Donnerstag, 21. Mai 2015

Great Women # 23: Margaret Stonborough - Wittgenstein


Seit einiger Zeit stelle ich nun jeden Donnerstag ( mit Ausnahme des BIWYFI - Donnerstages ) eine neue, bemerkenswerte Frau vor, und euer Feedback zeigt mir, dass ihr ein ebensolches Vergnügen beim Lesen habt wie ich eines beim Recherchieren & Schreiben. Deshalb mache ich gerne weiter...

Das Bildnis dieser Dame, gemalt vom Wiener Jugendstilkünstler Gustav Klimt im Jahre 1905, dürfte sicher vielen bekannt sein, Münchnerinnen ganz besonders:

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Speziell Wienerinnen dürften auch jenes Haus im 3. Bezirk Landstraße kennen:

Wittgenstein - Haus, Juni 2013

Die von Klimt porträtierte Dame, die dieses Haus für sich erbauen ließ und bis zu ihrem Tod darin gewohnt hat, dürfte allerdings kaum bekannt sein ( allenfalls ihr Bruder, der Philosoph Ludwig Wittgenstein ): Margaret Stonborough - Wittgenstein.
Das ist eigentlich ärgerlich, denn bei dieser Frau handelt es sich nicht alleine um eine ansehnliche, reiche Wiener Salondame, sondern um eine Intellektuelle, eine Mäzenin, eine Philanthropin, "der soziale Kreativität im höchsten Maße zu eigen war", wie Ursula Prokop in diesem Buch über sie schreibt. Und weiter: "Margaret Stonborough entzieht sich in ihrer Weltläufigkeit und Intellektualität jeglicher Kategorisierung."

Margherita Anna Maria Wittgenstein kommt am 19. September 1882 als siebtes Kind von Karl & Leopoldine Wittgenstein in deren Sommervilla in Neuwaldegg zur Welt. Die Wittgensteins kann man in etwa mit der deutschen Familie Krupp vergleichen, und ich stelle deshalb die Familiengeschichte etwas ausführlicher als sonst dar, weil sie exemplarisch für ein Kapitel deutscher - österreichischer Zeitgeschichte ist:

Karl stammt aus einer früh assimilierten deutsch - jüdischen Familie aus Laasphe im Wittgensteiner Land. Schon der Vater hatte es zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, als er eine Wienerin aus einer angesehenen jüdischen Familie heiratete. Gemeinsam ließen die beiden sich taufen, traten der protestantischen Religionsgemeinschaft bei & lebten erst in Leipzig, dann in Wien. Karl, ihr Sohn, ist eine eigenwillige Persönlichkeit: Vor der Matura bricht er die Schule ab, um nach Amerika zu gehen & dort zwei Jahre ein abenteuerliches Leben zu führen, das seine Einstellungen prägt. Er eignet sich liberale Ansichten an, die ihn zu einem vorausblickenden, modernen Unternehmer prädestinieren. Wieder  in Wien, legt er die Reifeprüfung doch noch ab, studiert Technik, arbeitet bei der Staatsbahn & beginnt bald seinen meteorenhaften Aufstieg zum Eigner des mächtigsten Eisen- und Stahlwerks der Donaumonarchie.

Karl Wittgenstein
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Leopoldine Kallmus
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Vorher heiratet er 1874 Leopoldina Kallmus, väterlicherseits ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammend, die sich aber dem Katholizismus zugewandt hatte. Die Kallmus waren wohlhabende Wiener Kaufleute, ihr Reichtum war allerdings mit dem der Wittgensteins nicht vergleichbar.

Das Paar verbindet die Liebe zur Musik. Der Salon der Wittgensteins in den verschiedenen Häusern, die sie in Wien bewohnen, ist immer ein Zentrum des Wiener Geisteslebens, besonders der Musik. Joseph Joachim, der Geiger, Brahms, Gustav Mahler, Pablo Casals, Bruno Walter u.a. sind zu Gast. Leopoldine selbst ist eine ausgezeichnete Pianistin, die die Musikalität an ihre Kinder weitergibt.

