Montag, 27. April 2020

Leben zu Zeiten von Corona - mein Update

Andrea, die Zitronenfalterin, hat es letzten Mittwoch vorgemacht und ein Update zum "Leben zu Zeiten von Corona" gepostet. Das hat mich animiert, es ihr heute an dieser Stelle gleich zu tun und einmal den derzeitigen Stand der Dinge für mich und mein ganz persönliches Leben hier festzuhalten:



Überraschende Momente
Die Blumensträuße, die mir die jungen Floristinnen im Geschäft des Nachbarn zusammenstellen, ohne dass ich ihnen dreinrede. Jede Woche gebe ich einen fixen Geldbetrag und sie binden mir zwei Sträuße, einen für mich, einen für jemandem in der Nachbarschaft bzw. Veedel, dem ich irgendwie eine Freude machen will. Gleichzeitig möchte ich was zur Existenzsicherung des Ladens beitragen.  

Lustige Momente
Wenn ich mit meiner Schwester videotelefoniere und wir beide über unser schräges Aussehen lachen müssen. ( Ich bin von Herzen froh, dass wir uns wenigstens so sehen können, denn sie war ja schon acht Wochen vorher in Quarantäne, und ich konnte sie nicht besuchen. ) Auch über die meist morgendlichen Videos der beiden Enkelinnen in M. muss ich oft lachen, weil die Kleine mit ihren Einfällen immer ein bisschen das "Drehbuch" schmeißt.



Erfreuliche Momente
Nach wie vor: Wenn der Entlastungspfleger donnerstags den Einkaufswagen vor der Tür abstellt, ich ihn in die Küche rolle und auspacke, geht es mir wie als Kind an Weihnachten, wenn alles im Wagen ist, was ich mir gewünscht habe ( klappte am Anfang zur Zeit der Hamsterkäufe ja nicht immer ). Und eine zweite Freude ist das Gefühl, dass der Herr K. nicht wird hungern müssen.

Genüssliche Momente
Wenn ich nachts wach werde und nicht mehr so schnell einschlafen kann, genieße ich jetzt die absolute Stille in der Stadt. Keine Fedex-Bomber mehr auf dem Weg zum Flughafen, keine Tatütatas, keine Autos, keine lauten Zecher! Wenn jetzt noch die Grillen zirpten, dann würde ich mich in schönste Zeiten im Luberon zurückversetzt fühlen...


Nachdenkliche Momente
Als ich am 13. März vormittags mit der Tochter telefonierte und sie mir sagte, dass sie mit ihrer Familie nunmehr ganz im Haus bleibt und wir das bitte auch tun sollen, habe ich noch abgewehrt: Wird schon nicht so schlimm werden, bei uns doch grade acht Tote! 2009 ist es doch auch gut gegangen mit der Schweinegrippe, obwohl in meiner Schule und deren Umfeld etliche heftige Erkrankungen aufgetreten waren und deshalb strikte Hygienemaßnahmen eingehalten werden mussten ( von damals rühren auch meine derzeitigen Sterilium-Vorrräte her ). Und MERS hatte sich doch auf den Nahen Osten und Asien beschränken lassen. 

Ich muss zugeben, ich verhielt mich anfangs so, wie es die chinesische Autorin & Journalistin Xifan Yang  beschreibt: Als aufgeklärter und weltoffener Mensch neigte ich aus ehrenwerter Gegenwehr gegen den Corona-Rassismus dazu, die Gefahr des Virus zu unterschätzen und die Gefahr der Epidemie kleinzureden.

Inzwischen bin ich aus vielerlei Gründen eines Besseren belehrt worden. Und dieser sukzessive Zugewinn an Einsichten reißt bis heute nicht ab. Neue Erkenntnisse vor allem, was das Alter der Betroffenen anbelangt und die Spätfolgen der Infektion, wie z.B. Funktionsausfälle der Lunge mit Lungenhochdruck und anschließender Herzschwäche, Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems, Schlaganfälle nach einer Minderdurchblutung des Gehirns oder epileptische Anfälle. Die Forschung dazu steckt noch in den Kinderschuhen. Von Corona Genesene müssen aber ab sofort mit den so erworbenen gesundheitlichen Einschränkungen in ihrem Leben zurechtkommen. Selbst von Corona infizierte Ärzte bescheinigen, dass diese Infektion sehr viel unberechenbarer verläuft als die Grippe.

Den Kritikern des Lockdown sollte es in die Agenda geschrieben werden, dass es bisher noch nie gelungen ist, eine Impfung, egal gegen welches Corona-Virus auch immer, zu entwickeln. Man forscht seit 18 Jahren, derzeit laufen 60(!) Impfstoffprojekte weltweit! Außerdem weiß man von Infektionen mit den weniger gefährlichen Coronavirusarten, dass sich hier nur eine kurzzeitige Immunität von etwa ein bis zwei Jahren einstellt. Man kann also nach etwa zwei Jahren nach einer durchgemachten Coronavirus-Infektion wieder erneut mit demselben Erreger erkranken. Da wird also schon das Fell des Bären verteilt, bevor er erlegt ist! Von Therapiemöglichkeiten der akuten Erkrankung wollen wir mal gar nicht reden.

