Donnerstag, 1. Januar 2015

Great Women # 7: Helen Hessel



Barbara/barbarabee hat den Anstoß für diese Reihe geben und donnerstags in ihrem Blog bemerkenswerte Frauen in Wort und Bild vorgestellt. Da mochte ich mich gerne anschließen, denn es ist eines meiner Lebensthemen.  
Ab diesem, dem neuen Jahr, wird Barbara die Reihe wieder aufnehmen und einmal im Monat posten und eine Linkparty für alle, die mitmachen wollen, anbieten...

Frau K. war in den Sechzigern als Teenager Mitglied eines Filmclubs, der einmal in der Woche in einer Schulaula, seltener in einem Kinosaal, interessierten Schülern Perlen der Filmkunst zu einem Unkostenbeitrag vorführte. 

Und einer der eindrücklichsten Filme damals war "Jules et Jim" ( hier ein Trailer ) von François Truffaut, mit der bewunderten Jeanne Moreau & dem angehimmelten Oskar Werner in den Hauptrollen. Ich bin mir sicher, dass ich in diesen Alter nicht wirklich begriffen habe, worum es eigentlich ging, aber die Darstellung der amour fou faszinierte & beschäftigte mich außerordentlich.

Dass die drei Protagonisten des Films drei reale Personen waren und sich die Geschichte tatsächlich zugetragen hatte, habe ich später erst erfahren. Es war die warme Art des nicht minder bekannten Sohnes, Stéphane Hessel, von seiner Mutter zu erzählen, die mich neugierig machte...

Szene aus dem Film
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Helen Hessel, als Helen Katharina Anita Berta Grund am 13. April 1886 in Berlin in eine Bankiersfamilie geboren, wächst sie im Kaiserreich in materiell wohl geordneten Verhältnissen als jüngstes von fünf Kindern mit einer - wahrscheinlich wegen der Eskapaden des Vaters - depressiven Mutter auf.

17jährig nimmt sie ein Kunststudium bei Käthe Kollwitz. Bei einem Parisaufenthalt mit Malfreundinnen lernt sie den deutsch - jüdischen Schriftsteller & Proust - Übersetzer Franz Hessel kennen, der ebenfalls einer in Berlin ansässigen Bankiersfamilie entstammte, ein sanfter Mann, einmal als "Mischung aus Buddha & Franz von Assisi" beschrieben. 1913 heiratet er die vitale, wilde Helen.

Franz Hessel lebte schon seit 1906 in der französischen Hauptstadt, wo er auch die Bekanntschaft mit dem französischen Schriftsteller & Kunsthändler Henri-Pierre Roché gemacht hatte. Roché, bekannt mit vielen Größen der Pariser Bohème, erwählt den Deutschen zu seinem besten Freund.

Bei Kriegsausbruch verlässt das Ehepaar Hessel Paris über die Schweiz, wo auch der erste gemeinsame Sohn zur Welt kommt, und kehrt nach Berlin zurück. Dort wird Stéphane 1917 geboren. Da war aber die Liebe zu Franz schon seit 3 Jahren erloschen, wie Helen ihrem Tagebuch anvertraut.

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Seitdem nimmt sie sich jegliche Freiheit, arbeitet zum Beispiel auf landwirtschaftlichen Gütern, verkleidet wie ein junger Mann. Franz zieht derweil mit den Söhnen zu Helens Schwester, die mit seinem Bruder verheiratet ist, nach Hohenschäftlarn bei München. Irgendwann gesellt sich auch Helen wieder zu ihnen. Und dorthin laden sie auch den französischen Freund ein...

