Mittwoch, 1. Oktober 2025

Bücherlese September

 "Ich möchte wissen, 
was eigentlich in einem Buch los ist, solang es zu ist.
Natürlich sind nur Buchstaben drin, 
die auf Papier gedruckt sind, aber trotzdem -
irgendwas muss doch los sein, 
denn wenn ich es aufschlage,
dann ist da auf einmal eine ganze Geschichte."
Michael Ende

Noch an den letzten Augusttagen habe ich mit der Lektüre von "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" von Rainer Maria Rilke angefangen. Seine Lyrik begleitet mich ja schon seit Jugendzeiten, und eine schöne Insel-Gesamtausgabe ziert seit 1980 das Bibliotheksregal. Es wurde also höchste Zeit, mir diesen Prosatext zu Gemüte zu führen. 

Gleich vorneweg: Das war kein Fehler, denn es ist schon ein außergewöhnliches Werk. Mit der feinen und speziellen Art und Weise wie der 28jährige dichtende Protagonist aus verarmtem dänischen Adel die Stadt Paris wahrnimmt, konnte ich mich sofort anfreunden, nehme ich doch vieles auch eher synästhetisch auf. Das will heißen, dass Malte Laurids Brigge seine Umwelt subjektiv und in einer Manier wahrnimmt, die das Empfinden und Erleben anderer Sinne involviert. Wenn ich mir einen Stadtraum erobere - und Paris habe ich mir wirklich bei vielen Aufenthalten erobert - geht es mir ähnlich. Und das, was Malte registriert, gibt Rilke in einer Sprache wieder, die Freude macht beim Lesen. Es gibt Sätze - "...ihr Schlaf feilt sanft über solche Furchen im Gehirn" oder "... daß dieses fast raumlose von den Jahrhunderten zu Tropfen zusammengepresste Leben" - die habe ich mehrmals gelesen, so habe ich mich von Klang wie assoziierten Bildern angesprochen gefühlt. 

Die Erlebnisse aus seiner Kindheit in den Adelsfamilien seiner Vorfahren fließen in Maltes außergewöhnliche Wahrnehmung seiner Pariser Gegenwart ein. Da geht es viel um Krankheit und Tod ( auch schon mal um übersinnliche Begegnungen ) und um Erinnerungen an das Zusammensein mit "Maman", die Malte in sehr jungen Jahren verloren hat. Doch auch der Kontakt mit den Menschen, den Räumen der Stadt ist immer wieder getaucht in die Farbe des Leids, mitunter ängstigend. Er nimmt Orte voller Bedeutung und Empfindungen auf, die er mit verschiedenen Sinnen verknüpft und somit auch bei mir Erinnerungen an Gerüche, Geräusche, flüchtige Bilder in Paris wachruft, mit einer Intensität, die auch mich immer wieder verwirrt und für mich die Verunsicherung des jungen Mannes nachvollziehbar gemacht hat.

( Eine ererbte Buchstütze und ein Ausschnitt aus dem Bücherregal der Tochter... )


Das ( fingierte ) Tagebuch bleibt fragmentarisch, und es bleibt offen, wie es mit dem Protagonisten weitergeht. All diese Ängste und Reflexionen über Tod und Einsamkeit bis zum Schluss legen mir ein Ende in einer Psychose nah. Es war gut, dass ich auf so viele Erfahrungen, auch literarische, auch solche mit dem Tod, zurückgreifen konnte, bevor ich mich diesem Werk gestellt habe. Und besonders "mitgenommen" habe ich diese Sätze über die Liebe:
"Immer übertrifft die Liebende den Geliebten, weil das Leben größer ist als das Schicksal. Ihre Hingabe wird unermeßlich sein: dies ist ihr Glück. Das namenlose Leid ihrer Liebe aber ist immer dieses gewesen: daß von ihr verlangt wird, diese Hingabe zu beschränken."
Angeregt durch den Youtube Kanal von Thoralf Czichon ( sehr empfehlenswert, da engagiert & inspirierend ) habe ich als nächstes ein Buch von Roger Willemsen  - "Der Knacks" - aus meinen Bibliotheksregalen gefischt, das ich schon einmal vor siebzehn Jahren gelesen hatte. Keine grad originelle Erkenntnis: "Der Knacks" liest sich 2025 für mich persönlich völlig anders als 2008, doch bleibt die Philosophie von der ohnmächtigen Isolation des Einzelnen, bei der man dem Denken abschwört, weil es eben eine Philosophie der Angst ist. Angst will nicht wissen, nicht überlegen, sondern sich wegducken. Und inzwischen hat man auch politisch eine Möglichkeit, das an eine Partei zu delegieren, der man/frau völlig wurscht ist. Mein persönlicher Knacks hat mir geholfen, aus dieser Nummer herauszukommen, indem ich mich berühren lasse von dem, was mit den Menschen um mich herum los ist.




