Donnerstag, 13. April 2017

Great Women # 97: Suzanne Valadon


"La chambre bleue" (1923)
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Wow! Was für ein Bild! Was für eine Frau! Umwerfend! Das ging mir durch den Kopf, als ich das Bild zum ersten Mal im Pariser Centre Pompidou sah. So kraftvoll malen kann also auch eine Frau! Und schon war ich wieder in die Falle getappt, eine, in die auch die Zeitgenossen der Malerin dieses Bildes ständig geraten sind: Dass Frauen Künstlerinnen sind, ist damals zwar akzeptiert, aber man erwartete von ihnen eine sensible, anmutige, "schöne" Kunst, vor allem erst recht dann, wenn man doch eigentlich ursprünglich nur "ein kleines (Maler-) Modell" war. Die Rede ist von Suzanne Valadon, deren Todestag sich am vergangenen Freitag zum 79. Mal jährte.

Suzanne Valadon erblickt am 23. September 1865 als Marie-Clémentine Valadon in Bessines-sur-Gartempe, 35 km nördlich von Limoges, das Licht der Welt. Ihre Mutter ist die Näherin Madeleine Valadon, ihr Vater angeblich ein Müller, der bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen ist. All das, was wir wissen über die Lebensverhältnisse der Valadons jener Tage, stammt aus dem Mund der Mutter Madeleine. Die war in ihrem Alter allerdings eher sehr unstet und nicht immer ganz faktentreu in ihren Aussagen...

Madeleine ist wohl, früh verwitwet und ihre Kinder aus dieser Ehe in ihrem Dorf zurücklassend, über dreizehn Jahre Hausnäherin & - wäscherin in einer wohlhabenden Familie in Bessines gewesen, als sie wieder schwanger wird. Sie kann ihr Kind noch im Haus ihrer Arbeitgeber  gebären, verlässt den Ort mit ihrem Baby dann aber im Januar 1866 in Richtung Paris ( und wird nie wieder zu dieser Familie geschweige denn ihren anderen Kindern zurückkehren ).

In Paris hofft sie, aufgrund der Zeugnisse ihrer früheren Arbeitgeber als Näherin gute Arbeit zu finden und lässt sich am Montmartre am Boulevard de Rochechouart nieder. Doch ihre Pläne lassen sich nicht verwirklichen, da die Konkurrenz groß ist, und sie muss sich als Putzfrau verdingen, während die Concierge das Baby hütet.

Für ihre Tochter wünscht sie sich ein besseres Leben und sieht in der Bildung einen wichtigen Schritt dahin. Deshalb organisiert sie für Suzanne Unterricht bei einem Priester in Lesen & Schreiben. Später bringt sie sie in der Klosterschule der Nonnen von St. Vincent de Paul unter, wo sie zur Näherin ausgebildet werden soll. Als Tagesschülerin wird Suzanne auch von den Nonnen verköstigt, was aufgrund der politischen Ereignisse in jenen Tagen von Vorteil ist, denn der französisch-preußisch Krieg, der in der Belagerung von Paris durch die preußische Armee Ende 1870 gipfelt, den Rückzug der französischen Regierung aus Paris bewirkt und in den Auseinandersetzungen mit der selbst verwalteten Pariser Kommune endet, bringt auch die Valadons in Nöte.
"Als Pariser Kommune (französisch La Commune de Paris) wird der während des Deutsch-Französischen Krieges spontan gebildete, revolutionäre Pariser Stadtrat vom 18. März 1871 bis 28. Mai 1871 bezeichnet, der gegen den Willen der konservativen Zentralregierung versuchte, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten. Ihre Mitglieder werden Kommunarden (frz. communards, Sg. communard) genannt. Die Pariser Kommune gilt als Beispiel für die Diktatur des Proletariats... und Vorbild der Rätedemokratie." ( Quelle Wikipedia hier )
Suzanne & Madeleine Valadon
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Während dieser Tage des Aufruhrs verbarrikadieren sich die Nonnen in ihrem Kloster und schließen ihre Tagesschüler wie Suzanne aus. Die lernt das Leben ohne schulische Disziplin auf den Straßen des Montmartres schätzen und kann sich nur noch schwer in die Anforderungen der Schule einfügen, als die wieder Ende Mai 1871 geöffnet wird. Auf der Straße gibt es nach ihrer späteren Aussage mehr Ideen, Anregung und Liebe als um die bürgerlichen Esszimmertische. Das Mädchen entzieht sich also mehr und mehr der Schule, begünstigt auch dadurch, dass die Mutter, dem Alkohol verfallen, immer apathischer wird und ihr die Organisation des Alltagslebens entgleitet. Trotzdem schafft es Madeleine Valadon noch, die inzwischen verschriene Neunjährige in einem "Atelier de Couture" zur Ausbildung unterzubringen, und bringt sie auch immer wieder zurück, wenn die Tochter aufgrund der körperlichen Züchtigung durch ihren Meister abhaut.

