Freitag, 18. Januar 2019

70 Jahre Gleichheitsgrundsatz

 "Nicht auszuruhen, 
denn es ist noch nicht vollendet, 
was wir begonnen haben."

Minna Cauer, Frauenrechtlerin

Am 18. Januar 1949, also heute vor siebzig Jahren, hat der Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgelegt. 

Dem waren heftige Diskussionen voraus gegangen: Helene Weber und Helene Wessel, zwei der vier Frauen im Parlamentarischen Rat und Mitglieder im Grundsatzausschuss, wollten zuerst eine Formulierung, die die "weibliche Eigenart" aufgreift. Die Mehrheit der männlichen Mitglieder des Grundsatzausschusses wollte die Formulierung der Weimarer Verfassung übernehmen: "Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

Elisabeth Selbert verfügte als Juristin über die notwendigen Erfahrungen & Erkenntnisse mit diesem Grundsatz der Weimarer Verfassung und erkannte sofort das Potential für viele Ausnahmebestimmungen, die sich gegen Frauen richten könnten. Sie selbst war für die uneingeschränkte Gleichberechtigung von Mann und Frau. Deshalb schlug sie eine schlichte und einfache Formulierung vor: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."

Damit hatte sie in ein Wespennest gestochen: Selbst ihre drei weiblichen Mitstreiterinnen waren gegen sie, befürchteten sie doch, dass dem gesamten Familienrecht der Boden entzogen und ein juristisches Chaos folgen würde. Die Männer, zumal die konservativen, waren ohnehin der Meinung, dass die Vorherrschaft des Mannes gottgewollt sei. Und auch mancher atheistischer Sozialdemokrat sah die Stellung des Mannes in Gesellschaft & Familie gefährdet. In der Sitzung des Grundsatzausschusses am 30. November 1948 wurde der Selbertsche Vorschlag also abgelehnt und erneut in den Hauptausschuss verwiesen.

Elisabeth Selbert begründete dort am 3. Dezember 1948 ihren Antrag persönlich. Wieder eine Ablehnung bei elf zu neun Stimmen! 
"Ich hatte nicht geglaubt, daß 1948/1949 noch über die Gleichberechtigung überhaupt diskutiert werden müßte und ganz erheblicher Widerstand zu überwinden war!", so Elisabeth Selbert später.
Ihr gelingt es aber, Frieda Nadig zu überzeugen. Zwischen Dezember 1948 und Januar 1949 mobilisierten die Beiden einen breiten öffentlichen Protest, unterstützt vom Frauensekretariat der Sozialdemokraten, von überparteilichen Frauenverbänden, Kommunalpolitikerinnen und weiblichen Berufsverbänden. Eine Fülle von Resolutionen, Briefen und Stellungnahmen wurden per Post den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates zugestellt. Elisabeth Selbert und Frieda Nadig überzeugten schließlich auch Helene Weber und Helene Wessel, und mit ihnen gemeinsam dann auch alle anderen Mitglieder des Parlamentarischen Rates. So fand der Grundsatz am heutigen Tag vor siebzig Jahren schließlich die Zustimmung aller Mitglieder.


"Wir müssen nun dahin wirken, dass die Gleichberechtigung in der Praxis bis zur letzten Konsequenz durchgeführt wird." Diesen Auftrag von Elisabeth Selbert sollte ab 1950 ein Frauenreferat im Bundesministerium des  Innern weiter verfolgen. Doch die  Politik tat sich schwer:

Es dauerte sieben Jahre, bis das familienrechtlich verbriefte Recht des Ehemannes, in ehelichen und familiären Angelegenheiten die letztendliche Entscheidung treffen zu dürfen, abgeschafft wurde. Erst zwölf Jahre später durften verheiratete Frauen ein eigenes Bankkonto eröffnen. Und 1977 trat das Gesetz in Kraft, welches beiden Ehepartnern zugestand, erwerbstätig zu sein. Davor war es Frauen nur erlaubt zu arbeiten, "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist". Und was die wenigsten wissen: Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 eine Straftat. 

Der wichtige Zusatz "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin," wurde nach der Wiedervereinigung 1992 aufgenommen. 

Elisabeth Selbert, die eine so bedeutsame Rolle für die Sache der Frauen in Deutschland gespielt hat, ist eine meiner persönlichen Heldinnen. Das sollte sie eigentlich für alle Frauen im Lande sein, demokratisch- kämpferische Vorbilder brauchen wir in diesen finstren Zeiten mehr denn je. Ihr Einsatz hatte allerdings schon damals für sie persönlich die Konsequenz, dass ihre Partei, besonders auf der Bundesebene, sie kalt stellte. Sie wurde nicht in den ersten Deutschen Bundestag gewählt, blieb zwar noch Mitglied des Hessischen Landtags, bis sie sich 1958 entschied, sich aus der Politik zurückzuziehen, und langsam der Vergessenheit anheim gegeben wurde. Schon in den 1980er Jahren kannte sie niemand mehr...

Männer sind ganz schön nachtragend. Und auch nach siebzig Jahren gibt es immer noch genug Vertreter ( in Zeiten des Populismus auch wieder laut vernehmbar ), die am Gleichheitsgrundsatz kratzen. Deshalb gibt es heute wieder mal eine Lektion im Erinnern in meinem Blog...