Allerdings hatte ich davon erst einmal genug und habe mich einem eher sachlich orientierten Buch zugewandt, nämlich "Die Anfänge von allem" von Jürgen Kaube.
"…seit Darwin haben wir Begriffe dafür, dass die zivilisatorisch bedeutsamen Dinge nicht fertig aus der Hand eines Erfinders entspringen und sich auch nicht einer problematischen Situation als deren Lösung verdanken - sondern in geduldiger Vorleistung zufallsbehafteter Schritte davon abhängen, dass kleine Veränderungen hier und da und unter Nutzung unfassbar langer Zeiträume irgendwann zu einem sichtbaren Unterschied führen, der nachträglich als Ursprung gedeutet werden kann."

Diesen Gedanken möchte ich all denen ins Album oder sonst wo hin, am besten ins Gehirnkastl, schreiben, die meinen, alles auf eine einzige festgeschriebene Identität zurückführen zu können und damit unsere Gesellschaft "rein" zu halten. Zumindest verkaufen sie ein solches Weltbild ihren verängstigten Wählern. Mehr Fantasie und Fantadu geht nicht. Das Buch des Wissenschaftsjournalisten & Volkswirts führt das aufrechte Gehen, Sprache, Kochen, Singen, Geld und vieles mehr auf seine Anfänge zurück, immer mit der gegenüber dem derzeitigen Stand des Wissens nötigen Skepsis. Letztgültige Antworten gibt es eben nicht, zwangsläufig werden jede Menge Fragen aufgeworfen, die unbeantwortet bleiben. Ich fand's dennoch gut & in vielerlei Hinsicht aufschlussreich.

Noch mitten in dieser Lektüre kam mir als Geschenk durch den Briefschlitz der Roman "Mit dir möchte ich im Himmel Kaffee trinken" von Sarah Lorenz. Ich habe es innerhalb von 24 Stunden gelesen, fand ich doch die Grundidee - eine literarische Liebeserklärung an die Lyrikerin Mascha Kaleko mit der Schilderung des eher bedrückenden, da harten Großwerdens der Erzählerin zu verbinden - stupend. So ganz glücklich bin ich dann mit dem Buch nicht geworden. Vielleicht liegt es auch an meinem fortgeschrittenen Alter, in dem die Suche nach einem aufregenden Leben durch Verluste, Krankheit, Tod schon einen ordentlichen Dämpfer bekommen hat. Wiederfinden konnte ich mich in den Abschnitten gegen Ende, in denen es um die Gefühle geht, die einen überfallen, wenn der geliebte Mensch, der immer erhoffte und endlich angelaufene "sichere Hafen", von einer tödlichen Krankheit bedroht wird. Bis dahin hatte ich das Buch eher als Jugendbuch empfunden, wie ich einige in meiner Zeit als Sekundarstufenlehrerin mit den Schüler*innen gelesen habe.

Schließlich habe ich mich wieder meinem langfristigen Leseprojekt, den "Jahrestagen" von Uwe Johnson, zugewandt und mir den zweiten Band zur Hand genommen. In meinem August- Post habe ich mich ja ausführlich zu diesem umfangreichen literarischen Werk geäußert. Der Band startet mit den (Vor-) Weihnachtstagen in New York bzw. mit Jerichow unter dem Naziregime und dessen Auswirkungen auf die Menschen & ihr Miteinander. 