Als Zwölfjährige verdient Suzanne dann ihren Lebensunterhalt als Kellnerin, als Straßenverkäuferin von Gemüse & Obst oder als Pferdemagd in einem Mietstall. Unzufrieden damit, die Pferde nur zu führen, beginnt sie mit kleinen akrobatischen Übungen auf dem Pferderücken, so dass ein Zirkusbesitzer auf sie aufmerksam wird. Im Zirkus wird sie eines Tages auch gebeten, einen Trapezkünstler zu ersetzen. Doch das geht schief, sie stürzt ab und der Traum von einer Karriere als Artistin muss begraben werden.

Mit fünfzehn, sechzehn beginnt sie als Künstlermodell zu arbeiten. Die Mutter ist entsetzt, denn in ihren Augen ( und in denen vieler Anwohner des Montmartre ) kommt das der Prostitution gleich. Doch Suzanne setzt sich durch und steht ab da jeden Tag mit den anderen Mädchen am Brunnen des Place de Pigalle und wartet, dass ein Künstler vorbeikommt und sie als Modell auswählt.

Suzanne auf einem Pastell gezeichnet von Puvis de Chavannes
( rechts, 1880 )
Da sie eine Kreuzung aus bezauberndem Kind und selbstbewusster Frau mit weiblichen Formen ist, ist sie genau das, was die Künstler jener Tage suchen. Sie wird also täglich angefordert. Und bald liebt sie dieses neue Leben sehr: "Das ist es! Das ist es!", erinnert sie sich später an ihre Gedanken in jenen Tagen. Deren Ablauf wird nun bestimmt durch Modellstehen am Nachmittag und Ausgehen am Abend, gemeinsam mit den Künstlern, in die Bars, Cafés und Konzerte am Montmartre. Es ist die Zeit der "La fée verte"...

1882 holt sie der angesehene, großbürgerliche Künstler Pierre Puvis de Chavannes als Modell in sein Atelier. Trotz eines Altersabstandes von über vierzig Jahren werden Puvis und Suzanne ein Liebespaar, und sie zieht zu ihm in seine vornehme Wohnung in Neuilly. Der Reichtum dort macht sie sprachlos. Sechs Monate bleibt sie bei ihm, und man darf annehmen, dass auch Suzanne vom Einfluss des alten Mannes in diesem Pygmalion - Verhältnis profitiert hat.

Die Rückkehr auf den Montmartre in die Wohngemeinschaft mit der Mutter in der Rue du Poteau bringt auch eine Wiederaufnahme ihres alten Lebensstils mit sich. Einer der Begleiter bei ihren abendlichen Streifzügen ist der Katalane Miguel Utrillo. Doch als Suzanne 1883 schwanger wird, lässt sie offen, wer der Vater des erwarteten Kindes ist. Maurice kommt am 28. Dezember 1883 zur Welt und macht einen Umzug in eine größere Wohnung in der Rue Tourlaque notwendig. Wer ihren Verdienstausfall während ihrer Schwangerschaft und danach begleicht - auch das bleibt ihr Geheimnis.

Detail aus "Tanz in Bougival"
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Vor dieser Schwangerschaft ist Suzanne auch Modell (und Geliebte) des impressionistischen Malers Pierre- Auguste Renoir geworden, dem sie für etliche sehr berühmte Gemälde Modell steht, unter anderem für "Tanz in der Stadt" (1882/83) , "Tanz in Bougival" (1883), "Der Pferdeschwanz" (1886) oder "Die Badegäste" (1887).

Renoir ist es, der durch seine herablassende Haltung gegenüber Suzannes ersten Malversuchen, ihren Ehrgeiz  richtig erweckt: Sie will ihm unbedingt beweisen, dass in ihr eine künstlerische Begabung steckt.