Die Kinder, das sind: Hermine, ein Jahr nach der Eheschließung geboren, Dora ( 1876 ), Hans ( 1877 ), Kurt ( 1878 ), Helene ( 1879 ) Rudi ( 1881), schließlich Margaret, "Gretl" genannt und - nach einer Pause von fünf Jahren - Paul ( 1887 )  &  Ludwig ( 1889 ). Das Schicksal der älteren Brüder wird später dramatisch verlaufen, die drei Schwestern und die beiden jüngsten Söhne werden Zeit ihres Lebens eine intensive Beziehung miteinander haben:

1896

Nun aber endlich zurück zu Margaret: Die scheint ein hochsensibles & intelligentes Kind, aber kein braves im herkömmlichen Sinne zu sein. In ihrer Rückerinnerung schreibt sie zum Elternhaus als düsterer Ort voller angsteinflössender Bedrohungen: "Zärtlichkeit, Wärme und Gemütlichkeit und vor allem dauerhafte Friedenszustände (...) derlei gab es bei uns nicht. (...) Diese Sehnsucht nach einer durch nichts gefährdeten Harmonie hinderte mich in keiner Weise daran den ohnehin prekären Frieden durch Schlimmheit, das heißt durch Übertretung der Gebote zu stören." Ein rebellisches Kind ist sie also. Und weiter:
"Wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke, so überwältigt mich einmal der Gedanke, wieviel an uns gesündigt worden ist. So schlecht ist kaum jemand erzogen worden. Lieblos ohne die geringste Unterstützung an Guten."

Die Mutter wird von Zeitzeugen als übernervös beschrieben, die ihre Kinder lieber unfähigen Kinderfrauen überlässt. In die Schule werden sie auch nicht geschickt, sondern von Hauslehrern unterrichtet, denen der Vater den Lehrplan aufstellt - da bleibt nur Platz für Mathematik, Latein & sportliche Betätigung bis zur Erschöpfung.

Das große emotionale Defizit der Wittgensteinkinder kompensieren andere Mitglieder der Großfamilie wie Karls Schwester Clara, einer Frauenrechtlerin, die daher die Mädchen zu eigenständigem Denken & Urteilen anleitet. Die Großmutter Kallmus & ihre Haushälterin geben den Kindern schließlich die schmerzlich vermisste Wärme.

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Die heranwachsende Margaret entspricht so gar nicht den damaligen Vorstellungen vom "Backfisch" mit ihrem Interesse für Naturwissenschaften. Sie gründet aber auch - was dann eher angemessen weiblich ist - mit Bruder Rudi einen Zirkel für Literatur & Philosophie. Und: Sie ist eine begeisterte Leserin von Karl Kraus' "Fackel". Das ist umso bemerkenswerter, als Karl Kraus die Börsenmanöver ihres Vaters anprangert & ihn in seiner Zeitschrift als Inbegriff des Kapitalisten & Spekulanten darstellt. Es kommt sogar zu einem regelrechten Pressekrieg zwischen Wittgenstein & Kraus.

1898 - Wittgenstein ist im Vorjahr Herr über die Österreichisch - Alpine Montangesellschaft  geworden und damit auch Herr über den größten Teil der Eisen- & Bergwerke im Habsburgerreich - zieht er sich völlig ins Privatleben zurück und nutzt seinen Reichtum jetzt, um die Wiener Secession & die Wiener Werkstätten  zu unterstützen. So kunstsinnig die Familie Wittgenstein jedoch ist und sich als Sammler & Mäzen hervortut, so wenig Verständnis hat der Patriarch ( und die Mutter versagt als Vermittlerin völlig ) für die künstlerischen Ambitionen des ältesten Sohnes Hans, der nichts als Musiker sein will und 1902 in Amerika Selbstmord begeht. 1903 wiederholt sich diese Tragödie mit Rudi, dessen Homosexualität in Folge in der Tagespresse breitgetreten wird, was in der sittenstrengen Familie eine Welt zum Einstürzen bringt.

