Donnerstag, 6. Juni 2024

Great Women #379: Consuelo de Saint-Exupéry

Machen wir mal auch in diesem Monat weiter mit einer Frau von einem außereuropäischen Kontinent, weil es durchaus spannend ist, mal weiter über den Tellerrand hinaus zu schauen. Wobei die heute Porträtierte dann doch länger in Europa gelebt hat ( und dort gestorben ist ) und einen sehr berühmten europäischen Namen trug: Consuelo de Saint-Exupéry.


"Es ist besser, ein Fünftel von einem großen Mann zu besitzen 
als einen mittelmäßigen zur Gänze." 
.....
"Ich wollte im Herzen meines Mannes wohnen. 
Er war mein Stern, mein Schicksal, mein Glaube, mein Ziel ... " 

In einem kleinen Ort in El Salvador namens Armenia, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt San Salvador entfernt und im Schatten des beeindruckenden Vulkans Izalco liegend, kommt am 10. April 1901 Maria Consuelo Suncin Sandoval zur Welt. Sie ist die Tochter von Felix Humberto Suncin Monchez, eines 42jährigen Reserveoffiziers ( Colonel ) und Kaffeeplantagenbesitzers in Armenia, und seiner Ehefrau Ercilia Trinidad Sandoval Zecena, neun Jahre jünger als ihr Mann. In ihrer Geburtsurkunde wird das Mädchen als Ladina ausgewiesen, also halb europäischer, halb indianischer Abkunft.

Die junge Consuelo
Consuelo hat zwei ältere überlebende Brüder, Raoul (*1898) & Felix (*1899), und zwei jüngere Schwestern, Ana Dolores (*1903) & Amanda (*1905). Die Familie gilt der wohlhabenden Mittelschicht zugehörig, da sie Grundbesitz hat, einmal durch die Mitgift der Mutter, zum anderen durch das Land, dass der Vater nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Militärdienst von der Regierung erhalten hat. Zudem erfreut sich der Vater eines gewissen Einflusses aufgrund seines militärischen Ranges, aber auch seiner Fähigkeiten als Heiler für die bäuerliche Landbevölkerung.

Ihre Mutter hingegen ist eine strikte Katholikin und zieht das Mädchen in der populären Frömmigkeit ihres Landes groß und vermittelt ihr das Idealbild einer Gattin, dass später Saint Exupéry so anziehen wird - ihn, der sich nach Außen sehr kirchenkritisch gibt, aber mit ihr unbedingt nach seine ersten Heimkehr aus dem Krieg nach Lourdes pilgern will! 

Consuelo wird ihrer Religion immer treu bleiben, und die wird sie trösten in den Stunden des Bangens um ihren Mann wie in der Einsamkeit nach seinem Verschwinden 1944...

Das Mädchen wird als extrovertiertes, temperamentvolles Wesen beschrieben mit großem, unzähmbarem Ego und ebensolcher Redegewandtheit, aber auch früh schon von Asthma geplagt. Die salvadorianische Dichterin Claudia Lars, Schulgenossin Consuelos in Armenia, wird später sagen: 
"Ich muss zugeben, dass sie etwas ganz Besonderes war. Und anscheinend hat sie diese sehr seltene Sprachbegabung, die wie ein Feuer wärmte..."
Consuelo wächst auf in einem Land voller Erdbeben, Aberglauben sowie politischer und sozialer Extreme & Revolutionen, bevölkert mit Hellsehern & Magiern, die geheime Rezepte für Liebestränke oder unheilbringende Säfte kennen, aber auch ein Land von verblüffender Schönheit, immer wieder von Naturgewalten bedroht. Später wird sie von ihrer Geburt während eines dieser Erdbeben erzählen. In Europa wird sie demzufolge in den intellektuellen Kreisen immer als exotischer Emporkömmling betrachtet &  nicht wirklich für voll genommen werden.

In einer politisch relativ stabilen Lage des Landes kann Consuelo einer schulischen Ausbildung am "Instituto Central de Señoritas" nachgehen und mit achtzehn in einem von einer Französin geleiteten Institut ihr Diplom als Lehrerin ablegen.

Über das Leben der jungen Consuelo gibt es verschiedene Narrative: Einmal heißt es, ihr Vater habe sie wegen ihres Asthmas nach Kalifornien geschickt, ein anderes Mal sie sei in ein Institut der Ursulinen in San Francisco gekommen und habe dort aufgrund eines Stipendiums der salvadorianischen Regierung Englisch lernen können. Letzteres beschreibt auch ihr Biograf Paul Webster in seinem Buch.

In San Francisco lernt sie den mexikanischen Armeehauptmann Ricardo Cárdenas, zwei Jahre älter als sie, kennen und heiratet ihn nach Erreichen ihrer Volljährigkeit im Mai 1922 - offensichtlich ein Akt der Rebellion gegen die väterliche Autorität. Cárdenas soll dann bald bei einem Eisenbahnunfall umgekommen sein. Es wird aber auch erzählt, man habe sich scheiden lassen, was zur damaligen Zeit in den bürgerlich-katholischen Kreisen nicht nur in El Salavdor ein Stigma gewesen wäre. Und das habe Consuelo vermeiden wollen und seinen Tod bei der mexikanischen Revolution erfunden. Marie-Helene Carbonel wird bei ihren Recherchen für ihr 2010 erschienenes Buch "Consuelo de Saint Exupéry: Une mariée vêtue de noir" allerdings eine solche Scheidungsurkunde von 1925  finden.