Wertvolle Hilfe und Unterstützung in ihren künstlerischen Bemühungen hingegen erfährt sie dann durch zwei weitere berühmte Künstler:

Porträt von Suzanne
von Toulouse - Lautrec (1885)
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Da ist zum einen der junge Henri de Toulouse-Lautrec, der ab 1886 im Dachgeschoss des Hauses wohnt, in dem auch Suzanne mit Mutter & Sohn untergekommen ist. Dort betreibt der gesellige Künstler einen Treffpunkt für lokale Literaten & Maler, und Suzanne steigt bald zur inoffiziellen Gastgeberin seiner Soiréen auf und wird die Geliebte des kleinwüchsigen Grafen. Im Gegenzug interessiert er sich für ihre Werke, erwirbt alsbald einige ihrer Skizzen und hängt sie bei sich auf. Amüsiert stellt er fest, dass diese Bilder immer wieder von Besuchern erfahrenen Künstlern zugeschrieben werden...

Von Toulouse - Lautrec gibt es viele beeindruckende Zeichnungen seiner Freundin. Aber nicht nur, dass sie gemeinsam zeichnen & skizzieren, er gibt ihr auch Ratschläge in Alltagsdingen, berät sie in Modefragen und veranlasst sie, ihren Allerweltsnamen abzulegen und sich Suzanne zu nennen.

Toulouse - Lautrec ist es auch, der Suzanne 1887 mit Edgar Degas bekannt macht - "der wunderbarste Moment meines Lebens" wird sie später sagen. Und es ist dieser bewunderte Künstler, der sie, nachdem er ihre mitgebrachten Skizzen ausgiebig betrachtet hat, adelt und sie als "eine von uns" bezeichnet.

Suzanne mit Sohn Maurice (ca.1889)
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Es ist der Beginn einer langjährigen Freundschaft zwischen zwei Menschen, deren Herkunft nicht unterschiedlicher sein kann. Degas zollt Suzanne einen Respekt, den sie bisher nicht erfahren hat, fördert sie in künstlerischer Hinsicht, vermittelt sie an Ambroise Vollard, einem der bedeutendsten Kunsthändler der damaligen Zeit, beaufsichtigt ihre ersten Gravuren und ermög­lich­t ihr ihre erste Ausstel­lung im Pari­ser „Salon de la Societé Natio­nale des Beaux-Arts". Suzanne bietet ihm Bewunderung und Kameradschaft, die der über dreißig Jahre Ältere zu schätzen weiß, und lässt ihn durch ihre Erzählungen am Künstlerleben des Montmartre teilhaben, denn der Maler verlässt immer seltener sein Haus.

Suzanne Valadon "Porträt Erik Satie"
(1892)
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1888 treten aber auch zwei weitere Männer ins Leben der inzwischen 23jährigen:

Da ist der junge, wohlhabende Bankier Paul Mousis, den sie in den einschlägigen Cabaréts wie "Chat Noir" oder "Auberge du Clou" aufgetan hat und der ihr schon nach wenigen Wochen die Ehe anbietet. Sie lehnt jedoch ab, denn die Ehe bedeutet für sie Unterwerfung, und sie will nicht ins Eigentum eines Ehemannes übergehen. Außerdem hat sie sich in den seltsam rätselhaften Musiker und Komponisten Erik Satie verliebt, den sie beim Klavierspiel im "Chat Noir" gehört hat. Auch der schlägt ihr bei einer ihrer ersten Begegnungen die Ehe vor, lässt sich dann aber auch auf eine "ménage à trois" mit Suzanne und Mousis ein.

Von Satie malt sie ihr erstes Porträt in Öl in einem ausgefallenen Format, das heute ebenfalls im Centre Pompidou zu bewundern ist. Unter unerfreulichen Umständen - so wird kolportiert - endet die Beziehung, und der Komponist verlässt den Montmartre & Suzanne endgültig 1898. Zu diesem Zeitpunkt gilt Suzanne schon als Madame Mousis - urkundliche Bestätigungen für diese Ehe gibt es allerdings nicht. Sie zieht mit Mutter und Sohn in Mousis Haus auf dem Butte Pinson zwischen Pierrefitte & Montmagny, pendelt von dort aus täglich in ihr Atelier am Montmartre und intensiviert dort ihre Bemühungen um die Kunst. 