Näher kommt man als Leserin auch dem Binnenverhältnis des Ehepaars Cresspahl, den Eltern der Protagonistin Gesine. Die Mutter erleidet nämlich Weihnachten 1936 eine Fehlgeburt - wodurch auch immer ausgelöst, - was die durch die wahnhaften religiösen Schuldgefühle der jungen Frau belastete Beziehung zu ihrem Mann Heinrich weiter zerrüttet. Bedrückend, erst recht auch vor der Atmosphäre jener Zeit, in der es immer wieder auch zu ideologisch begründeten Konflikten im Ort unter den Bewohnern kommt, zwischen Nazigrößen und distanziert-kritischeren Leuten. Lisbeth Cresspahl mehr als merkwürdiges Verhalten - sie neigt immer mehr dazu ihr Leben unter der Kategorie Schuld zu interpretieren- ist ganz besonders gegenüber ihrem Kind Gesine ausgeprägt. Es kulminiert schließlich in ihrem selbstverursachten Tod in der brennenden Werkstattscheune ihres Mannes im Anschluss an die Reichspogromnacht am 9. November 1938. Heinrich ist zu diesem Zeitpunkt mit dem Mädchen bei Verwandten. Jerichows Pfarrer ermöglicht entgegen den kirchlichen Regeln eine ordentliche Beerdigung für Lisbeth und bringt sich mit seiner Predigt letztendlich in ein Konzentrationslager. 

Cresspahl wiederum, einstmals aus der SPD ausgeschlossen, nähert sich den Genossen wieder an, überzeugt davon, dass die Nazis stracks auf einen Krieg zusteuern. Schließlich beginnt er – mehr gezwungen als freiwillig – für den britischen Geheimdienst zu arbeiten, hält sich aber sonst so weit es geht aus der Welt heraus. Als Leser gewinnt man den Eindruck eines über dem Tod seiner Frau merkwürdig gewordenen Kauzes. Und das Mädchen Gesine?

Zunächst bleiben von ihr gegenüber der Tochter Beschreibungen eines - glücklichen, zeitlich befristeten - Weiterlebens bei der Mutter-Schwester, ihrer enger werdenden Bindung an den Vater. Was das Trauma mit ihr macht, kann frau nur zusammenraten. Während das Land in der Hand von Verbrechern ist - Johnson ist da auch immer wieder Chronist - geht das Kind weiter in die Schule, die ideologisiert ist bis zum Geht-Nicht-Mehr, absolviert in der Verwandtschaft Ferien am Meer. Alle tun so, als gäbe es in all dem Idyll nebenan nicht Mord & Totschlag im Übermaß. Irgendwann bekommt Gesine die Kriegsauswirkungen auch am eigenen Leib mit. Das Leben in Jerichow kommt in diesem zweiten Teil der "Jahrestage" zu einem Ende mit der Übergabe der Macht an die Sowjets durch die Briten. 

Auch in diesem Band behält die "alte Tante" "New York Times" ihre wichtige Rolle als Zeitzeugin und bringt die Geschehnisse in Vietnam und auf der dazugehörigen politischen Ebene in den USA mit ins Spiel bzw. zeigt sich zuspitzende Rassenkonflikte auf. Beschreibungen der Fotoveröffentlichungen konnten bei mir sofort die zugehörigen Bilder in den Printmedien von damals im Kopf evozieren, sowohl was den Krieg als auch die schreiende Ungerechtigkeit gegenüber den Afroamerikanern in den Vereinigten Staaten anbelangt, die in der Ermordung Martin Luther Kings gipfelt. In Berlin wird  eine Woche später ein Attentat auf Rudi Dutschke verübt.

Und auch die Nachrichten über die Vorgänge in der damaligen ČSSR werden immer wieder aufgegriffen, soll diese doch bald auch ein berufliches Tätigkeitsfeld für Gesine werden. Der unsägliche Bundespräsident Heinrick Lübke & seine Nazi-Verstrickungen kommen vor, ebenso wie der Schriftstellerkollege Hans Magnus Enzensberger, den Johnson mit etlichen Sottisen bedenkt, weil der in dieser Zeit etlichen Staub in den USA aufwirbelt.