Was das mit Margaret macht, ist nicht bekannt, nur dass sie sich Ende 1903, Anfang 1904, verlobt: Jerome Stonborough ist der Auserwählte, neun Jahre älter, Amerikaner, ebenfalls aus einer Industriellenfamilie deutsch - jüdischer Herkunft stammend, promovierter Geisteswissenschaftler, der nun in Wien just for fun Medizin studiert. Es ist nichts darüber bekannt, warum Margaret diesen Mann wählt. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sie die Ehe als Möglichkeit nutzt, sich vom Elternhaus zu befreien.

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Die Verlobung veranlasst die Familie Wittgenstein übrigens, bei Gustav Klimt das obige Porträt in Auftrag zu geben. Am 7.1.1905 findet die Hochzeit statt, und das junge Paar lässt sich nach ausgiebiger Hochzeits- und Bildungsreise im April in Berlin nieder.

Margaret sieht es als ihre Aufgabe, aus ihrer Wohnung ein Gesamtkunstwerk im Sinne der Wiener Raumkunst zu machen. Während der "Nestbauphase" überrascht sie der junge Ehemann damit, dass er das Heim wieder verlassen will, um zu seiner Mutter nach Cherbourg zu reisen - diese Unstetigkeit wird sich in Zukunft  zur krankhaften Manie entwickeln und die Ehe auf Dauer belasten.

Einstweilen ist die junge Ehefrau noch anpassungswillig, aber kein Hausmütterchen im klassischen Sinne, denn sie betreibt naturwissenschaftliche Studien als außerordentliche Hörerin an der Universität.

Margaret rechts zwischen den Brüdern Paul & Ludwig
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Inzwischen schwanger, verbringt sie den Sommer bei ihrer Familie. Ihre Schwangerschaft durchlebt sie nicht ohne Ängste & Besorgnis. Und tatsächlich ist die Geburt ihres Sohnes Thomas im Januar 1906 eine schwere.
Bald kann sie sich jedoch wieder der Kunst zuwenden und sie entwickelt jetzt, dem Einfluss der Familie entzogen, eine eigenständige, äußerst kreative Auffassung von Kunst & Wohnraumgestaltung.

1907 ergibt sich für ihren Mann die Möglichkeit, in Zürich weiter zu forschen. ( Vorher werden aber die verwandten Guggenheims in New York besucht, die Margaret  "viechsdumm" findet... )

Zürich bietet als eine der wenigen Universitäten, die auch Frauen zum Studium zulassen, Margaret die Chance, die Matura nachzuholen. Die gemeinsamen Interessen am Forschen & Lernen wirken sich harmonisierend auf die Ehe aus.

1909 legt sie die Prüfung ab und beginnt im Sommersemester Physik & Mathematik zu studieren. Bald zieht es ihren Mann nach Paris. Das Einrichten einer neuen Wohnung & kulturelle Aktivitäten in neuer Umgebung gefallen ihr nach wie vor,  sie nimmt aber auch das Studium wieder auf, denn: "Ich kann dir nicht beschreiben, wie gerne ich lerne," schreibt sie ihrer Schwester, "ich bin ein anderer Mensch(.....) Ich bin sicher, dass das ein Universal Heilmittel gegen Unzufriedenheit ist + ein guter Ersatz für Mann + Kind."

Ab 1911 zieht die Familie wieder nach Wien, um in der Nähe der kranken Eltern und der Großmutter zu sein, aber auch um das zweite, nun erwartete Kind dort auf die Welt kommen zu lassen: Im Juni 1912 wird John geboren, im Januar darauf stirbt Karl Wittgenstein. Seine Tochter kauft sich mit dem ererbten Geld die Villa Toscana in Gmunden:

Nicht ausgeführter Entwurf für eine Neugestaltung der Fassade von 1920 ( links ), heute ( rechts )



Die Wiederherstellung des desolaten Gebäudes ist eine große Herausforderung, die Margaret gerne annimmt. Von einem angesehenen Architekten trennt sie sich schnell, weil der ihr eigenes kreatives Potential ausbremst. Ein Schüler Otto Wagners, Rudolf Perco, hat den Mut zum Experiment & besticht Margaret durch seine ruhige, ehrliche Art. 