"Mon fils" (1896)
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Ungeachtet ihres neuen, ruhigeren Lebensstils außerhalb der Metropole, kann Suzanne auf Dauer nicht die ständig wachsenden Probleme mit ihrem Sohn Maurice - der seit 1891 den Namen Utrillo trägt - ignorieren. Aufgewachsen mit seiner alkoholkranken Großmutter ist der zarte, sensible Junge inzwischen selbst abhängig vom "grünen Teufel", dem Absinth. Die Schwierigkeiten kulminieren im Jahre 1901, kurz vor dem neunzehnten Geburtstag, als Maurice in das Asyl von Saint-Anne eingewiesen wird. Einen besonderen Schrecken hat dieses Ereignis für Suzanne, weil ihr guter Freund und Mentor, Henri Toulouse-Lautrec, gerade im September im Alter von siebenunddreißig Jahren in einem Sanatorium an Komplikationen gestorben ist, die sein Alkoholismus verursacht hat.

Zwecks Zerstreuung konzentriert sie sich auf ihre Kunst und verbringt die ganze Zeit in ihrem Atelier, wo eine Reihe von Aktzeichnungen entstehen.
"In dieser Beschäftigung mit dem Akt ist sie wirklich eine Pionierin gewesen, sie hat diesen Akt nie idealisiert, sondern sie hat den Körper gezeichnet, wie er ist, in einem rigorosen Realismus", sagt die Kunsthistorikerin Karoline Hille ( Quelle hier ).
"Das Bad" (1908)
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Wichtig ist der Künstlerin nach ihren eigenen Aussagen bei den Zeichnungen, die flüchtigen Momente des Lebens festzuhalten. Mit immer siche­rerem Strich, nie beschö­ni­gend, porträ­tiert die Auto­di­dak­tin ihre Mutter, Modelle, Freunde, Lebens­ge­fähr­ten wie auch ihren Sohn.
Sie entmystifiziert die Aktmalerei, vor allem den weiblichen Akt. Die weiblichen Körper auf ihren Bildern sind keine Projektionsfläche für männliche Fantasien. Sie zeigt ihn als das, was er ist: pulsierend, metabolisch, vital.

Als Maurice nach drei Monaten wieder aus dem Asyl entlassen wird, überredet Suzanne ihn zum Malen. Zögerlich greift er ihre Anregung zunächst auf, doch innerhalb von zwei Jahren wird er die meiste Zeit im Atelier seiner Mutter auf dem Montmartre verbringen & nicht weniger als 150 Werke schaffen. Mit seinen Bildern der "Weißen Periode" ab 1906 erregt der junge Maler erstes Aufsehen.

Suzanne ist auch froh, dass ihr eher menschenscheuer Sohn, der immer wieder von schizophrenen Schüben heimgesucht wird, in dem drei Jahre jüngeren André Utter einen Freund findet. Utter, eigentlich Elektriker, will Künstler werden und zieht das bunte Leben am Montmartre dem bürgerlichen Dasein vor. Suzanne hofft, dass er einen guten Einfluss auf ihren Sohn hat, und der - nach vielen Urteilen von Zeitgenossen - gut aussehende junge Mann verliebt sich schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in die attraktive Frau, aber auch in die Künstlerin. 

"Jardin de la rue Cortot" (1922)
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Das ist 1908, als Suzanne von der Beziehung zu Mousis und dem bürgerlichen Leben im großen Haus in Montmagny desillusioniert ist. Mousis schlägt ihr vor, zurück auf den Montmartre zu ziehen, und mietet ein Haus in der Rue Cortot, das auch über ein eigenes Studio verfügt.

Doch die Beziehung ist nicht mehr zu retten. Davon zeugt meiner Meinung nach Suzannes Darstellung von Adam und Eva, die sie 1908/09 mit sich selbst und Utter als Modelle malt ( bevor sie das Bild zehn Jahre später auf dem "Salon d'Automne" neben einem Bild ihres Sohnes zeigen darf, muss sie allerdings das Geschlecht des Mannes übermalen ).
"Dass sie sich ihren Geliebten zum Modell genommen hat, das war ja auch eine ganz außergewöhnliche Geschichte. Da ist sie ihrer Zeit weit voraus."
"Adam und Eva" (1909)
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Auch die Darstellung eines völlig gleichberechtigten Paares wird in der damaligen Zeit als skandalös empfunden.