Politisch bleibt Gesine Cresspahl in einer selbst gewählten Distanz: Sie mag sich "nicht mit einem Land identifizieren, dessen schuldhaftes Vergehen gegen rassische Minoritäten, sozial Schwächere oder das vietnamesische Volk sie scharf kritisiert (...). " Mit heutigen Augen gesehen mag man eine Aussage wie die gar nicht mehr glauben: "Ein Präsident kann nicht lügen: sagt Marie: Es käme doch heraus!

Den zweiten Band habe ich ziemlich zügig gelesen, so hineingezogen wurde ich in die Darstellungen der diversen Zeitebenen. Es bedurfte wohl der langen Einführung durch den ersten Band, um sich so von Uwe Johnson und den von ihm geschaffenen Figuren faszinieren zu lassen. Ich bin beeindruckt, wie kunstvoll & ergreifend der Schritftsteller diese unselige Zeit in Worte & Gedanken fasst, wenn ich das vergleiche mit etlichen Büchern, die ich zuletzt zum Thema gelesen habe. Jetzt bin ich gespannt auf Band drei.

Nachdem ich so häufig zu sogenannten "Coming of Age" - Werken gegriffen habe, habe ich mir mal ein Buch einer Autorin aus meiner Alterskohorte ausgesucht: Wencke Mühleisens "Alles wovor ich Angst habe, ist schon passiert". Mit den Lebensverhältnissen einer Singlefrau im Alter schlage ich mich ja bekanntlich auch herum, und es werden viele Überlegungen aufgegriffen, die ich ebenso anstelle. Wencke Mühleisen vermisst allerdings letztendlich ganz andere Dinge als ich ( und meldet sich bei Tinder an ) und eine - mir etwas fantastisch anmutende - erotische Begegnung in einer Sauna lässt sie einen Weg einschlagen, der mir nicht wichtig ist. Gelesen habe ich das Buch an einem Abend. 

Mit Joseph Lloyd Carr habe ich schon im Juni - mit Genuss - Bekanntschaft gemacht. Daraufhin habe ich mir antiquarisch zwei weitere Bücher von ihm besorgt. In diesem Monat war "Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten" als Lektüre dran. Fußball ist für mich so gut wie nie ein Thema, aber Außenseiter, die gemeinsam etwas "reißen", erwecken immer Sympathie & Interesse. Die Zweihundert-Seiten-Geschichte ist voller origineller Charaktere, witzig und von einer leisen Melancholie durchwirkt, gut geschrieben & vergnüglich zu lesen. Da braucht frau keinen Fußballverstand, aber einen Sinn für britischen Humor ( dank meines Vierteljahres in Birmingham vorhanden ). So viel laut gelacht wie während dieser Lektüre habe ich schon länger nicht mehr!

Seit Banana Yoshimotos Roman "Kitchen" vor über 30 Jahren habe ich Stil & Inhalte japanischer Autor*innen schätzen gelernt. Auch Michiko Aoyamas "Frau Komachi empfiehlt ein Buch", eine Geschenk von Sieglinde für meinen Reha-Aufenthalt 2023, hat mir durch seine leise Art sehr gut getan in dieser für mich sehr schwierigen Lebenslage, so dass ich mir Aoyamas erstes Werk "Donnerstags im Café unter den Kirschbäumen" antiquarisch verschafft und jetzt gelesen habe. 

Wieder sind es kleine, unspektakulär - schlichte Alltagsepisoden, die sich in Tokio und Sydney ereignen, immer mit einem kleinen Twist, die die Protagonisten mental weiterbringen. Ursprünglich sind es alles ganz klassisch konstruierte Kurzgeschichten, die sich im Buch zu einer Art Reigen zusammenfügen, der auch immer etwas Zauberhaft- Zuversichtliches hat. Ich brauche ab & an diese Schilderungen, die im Sinne des japanischen iyashi immer auch etwas zu trösten & heilen vermögen mit ganz "bodenständigen Glückvisionen" ( Lisette Gebhardt ). Frau Komachi funktionierte aber besser...

Die nächsten Bücher sind nicht auf dem Stapel zu finden, habe ich mir doch für meine Reise den E-Reader eingepackt. 