Consuelo bildet sich erst einmal weiter fort u. a. an der Schule der Schönen Künste in San Francisco, dann in Mexiko-City, wo sie sich an der Juristischen Fakultät der Universität einschreibt. Die Jurisprudenz scheint sie nicht recht gefesselt zu haben, denn danach arbeitet sie zunächst als Journalistin. In dieser Funktion lernt sie den vierzigjährigen, liberalen, verheirateten José Vasconcelos, einer der bedeutendsten intellektuellen, kulturellen und politischen Persönlichkeiten der damaligen Zeit in Mexiko, kennen,  beginnt eine Liebesbeziehung mit ihm, und beschließt, endlich selbst irgendwie künstlerisch tätig zu werden. 

Consuelos zweiter Ehemann, Enrique Goméz Carillo, wird sie allerdings später als Füchsin charakterisieren, eine Füchsin, die meisterlich im überschwänglichen Fabulieren und im Männer-um-den-Finger-Wickeln ist - eine schmetterlingshafte Mythomanin, scheint es, die permanent ihre Biografie neu erfinden wird...

Von links nach rechts:
José Vasconcelos (1882-1959), Consuelo ( Foto ca. 1930 ),  Enrique Gómez Carrillo (1873 -1927 )
Doch noch ist es nicht so weit: Consuelo bleibt erst einmal bei Vasconcelos und folgt ihm nach Paris, als er dort ins Exil geht. Der tituliert sie wiederum als "tropische Scheherezade", schreibt allerdings später in seinen Memoiren, verärgert über die von ihr betriebene Trennung von ihm, sie habe die "Zunge einer Viper und das Lächeln einer Klapperschlange". Da wird männerseits auch ganz schön an einem Bild der femme fatale gearbeitet! 

Fakt ist, dass Consuelo eine melodiöse Stimme und ein angenehmes Äußeres hat, und dies, kombiniert mit der Fähigkeit, farbig und bildreich zu erzählen, fasziniert. In Paris hat sie bald Zugang zu den interessantesten intellektuell-künstlerischen Kreisen, lernt u.a. den italienischen Erotomanen Gabriele D'Annunzio kennen und den Belgier Maurice Maeterlinck, mit dessen Frau sie sich anfreundet.

Das Ehepaar Carillo
nach der Heirat in Nizza
(1926)
Während sie in der französischen Hauptstadt noch in der Beziehung zu dem Mexikaner ist, vorgeblich Literatur studiert, aber für die Presse arbeitet, lernt sie Enrique Gómez Carrillo kennen, einen guatemaltekischen Schriftsteller und Auslandskorrespondenten, der auch der diplomatische Vertreter Argentiniens in Paris ist, bekannt mit vielen Geistesgrößen der Zeit und der als wahrer womanizer gilt, aber letztendlich homosexuell ist. Berühmt ist er auch, weil er angeblich Mata Hari an die Franzosen verraten und eine Biografie über die Spionin geschrieben hat. 

Consuelo wird ihn, den fast dreißig Jahre Älteren, 1926 heiraten ( eine Urkunde findet sich dazu nicht, auch kein Standesamteintrag in Nizza ) und elf Monate später seine Witwe werden, als Carrillo an einer Gehirnblutung stirbt. Er hinterlässt ihr testamentarisch einiges an Vermögen an Grundbesitz, an Autorenrechten, an Zeitungen - und den Kontakt zu Künstlern mit spanischer Muttersprache wie Pablo Picasso, Salvador Dalí und Joan Miró.

"Consuelo war eine Verführerin. Sie war nicht nur eine hübsche, zierliche Frau, die Männer bezauberte, sie konnte aber auch mit ihnen reden", sagt die französische Schriftstellerin Marie-Hélène Carbonel in ihrem Buch "Consuelo de Saint Exupéry: Une mariée vêtue de noir". Es sei kein Zufall gewesen, dass sich für sie so viele intelligente und wichtige Männer interessiert haben.

1930 wird Consuelo, die junge Witwe von nunmehr dreißig Jahren, nach Buenos Aires reisen, wo sie beim dortigen Präsidenten um eine Witwenpension in Anerkennung der diplomatischen Verdienste ihres  verstorbenen Mannes nachsuchen will. Auf einer Party lernt sie den nahezu gleichaltrigen Antoine de Saint Exupéry kennen.

Antoine Marie Jean-Baptiste Roger, Graf de Saint Exupéry
kommt am 29. Juni 1900 in Lyon als Sproß einer alten Adelsfamilie mit okzitanisch-provençalischen Wurzeln zur Welt. Er ist noch keine vier Jahre alt, als sein Vater nach einem Schlaganfall stirbt. Die Tante seiner Mutter nimmt die vaterlose Familie in ihrem Schloss Saint-Maurice-de-Rémens im ostfranzösischen Département Ain auf. Dort verbringt Antoine einen Teil seiner Jugend, ebenso auf dem Schloss de la Môle seiner Großmutter - alles verarmter Adel mit mehr oder weniger verlotterten Schlössern. Der Junge hat eine enge Bindung an seine Mutter und liebt das Fliegen. Als er sein Abitur 1917 ablegt, stirbt sein Bruder. Er fällt durch die Prüfung der Marineschule, vertreibt die Zeit als Gasthörer für Architektur. 1921 wird Saint Exupéry zum Militärdienst eingezogen und kommt zum 2. Jagdflieger-Regiment in Neuhof bei Straßburg, wo er Flugstunden erhält. Melancholisch und undiszipliniert, wird für ihn das Fliegen praktisch eine Schule der Disziplin. Und er beginnt zu schreiben. Die Verbindung zwischen Schreiben und Fliegen ist für die damalige Literatur ein relativ neues Terrain. So findet er in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auch Zugang zu den literarischen Zirkeln der Pariser Bohème. In Buenos Aires ist er, um als Direktor der Fluggesellschaft Aeroposta Argentina die Andenroute bis Patagonien für den Postflug zu organisieren.

