Donnerstag, 8. Januar 2015

Great Women # 8: Diane Arbus



Barbara/barbarabee hat den Anstoß für die Reihe "Great Women" gegeben und donnerstags in ihrem Blog bemerkenswerte Frauen in Wort und Bild vorgestellt. Da mochte ich mich gerne anschließen, denn es ist eines meiner Lebensthemen. 

Heute möchte ich wieder eine Fotografin vorstellen, deren Zwillingsfoto sicher vielen Leserinnen und Lesern bekannt sein dürfte:

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Es war - mit einigen anderen - schon auf dem Titel des Buches meines Schwagers zu "Fotografie als Kunst" von 1973 zu sehen, zu einem Zeitpunkt also, als diese Ansicht in Europa ( anders als in den USA ) noch nicht "mainstream" war, und Zweitausendeins und Schirmer/ Mosel noch nicht den Markt mit großformatigen Fotografie - Bänden überschwemmt hatten. Vor allem ihre Aufnahmen von Außenseitern der amerikanischen Gesellschaft, von Freaks, machten die Fotografin in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts bei uns einer breiten Öffentlichkeit bekannt: Diane Arbus.

Diane Arbus wurde als Diane Nemerov am 14. März 1923 in New York City in eine reiche Familie russisch - polnisch - jüdischer Abstammung geboren. Der Vater, Geschäftsführer des Pelz- und Modekaufhauses Russeks  auf der Fifth Avenue, hatte es zu Wohlstand gebracht, und Diane wuchs mit ihren beiden Geschwistern mit Blick auf den Central Park, wohl behütet, aber ohne Zeit & Zuwendung durch die Eltern, mit wechselnden Kindermädchen und Chauffeuren, Butlern und "papiernen Gefährten" wie den Büchern von Lewis Caroll, Franz Kafka, Jorge Luis Borges auf. Sie fühlte sich wie in Watte gepackt, aber auch abgekapselt vom tatsächlichen Leben, Gefühlen, Erfahrungen, der Welt eben.
Im Sommer gar ließen die Eltern die Kinder in der Stadt zurück und reisten nach Europa oder an die amerikanische Küste. Angst und Einsamkeit, vor allem bei Kindern, wurde später auch eines ihrer großen Themen...

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Im Alter von 14 Jahren lernt sie Alan Arbus kennen, der als Verkäufer in der Kunstabteilung von Russeks arbeitet. Sie möchte ihn sofort heiraten, doch die Eltern intervenieren. Mit achtzehn setzt sie sich dann durch, heiratet Alan, der eigentlich Schauspieler werden möchte, als Fotograf jobt und schließlich bei der Armee eine Fotografenausbildung erhält. In einer Dunkelkammer im heimischen Badezimmer vermittelt er sein Wissen an Diane weiter.

Selbstporträt 1944
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Nach dem Krieg begründen die beiden ein Studio für Modefotografie, erhalten u.a. Aufträge von Dianes Vater bzw. Condé Nast für "Glamour" und "Vogue".

Diane lernt große Fotografen wie Berenice Abbott, Richard Avedon, Robert Frank kennen und beginnt Mitte der Fünfziger Jahre eine Ausbildung bei Lisette Model. Auf deren Rat hin gibt sie 1957 die kommerzielle Fotografie und die Arbeit mit Alan im gemeinsamen Studio auf. Ein Jahr später trennt sie sich auch privat von ihm. ( Die Ehe, aus der auch zwei Kinder hervorgegangen sind, wird allerdings erst elf Jahre später geschieden. )

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Lisette befreite mich von meinen bürgerlich-puritanischen Vorurteilen“, so äußert sich Diane über ihre Lehrerin. Sie haben beide als gemeinsame Erfahrung die bürgerlichen Herkunft, die sie als verlogen & voller oberflächlicher Eitelkeit erlebten. 
Lisette, die in Europa zuerst eine Ausbildung zur Konzertpianistin durchlaufen hat, hat in New York den Jazz für sich entdeckt, die Nightclubs & die Straße, und spielt nun auch für Diane die Türöffnerin für all das Böse & Verbotene, nach dem diese sich schon länger sehnt, sei es eine Transvestiten- Bar  oder der Gaukler-Treff "Hubert‘s Dime Museum":

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Dort beginnt 1959 das zweite Leben der Diane Arbus: Dort trifft sie auf die ersten Freaks, dort erlebt sie die Schrillen und Außenseiter, Wesen aus der anderen Welt, die sie als Kind hinter dem Central Park schon längst vermutet hat.

Oft geht sie mit ihnen in deren Wohnungen und lässt sich zeigen, wie sie leben, wie diese russischen "Zirkuszwerge"....

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oder dieser Transvestit mit den Lockenwicklern. Ihre Schwester vermutete einmal, dass Diane ihre Kamera als Schutzschild gegen den bourgeoisen Lifestyle benutzt, unter dessen Kälte und Lieblosigkeit sie als Kind gelitten hat. 

Die neue 6 x 6 Rolleiflex -Kamera, 1963 gekauft, bringt sie den Menschen näher, denn sie macht spezielles Licht, ein Studio oder andere Arrangements für ihre Aufnahmen überflüssig. Immer mehr Türen tun sich so für sie auf zu Orten, die Menschen ihrer Herkunft sonst verschlossen bleiben: Leichenschauhäuser, Freudenhäuser, Irrenhäuser. „Am meisten liebe ich es dorthin zu gehen, wo ich niemals gewesen bin. Ich mag es, in das Haus eines Fremden zu gehen. Das ist wie ein Blind Date“, sagt Diane einmal:

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Es ist ihr möglich, mit ihren freien Arbeiten als Fotoreporterin bei verschiedenen Magazinen den ( bescheidenen ) Lebensunterhalt zu verdienen, denn sie kann auf ihr Renommé als Modefotografin bauen. Außerdem besteht in vielen Zeitschriften - Redaktionen in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts Interesse an neuen Inhalten & Themen und unkonventionellen Darstellungen.  Auch durch Stipendien ist es ihr möglich, weitere freie Arbeiten zu verwirklichen. Die "Sunday Times" und das "Nova Magazine" finanzieren Diane Arbus  auch einen Englandaufenthalt.

