Freitag, 9. November 2018

"Das Datum, das Deutschland mit der Weltgeschichte verbindet"

... so hat es Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" genannt. Immer wieder am 9. November hat sich in der deutschen Historie Wesentliches ereignet, Ereignisse, derer man in Freude gedenken kann, aber auch in Nachdenklichkeit, Reue und Demut. Der 9. November ist das deutsche Schicksalsdatum schlechthin. Und deshalb geht es in meinem heutigen Freitagspost mal nicht um den Nahen Osten, um verweigerte Menschenrechte, Willkür und Tod anderswo, sondern um die Erinnerung an ein Ereignis, von dessen Wichtigkeit ich überzeugt bin, auch, weil ich mir für meine Enkelkinder wünsche, dass die daraus gewonnenen zivilisatorischen Errungenschaften weiterhin bestehen bleiben...

... verloren der Deutsche Kaiser Wilhelm II., die Könige von Bayern, Württemberg, Sachsen und all die anderen Großherzöge, Herzöge und Fürsten ihre Macht über die Menschen in Deutschland, denn an diesem Tag wurde unser Land eine Republik. Der Kaiser musste ins Exil, denn eine Politik von "Blut & Eisen", die 47 Jahre seit der Gründung des Kaiserreiches vorherrschend war, hatte das Reich zugrunde gerichtet. Die alte Ordnung, die so unverrückbar schien wie die Standbilder ihrer Fürsten und Feldmarschälle, kollabierte binnen Stunden an jenem 9. November...

Damit wurde ein Traum wahr, ein Traum, der schon 86 Jahre zuvor beim Hambacher Fest 1832 und in der Paulskirchenversammlung von 1848 von deutschen Demokraten geträumt worden war, jedoch auf den Tag genau vor 170 Jahren unter anderem auch mit der Hinrichtung eines ihrer Anführer, Robert Blum, bei Wien erst einmal ganz ausgeträumt schien. Nur kurze Zeit konnte die Freiheit damals in der Paulskirche triumphieren, und als wieder das Militär anrückte, kämpfte nur eine Minderheit von Demokraten, vor allem in Südwestdeutschland, weiter. Im Mai 1849 war damit in Rastatt endgültig Schluss. Die Einheit des Landes wurde von da an nicht mehr von unten erkämpft, sondern 1871 von oben erzwungen durch Preußens Waffen im Deutsch-Französischen Krieg.

Im November 1918 also ein erneuter Versuch: Als eine Massenverweigerung erst der Matrosen, dann des Heeres alle Pläne der Generalität vereitelt hatte, den durch ihren eigenen Größenwahn längst verlorenen Krieg fortzuführen, in dem sie zwei Millionen Soldaten in den Tod getrieben hatten, als Soldaten, Arbeiter und Bürger also aufstanden, da bot sich wieder eine Gelegenheit: Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann* verkündete aus einem Fenster des Reichstags in Berlin das Ende des Kaiserreichs und rief gegen 14 Uhr die deutsche Republik aus. ( Am 11. November wurden dann die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs eingestellt mit dem Waffenstillstandsabkommen in Compiègne.  )

Warum wird diese Geburt der deutschen Republik heute nicht rauschend gefeiert? Kein Feuerwerk, keine Festakte, keine Erinnerung an Freiheitshelden, keine Revolutionslieder, nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum 100. Geburtstag der deutschen Demokratie um 9 Uhr im Bundestag eine Rede gehalten. Und der Verein "Weimarer Republik" erinnert seit sechs Tagen an vierzig Bahnhöfen an Deutschlands erste Demokratie...

Die Münchner Theresienwiese kennt jeder als Ort des Oktoberfestes, aber wer hat in diesen Tagen  daran erinnert, dass an diesem Ort die Revolution schon zwei Tage vorher, am 7. November, während einer Massenversammlung ihren Anfang nahm - Bayern als Mutterland der deutschen Revolution, wer weiß das schon? ( Hier nachzulesen! )


Nur zehn Wochen dauerte es vom Sturz der Monarchie bis zur Wahl der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919, die ab dem 6. Februar tagte, und alsbald viele Hoffnungen, die die Menschen in sie gesetzt hatten, erfüllte: Das Frauenwahlrecht wurde eingeführt, die Gewerkschaften wurden anerkannt, Tarifverträge gesetzlich beachtet, der Achtstundentag verbindlich  und eine Verfassung geschrieben, die heute immer wieder zu Unrecht schlecht geredet wird. Die Weimarer Verfassung hat die klassischen bürgerlichen Freiheitsrechte, die Grundrechte der Verfassung von 1848, für Männer und Frauen in Deutschland siebzig Jahre später endlich für alle verbürgt ( hier ist sie nachzulesen ).

Dieser 100. Jahrestag der Novemberrevolution böte die Gelegenheit, die Erinnerung an die deutschen Freiheitskämpfe und ihre Heldinnen & Helden endlich wieder aus der Versenkung zu holen. Nicht um sich die eigene Geschichte schön zu machen und damit das ebenfalls an diesem Tag begangene Geschehen von vor achtzig Jahren zu überschreiben. Angesichts der Beobachtung, dass die von der Demokratie Verunsicherten rechtspopulistischen Lösungsansätzen anhängen, Europa & seine Friedensordnung in Frage stellen und die Freiheit, die wir heute haben, nicht mehr wertzuschätzen wissen, dann ist es Zeit zu erinnern an die, die ein Leben dafür gekämpft und es manches Mal dabei gar verloren haben.