1930
In diesem September 1930 in Buenos Aires also stellt der damals sehr bekannte Schriftsteller Benjamin Crémieux, den die junge Frau auf dem Ozeandampfer kennengelernt hat, bei einem Empfang der "Alliance Française" Saint Exupéry die zierliche, mit einer außerordentlich erotischen Ausstrahlung ausgestattete Lateinamerikanerin vor. 

Saint Exupéry, nicht wissend, dass sie perfekt Französisch versteht, macht ein paar Bemerkungen über ihre geringe Körpergröße - er selbst ist zwei Meter groß. Zwecks Wiedergutmachung lädt er sie und die ganze Gesellschaft zu einem Flug über die Stadt ein. Während des Fluges bittet er sie, ihn zu küssen, was sie mit den Worten "In meinem Land küsst man nur Menschen, die man liebt" abtut. Er glaubt, sie fände ihn zu hässlich und droht, das Flugzeug in den Río de la Plata stürzen zu lassen. Als Consuelo Tränen in seinen Augen entdeckt, küsst sie ihn auf die Wange und zerstreut sein Gefühl der Hässlichkeit.

Zusammen wirken sie, meint der Pariser Drehbuchautor Henri Jeanson "als wären sie einem Zeichentrickfilm von Walt Disney entlaufen. Saint-Ex hatte in seinem engen Doppelreiher-Anzug, der Falten warf, und den er verkehrt herum zuknöpfte, nicht den geringsten Sinn für Eleganz." Consuelo, 1,62 Meter groß, weiß hingegen sich auch optisch in Szene zu setzen und hat oft Modell gestanden für die Modefotos in den Magazinen ihres Mannes Gómez Carillo.

Saint Exupéry hofft, endlich die Frau gefunden zu haben, die länger als einen Abend lang seine Arbeitsroutine und seine Anflüge von Depressionen aufzuheitern mag. Aus dem Rausch der ersten Begegnung wird schnell eine heftige Leidenschaft. Nicht weniger schnell kommt aber auch eine erste Ernüchterung. Der 30jährige will Consuelo nach dem Bild seiner Mutter zur "Dienerin ihres Herrn in reinster christlicher Tradition" umformen:

Dazu Consuelo: Antoine sei "der anbetungswürdigste aller Kavaliere, aber auch der tyrannischste... Ich glaube, er betrachtete mich buchstäblich als sein Eigentum. Sobald er auf der Bildfläche erschien, musste ich alles stehen und liegen lassen und ihm folgen..."

Zurück in Paris, wo sie gemeinsam in ihrer ererbten Wohnung in der Rue de Castellane im 8. Arrondissement leben, dem schicken Viertel um die Avenue des Champs Elysées, zögert sie, den Heiratsantrag, noch in Argentinien gestellt, zu bejahen. Dort hat er ihr u.a. ein persönlich gewidmetes Exemplar seines Buches "Südkurier" mit einem achtzigseitigen Brief zugesteckt, der praktisch der erste Entwurf für sein Buch "Nachtflug" ist, und sich als "ihr Verlobter" bezeichnet.

Mit ihrer Schwiegermutter

Mit einer erneuten Heirat müsste die junge Frau auf ihre großzügige Rente verzichten, und seine Freunde und Verwandte misstrauen ihr ohnehin zu viel. Antoines Chef Didier Daurat nennt sie ein "frivoles Plappermäulchen". Und der berühmte André Gide, Freund der Familie, fällt ein negatives Urteil: "Aus Argentinien hat er ein neues Buch und eine Verlobte mitgebracht. Das eine gelesen, die andere gesehen. Ich habe ihn sehr beglückwünscht; jedoch vor allem zum Buch." ( Consuelo weiß ihm allerdings gut zu kontern. )

Und dann die Familie, dieses alte Landadelsgeschlecht! Das hat dem Ältesten eigentlich ein Mädchen aus ebensolchem Hause, mit ähnlicher Erziehung und tadellosem Ruf zugedacht, und nicht eine "Schlampe", wie Antoines ältere Schwester Simone es formuliert, die die temperamentvolle "Lateinamerikanerin mit dem Schmachtblick" nie akzeptieren, sondern wahlweise als "Luder", "Usurpatorin" oder "Hexe" schmähen wird. Nur Mutter Marie, geborene Baronesse Boyer de Fonscolombe, lässt sich auf die Entscheidung ihres Sohnes letztendlich ein, so wie damals auf seine Flugstunden in Straßburg.

Hochzeitsfoto
(1932)

Als Antoine und Consuelo am 12. April 1932 in der Privatkapelle des Schlosses Agay, dem Wohnsitz von Antoines Schwester Gabrielle im Esterelmassiv, hoch über dem Meer, getraut werden, trägt die Braut Schwarz. Warum, ist sie doch seit fünf Jahren verwitwet? Ihre Familie in El Salvador vermutet, dass sie damit die Legitimität ihrer Ehe mit Gómez Carillo  unterstreichen will. 

Auffallend ist, dass Consuelo auf keinem der Hochzeitsfotos zu lächeln vermag. Ihr scheint bewusst, dass sie in der Familie bestenfalls toleriert wird und ihr keineswegs eine rosige Zukunft an der Seite eines Grafen und erfolgreichen Schriftstellers bevorsteht, wird sie dessen Einkünfte doch mit den Ansprüchen der Familie teilen müssen.

Dabei hat es zunächst so gut angefangen, nachdem sie gemeinsam in das luxuriöse, von Gómez Carillo ererbte Domizil in Cimiez, "El Mirador", gezogen sind. Dort, in der Bibliothek des literarisch so erfolgreichen Vorgängers, verfasst er in nur acht Wochen seinen ersten großen Bucherfolg "Nachtflug". Über Consuelos Einfluss auf das Buch kann nur spekuliert werden: Es heißt, der Titel sei ihre Erfindung, und sie habe auf die Verdichtung des ursprünglichen Textes eingewirkt. Es scheint auch so, dass ihre moralische Unterstützung & hellsichtige Kritik in ihm die Gewissheit über seine Begabung habe wachsen lassen.