Schließlich und endlich zieht Suzanne mit ihrer Mutter, dem Sohn und dem jungen Geliebten in der Rue Cortot zusammen. Es entsteht ein neuer Künstlertreffpunkt am Montmartre, und Künstler wie die Fauves Raoul Dufy und Georges Braque und der italienische figurative Maler Amedeo Modigliani, der Suzanne auch malt, sind dort anzutreffen.

"Selbstporträt mit Familie" (1910)
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Zusammen mit Utter stürzt sich die Künstlerin nun mit Verve ganz in die Ölmalerei. Das Leben mit Utter ist für Valadon sehr anregend und verleiht ihrer Malerei Flügel. Zum ersten Mal besucht sie systematisch Museen und Kunstausstellungen und reist. 

Doch der Erste Weltkrieg und weitere familiäre Einschnitte trüben das Glück. Utter wird 1915 gemustert und eingezogen. Vorher heiraten die Beiden. Die Mutter Madeleine stirbt, und der Sohn wird wieder für drei Monate in ein Asyl eingeliefert. 

Wie schon in früheren Krisensituationen hilft ihr die Kunst. Und 1917 werden ihre Werke mit solchen ihres Sohnes & Mannes in der Galerie Bernheim - Jeune in Paris ausgestellt ( 1923 wird sie von der Galerie unter festen Vertrag genommen ).

1918 kommt Utter aus dem Krieg zurück, und die Familie nimmt ihr gemeinsames Leben auf, das nach und nach immer luxuriöser wird. Das wird allerdings nicht möglich, weil Suzannes Arbeiten immer öfter ausgestellt werden und sie als Porträtistin gefragt ist, sondern weil das Haupteinkommen aus den Verkäufen der Arbeiten von Maurice Utrillo kommt. Dessen Pariser Straßenszenen, geschickt vermarktet von Utter, finden inzwischen reißenden Absatz. Überhaupt gerät der Ehemann immer mehr in die Rolle eines Managers, denn er wird in den Galerienvertrag nicht aufgenommen.

Atelierszene in den Zwanziger Jahren
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Die Kunstkritik in jenen Jahren schätzt die Kunst der Suzanne Valadon, da ihre Malerei damals als "völlig männlich" angesehen und dies als "Ausweis hoher künstlerischer Qualität" gesehen wird. Sie gilt als Ausnahme - Künstlerin, auch aufgrund ihrer schweren Kindheit und ihrer proletarischen Herkunft, weshalb ihrer Malerei auch eine "volkstümliche Authentizität" zugeschrieben wird.

Künstlerische Aspekte treten aber zunehmend in den Hintergrund, als der Boulevard immer mehr Interesse an der "Trinité maudite" zeigt und seinen Lesern ausbreitet, so dass ihre Ausstellungen Scharen sensationslüsterner Besucher anziehen.

"Bouquet de fleurs
devant une fenêtre à Saint-Bernard"  (1926)
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Der Reichtum und die damit verbundenen Möglichkeiten - man kauft schließlich das Chateaux de Bernard 25 Kilometer nördlich von Lyon - können die zunehmenden Risse in der Beziehung zwischen Suzanne & Utter nicht verdecken: Utter hat Liebesaffären, streitet sich mit Suzanne über den Umgang mit dem Sohn, wird selbst wieder zum Alkoholiker. Suzanne stürzt sich wieder in die Malerei und bringt viele beeindruckende Stillleben hervor.

Ihre Malerei ist immer noch geschätzt, und 1929 wird sie eingeladen, in einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst ihre Frauen- und Blumenbilder zu zeigen.

Doch Suzannes letzte Jahre sind durchsetzt von Bitterkeit:

Utters Affären verletzen sie immer mehr, bis sie sich schließlich 1931 trennt. Sie malt ein letztes - außergewöhnliches - Selbstporträt, das sie als nackte, alternde Frau zeigt:

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Das wird als Affront gegen das Ideal junger weib­li­cher Schön­heit angesehen -  ein selbst­be­wuss­ter Schritt, den nur wenige Künst­le­rin­nen zuvor gewagt haben.

Schließlich erkrankt sie schwer an Diabetes und bleibt in ärmlichen Verhältnissen zurück, als ihr Sohn 1935 heiratet.

