen, oder, je nach Interessen, zusammenzufügen, was nicht zusammen gehört. 

Wie bei T.H Lawrence besteht ihre Aufgabe auch darin, örtliche Potentaten für die britische Seite zu gewinnen. Die Briten locken die Araber mit Versprechungen auf Unabhängigkeit, aber sowohl Gertrude Bell wie Lawrence ist klar, dass Franzosen und Briten im geheimen Sykes-Picot-Abkommen schon 1916 ihre Einflusszonen in der Region abgesteckt haben ( T.E. Lawrence ist darüber so beschämt, dass er nach dem Krieg seinen Namen ändert und in die Anonymität abtaucht ). 
In dieser Übereinkunft ist das ehemalige Osmanische Reich in fünf "historische und ethnische Provinzen" aufgeteilt worden: Syrien, Palästina, Türkei, Mesopotamien und die Arabische Halbinsel, die jeweils einer britischen oder französischen "Einflusssphäre" zugeschlagen worden sind. Dieses Abkommen enthält auch ganz offensichtlich einen Bruch eines Versprechens, dass die Briten Feisal ibn Hussein, einem der Söhne des mächtigen Scherifen von Mekka und Anführer des Clans der Haschemiten, gegeben haben, nämlich ein panarabisches Königreich zu unterstützen, nachdem Feisal mit seinem Vater eine Revolte der Wüstenstämme gegen die Türken angeführt hat. Ein Verrat an allen arabischen Aufständischen...

1920 wird der Schacher um die ehemaligen Territorien des Osmanischen Reichs erst einmal beendet: Der Völkerbund überträgt Großbritannien das Mandat über Mesopotamien; die Briten sollen das Gebiet kontrollieren, es aber letztlich zur Unabhängigkeit führen. Dieses Territorium ist von den Grenzen dreier ehemaliger osmanischer Provinzen umschlossen – Basra, Mosul und Bagdad –, hat eine Fläche von 435 000 Quadratkilometern und trägt den Namen al-Iraq. Die drei Millionen Einwohner haben wenig gemein. Im Herbst geht auf einmal alles ganz schnell: Ausgelöst durch einen Aufstand der Iraker beschließt die britische Mandatsmacht, das Land in die längst versprochene Selbstverwaltung überzuführen. Eine einheimische Regierung wird gebildet, der Premier ernannt, das Wahlrecht entwickelt.
"Lang lebe die arabische Regierung! Sie wird es noch immer 1.000 Mal besser machen als wir", jubiliert damals,  hoch erfreut, Gertrude Bell.

Inzwischen die Orientsekretärin des Politischen Kommissars & Leiters des Politischen Büros, der mit der Mandatsverwaltung beauftragt ist, gelingt es Gertrude auf der Konferenz von Kairo im Frühjahr 1921, den damaligen Kolonialminister Winston Churchill davon zu überzeugen, zunächst dem Irak und später auch einem Teil Jordaniens weitgehende Autonomie zuzugestehen. Erster König des Iraks soll auf ihre Empfehlung Feisal ibn Hussein als Faisal I. werden...

Getrude Bell mit dem irakischen König Faisal (2.v.r./ 1922 )
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Unüberlegt an ihrem Vorschlag scheint, dass Feisal ein Fremder in dem Land sein würde, über das er herrschen soll: Als Sohn des Scherifen von Mekka ist er zwar ein Abkömmling des Propheten Mohammed und damit, obwohl Sunnit, auch für Schiiten akzeptabel, kommt aber aus einem Gebiet außerhalb des Iraks. Die Krönung Faisals zum König des Irak findet schließlich in der morgendlichen Kühle des 23. August 1921 auf dem Gelände eines alten osmanischen Palastes statt.

Eine weitere, völlige Fehleinschätzung leistet sich Gertrude Bell, die nur mit Sunniten und Wahabiten paktiert hat, auch in der Frage nach der Rolle der Schiiten:
"Ich bezweifle keinen Augenblick, dass die letzte Befehlsgewalt in den Händen der Sunniten liegen muss, obwohl sie in der Minderheit sind», schreibt sie. «Andernfalls haben wir einen von den Mudschtahi (schiitischen Geistlichen) geführten theokratischen Staat, und der wäre wahrlich des Teufels.» ( Auch die osmanischen Herrscher waren Sunniten und hatten Sunniten in der Verwaltung beschäftigt. )"Die Schiiten haben sich unter den Türken nie an der Verwaltung beteiligt, folgerichtig gibt es unter ihnen niemand, der auch nur die schattenhafteste Vorstellung von öffentlichen Angelegenheiten hätte."
57 jährig
Nach 1923 verliert Gertrude an Einfluss, denn die britische Regierung braucht sie nicht mehr. Sie bleibt in Bagdad. Vom politischen Alltag ausgeschlossen, widmet sie sich wieder der Archäologie. 1922 beginnen die Ausgrabungen der spektakulärsten antiken Stätten des Irak – "dank meines Insistierens", wie sie festhält. Sie wird zur Ehrendirektorin für Altertümer ernannt und erteilt den ausländischen Archäologenteams die Genehmigung für Ausgrabungen. Und sie überwacht mit Adleraugen die Aufteilung der entdeckten Funde. Alles wird schließlich im Irakischen Nationalmuseum aufbewahrt, dessen Gründerin sie ist. Es sollte ihr dauerhaftetestes Vermächtnis für den Staat werden.