Ich kann ja verstehen, dass jemand in fortgeschrittenem Alter für sich entscheidet, ist mir egal, woran ich sterbe. Spätestens ab dem Moment, wo außenstehende Dritte, nämlich Ärzt*innen & Pfleger*innen, sich um so jemanden kümmern müssen, ist das höchst fragwürdig, ja egoistisch. Oder will man da sagen, die haben sich den Beruf mit diesen bedrohlichen Bedingungen ja doch selbst ausgesucht? Die Freiheit des Individuums hat unter der Prämisse einer Pandemie ihre Grenzen, finde ich.

Und noch was: Für dieses globale Ereignis kennt keiner den Königsweg, Fehler sind da einfach nicht zu vermeiden. Bei allem, was man tut, weiß man erst nach zwei, drei Wochen, ob  es richtig oder falsch war. Und je mehr man zur gleichen Zeit tut, desto schwieriger wird die Einschätzung, was davon für die eventuelle Zunahme an Neuinfektionen verantwortlich ist. Ein weiteres Lavieren und Probieren wird also unausweichlich sein. Aber Achtung: eine positive Deutung von Ereignissen führt auch leicht zu einer sich selbst verstärkenden Dummheit.





Traurige Momente
Eigentlich hatte ich nur kurz geschluckt, als klar wurde, dass das gemeinsame Osterfest mit den Enkelinnen in M. nicht stattfinden wird. Auch Ostern selbst brachte ich selbstbewusst und lässig über die Bühne. Aber letzte Woche, nachdem ich wieder Fotos vom morgendlichen Ausflug auf den neben der Wohnung der Tochter liegenden Friedhof auf dem Handy hatte und gleichzeitig Blumengrüße von der Schwester, war es um mich geschehen: Tränen und eine fürs Erste nicht zu bändigende Trauer, weil ich alle so vermisse. "Someday we'll be together" hat mich schon in jungen Jahren wieder aufgerichtet, als ich vom Liebsten getrennt war. Den Versuch war es wert.

Neue Momente
Vor knapp einer Woche habe ich mich das erste Mal mit meiner selbstgenähten Maske auf Schleichpfaden zum Arzt meines Mannes auf unserer Haupteinkaufsstraße bewegt, um ein Rezept abzuholen und in der Apotheke zur Bestellung aufzugeben. Mehr als die Hälfte der Passanten war ohne Schutz unterwegs. Ich selbst fand das Tragen auch etwas unangenehm, weil ich darunter geschwitzt habe. Wie mag das für diejenigen sein, die den ganzen Tag damit arbeiten müssen?



Kulinarische Momente
Da andere für uns einkaufen, muss ich gut planen und habe deshalb einen wöchentlichen Speiseplan aufgesetzt. So was habe ich zuletzt gemacht, als wir hier in unserem Haus noch große Essen oder Feiern veranstaltet haben. Mit dem lukullisch arg geschätzten Spargel werden wir von der Schwägerin freitags versorgt, die auf einem kleinen Markt bei ihr um die Ecke beim Erzeuger einkauft und dann mit dem Fahrrad bei uns vorbeikommt. Einmal in der Woche bestellen wir Pizza bei unserm Nachbarn, um das Überleben unserer Veedelspizzeria zu sichern.

Was mir fehlt
... ist die Möglichkeit - abgesehen von den dreihundert Quadratmetern Stadtgarten, die wir glücklicherweise haben - in die Natur zu kommen, die ja momentan so besonders beeindruckend ist. Als wir vor genau zwei Jahren aus Klimaschutzgründen unser Auto aufgegeben haben, haben wir nie im Leben daran gedacht, dass das Benutzen Öffentlicher Verkehrsmittel einmal gesundheitsbedrohlich sein könnte. Und kommt mir jetzt keiner mit Radfahren - es hat Gründe, dass mein Gefährte, der sein ganzes Arbeitsleben lang immer mit dem Rad zu seinem Arbeitsplatz gefahren ist, selbiges nicht mehr nutzen kann!

Wenn in den anderen Blogs von den tollen Ausflügen geschwärmt wird, gibt mir das einen Stich. Ich kann mich höchstens damit trösten, dass ich dafür um die Ecke ein Krankenhaus habe mit derzeit freien Intensivbetten für schwere Fälle ( Stand Freitag ), wenn mich das Virus nun denn erwischen sollte...





Verlinkt mit dem Monatsthema der Zitronenfalterin