Das neue Buch jungen katalanischen Autorin Irene Solà "Ich gab dir Augen, und du blicktest in die Finsternis" hatte ich sofort nach der Lektüre von "Singe ich, tanzen die Berge"  im Juli auf meine Liste gesetzt. Doch gleich vorneweg:  Ich wurde enttäuscht. Die Handlung - ein wahrer Hexensabbat rund um die sterbende Bernadetta in einem katalanischen Mas, fast nur von Frauen bevölkert - spielt sich innerhalb eines einzigen Tages ab, überspannt aber eigentlich Jahrhunderte, es geht also oft um viele Jahre und Generationen von ungewöhnlichen Frauen zurück. Mythen & Märchen werden eingefügt, wunderliche, altertümliche Rezepte ebenfalls. Sinnlich vielleicht, für mich schon fast ein bisschen zu viel. Zudem musste ich manche Seiten öfter lesen, um zu verstehen oder klar zu machen, an welcher Stelle in der Geschichte ich mich überhaupt befinde. Einzig an der Zeit des spanischen Bürgerkriegs konnte ich mich festmachen. Das hat den Roman für mich leider zu keinem guten Leseerlebnis gemacht, verstärkt noch durch die drastischen Beschreibungen von Tierschlachtungen, Hinrichtungen, Massenmorden u.ä. Schade!




Das zweite Buch - Daniela Dröscher: "Lügen über meine Mutter" - lastet schon länger auf dem Reader. Es liest sich leicht, stilistisch wie aufgrund der Tatsache, dass ich die Zeit der 1980er Jahre als junge Mutter & Ehefrau ebenfalls mitgemacht habe. Auch die Gepflogenheiten in der deutschen Provinz und die absolut engen patriarchalischen Vorstellungen der Männerwelt kenne ich zur Genüge. Von denen zu lesen, hat mich immer missgelaunter werden lassen. Ist es doch so, dass frau wieder/noch immer mit diesen Ansichten und Umgehensweisen mit einer "Partnerin" über vierzig Jahre später in den social media konfrontiert wird ( und auch im realen Leben immer wieder solche Dysbalancen in den Beziehungen zw. Mann & Frau erlebt ). Dadurch war die Lektüre für mich über Strecken schwer auszuhalten: So viel männliche Anmaßung inklusive Inanspruchnahme des ererbten Vermögens der Mutter und auf der anderen Seite so viel Zugewandheit an andere, hilfsbedürftige Menschen in Familie und darüberhinaus durch diese junge Frau, also die bis heute allzu oft unsichtbare Care-Arbeit, haben mich wütend gemacht. 

Als dritte Reiselektüre habe ich mir dann John Greens "Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?" vorgeknöpft. Seinerzeit bei Andrea, der Zitronenfalterin, die Rezension gelesen & neugierig geworden, habe ich mir das Ebook gekauft, bin dann aber gar nicht mehr zu Lesen gekommen. Nun also vier Jahre später... Greens Notizen zum Leben auf der Erde, so als Mensch, waren kurzweilig, da höchst persönlich und zuweilen skurril, denn er wählt thematisch aus, was ihm in seinem bisherigen Leben als bedeutsam über den Weg gelaufen ist. Gerne teile ich mit ihm die Ansicht, dass das aktuelle, von Menschen geprägte Erdzeitalter - eben jenes Anthropozän - für viele Lebensformen das Verderben ist, stellt der Mensch doch für unsere Erde eine ökologische Katastrophe dar. Da hat mich auch nicht mehr gewundert, dass Bücher des Autors aus Schulbibliotheken in den Staaten & Kanada entfernt werden, wie ich zeitgleich erfahren habe.

( Statt alles in den Bücherschrank zu stellen, habe ich in diesem Monat auch mal den Momox-Ankauf ausprobiert )



Und dann habe ich, ebenfalls gespeichert auf dem Reader, "Die Sprache der Vögel" von Norbert Scheuer angefangen zu lesen. Das war auch noch eine Hinterlassenschaft von meinem Mann, der den Eifler Autor geschätzt hat. 