Schon einen Monat nach der Heirat lässt sich Saint Exupéry wieder von Aéropostale als Pilot anheuern. Consuelo stürzt das in Verzweiflung, einmal aus Sorge um sein Leib & Leben, zum anderen, weil er wieder mit seiner literarischen Laufbahn bricht: "Manche Leute sagen mir, ich habe einen berühmten Mann geheiratet. Aber ich habe einen Piloten geheiratet, der ein berühmter Autor geworden ist." Kaum ist ihr Mann aus beruflichen Gründen in Toulouse, schreibt er ihr:

"Ich kann nicht ohne Sie leben. Ich werde Sie zu mir holen. Goldfeder, sie sind die anbetungswürdigste Frau der Welt - eine Fee... Man müsste ein Quetzal sein, um sie richtig zu verstehen, um entzückt über diese kleine, wilde Seele zu staunen...."

Es gelingt ihnen nicht, nun erst einmal in Casablanca, ein neues Zuhause zu schaffen. Es folgt ein ständiges Hin und Her, glücklich sind sie weder miteinander noch ohne einander. Consuelo – manchmal naiv, oft egoistisch und immer temperamentvoll – bricht in Schreianfälle aus ( ein Bekannter titelt sie "fleischgewordener Surrealismus" ), und ein Außenstehender müsste sich fragen, was die Liebenden eigentlich aneinander bindet:  

Da ist einmal das Kind, welches sie ineinander wachzurufen vermögen, ihr gemeinsamer Sinn für märchenhafte, magische Erzählungen. Er tauft sie "Goldfeder", "Pimpinelle", sie nennt ihn "fliegender Ritter" oder "mein Baum". Andererseits verbindet sie auch eine Art Mutter-Sohn-Bindung: Kann er nicht schlafen, bringt sie ihm ein Glas Milch und erzählt ihm indianische Geschichten von Schlangen und Bienen, Sternen und Planeten, die sie aus ihrer Kindheit kennt. 

Ihn rührt sie, weil sie so zerbrechlich, so klein, einerseits so unerträglich ist, um ihn dann andererseits immer wieder zu überraschen, zu faszinieren. Er bete sie an, findet der bereits oben erwähnte Henri Jeanson  Und sie bleibt seine Zuflucht. Für ihn da, immer auf ihn wartend, egal, ob er in der Luft ist oder bei anderen Frauen. Für sie ist er der Mann ihres Lebens, ihr Tun gilt dem Ziel, seine Melancholie, seine Selbstzweifel zu stabilisieren.

Finanzielle Sorgen belasten schon bald die Beziehung: Consuelo muss "El Mirador" verkaufen, um Schadenersatzansprüche nach einem von ihr verursachten Unfall zu bezahlen. Auch das Schloss seiner Mutter, in dem er seine Kindheit verbracht hat, immer auch von Antoine alimentiert, muss an die Stadt Lyon veräußert werden. Schon 1934 verliert er seine Stelle als Pilot, nachdem er bei einem Einsatz beinah ertrunken ist. Es ist das Jahr, indem sie auch ihre schöne Wohnung aufgeben und in eine kleinere in der Rue de Chanaleilles umziehen müssen.

Er beginnt eine Affäre mit der wohlhabenden Industriellentochter Nelly de Vogüé. Sie verkörpert das absolute Gegenteil von Consuelo, nicht nur dem Äußern nach: Groß gewachsen, blond, zielstrebig, hoch gebildet. Nelly wird ihn bemuttern und finanziell unterstützen ( sie wird später auch seine Emigration nach New York organisieren ). Er sieht sie wohl nun eher als seine Ehefrau dazu befähigt, ihn in jeder Tages- & Nachtzeit aus seinen Geldnöten und Depressionen zu erlösen, "während Consuelos Ruf ins Lächerliche umkippt", so Paul Webster.

Der Journalist Michel Georges-Michel, der bekannt geworden ist durch ein Buch über Amadeo Modigliani & seine Geliebte Jeanne Hébuterne lanciert einen Roman mit dem Titel "Le Baiser à Consuelo", der doch recht offensichtlich das Ehepaar Saint Exupéry als Protagonisten hat und eine Liaison der Frau mit einem deutschen Pressekorrespondenten schildert und ihren Pilotenehemann als schwach und naiv, was Antoine wohl - verständlicherweise - besonders schmerzt.

Weder als Literat noch als Pilot ist er zu dieser Zeit besonders erfolgreich. Und Consuelo wird immer öfter von ihren Asthmaattacken gebeutelt...

Nach der Rückkehr
von seinem Absturz in der Wüste

Als Saint Exupéry Silvester 1935 beim Versuch, den Flugrekord Paris-Saigon zu brechen, in der Sahara abstürzt, tagelang als verschollen gilt und später von Beduinen gerettet wird, fliegt Consuelo nach Kairo, um ihn heimzuholen. Da ist Nelly schon bei ihm im Hotelzimmer. 

Zu Hause in Paris findet sie Antoines Liebesbriefe an Nelly, in denen er ihr schwört, ihr "bis ans Ende der Welt" zu folgen. Consuelo landet in einer Nervenklinik in der Schweiz, droht mit Scheidung. Freunde und Familie halten das Aus für die Ehe gekommen, werden über ihr weiteres Fortdauern rätseln. Schwierig ist, dass die französischen Zeitungen ausführlich über alles berichten, da Saint Exupéry sich mit "Südkurier" und "Nachtflug" längst einen Namen gemacht hat und eine öffentliche Figur geworden ist.