Im Mai 1937 ist Suzanne Valadon mit einigen ihrer neuesten Gemälden, aber auch älteren Arbeiten an einer Ausstellung im Petit Palais in Paris beteiligt. Es ist eine Feier französischer Künstlerinnen wie Élisabeth Vigée le Brun, Berthe Morisot, Eva Gonzalès und Sonia Delaunay - Terk. Sie verbringt Stunden in der kritischen Betrachtung  alle Kunstwerke und am Abend äußert sie sich gegenüber der Freundin, die sie zur Ausstellung begleitet hat:
"Ich bin sehr demütig nach dem, was wir heute Nachmittag gesehen haben. Die Frauen Frankreichs können auch malen. Aber weißt du, chérie, ich glaube, vielleicht hat Gott mich zu Frankreichs größter Malerin gemacht ... "
Im 6. April 1938 - Suzanne sitzt vor ihrer Staffelei, um ein Blumenstillleben zu malen - wird sie vom Schlag getroffen. Ein Nachbar hört sie  noch schreien, stürmt ihr Atelier und findet sie sie reglos auf dem Boden. Sie wird ins Krankenhaus gebracht. Aber schon am nächsten Tag, dem 7. April 1938, stirbt sie dort im Alter von 73 Jahren. Sie wird auf dem "Cimetière parisien de St Ouen" unter sehr großer Anteilnahme der Kunstszene und der Bohème begraben.

"Porträt Maria Lani" (1928)
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Schon in den Vierziger Jahren schwindet das Interesse an ihrer Kunst. Und an Stelle einer Auseinandersetzung mit ihrem künstlerischen Stil macht sich eine Tendenz zur "Biographisierung" breit.
Von großem Interesse ist dabei das Zusammenleben des Künst­lertrios Valadon - Utrillo - Utter, jener Künst­ler-Fami­lien-Gemein­schaft, die so ganz anders in ihrer realen Lebens­pra­xis agiert, als man es von anderen Künstlerverbindungen kennt, wie z.B. bei Char­lotte Behrend-Corinth, Minna Tube-Beck­mann oder Fran­coise Gilot, die sich als Malerinnen zurücknehmen und hinter ihre Künst­ler - Ehemän­ner zurück­tre­ten. Die "trinitè maudite" hingegen unterstützt sich wechselsei­tig und setz­t damit einen neuen Maßstab für ein ausge­wo­ge­nes Kräf­te­ver­hält­nis und bietet einen unkonventionellen Schaf­fens- und Lebens­ent­wurf.

"Der Frosch" (1910)
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Nach und nach tritt in der Literatur allerdings auch das originäre Schaffen der Malerin hinter ihre Rolle als Modell bzw. als Mutter Maurice Utrillos zurück, bis sich die Frauenbewegung wieder einer der bedeutendsten Malerinnen und weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannten Künstlerin annimmt. Immerhin hat sie ein Gesamtwerk von fast 500 Gemälden und an die 300 Zeichnungen und Drucke hinterlassen, mit dem die Beschäftigung meiner Meinung nach unbedingt lohnt.



15 Kommentare:

  1. sie erscheint mir eine gewitzte, kluge frau gewesen zu sein, die es irgendwie geschafft hat, sich damit aus ihrer "ärmlichen" herkunft herauszuwinden.
    ich musste übrigens kürzlich an deine serie denken. ich war in hamburg im museum für kunst und gewerbe. die temporäre ausstellung "eigensinn" mit künstlerinnen der gedok habe ich dort gesehen. spannende geschichten in hülle und fülle. besonder gretchen wohlwill fand ich spannend. hattest du darüber auch schonmal etwas geschrieben?
    liebe grüße,
    jule*

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  2. Ja, die Beschäftigung lohnt sich unbedingt. Wie schön, dass sie dir aufgefallen ist und ich sie durch dich kennenlernen darf. Spannende Frühstückslektüre. Liebe Grüße Ghislana

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  3. Ein spannendes Leben und spannende Kunst, eine riesige Entwicklung! Dieser Wille, sich (und der Familie) den Lebensunterhalt zu sichern, zu tun, was man wünscht... da habe ich es heute schon um vieles einfacher - obwohl ich offiziell auch in einer "Männerwelt" unterwegs bin. Liebe Grüsse, Miuh