In den meisten anderen westlichen Staaten sind die Freiheitskämpfe der Stoff, aus dem die eigene Identität gewebt ist - wir sollten da endlich gleichziehen und der ersten deutschen Demokratie nicht immer nur von ihrem Ende her nachspüren! Wir sollten endlich die Verschwörungstheorien** jener Zeit ins Reich der Lügen verweisen, wo sie alleine hingehören, statt uns dadurch das damals Erreichte bis heute madig zu machen. Nicht das Schicksal schreibt Geschichte, Menschen machen das, manchmal gut, manchmal richtig schlecht. Da kann ich mich Heribert Prantl nur anschließen. Und deshalb: Es lebe die Revolution von 1918!






* Das Foto von Philip Scheidemann ist übrigens zehn Jahre später nachgestellt & veröffentlicht worden...
** Ludendorff, der zweite Mann in der Obersten Heeresleitung im Kaiserreich, hatte vor der Kanzlerschaft Max von Badens den Kaiser dazu bewegen können, Minister aus den Parteien des Reichstags zu berufen, nicht weil er demokratische Mitbestimmung wollte, sondern er hatte die Idee einer "Dolchstoßlegende"im Sinn und meinte: "Die Minister sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben." Das wichtigste Argument aller Anhänger dieser Theorie bis heute: Nicht die Monarchie, nicht der Adel und das von ihm geführte Militär hätten den Weltkrieg verloren, sondern die von Sozialisten und Revolutionären angeführte Heimatfront.Diese Verschwörungstheorie hat die  Weimarer Republik tief vergiftet und wirkt bis heute.

8 Kommentare:

  1. es ist so wichtig die Geschichte und Demokratie von Deutschland immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Der 9. November ist ein denk-würdiger Tag, auch auf den Bezug der Pogrome.
    In dieser Woche ist auf 3 Sat auch eine TVreihe zu sehen, die auch in dieser Zeit ( nämlich vom sinnlosen 1. Weltkrieg) nachdenkensweiser Geschichten von Menschen die ihr Tagebuch geöffnet haben um uns zu berichten. Ich möchte das unsere Enkelkinder wissen welches Unheil in vielfältiger Weise geschehen ist, und das sich das hoffentlich nicht wiederholt.
    Danke für deinen Post und Gruß zu dir
    heiDE

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  2. Das ist ein geschichtsträchtiger Tag heute, liebe Astrid. Die Medien heute sind voll davon, aber es ist auch gut, an diesen Tag mit all seinen schlechten und guten Seiten zu erinnern.

    Liebe Grüße
    Christa

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  3. Eigentlich können wir Revolution, wir Deutschen. Zweimal ohne Schuss am 9.11.
    Aber dazwischen wurde viel zu viel geschossen und zu wenig begriffen.
    Ich meine auch, dass dieses Datum gefeiert gehört, leider haben wir es uns selbst wieder (fast) kaputt gemacht. Nur 20 Jahre später.
    Gerade deshalb sollten wir den Freiheitskämpfer-Stoff aus dem Nationalität gemacht wurde, nicht vergessen und auch stolz darauf sein.
    Wir Frauen und Deutsche haben viel gewonnen damals. Du beschreibst es ganz genau.
    Dieses Datum muss entstaubt werden und neu entdeckt werden, gerade auch von jüngeren Menschen, denn es ist die Geburtsstunde ihrer und unserer heutigen Freiheit.
    Danke für dein Erinnern und Wachhalten!
    GlG Sieglinde

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  4. Gedenken zum 9.November - Auch in Chemnitz finden dazu mehrere Gedenkveranstaltungen statt. U.a. spricht dazu Dr. Ruth Röcher, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Chemnitz "Solidarität statt Rassismus":
    "Wo gegen Minderheiten gehetzt wird, ist kein Ort für Juden. Aber die Mehrheit der Chemnitzer lehnt Hetze ab." So ist es, dem kann ich mich nur aus vollem Herzen anschließen.
    Danke für deinen Post!
    LG Gerda

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  5. Man kann nur hoffen, dass das Wissen nicht untergeht. Mich hat die Rede des Bundespräsidenten sehr bewegt.
    LG
    Magdalena

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  6. ja
    es ist ein denkwürdiges Ereignis
    und ich glaube es wurde damals durch die Meuterei der Soldaten Schlimmeres verhindert
    denn der Krieg hatte schon so viele Leben zerstört
    ich habe gestern einen Bericht gelesen über Solaten (Franzosen) denen im Krieg das Geicht zerschossen wurde ..
    5 von ihnen standen in Versaille der deutschen Delegation gegenüber die den Friedensvertrag unterschreiben musste
    es treibt einem das Wasser in die Augen
    und immer noch haben die oberen Bosse nichts dazu gelernt
    und manche der nachwachsenden Generation auch nicht :(

    nachdenkliche Grüße
    Rosi

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  7. Wie toll, dass du an die Anfänge des Guten, nicht immer des Grauens erinnerst. So herum habe ich das noch nie gesehen! Eben habe ich noch in den Nachrichten von Macrons Rede gehört. Aber normale Patrioten, dass bekommen die Deutschen wohl nicht hin und können somit nicht dass Freiheitsbestreben feiern, gedenken lieber nur den "bekannten" Tagen. Danke für den tollen Artikel!
    Liebe Grüße
    Nina

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