"Unsere Ehe, die auf dem Sand Afrikas errichtet war, funktioniert auf dem allzu glatten Asphalt in Paris nicht mehr. Alles dort war platt, grau, glatt. Um diese Melancholie zu verzieren und zu verschönern, brauchte man Tränen, Champagner, Lügen und Untreue..."

Nach dieser Episode zieht das Paar zunächst in das Hotel "Lutétia" in getrennte Zimmer, dann in getrennte Wohnungen am Place Vauban. Weitere andere Wohnungen werden folgen. Consuelo führt immer mehr allein ihr eigenes Leben, verkehrt in den Kreisen der Surrealisten. Dort lernt sie über André Breton den Fotografen Man Ray ( siehe auch dieser Post ) kennen, der 1937 u.a. eine ganze Serie von ihr aufnimmt:







Sie konzipiert & moderiert eine Radiosendung für spanische Migranten in Paris, er schreibt an seinem dritten Buch "Terre des hommes" ( dt. "Wind, Sand, Sterne" ). Als ihm später dafür der Preis der Académie française verliehen wird, nimmt er ihn mit Consuelo entgegen, verschwindet aber von der Feier, um den Abend mit Nelly zu begehen.

Und er plant einen neuen Langstreckenflug, um den Rekord New York-Feuerland zu brechen. Das viersitzige Reiseflugzeug der Marke "Simoun" dafür wird ihm von Nelly de Vogüé finanziert. Und er stürzt wieder ab. Zweiunddreißig Knochenbrüche heißt es auf dem Telegramm, dass Consuelo auf dem Schiff in Richtung Guatemala erhält. Sie kann ihre Dampferfahrt unterbrechen, um ihn im Hospital aufzusuchen und gerade noch verhindern, dass man ihm die rechte Hand amputiert. Nachdem er einigermaßen wiederhergestellt ist, reisen sie gemeinsam in ihre Heimat, um ihre Familie zu besuchen und Land & Leute ( die Vulkane! ) kennenzulernen. Anschließend übernimmt wieder Nelly das Regiment und schafft ihn nach New York zur Weiterbehandlung. Consuelo gesteht ihrer Freundin Suzanne Werth, sie sei  "in tausend Stücke zerbrochen".

1939
1939 beginnen sie in komplizierten Versuchen, ihrer beider Leben irgendwie wieder zusammenzukitten und zu organisieren. Saint Exupéry mietet im Juli für Consuelo "La Feuilleraie", ein Lustschlösschen in Varennes-Jarcy im Fôret de Sénart. Er selbst zieht in eine Wohnung am Bois de Boulogne, nur ein paar Schritte von Nellys Wohnsitz entfernt. Ihre Geldprobleme haben sich durch ein phänomenales Angebot für "Wind, Sand, Sterne" durch einen amerikanischen Verlag ein wenig gelöst. Doch dann bricht der Krieg aus...

Trotz seines bedenklichen Gesundheitszeugnisses erreicht der Schriftsteller mit Hilfe eines Generals eingezogen und als Pilot einer Fernaufklärertruppe zugeteilt zu werden. Sein Einsatz bringt ihm später einen Verdienstorden ein und die Idee für "Flug nach Arras". Consuelo hält er auf Abstand, als sie ihn besuchen will.

Doch als die Eroberung von Paris durch die Deutschen ansteht, eilt er nach "La Feuillleraie",  um ihr noch zu helfen, ihr Auto zu beladen, bevor sie sich dem Exodus nach Süden anschließt. Sie werden sich erst im November 1941 wiedersehen.

Oppède-le-Vieux
Saint Exupery wird nach dem Sieg der Deutschen demobilisiert, Consuelo irrt erst einmal in Frankreichs Süden umher. Im Dezember 1940 geht er ins Exil nach New York, sie findet schließlich, auch mit Hilfe des legendären Journalisten Varian Fry, der so vielen deutschen Exilanten den Weg nach Amerika ebnet, in einer Gemeinschaft von Künstlern & Architekten in dem leicht düster wirkenden, dennoch pittoresken, fast verlassenen Oppède-le-Vieux im Luberon-Massiv in der Provence Unterschlupf. 

Sie wird sich später an diese Zeit als eine der schönsten in ihrem Leben erinnern und darüber ein Buch veröffentlichen. Die sonst so zerbrechlich wirkende Consuelo meistert dort ihr Leben bemerkenswert tüchtig als Älteste der winzigen Truppe unter der Leitung des Architekten Bernard Zehrfuss, der sich der Résistance angeschlossen hat. Nach dem Krieg wird Consuelo ein Verhältnis mit dem jüngeren Zehrfuss angedichtet werden.

Gerne übernimmt sie in Oppède neben alltagspraktischen Aufgaben und künstlerischen Aktivitäten wieder einmal die Rolle der Erzählerin. Passagen aus ihrem späteren Buch erinnern in ihrem barocken, biblischen Stil solchen in "Stadt der Wüste" ihres Mannes und es bleibt bis heute unklar, wer da bei wem abgekupfert hat. Sie wird immer wieder erfahren als charmante Geschichtenerzählerin, die mit anschaulichen Beschreibungen glänzt ( "Sie hatte das Gesicht eines Regenschirms" - so ein Seitenhieb auf eine mutmaßliche Rivalin ). 