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  4. Ach Astrid. Da hast du eine meiner liebsten Malerinnen ausgegraben! Danke, das du sie hier vorstellst. Ich habe vor Jahren einmal ein Buch über diese Frau gelesen. Ich habe es verschlungen und sie bewundert.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. Was für ausdrucksstarke Bilder! Noch nie gesehen. Ich bin dermaßen beeindruckt.
    Einfach toll, dass Du uns diese Malerin vorgestellt hast.
    Und wie - fast - immer bei diesen Frauen: Was für ein Leben?!
    Woher sie die Energie genommen haben trotz widrigster Lebensumstände etwas aus sich zu machen und woher ihre Kreativität kam und letztlich ihre Lebensfreude? Wahrhaft "Great Women".
    Danke, dass Du sie uns vorstellst.
    Herzlichst, Sieglinde

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  6. An diesem so unglaublich tollen, von dir gewählten Eingangs-Gemälde von Suzanne Valadon bin ich nun gleich hängengeblieben und musste erst einmal sofort dein Portrait lesen.
    Welch ein bewegtes und bewegendes Leben sie doch hatte, ich bin sehr beeindruckt, wusste ich doch vorher nichts über sie. Wie gut, dass du sie ausgesucht hast, eine selbstbewusste Frau und großartige Malerin, die deine Vorstellung wirklich verdient hat!
    Danke dafür und liebe Grüße - Ulrike

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  7. Ein sehr beeindruckendes Porträt einer großartigen Künstlerin, die kein einfaches aber sehr selbstbewusstes Leben geführt hat und ihrer Zeit voraus war. Danke fürs Kennenlernen dieser 'Great Woman',
    LG Sigrun

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  8. Eine wahrhaft "große Frau" und Künstlerin. Wie gut, dass so ein kololdhaftes Wesen in ihr steckte. Der Eigensinn und das Durchhaltevermögen haben ihr gewiss geholfen. Sie hat mit den Männern gespielt und sich ihnen nicht unterworfen, was ihr als Künstlerin ungemein genutzt hat.
    In Zukunft wird es mir in den Ohren klingeln, wenn ich ihren Namen höre oder lese.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  9. Trotz großer Sorgen aktiv zu sein, welch ein Leben, welche Energie, umgeben vom Teufel Alkohol, das kann ich nur bewundern.- Und immer wieder diese Männerdomäne .
    Ich kannte diese Künstlerin nicht, danke fürs Vorstellen
    Gruß zu dir
    heiDE

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  10. Vielen Dank für diesen Einblick. Ich kannte die Künstlerin gar nicht. Muss sogar nochmal zurück kommen um alles noch mal in Ruhe durchzulesen.
    Frohes Osterfest wünsche ich dir und deine Lieben ♥
    xo Michelle

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  11. Liebe Astrid,
    das ist mal wieder ein interessanter post. So viele schöne Bilder, ich kannte sie garnicht.
    Liebe Grüße und schöne Ostertage
    susa

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  12. Einen herzlichen Dank für das Porträt dieser Frau.Erstaunlich welch hohes Alter sie erreichte bei diesem bewegten Leben.
    VG Karen

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  13. Vielen Dank für das Porträt dieser tollen und starken Frau. Du hast sie uns sehr nahe gebracht. Die Bilder von ihr gefallen mir. Herzlichen Gruß Sylvia

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  14. ich freu mich sehr, dass du sie hier präsentierst und habe so noch viel mehr von ihr erfahren. in frauenbewegten zeiten habe ich ja als bildungsreferentin auch diverse (dia!-)vorträge über künstlerinnen zu anfang des 20. jahrhunderts gehalten. und die valadon war eine meiner liebsten, weil mir damals völlig unbekannt. ihre bilder haben mich nachhaltig beeindruckt und das oberste hier bei dir hatte ich lange an der wand hängen!
    eine äußerst beeindruckende frau, die nicht, wie viele andere künstlerinnen der damaligen zeit aus bürgerlichen verhältnissen kam, sondern sich selbst aus prekären verhältnissen befreit hat und die mit willen und durchsetzungskraft ihren weg in ein selbstbestimmtes leben gegangen ist.
    liebe grüße
    mano

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  15. Vielen Dank für dieses ausführliche Portrait. Ich kenn sie schon lange, aber so ausführlich besprochen mit all den Bildern ist es nochmal ein besonderer Genuß. Mir besonders ans Herz geht der Akt den sie von ihrem schlafenden Sohn gezeichnet hat. Eine großartige Malerin und Frau. Herzliche Grüße, Eva

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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