Schon nach einer Woche passiert das, was sich Henri - Pierre Roché schon in Paris gewünscht hatte: Helen wird seine Geliebte. Franz lässt sie gewähren. Eine leidenschaftliche Liebe voller Gewalt und Kampf beginnt.
Trotzdem überlegt man, gemeinsam ein Buch der Liebe zu schreiben, ein gemischtes Tagebuch oder einen Roman. Als Helen von Henri-Pierre schwanger wird, ziehen die Männer nicht sofort mit, so dass sie eine Abtreibung durchführen lässt. Dann geht Roché zurück nach Paris, träumt aber weiter von einem gemeinsamen Sohn mit Helen.
Die lässt sich 1921 scheiden, lebt mal mit Henri-Pierre zusammen, mal wieder nicht, wird wieder schwanger, treibt ab, heiratet 1922 wieder Franz und lebt mit ihm, ganz platonisch, in Berlin.
Hin und her, her und hin geht das endlose Gezerre - ein Psychodrama, wie ich es aus dem Film so nicht  in Erinnerung habe. Helen hält das alles in ihrem Tagebuch fest.

1925 zieht sie endgültig nach Paris, schickt die Söhne auf eine französische Schule und beginnt als Modekorrespondentin der Frankfurter Zeitung zu arbeiten. Durch ihre Berichte bringt sie den Deutschen der Zwischenkriegszeit nicht nur Pariser Schnittmuster nahe, sondern auch das savoir - vivre der Franzosen. Auch den Zusammenhang von Mode und Wandel im weiblichen Selbstbild - in Frankreich wie in Deutschland - stellt sie mit feinem Gespür dar. So spannend, dass selbst der Philosoph Theodor W. Adorno ihre Berichte mit großem Interesse verfolgt. Ihre Feuilletons über Reisen, Restaurantbesuche, die Pariser an sich zeigen ein großes Talent, Banales mittels Sprache zu einem Ereignis werden zu lassen.

Helens Hoffnung, die Nähe zum Geliebten könne Klarheit in ihr Leben bringen, erfüllt sich allerdings nicht: Denn dieser heiratet heimlich eine andere Geliebte, schwängert wieder einmal Helen, bändelt mit der Pflegerin seiner sterbenskranken Mutter an, die bald auch ein Kind von ihm zur Welt bringt. Doch Roché verlangt, dass dieses Kind in öffentliche Obhut gegeben wird, denn Helen darf davon nichts erfahren.

1933 verdüstert sich nicht nur das politische Leben in Deutschland, sondern auch das Verhältnis zwischen Helen und Henri - Pierre:
Nachdem dieser alle seine Geheimnisse gestanden hat, schließt Helen sich mit ihm in der Wohnung ein, wirft den Schlüssel aus dem Fenster, und beide beginnen ein Ringen und Kämpfen. Befreit hat die erschöpften Kontrahenten die herbeigerufene Freundin, die emigrierte jüdische Ärztin Charlotte Wolff. Noch ein paar Tage voller Drama folgen, dann wacht Helen endlich aus ihrem Rausch auf und gesteht sich ein, dass ihre Liebe weder revolutionär noch befreiend war. Sie war einfach der Egozentrik geschuldet.

Die beiden sehen sich nie wieder. 1942 beginnt Roché mit der Niederschrift von "Jules et Jim", 1953 wird es als Buch veröffentlicht, aber erst ein Erfolg nach der Verfilmung durch Truffaut.

Und wie ging es mit Helen Hessel weiter?

Die zieht erst einmal mit der Freundin Charlotte Wolff zusammen, die ihr die Geborgenheit geben kann, die sie braucht. Ob ein sexuelles Verhältnis bestand - darüber haben beide immer Stillschweigen bewahrt.

Mit ihren beiden Söhnen 1937
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Franz Hessel lebt zu dieser Zeit nach wir vor im nationalsozialistischen Berlin als Literat, Übersetzer und Lektor beim Rowohlt - Verlag. Kurz vor dem Novemberprogrom 1938 gelingt es Freunden und Helen, ihn von einer Übersiedlung nach Paris zu überzeugen.

Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich zieht sich die Familie Hessel wie viele prominente Exilanten nach Sanary-sur-Mer zurück. Der Jude Franz Hessel wird allerdings bald im berüchtigten Lager Les Milles bei Aix- en - Provence festgesetzt, was ihm gesundheitlich sehr zusetzt, so dass er bald nach seiner Entlassung 1941 stirbt, unbeachtet, in aller Stille. Nur ein zerlumpter Trunkenbold soll sich nach dem Begräbnis die versprochenen Schuhe abgeholt haben.