Mittlerweile ist Antoine de Saint Exupéry nach anfänglicher Euphorie ein arbeitsloser Held, der auf viel Misstrauen in der New Yorker Exilgemeinde wegen seines Umgangs mit der Vichy-Regierung stößt. Besonders André Breton setzt ihm zu. Eine Affäre mit der Amerikanerin Silvia Hamilton-Reinhardt und die Anwesenheit Nellys scheinen ihn nicht aufheitern zu können bzw. zum Schreiben zu animieren. In seinen Briefen beteuert er immer wieder, wie wichtig Consuelo ihm ist: "...ich bin durch das Ehegelübde mit dir verbunden." Doch die bleibt vorläufig in der Provence. Dann verfasst er binnen fünf Monaten "Flug nach Arras", ist entsprechend erschöpft und schickt ein Telegramm. Diesmal zögert Consuelo nicht mehr: Am 6. November 1941 trifft sie in New York ein. 

In New York
(1942)

Dort geht es allerdings weiter wie zuletzt in ihrem Eheleben: Sie logieren zwar im selben Haus, aber nicht auf derselben Etage. Sie ist enttäuscht und nimmt Kontakt zu den in der Stadt weilenden Surrealisten Dalí & Miró auf sowie dem Ehepaar Maeterlinck. Zu ihrem Umgang gehören auch Max Ernst und der ihrem Mann nicht wohlgesonnene Breton. Einer der wenigen Menschen, mit dem beide gut können, ist der Schweizer Philosoph & Schriftsteller Denis de Rougemont

Saint Exupéry "steckt in einem Wirbelsturm an Aktivitäten", so Webster, und erwartet Consuelos Begleitung dabei, die aber seinen Ansprüchen nicht nachkommen mag. Sie bekommt seine ständigen Damenbesuche mit und fühlt sich wie 

"eine Königin, der man zwar ihren Titel gelassen, die man aber aufs Abstellgleis geschoben hatte. Und all diese weißen Tischtücher, dieser Luxus und die Lichter der Wolkenkratzer waren mir unerträglich. Ich sehnte mich nur noch nach einem: einer Schulter, an der ich hätte schlafen können."

Im Sommer 1942 findet Consuelo ein kleines Häuschen in Westpoint/ Connecticut zur Miete. Fern von den anderen Exilanten findet das Paar zu einem Frieden und einer Vertrautheit zurück, die es schon lange nicht mehr gekannt hat. Im September ziehen sie dann in das Anwesen "Bevin House" in Northport auf Long Island, zwei Stunden von New York entfernt. Antoine ist begeistert von der Lage auf einer Felszunge, umgeben von Lagunen. Dennoch hält er sich nun viel im Haus auf, um an seiner "Kindergeschichte" zu schreiben und zu aquarellieren. Consuelo ist wohl die aufmerksame Ehefrau wie damals zu Beginn an der Côte d'Azur. Besucher erleben u.a., wie sie sich mitten in der Nacht wecken lässt, um ihrem Mann Rührei zu machen. Sie malt wieder, während er am Schreibtisch sitzt. "Ah, der Frieden von Northporth! Das Leben war wieder schön!", schreibt Consuelo.

In diesen Tagen entsteht "Der kleine Prinz", in dem Consuelo als seine geliebte Rose verewigt wird, die zu stolz und dornig ist, um ihren Schmerz über sein Weggehen zuzugeben.

Dass sich hinter der Rose des kleinen Prinzen Consuelo verbirgt, ist heute relativ unstrittig. Schon ein Brief Antoines an seine Frau erhellt dies. Heisst es darin: "Du weisst, dass du die Rose bist. Ich habe vielleicht nicht immer gut für dich gesorgt, doch ich habe dich immer hübsch gefunden." Auch der Verleger Robert Tenger, der Consuelos "Oppède" herausbringen wird, ist sich sicher, dass ihn Consuelo zu seinem Buch inspiriert hat. Er hat viel Zeit mit dem Paar im Exil verbracht. Ein Freund Antoines wiederum, der Schriftsteller Louis Deleas, vermeint beim Lesen der Erzählung, einem Gespräch zwischen den Eheleuten beizuwohnen. Schließlich berichtet auch Marie-Madeleine Mast, die Frau des Generalresidenten Tunesiens, von einem Abendessen mit Antoine im Jahre 1943: "Die einzige Rose, so sagte er uns, sei seine Frau. Er sei für sie verantwortlich und habe nur sie." Selbst Schwester Simone, die ihre Schwägerin mit ihrem überheblichen Spott gequält hat, bestätigt in ihren Memoiren: "Sie war die Rose des Prinzen."

1943
Es finden sich auch andere Motive in der Erzählung, in denen Consuelo allgegenwärtig ist, nicht nur als Rose: Die Vulkanlandschaft seines Planeten ist eine Anspielung auf ihre Heimat El Salvador, sie ist der Fuchs, der gezähmt werden will, sie ist die rätselhafte Schlange. Und das Blumenfeld, das den kleinen Prinzen so sehr zweifeln lässt, sind ihre zahlreichen Liebeleien. Der gemeinsame Freund Denis de Rougemont findet "mir scheint, das ist das Schönste, was er bisher geschrieben hat."

Antoine de Saint-Exupéry - den Bindestrich im Namen nimmt er den Amerikanern zuliebe an - will die Erzählung seiner Frau widmen. Sie aber drängt ihn, das Buch seinem jüdischen Freund Léon Werth zuzueignen. Es erscheint kurz vor der Abreise des Schriftstellers, der sich nun erneut dem Kampf der Alliierten in Europa anschließen will. Seine Haltung & seine politischen Äußerungen sind in der französischen Exilantengemeinde mehr als umstritten und bleiben nicht unwidersprochen und isolieren das Paar. Er will sich "geläutert fühlen...in diesem merkwürdigen Krieg". Consuelo weiß, dass sie diesem, seinem Wunsch nach Erlösung nichts mehr entgegensetzen kann.