Wer mehr über Elisabeth Selbert und Frieda Nadig erfahren will, dem lege ich meine beiden Posts ans Herz. Nächsten Donnerstag gibt es dann das Porträt der Frau, die vor hundert Jahren als erste Frau in einem deutschen Parlament gesprochen hat.

Der übliche Freitagspost rund um die Themen "Raif Badawi & Saudi - Arabien" erscheint morgen Vormittag.

9 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,

    gerade zu deinem Absatz über deiner Signatur (von wegen nachtragend) fällt mir folgendes ein: Das war beim Hochkochen der #metoo-Debatte. Zeit Online hatte da einmal einen Kommentar dafür und einen dagegen eingestellt. Der Beitrag pro#metoo enthielt dann ziemlich haßerfüllte Kommentare, die von der Zeit-Redaktion übrigens nicht gebremst wurden. Mir ist nach dem Lesen dieser Kommentare auch richtig schlecht geworden. Wenn ich dort angemeldet gewesen wäre, hätte mir das die erste Anzeige in diesem Leben eingebracht. Ich war wütend (jepp), frustriert (klar), schockiert (ziemlich), sprachlos (auf jeden Fall).
    Was ich als Küken seit 2017 erleben darf, ist ganz klar gegen die Würde des Menschen, und ich darf dabei leider auch erleben, wie Männer sich in die Ecke getrieben fühlen, ohne nachzudenken. Das sie vielleicht die Grenzen überschreiten und man sie deswegen ablehnt. Da wird auch nicht mehr kaschiert, wie über Frauen gedacht wird.
    Ich bastel übrigens noch im Kopf am neuen Blog, es soll ja lesbar und annehmbar sein. Wenn es so weit ist, kommt was zu dem Thema, es scheint ein Bandwurm zu sein. Und Bedarf daran. Und irgendwo platzt einem auch mal der Kopf, was da so los ist.

    Um noch was Schönes zu erwähnen, deine Rosen gefallen mir alleine deshalb, weil du den Duft erwähnst. Eine Eigenschaft, die ja leider manchen Züchtungen aberzogen worden ist. Ich habe jedenfalls Spaß an deinen Bildern und am Kiwi. Er ist herzallerliebst!

    Liebe Grüße und einen guten Start ins Wochenende wünscht dir
    Franziska

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    1. Ich kann bei ZON kommentieren und bin oft auch entsetzt, wie diese Chats von rechten Trollen gekapert werden und welche Weltanschauung, welches Menschenbild dort in die Welt getragen wird. Mir wird manchmal fast physisch übel. -
      Auf den Blog bin ich neugierig. Wir müssen wieder mehr werden und auch die Qualität sollte doch steigerungsfähig sein...
      LG

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  2. Liebe Astrid,
    Männer und Frauen sind gleichberechtigt, das scheint auch nach 70 Jahren in vielen Köpfen nicht angekommen zu sein.
    Elisabeth Selbert war so eine weise und mutige Frau, die nicht verdient, dass sie in Vergessenheit gerät.
    Ich mag das ganze rechte Zeug überhaupt nicht lesen, es entsetzt mich zu sehr wie dumme Menschen es gibt.
    viele Grüße Margot

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  3. 70 Jahre ist das erst her, das ist das was mich jetzt erschreckt! Erst 70 Jahre. Ich hatte das komplett vergessen. Wurde mir ja das Menschenrechtejubiläum ja erst grad vor ein paar Wochen bewusst gemacht.
    liebe Grüße Tina.

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  4. Wir dürfen es nicht vergessen. Wenn ich nur an die unsäglichen Erlebnisse meiner Töchter bei Bewerbungsgesprächen denke......
    LG
    Magdalena

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  5. Ich schließe mich Franziska von oben an. Die Kommentare lassen nicht viel Gutes erahnen. Allerdings kommentiert nicht ein repräsentativer Teil der Bevölkerung. Dann wiederum lesen es aber viele und glauben, DAS SEI DIE MEINUNG.
    Zudem verhält sich ein beträchtlicher Teil der Männer erschütternd mimosenhaft.

    Ich werde auch mehr darüber schreiben. Mal sehen wie das ankommt!

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  6. Mein Dank geht an alle Frauen die für die Gleichberechtigung gekämpft haben. Unvorstellbar, dass ich einen Mann für irgendetwas um Erlaubnis bitten müsste. Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass ich eigentlich meinen Mann hätte fragen müssen, ob ich arbeiten darf. Unglaublich, auf den Gedanken wäre ich gar nicht gekommen.
    Liebe Grüße
    Sigi

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    1. Ich kann mich noch an manche Tränen der Wut als ganz junge Frau erinnern, als ich damals die Grenzen der Gleichberechtigung erfahren habe. Dabei konnte ich ganz alleine meinen Lebensunterhalt verdienen...Es ist noch so viel zu tun...
      LG

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  7. 1976 liess meine Mutter sich scheiden und hat wieder einen Beruf aufgenommen (nein, mein Vater hätte es nicht verboten, sie sind beide ehemäßig vor die Wand gefahren) - ich weiss noch welchen Gegenwind sie und ich auch in der Schule und der Gemeinde hatten, welches Gerede "Kein Umgang" - es ist erst so unsäglich kurze Zeit her, dass Gleichberechtigung für uns Frauen gelten sollte! Danke fürs Erinnern!

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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