Helen schließt sich der Résistance an, in der ihr Sohn Stéphane schon länger mitwirkt, und lebt im Untergrund bis zum Kriegsende. Beide Söhne werden von den gegnerischen Kriegsparteien gefangen gesetzt ( Stéphane kommt sogar nach Buchenwald bzw. Bergen -Belsen ). So waren die Kriegsjahre für Helen eine schwere Prüfung und bei Kriegsendesie fühlt sich sehr einsam, unternimmt gar einen Selbstmordversuch.
Ihr Sohn Stéphane, der als Büroleiter des UN-Vize-Generalsekretärsbei in New York arbeitet, ist alarmiert und holt sie in die USA. Doch sie kann in der finanziellen Abhängigkeit von ihm nicht leben und sucht sich eine Arbeit als Haushaltshilfe, denn ihre journalistischen Fähigkeiten sind nicht gefragt.

1950, zurück in Paris, macht sie sich einen Namen als Übersetzerin von Nabokovs „Lolita“ und lebt mit Anna - Marie Uhde, der Schwester von Wilhelm Uhde, dem ersten Mann von Sonia Delauney, in dem Arrondissement, in dem sie auch mit ihrem Geliebten gelebt hatte.

Als Truffaut 1962 seinen Film mit Jeanne Moreau in der Rolle der Helen dreht, ist sie schon 77 Jahre alt. Sie ist stolz auf ihr einstiges Liebesleben und fühlt sich gut getroffen mit der schönen Schauspielerin, durch die auch ein später Glanz auf sie fällt. Im Film stirbt sie mit dem Geliebten, indem sie das Auto absichtlich von der Brücke in den Fluss lenkt, dem entsetzten Beifahrer, ihrem Geliebten, zuzwinkernd, den Ehemann einsam zurücklassend. In Wirklichkeit überlebt sie ihre Männer um 42 Jahre ( Franz ) bzw. um 23 Jahre ( Pierre ).

89 jährig 1975 in Paris
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1982 stirbt auch sie, 96 jährig. Sie ist auf dem Friedhof Montparnasse begraben.

Um wie viel spannender war doch das Leben der wirklichen Helen Hessel, wie viel vitaler doch das reale Vorbild der Filmheldin! Helen Hessel gelang es immer wieder, sich den Widersprüchen in ihrem Leben zu entwinden, ein selbst bestimmtes Leben zu führen, einfach bemerkenswert!









Über diese Frauen habe ich schon geschrieben:


Und diese findet ihr bei Barbara:




5 Kommentare:

  1. Was für ein Leben - faszinierend. Dir ein schönes und lichtvolles 2015.

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  2. Das ist ja spannender als jeder Krimi..., wie so oft im echten Leben..., oh, und ich möchte nicht in ihrer Haut gesteckt haben..., so gerne auch ich tue, was ich will ;-) Bemerkenswert auch, wie du auf dem Umweg über den Film auf das Leben dieser vielseitig talentierten starken Frau aufmerksam geworden bist. Und so alt geworden ist sie. Das Büchlein "Empört euch" von ihrem Sohn Stephane habe ich mit Begeisterung gelesen und auch ein paar mal verschenkt... Danke für diesen Post! Herzlich Ghislana

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  3. Puh, atemlos gelesen von der ersten bis zur letzten Zeile! Danke für diese erneute Entdeckung!

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  4. Auch mir fiel als erster Satz des Kommentars nur ein "Was für ein Leben!"... Was für eine Frau. Ich bin jetzt neugierig geworden, mehr von ihr zu erfahren. LG mila

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    1. Leider gibt es literarisch gesehen nicht so viel über sie außer der Biografie, die ich etwas anstrengend fand. Habe aber auch entdeckt, dass es eine Ausgabe mit ihren Feuilletonbeiträgen seit August 2014 gibt. Das werde ich mir mal merken.
      GLG

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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