Sie scheint das Vorhaben ihres Mannes, als Pilot in diesen Krieg zurückzukehren, mit ( gespielter ) Gleichgültigkeit abzutun. Insgeheim hat sie wohl seine Haltung, seinen Mut bewundert, aber nachvollziehbarerweise auch Angst, ihn zu verlieren. Bevor er Mitte Mai 1943 in New York in ein amerikanisches U-Boot steigt, das ihn an die Kriegsschauplätze Europas bringen soll, hat er Consuelo ein Gebet übereignet, mit dem sie sich "chaque soir" an den Herrn wenden soll:

"Herr, mache mich stets dem ähnlich, wie mein Mann mich sieht ... Herr, rette meinen Mann, weil er mich wirklich liebt ... Hilf mir, treu zu sein und nicht auf die zu hören, die ihn verachten. Schütze, Herr, unser Haus. Amen." 

Er verspricht ihr, aus dem Krieg zurückzukehren und eine Fortsetzung des kleinen Prinzen zu schreiben, in der sie die Prinzessin seiner Träume sein werde. Sie gibt ihm ein Foto mit, aufgenommen in ihrer letzten New Yorker Bleibe mit der Widmung "Verlier mich nicht! Verlier dich nicht! Bis bald!"

Zum 1. August 1943 wird er tatsächlich wieder in den Kriegsdienst aufgenommen, obwohl sein ganzer körperlicher Zustand das nicht wirklich zulässt. In der Zwischenzeit überschüttet er sie mit brieflichen Liebesbeweisen und versichert, seine Beziehung zu Nelly de Vogüé sei beendet ( obwohl er die zwecks Aufmunterung seiner depressiven Stimmung nach Nordafrika bittet, was diese auch prompt tut ). Consuelo telegrafiert ihm 1944 einmal:

Das im Meer gefundene Armband Antoines de Saint Exupéry
"Du bist meine einzige Musik. Zwei Monate ohne Brief von Dir. Dein Schweigen bringt mich um. Mein einziger Horizont ist unsere Liebe und Deine Arbeit. Flehe dich an, Deinen großen Roman zu beginnen."

Am 31. Juli 1944 verliert sich schließlich seine Spur bei einem Aufklärungsflug über Frankreichs Süden. Dass er in den Fluten des Mittelmeeres versunken ist, wird erst 2000 aufgeklärt werden. Am Handgelenk hat er ein Armband getragen mit einer Plakette, auf der beider Namen steht. Das wird 1998 ein Fischer als "Beifang" aus seinem Netz entwirren. 

Consuelo schreibt währenddessen unermüdlich Briefe, die sie nicht abschickt. Sie scheint aber zu wissen, was auf sie zukommt. Als die Tantiemen aus dem Verlag Gallimard blockiert sind, muss sie die New Yorker Wohnung für ein möbliertes Zimmer aufgeben, arbeitet als Schaufenstergestalterin bei Bloomingsdale's und malt mehr denn je und vollendet ihre Erzählung "Oppède". Wenige Freunde, darunter Denis de Rougemont, unterstützen sie. Auch wendet sie sich stärker der Religion zu. Sie glaubt an den Mythos, dass Liebespaare über Jahrhunderte & Kontinente hinweg sich austauschen können. Zwischen ihr und der Liebe ihres Lebens steht nun die Ewigkeit.

Nach Kriegsende reist sie nach El Salvador, wo inzwischen ihr Ruf ans Legendäre grenzt. Ihr wird in der dortigen Presse angedichtet, dass der sagenumwobene Rodolfo Valentino ihr verfallen gewesen sei. Auch die alte Geschichte mit d'Annunzio wird aufgewärmt. 

Bleiben mag sie in ihrer Heimat nicht. Im Frühjahr 1946 kehrt die 45jährige nach Frankreich zurück. Ihre Lage dort ist trostlos, hat sie doch keine Wohnung, und die französische Regierung verweigert ihr die Witwenrente. Der Verleger Gallimard springt schließlich ein, weiß da aber noch nicht, dass "Der kleine Prinz" das einträglichste Buch seines Verlages sein wird.

Während ihr Mann in Frankreich nunmehr verherrlicht, idealisiert, zur Legende - oder noch viel mehr: zum Säulenheiligen des Landes - aufsteigt, schreibt Consuelo zunächst per Hand, dann mit Schreibmaschine auf Durchschlagpapier ihre Erinnerungen an die dreizehn Jahre mit Antoine auf. Eine Chance, die zu veröffentlichen, hat sie nicht. Ein kritischer Blick ist nicht erwünscht. Das Bild von Saint-Ex wird bestimmt von einer Biografie eines Pierre Chevriers, die 1949 erscheint. Dass hinter dem Pseudonym ihre Konkurrentin Nelly de Vogüés steckt, ahnt Consuelo nicht. In dieser Publikation wird nur in drei Zeilen erwähnt, dass Saint-Exupéry Consuelo Suncin geheiratet hat... 

Die konzentriert sich zunächst auf Ausstellungen ihrer Werke, wie 1948, von ihrer Freundin Madeleine Goisot in der Galerie Breteau organisiert.

1950er Jahre
Fünf Jahre nach seinem Verschwinden lassen seine Erben Briefe von ihm versteigern, die größtenteils von Nelly de Vogüés erworben werden, die damit bestimmen kann, welches Bild von der Ehefrau des legendären Autors gezeichnet wird ( es erinnert an das Schicksal Lotte Zweigs und ein wenig auch an das der Nelly Mann ). Doch so zerbrechlich Consuelo immer wahrgenommen wird - die Prozesse mit der Vogüés um das literarische Erbe zieht sie durch, später auch mit von Gallimard bezahlten guten Anwälten. 