Jerome aber ist wieder zu einem erneuten Wechsel aufgelegt, und zwar an ein Institut in Oxford. Die Familie übersiedelt im Herbst 1913. Mit dem ihr üblichen Elan geht Margaret das Einrichten einer neuen Wohnung an, zeigt aber auch Anzeichen einer psychosomatischen Erkrankung. Im Sommer 1914 macht die Familie, wie üblich, Urlaub in Österreich:

1914, Margaret ganz rechts neben Ludwig
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Gmunden lässt Margaret wieder gesunden. Zur Rückkehr nach England kommt es dann nicht mehr: Der 1. Weltkrieg bricht aus. Margarets Situation ist zunächst entspannt, denn die Reisetätigkeit ihres Mannes ist dadurch eingeschränkt. Auch teilt sie den im ganzen Land herrschenden Optimismus. Sie engagiert sich mit ihren Schwestern für Hilfsdienste & richtet ein Lazarett in der Villa Toscana ein.

Aber allzu schnell werden die Wittgensteins von der Kriegsrealität eingeholt: Der Bruder Paul- Berufswunsch: Pianist - verliert im Kriegseinsatz den rechten Arm & kommt in Gefangenschaft, der Bruder Kurt, Offizier, leidet zunehmend an Depressionen. Da eine Rückkehr nach England weiterhin unmöglich ist, nimmt sich die Familie wieder eine Wohnung in Wien & Jerome eine medizinische Hilfstätigkeit in einem Hospital auf. Weil er sich aber bald eine schwere Infektion zuzieht, ist er zur Passivität gezwungen. Die Missstimmung zwischen den Ehepartnern ist kaum noch zu verbergen, als Margaret im Sommer alleine nach Gmunden geht. Sie baut zwar den Bruder Paul psychisch wieder auf, flüchtet selbst aber wieder in ihre Krankheitssymptome. 

Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten lässt bei Jerome den Entschluss reifen, Österreich zu verlassen. Margaret geht mit den Kindern mit ihm ins Exil in die Schweiz. Warum sie das tut, obwohl in ihren Augen die Ehe gescheitert ist, ist nicht bekannt. Tatsache ist, dass sie von einer Depression in die Knie gezwungen wird. Nur die Beschäftigung mit der Philosophie ( im Austausch mit ihrem Bruder Ludwig ) und der Kunst bauen sie auf. Ihre Auseinandersetzungen mit Religion, Ethik, aber auch sozialen Fragen und der Stellung der Frau lassen sie in ihren Standpunkten reifen und über die Weiterentwicklung in ihrem Heimatland reflektieren. 

Am Ende des Krieges wird die Familie noch einmal in das allgemeine Weltuntergangsszenario mit tragischen Konsequenzen hineingerissen: 
Der Bruder Kurt begeht Suizid, Ludwig kommt in Gefangenschaft. Margaret übernimmt eine Schlüsselrolle in der Familie und nutzt ihre Möglichkeiten, von der Schweiz aus zu agieren. Dazu gehört auch eine von ihr initiierte & organisierte Hilfsaktion für hungernde Wiener Kinder. 1919 wird sie durch Herbert Hoover zum American Relief Administrator des amerikanischen Hilfsprogramms für Österreich ernannt. Auf einer Goodwill - Tour zugunsten ihres Heimatlandes durch die Vereinigten Staaten wird Margarets Aktivität allerdings durch eine heftige psychische Erkrankung ihres Mannes etwas ausgebremst, sie ist aber dennoch beeindruckend erfolgreich, was ihr ohnehin nicht schwaches Selbstbewusstsein stärkt.