Bell ist erschöpft und ihre Briefe klingen zunehmend depressiv. 1925 besucht sie ein letztes Mal London, erkrankt dort aber an einer Rippenfellentzündung. Heilung verspricht sie sich in ihrer Wahlheimat Bagdad, nur um dort zu erfahren, dass kurz nach ihrer Abreise ihr Bruder an Typhus gestorben ist...

Am Abend des 11. Juli 1926 bittet Gertrude Bell ihr Dienstmädchen, sie am nächsten Morgen um sechs Uhr zu wecken. Doch das vermag das Mädchen nicht mehr: Gertrude Bell ist tot. Auf ihrem Nachttisch ein Fläschchen Schlaftabletten, sie hat eine Zusatzdosis genommen. Absichtlich? Das wird nie geklärt. Nur wenige, die sie in Bagdad gekannt haben, sind überrascht, dass sie zwei Tage vor ihrem 58. Geburtstag für immer eingeschlafen ist. 

Sie ruht bis heute dort, wo sie es sich gewünscht hatte: in irakischem Boden. Einem Land, für das sie so Großes gewollt hat und als dessen Mutter sie bis heute gilt...

Gertrude Bell nun als Katalysator für viele der schrecklichen Probleme im Nahen Osten zu betrachten, ist sicher ein wenig übertrieben, denn zu viele außenstehende Mächte und ihre Politiker haben in dieser Weltgegend mitgemischt. Sicher ist, dass Gertrude Bell,  alles in der Überzeugung tat, dass "die englische Regierungsform" allen anderen überlegen sei und sie im Nahen Osten einen zivilisatorischen Auftrag zu erfüllen habe. Das hat sie bis schließlich heute mit vielen einflussreichen Menschen im Westen gemeinsam, oder?





11 Kommentare:

  1. Welch hochinteressantes Portrait liebe Astrid. Und welche Aktualität es immer noch hat. Sicher ist sie nicht "schuld" an den heutigen Verhältnissen, aber der "zivilisatorische Auftrag" vereint mit Machtstreben richtet viel Unheil an. Schade, dass sie letztlich ihre Sehnsüchte selbst verraten hat: Ein echtes Bagdad kann eben nicht zugleich ein britisches Bagdad sein.
    Herzlichst grüßt Dich Sieglinde

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  2. Liebe Astrid,
    was für eine faszinierende Geschichte. Wieder einmal stehe ich als völlig Ungebildete da, weil ich von dieser Frau noch nie was gehört habe ... aber dank dir, bin ich wieder um ein interesssantes Wissen reicher geworden. Und jetzt werde ich selber noch ein wenig weiter recherechieren. Vielen Dank!

    Liebe Grüße
    hilda

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  3. Welch ein spannendes Leben hatte diese intelligente und sprachbegabte Frau! Und das zu dieser Zeit! Nur die Liebe kam in ihrem Leben wohl etwas zu kurz. Oder vielleicht doch nicht?
    Danke, liebe Astrid, dass ich sie nun auch endlich mal kennenlernen durfte. Wenn ich jetzt noch die Zeit hätte, würde ich mir den Film ansehen. Aber ich komme wieder.
    Liebe Grüße
    Edith

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  4. Ein spannendes Porträt aus spannenden Zeiten, mit dem du meine hier doch wieder mal eher rudimentären Kenntnisse von Personen und Geschichte(n) ein bisschen besser sortiert hast... Danke und liebe Grüße Ghislana

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  5. Danke für ein weiteres tolles Porträt! Ich kannte den Namen nicht. Und die Geschichte im doppelten Sinn hinter der Person ist höchst interessant und doch aktuell.Herzlich, Sunni

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  6. Liebe Astrid, was für ein faszinierendes Leben und was für eine beeindruckende Frau. Eine sehr spannende Biographie ist das.
    glg Susanne

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  7. "Great women"....eine lehrreiche Blogserie..danke fuer die Muehe, all das zusammenzustellen. Ich staune immer wieder, wie autark und stark
    viele Frauen damals waren und Mrs Bell ist nur eine von ihnen. Habe einige Teile dieser Regionen als Tourist besucht und war tief beeindruckt, umso interessanter fand ich den heutigen Beitrag.

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  8. Eine beeindruckende Frau, die du uns hier vorstellst. Wenn sie ganz normal geheiratet hätte, wäre ihr Leben wohl nicht so vielseitig gewesen. Falls ich mal wieder in den Berner Alpen wandern sollte, muss ich unbedingt nach der Gertrudspitze Ausschau halten...:-)
    LG Sigrun

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  9. Das ist wirklich interessant. Es zeigt auch, wie verwirrend die Lage bis heute geblieben ist. Eine Fehleinschätzung nach der anderen. Jedenfalls war sie eine äußerst bemerkenswerte Frau.
    LG
    Magdalena

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  10. Ein bisschen was wusste ich bereits über sie, die so intelligente mutige Gertrude, aber jetzt weiß ich noch mehr. Doch was mir absolut nicht in den Kopf will, ist ihre Haltung zu den Frauen ihrer Zeit...
    LG Ulrike

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  11. vor mehr als 20 jahren faszinierte mich einmal das buch "mehr mut als kleider im gepäck" und wenn ich mich recht erinnere, gab es dort auch einen beitrag über gertrude bell. was du allerdings hier schreibst, geht weit über das hinaus und ich bin gänzlich geplättet über ihre geschichte. von den politischen hintergründen hatte ich überhaupt keine ahnung!
    liebe grüße
    mano

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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