Immerhin entzieht ihr vonseiten der Familie ihre Schwiegermutter Marie de Saint Exupéry nicht den Rückhalt. Mit ihr wird sie Schulen, Museen und öffentliche Einrichtungen auf seinen Namen taufen. Marie wird sie auch in Zukunft bis zu ihrem Tod 1972 in ihrem Haus bei Grasse besuchen, welches Consuelo erwerben wird. Mit dem Rest der Familie wird es hingegen juristische Auseinandersetzungen geben. Diese Tatsache und immer wieder aufflammende Kampagnen, die sie als flatterhaft und oberflächlich beschreiben und ihre Eskapaden schildern, schaden nicht dem Ansehen des Autorenidols, aber seiner Frau. Das ändert sich auch nach einer weiteren Saint-Exupéry-Biografie von Marcel Migeo 1958 kaum.

1975

Seit den späten 1950er Jahren modelliert sie bis zu ihrem Tod Büsten ihres Mannes und pflegt mit Vorträgen sein Ansehen. Dabei ist Consuelo körperlich sehr angeschlagen aufgrund ihres Asthmaleidens, das sie immer wieder durch Kuren in Italien zu lindern versucht.

1967 reist sie noch einmal nach Mittelamerika, um an einer symbolischen Zeremonie zu Ehren ihres zweiten Ehemannes teilzunehmen, 1973 dann besucht sie noch einmal ihre Familie in El Salvador. 

Im Alter verschlimmern sich ihre Atembeschwerden zusehends. Am 28. Mai 1979 stirbt sie in Grasse nach einer schweren Asthmaattacke mit 78 Jahren. Bestattet wird sie neben ihrem zweiten Ehemann auf dem Cimetière du Père-Lachaise in Paris.

Für die anhaltenden Spannungen mit der Familie Saint-Exupéry rächt sie sich mit einem Testament, in dem sie ihre Wohnung in Paris, ihre Landhaus in Grasse und ein halbes Dutzend riesiger Überseekoffer, vollgestopft mit Papieren, Bildern, Fotografien, die sie 1946 aus Amerika nach Frankreich mitgebracht hat, sowie die Hälfte der Lizenzrechte ihrem langjährigen Sekretär & Chauffeur José Martínez Fructuoso vermacht. 

Als der sich daranmacht, die Koffer zu sichten, findet er die nach dem Verschwinden des französischen Nationalhelden verfassten Erinnerungen Consuelos und publiziert sie mit Unterstützung des Saint-Exupéry-Biografen & Literaturwissenschaftler Alain Vircondelet 2000 zum hundertsten Geburtstag des Schriftstellers unter dem Titel "Mémoires de la Rose". Just in diesem Jahr werden auf dem Meeresgrund bei der Île de Riou Wrackteile der abgestürzten Maschine Saint-Exupérys gefunden ( am 7. April 2004 wird der Flieger anhand einer Seriennummer auch formell identifiziert ).

Consuelo de Saint Exupery: "Tropic"
(1964)
Das Buch wird ein Riesenerfolg und in 27 Sprachen übersetzt. Später kommen noch die "Sonntagsbriefe" heraus. Plötzlich können die Anhänger des "Petit prince" nicht mehr umhin wahrzunehmen, dass sein Autor auch eine Frau gehabt hat.

Im Jahr 2008 verklagt die Familie Saint-Exupéry José Martínez Fructuoso erfolgreich, weil er ohne ihre Erlaubnis das Buch veröffentlicht hat. Sechs Jahre später verklagt dieser sie - ebenso erfolgreich - und verlangt, dass sie ihm einen Anteil an den Einnahmen aus einer Cartoon-Version des Buches zahlen.

Nach einem "fruchtlosen 18-jährigen Rechtskrieg" teilt der französische Verlag Gallimard 2021 in einer Pressemitteilung mit, dass die rivalisierenden Erben einem versöhnenden gemeinsamen Projekt zugestimmt haben, nämlich der Veröffentlichung der Liebesbriefe des Paares. Bei uns ist dieses Buch "Der Prinz und die Rose. Briefwechsel 1930 – 1945" im letzten Jahr herausgekommen.

Uff! Aber wenn es um viel Geld geht:

"Der kleine Prinz" gilt als das am meisten gedruckte Buch nach der Bibel und ist in mehr als 120 Sprachen, sogar in deutsche Dialekte, übersetzt. 200 Millionen Exemplare sind bisher auf der ganzen Welt verkauft worden, allein in Frankreich jährlich 400 000. An den Autorenrechten verdienen die Erben noch immer schätzungsweise fünf bis zehn Millionen Euros im Jahr. Die wahre Zahl wird wie ein Geheimnis gehütet, denn "die Familie", so ein Sprecher des Verlags Gallimard, "ist sehr empfindlich".

Für mich war das mal wieder eine spannende Recherche, die mich lange, bis in den Halbschlaf beschäftigt hat. Sie hat mir, die dieses "Man sieht nur mit dem Herzen gut" inzwischen fast nur noch als Plattitüde wahrnehmen kann, mal wieder deutlich gemacht, dass frau keine Männer ( Frauen im übrigen auch nicht ) auf 'nen Sockel stellen, sondern sie wie Menschen mit allen Vorzügen & Schwächen sein lassen & wahrnehmen soll, auch wenn sie noch so viel Einfluss & Wirkmacht haben...



2 Kommentare:

  1. Hl. Bimbam, was für ein Leben... Frau möchte nicht tauschen. So ein Hinundher... LG Hildegard

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  2. Ich wusste von Consuelo, aber viele dieser Details haben mich überrascht. Und schon bekommt man wieder einen ganz neuen Blick auf berühmte Literaten. Danke dir dafür.
    Liebe Grüße
    Andrea

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie weiterhin konsequent NICHT freischalten. ( Ausnahme: die amerikanische Gepflogenheit, nicht zu unterschreiben )

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