Eine rund fünfzehnjährige Wanderschaft findet mit der endgültigen Rückkehr nach Wien im Spätsommer 1920 ihr Ende. Die Familie bezieht in der Renngasse eine Wohnung. Margaret pflegt auch wieder einen Salon, in dem Politiker aller Couleur, Künstler, Wissenschaftler Zutritt haben und sie kümmert sich neben ihren Söhnen um die Halbwaisen einer befreundeten Familie.
Was die Ehe anbelangt, trifft sie mit Jerome ein Arrangement des zeitweisen Getrenntlebens,  gründet mit ihm aber weiterhin Stiftungen & unterstützt Vereine wie den puritanisch - protestantischen "Verein gegen Armut & Bettelei", den schon ihre Großmutter 1879 ins Leben gerufen hatte. Es wird ihr immer wichtiger, sich persönlich um andere zu kümmern & sie schart einen ganzen Kreis von Schützlingen um sich, denen sie materiell wie ideell hilft. Der spektakulärste Fall ist der einer Kindsmörderin, der sie den Verteidiger finanziert & so zum Freispruch verhilft.
Auch Künstler & Architekten fördert sie weiterhin & verschafft ihnen Aufträge. So kommt es, dass in  der Villa Toscana 1923 endlich die wichtigsten Arbeiten abgeschlossen sind.
1924 adoptiert sie in Berlin zwei Halbwaisen aus verarmten pommerschen Adel und zieht sie mit ihrem jüngeren Sohn gemeinsam auf. Sie genießt dieses Familienleben, mit Jerome gibt es darüber ernsthafte Schwierigkeiten.

Um diese Zeit entwickelt Margaret den Wunsch, nach einem eigenen Domizil in Wien: Für Menschen wie sie, mit einer Ader fürs Kreative, ist der Schaffensprozess von etwas ganz Neuem interessanter als das fertige Produkt. Hinzu kommt, dass sie einen weiteren ( weiblichen ) Schützling bei sich aufnimmt, der sich in dem Barockpalais gar nicht wohl fühlt, aber die Beziehung zum Bruder Ludwig neu belebt & festigt. Der -  ein Anhänger des Wiener Architekten Adolf Loos -  beeinflusst die Schwester entsprechend.

Mit ihrem Bruder Ludwig links, ca. 1926

Deshalb wird Ludwig in das Projekt, genannt "die Firma", einbezogen, und schon bald sind erste Entwürfe fertig, das passende Grundstück fehlt jedoch. Erst im Herbst 1926 ist es so weit, doch die weitere Entwicklung der Baupläne geht nicht ohne Kontroversen vonstatten. Letzen Endes scheint sich Bruder Ludwig durchzusetzen, der verantwortlich ist für die ausgesprochen harmonischen Proportionen des Baus:

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Ludwig engagiert sich auch bei der Einrichtung, doch der Börsenkrach 1929 lässt Margarets Vermögen schmelzen, und so richtet sie es ihren Neigungen zu unorthodoxer Zusammenstellung gemäß ein:

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"Margaret hatte nun nach vielen  Jahren der unsteten Wanderschaft, (.... ) , endlich ihr eigenes Haus, das zu ihr paßte 'wie der Handschuh auf der Hand'", schreibt Ursula Prokop in ihrem Buch."Doch das Haus sollte von Anfang an unter einem Unstern stehen. ( .... ) Margaret wollte mit diesem, eigentlich viel zu spät errichteten Heim die veränderten gesellschaftlichen Strukturen, die Auflösung der eigenen Familie und Ehe nicht wahrhaben."

Das Projekt hatte eine ganze Zeit ihre Energien & Interessen gebündelt. Nun muss sie eine gewisse Leere konstatieren, da die Kinder - da durchaus erziehungsschwierig - anderswo untergebracht sind, der Mann depressiv und weiterhin in Paris lebend, der Bruder Ludwig nun endgültig nach Cambridge abgereist, der älteste Sohn und weitere Schützlinge in den USA studierend...

Nach dem Börsenkrach 1929 wird deutlich, dass sie nur noch ein Viertel ihres ursprünglichen Kapitals besitzt. Sie entzieht ihrem Ehemann die Verwaltung des Geldes & Bruder Ludwig entwirft Sparpläne. Richtig gefordert ist sie erst wieder, als sich die psychische Krise ihres Ehemannes verstärkt & er sich zu ihr nach Wien flüchtet, einer ihrer Ziehsöhne einen schweren Unfall hat und zwei weitere ihrer Ziehkinder, von ihr zur Ehe gedrängt, daran scheitern.