1969/70 bereitet sie eine Ausstellung für das Museum of Modern Art vor. Noch 1965, als erstmals drei Bilder von ihr mit Freaks im Museum ausgestellt waren, musste noch jeden Morgen die Spucke weggewischt werden, die entrüstete Besucher, die die von Arbus fotografierte amerikanische Realität nicht gefiel, damals auf dem Glas der Bilder hinterlassen hatten...

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Ihr  Foto „Child with a toy hand grenade“ könnte eine Art Symbol sein für den gesellschaftlichen Wandel, der in der Zwischenzeit in den Vereinigten Staate als Folge des Vietnamkriegs stattgefunden hat: Das Land hatte inzwischen seine Unschuld verloren. Keine kann das so gut zeigen wie Diane Arbus.
Die Ästhetik des Hässlichen, das Kaputte und Beschädigte ist plötzlich überall zu sehen. Andere Fotografen, wie z.B.  Lee Friedländer, folgen da Diane Arbus, der Vorreiterin.

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Obwohl sie nun den endgültigen Durchbruch als Fotografin geschafft hat, bleibt Diane innerlich schwer verwundet. Auf Zeiten enormer Kreativität und Schaffenskraft folgen Phasen tiefer Verstörung. Finanzielle Schwierigkeiten, Depressionen und Selbstzweifel bestimmen zunehmend ihre letzten Lebensjahre. Außerdem plagen sie Spätfolgen einer Hepatitis-Erkrankung: Diane Arbus fühlt sich ausgebrannt. 

Am Ende nimmt sie sich in einem kleinen Appartement in Greenwich Village am 26. Juli 1971 das Leben: Sie schluckt eine Überdosis Barbiturate und schneidet sich in der Badewanne die Pulsadern auf.

Posthum wird Diane Arbus 1972 als erste amerikanische Fotografin überhaupt auf der Biennale in Venedig ausgestellt.


Ich habe mich immer gefragt, warum es Diane Arbus gelang, mich mit ihren Bildern so anzusprechen:

Aufgewachsen in der Bundesrepublik der Fünfziger Jahre mit all der Verlogenheit, was die Vergangenheit anbelangt, mit der harten Verurteilung von Menschen, die an diesem Widerspruch gescheitert waren, war mein Interesse an der Ab - Seite dieser Gesellschaft sehr groß. Auch ich fühlte mich angezogen von den "Schmuddelkindern" des Wirtschaftswunders. Die Ästhetik des Hässlichen faszinierte mich als Schülerin und Studentin, und ich befand mich im Widerspruch zum allgemein vermittelten, geschönten Weltbild... Da kam sie mit ihren Fotos gerade recht.




9 Kommentare:

  1. Hallo Astrid, wieder einmal ein gelungener Post. Ich fand schon den über Helen Hessel sehr gut. Es ist mal was anderes und ich finde es gut, das du das genau so machst. Freue mich schon über deine nächste Great Women

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  2. Huch der war so schnell weg... Viele Grüße wollte ich noch anhängen. Christin

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  3. wieder ein besonderer Lebensweg mit diesem Beitrag ... vielen dank !
    und auch für dein Kommentar : den weg zu finden kann man glaube ich nur in sein ganz innere gefühl sehen - zuerst ist er noch im dunkler nebel und langsam mit der Sonne erscheint er ganz klar vor uns. und heute höre ich France-Inter um ganz viele Ansichten zu hören um auch selber klar zu kommen. Tränen ... Freiheit der Presse ist Freiheit für die Menschen !
    liebe Grüsse
    Monique

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  4. Monique, deine Worte lassen erstmals die Tränen bei mir frei...es ist die Verbundenheit mit deinem Land, die Verbundenheit auch über diese Ideale, die wir gemeinsam haben.
    Sei herzlichst gedrückt!

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  5. Was für ein berührender Kommentar von Monique ...

    Liebe Grüße von Nadja

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  6. wieder ein großartiger beitrag. ich kenne fotos von diane arbus aus dem kunstmuseum wolfsburg, das sich ja auch der fotografie verschrieben hat. ihre geschichte hingegen war mir weitgehend unbekannt. manchmal frage ich mich allerdings, warum solche große künstlerinnen und künstler so oft von depression, innerer zerrissenheit und sucht geprägt sind.
    liebe grüße von mano

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  7. Ich interessiere mich sehr für besondere Frauen. Super........ Dein Blog ist KLASSE!!!
    Lovely hugs
    Molly

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  8. Danke, dür den Tipp. Ich werde mal vorbeischauen

    Liebste Grüße zu dir :-)

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  9. Berührt von diesen Fotos und deinem Text. Und dankbar für den Hinweis noch mal bei dir heute auf diesen Post... (Da ich aktuell nur über Blogroll lese, hatte ich da am Donnerstagnachmittag gleich den Folgepost zu den Pariser Ereignissen im Blick...). Wie verschieden die Wege sein können den Blickwinkel raus aus unserer satten "heilen" Welt in andere Richtungen zu wenden. Das kann gar nicht oft genug passieren. Lieben Gruß Ghislana

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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