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Keine Idylle aufkommen lässt auch die politische Entwicklung in Europa. Margaret, die nach dem Krieg auf die reformerischen Kräfte gesetzt hatte, lehnt inzwischen - wie viele bürgerlich Liberale, so auch der verehrte Karl Kraus - in Wien das Dollfuß - Regime nicht ab, setzt also auf die österreichische Variante des Faschismus.
Eine persönliche Krise löst der Tod ihres zweiten Enkelkindes in den USA aus, den der älteste Sohn nicht bewältigt, und die zu einem Bruch zwischen ihren beiden Söhnen führt.

Noch dramatischer wird die Situation der Familie nach der Machtergreifung Hitlers 1938: Bruder Paul verliert seine Stelle am Wiener Konservatorium, andere Familienmitglieder im Öffentlichen Dienst oder der Hochschule ebenfalls. Wieder nutzt sie ihre Kontakte, u.a. zur Familie Seyß - Inquart ( mit denen sie seit ihren sozialfürsorgerischen Tätigkeiten bekannt ist ). Deshalb ist sie auch in die Rettungsaktion für Sigmund Freud einbezogen, bei dem sie sich trotz kritischer Haltung zur Psychoanalyse 1937 einer Therapie unterzogen hatte. Freud schreibt ihr noch bis zu seinem Tod warmherzige Briefe:



Sie kommt aber selber in Schwierigkeiten, als sie einen Teil ihrer Gemäldesammlung ins Ausland bringen will, auch um ihre Geldnöte zu lindern. Ihr Mann - kurzfristig nach Paris geflüchtet - kehrt hochgradig verzweifelt zu ihr zurück und setzt seinem Leben in der Villa Toscana im Juni 1938 ein Ende. Sie wird gezwungen - obwohl amerikanische Staatsbürgerin - ihren Besitz unter dem Titel "Verzeichnis über das Vermögen von Juden" offen zu legen.

Die Familie Wittgenstein entwickelt allerdings aberwitzige Stategien, um nicht unter die Rassegesetze der Nazis zu fallen ( so z.B. dass der Großvater ein uneheliches Kind des Fürsten zu Sayn - Wittgenstein gewesen sei ). Auch die Verdienste für Österreich, besonders im Krieg werden hervorgehoben -  ohne Erfolg. Paul, der Pianist emigriert letztendlich 1938 über die Schweiz in die USA.

Die drei verbliebenen Schwestern versuchen weiterhin - gegen das Votum der Brüder - eine "arische Behandlung" zu erkaufen, was mit Geldern des Wittgensteinvermögens, die unter treuhänderischer Verwaltung einer niederländischen Bank stehen, schließlich gelingt. Die Verhandlungen in Berlin führt natürlich Margaret. Es nutzt vor allem ihren Schwestern, doch im Januar 1940 muss sie Österreich auch verlassen, weil ihr amerikanischer Pass abgelaufen ist. Margaret befindet sich nun zum zweiten Mal in ihrem Leben im Exil...

Auch von New York aus versucht sie, jüdischen Freunden zur Flucht zu verhelfen, kann aber nicht verhindern, dass ihre Sekretärin kurz vor der Deportation im Wittgenstein - Haus Suizid begeht. Auch daran, dass es zu einem Lazarett umgewandelt wird ( die Villa Toscana war schon vor dem Krieg umfunktioniert worden ), kann sie nichts ändern. Paul, ebenfalls in New York, verweigert den Kontakt, mit Ludwig in England korrespondiert sie. Die inzwischen verwitwete Schwester Helene ( deren Mann "Arier" war ) rettet die erkaufte "arische Behandlung" vor der Deportation. Sie kann sich gegen Kriegsende mit der zweiten verbliebenen Schwester Hermine nach Gmunden in Sicherheit bringen.

Nach Kriegsende reist Margaret nach Europa, erst nach England zum Bruder Ludwig und ihrem jüngeren Sohn, dann nach Paris zu ihrem älteren Sohn und schließlich im Sommer 1946 zurück nach Wien.  Endgültig heim kehrt sie 1950, nachdem die Schwester Hermine gestorben war.



Margarets Leben in ihren letzten Jahren ist geprägt durch ihre angespannte materielle Situation, aber immer noch gekennzeichnet von großem Interesse für Kunst & Musik, überschattet von ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung und dem zuletzt angespannten Verhältnis der Geschwister. Nach längerer Krankheit stirbt sie schließlich am 27. September 1958 in einer Wiener Klinik an Herzversagen.


Lange habe ich versucht, diesen Post zu kürzen. Doch die vielen zeitgeschichtlich Facetten dieses Frauenlebens fand ich interessant & wichtig. Und wichtig war mir auch, diese Frau bekannter zu machen, die inzwischen nur noch als Gemälde oder als "Randfigur in der ausufernden Wittgensteinliteratur" ( Ursula Prokop ) wahrgenommen wird.




19 Kommentare:

  1. Oh wie schön auch diese Frauengestalt ist, Astrid. So stark und wirklich imposant, wie unstet das Leben war und doch finden sich immer wieder Ankerpunkte darin. Danke für die Zusammenstellung. Ich habe das Porträt gerne gelesen und werde nun Klimts Bild tatsächlich anders betrachten und bewerten.
    LG. susanne

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  2. Wow...was für eine Frauengestalt! Herzlichen Dank, liebe Astrid, dass du die Dame von Gustav Klimts Porträt vorgestellt hast, denn auch wenn ich das Bild gut kenne, die Dame dahinter kannte ich noch nicht. Sie hatte ein wirklich bewegtes Leben und musste offensichtlich mit einer Menge Schicksalsschlägen zurecht kommen. LG Lotta.

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  3. Bloß nicht kürzen. Und immer weiter machen mit diesen tollen Frauengestalten... Soziale Kreativität ist ein Ausdruck, den ich noch nicht kannte. Was für eine spannende Frau... Lg mila

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  4. Wie traurig Kindheit früher verstanden wurde. Unter welchen emotionalen Defiziten ein Leben gelebt werden muss - eine unvorstellbare Anstrengung.
    Das Leben dieser Frau berührt mich wirklich sehr. Und auch ihr Mut, mit dem sie immer wieder neu beginnt. Ich könnte grad weinen.
    Wie schön, bei Dir sein zu können. So ehrlich und authentische Worte finde ich hier.
    glg zu Dir,
    Susanne

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  5. Liebe Astrid,
    oh, bitte nicht kürzen. Ich habe jedes Wort genossen. Finde es wundervoll wie engagiert du schreibst! Ja, sie war wirklich eine erstaunliche Frau!
    Hab eine gute Zeit
    Elisabeth

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  6. Liebe Astrid,
    bitte lass diese Serie nie nie enden. Sie ist jede Woche ein Highlight für mich und auch wenn ich wirklich zeitknapp bin, finde ich immer irgendwann ein paar Minuten, um sie zu lesen, also bitte nicht kürzen! Eigentlich solltest du das als Buch rausbringen, deine empathische Schreibweise bringt einem die Frauen noch näher, so gut liest man das selten anderswo. Danke!
    Liebste Grüße,
    Karin
    Im Moment läuft in München übrigens eine tolle Louise-Bourgeois-Ausstellung, wäre das nicht ein Anreiz für dich, mal zu kommen?

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  7. Danke für deine Portraits von diesen großartigen und interessanten Frauen! Margaret Wittgenstein kannte ich zwar schon, doch hast du ihr Leben so plastisch beschrieben, dass es eine Freude war, über sie zu lesen. Bei uns in Österreich wurde ja der Text der Bundeshymne von "Heimat bist du großer Söhne" zu "Heimat bist du großer Töchter und Söhne" geändert, was einige *füge hier ein Schimpfwort deiner Wahl ein* so nicht hinnehmen wollten. Unter anderem der Volksbelustiger Gabalier - Musiker möchte ich ihn lieber nicht nennen...
    Und weil es viele Leute wie ihn gibt, finde ich Projekte wie deines sehr wichtig!
    Unser Kulturraum - Deutschland, Österreich, Europa - hat jede Menge große Töchter, die in der Geschichte nicht genug Beachtung fanden und finden. Also Danke für deine Arbeit und Mühe!
    Liebe Grüße,
    Vronika

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  8. Mein Gott, was für eine tolle Frau, aber doch sehr getrieben. Kein Wunder, dass sie an Herzversagen starb, wie soll ein Herz das auch alles aushalten!
    Ich finde es gut, dass du den Artikel nicht gekürzt hast, er ist von der ersten bis zur letzten Zeile hochinteressant. Danke für die Mühe!
    Gros bisou
    Sandra

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    1. Ihr Lieben, ich danke euch für dieses Feedback ( an einem Tag wie heute, an dem ich es gebrauchen kann ). Nein, ich werde nicht kürzen. Und ja, ich werde weitermachen. Ich habe gerade zwar nur einen neuen Post "in der Mache", aber zu vielen Frauen recherchiert.
      Es ist mir inzwischen eine Herzensangelegenheit...
      Seid alle herzlichst gegrüßt!
      Astrid

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  9. Natürlich darfst Du das nicht kürzen! Das ist doch Lesefreude pur!
    Mit dem Kennenlernen ihrer Biographie durchreist man doch die Geschichte Europas und findet immer wieder neue Fäden, die aufgenommen werden wollen und andere, denen (wie in meinem Fall) man erst kürzlich gefolgt war.
    Ich freue mich jedes Mal auf eine Fortsetzung!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  10. Dein Artikel liest sich so, wie ihr Leben war, atemlos und getrieben. Man kann gar nicht mehr aufhören. Ich kannte von ihr nur das Bild. Vielen Dank für die Geschichte drumherum.

    Viele liebe Grüße
    Astrid

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  11. So viel in einem Leben! Verschlungen hab ich deinen Post über diese facettenreiche Frau. Danke ♡ und liebe Grüße, Ulli

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  12. was für eine interessante frau und was für eine spannende geschichte! und ja: ich habe deinen beitrag auch verschlungen - wie gut, dass du ihn nicht gekürzt hast!!
    herzliche grüße und ein dickes dankschön fürs recherchieren und schreiben!
    mano

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  13. diesen articel werde ich zu hause lesen... hab schon so seit lange keinen guten wifi... liebe grüsse

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  14. Diese Donnertagsgeschichten finde ich eine ganz tolle Idee ! Ich habe Dich in meinem Blogroll aufgenommen.

    Liebe Grüsse
    Christelle

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  15. Liebe Astrid,
    ich schätze Deine Frauenportraits sehr und lese sie immer ganz interessiert. Welch eine Biografie, so viele Suizide in einer Familie.
    danke für die Mühe, die Du Dir gemacht hast.
    herzlich Judika

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  16. eine sehr interessante frau, die in ihrem leben wirklich viel erleiden musste. es passt schon, ihr ausreichend raum und zeit zu widmen.
    lieben gruß, susi
    p.s. weißt du, hat barbara ihre serie beendet? ich hätte auch einen fertigen post und einen zweiten in arbeit.

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  17. Auch ich habe deinen Post "verschlungen"..., kannte ich doch von dieser Frau bisher auch "nur" das Klimt-Porträt... Was für ein Leben mit sovielen Wendungen und Schicksalsschlägen in unruhigen Zeiten. Ihre Studier- und Lernlust ist mir sehr sympathisch, geht es mir doch ganz genauso... Wieviele Urlaubstage habe ich schon mit Fortbildungen verbracht, die mir am Herzen lagen..., die verständnislosen Blicke einiger Kollegen dazu vergesse ich nie. Danke! Ghislana

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  18. danke für den tip liebe astrid!
    wahnsinn - was für ein unstetes leben. da sieht man mal wieder dass reichtum nicht automatisch glücklich macht. nur manchmal schlimmeres verhindert......
    xxxx

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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