Das Buch handelt von einem 24jährigen Mann auf Einsatz in Afghanistan, der schon ein beträchtliches Potential an Belastungen mitgebracht hat ( von ihm verschuldeter Unfall mit bitteren Folgen für den besten Freund, unstete Ehe der Eltern plus Tod des Vaters, fragliches Verhältnis zur Freundin ). All diese Figuren kommen auch in vereinzelt eingestreuten Kapiteln vor. Dazu eine krebskranke Lehrerin, die zufällig die Tagebuchseiten des jungen Mannes in die Hände bekommt & liest sowie der sagenhafte Vorfahr aus dem 18. Jahrhundert, der die Sprache der Vögel seinerzeit in Afghanistan erforscht hat. Und vielerlei Vögel natürlich, von denen sehr ansprechende, reduzierte Kaffeeaquarelle eingefügt sind. Die Vögel sind es denn auch, die eine viel größere Rolle in der Darstellung des Erlebens im Kriegsgebiet einnehmen als die Kriegshandlungen. So lässt Norbert Scheuer mir als Leserin viel Raum, mich selbst hineinzuversetzen in die Belastung und die sich daraus ergebende psychische Entwicklung seines Protagonisten. Das wusste ich zu schätzen, und ich habe das Buch gerne gelesen.




Das ging mir streckenweise ganz anders bei "Im Tal" von Tommie Görtz. Auch da nimmt der Protagonist an Kriegen teil. Ich habe zunächst etwas unwillig über die entsprechenden Kapitel zum 1. Weltkrieg hinweggelesen. Und das, nachdem mich die über die erbarmungswürdige Kindheit des mutterlosen Jungen auf einem Einödhof in einem abseitigen Tal der Fränkischen Schweiz zu faszinieren wussten. ( Vielleicht lag das aber daran, das ich manche - detailliert & offenbar kundig dargestellte - Handlungen des Kindes von mir selber  aus den 1950er Jahren kannte. ) 

Ich legte dann eine Lesepause ein, reisebedingt, und als ich die Lektüre wieder aufgriff, bin ich doch in die Geschichte des gequälten "Helden" hineingezogen worden, in die Beschreibung eines harten Lebens am unteren Ende der Gesellschaftspyramide. Goertz hat die Handlung oft verknappt & aufs Wesentliche reduziert, so dass fast siebzig Jahre eines Lebens mal schneller, mal langsamer, aber unaufhaltsam vorbeiziehen. Der eindringlich - prägnante Schreibstil des Autors hat letztendlich auch zu einem Lesegenuss beigetragen.

Der wollte zunächst so gar nicht aufkommen aufgrund der Sprache des sonst so vielgepriesenen Thomas Hettche in seinem Roman "Herzfaden"( auch auf dem Reader ). Die schien mir so banal, so tausendmal gelesen oder selbst geschrieben. Aber der Inhalt hat mich verlockt, liebte ich doch die "Augsburger Puppenkiste", die mittels Fernsehen meine Kindheit versüßt & meinen literarischen Horizont erweitert hat. Um die geht es in diesem Buch bzw. um Hannelore Marschall-Oehmichen, die Puppenschnitzerin. Und wieder einmal steht auch im Mittelpunkt jene unselige Zeit in der Geschichte unseres Landes, tausendmal gelesen, und doch meist unter anderen Aspekten literarisch verarbeitet. Das war diesmal nur teilweise interessant. Am Ball geblieben bin ich wegen des stellenweise märchenhaften Zuges in der Erzählung. Auch, weil ich zurückversetzt wurde in die Zeit mit Jim Knopf im Fernsehen, im Buch, mit Michael Ende, der so viel vom Kindsein in mir durch seine Bücher verwahrt - bis heute. Das Mädchen im Roman hätte von ihm geschaffen sein können. Mit dem konnte ich mich identifizieren. Und damit mit dem Roman versöhnen...
Das Lesen gehörte im zurückliegenden Monat zu den größten meiner Vergnügen und spielte auch in den Gesprächen mit den Töchtern eine Rolle wie schon urlange nicht mehr. Ich habe mich jeden Tag auf meine Lesezeit ( außerhalb des Internets ) gefreut. Lasst euch anregen!
                                                                         

1 Kommentar:

  1. Liebe Astrid,

    oha, du hast aber viel Zeit zum Lesen.

    Schwierige Themen, dazu habe ich momentan keine Lust. Ich lese einfach Krimis zur Zeit, die skandinavischen mag ich gern. Außerdem habe ich gesehen, dass ein neuer Elizabeth George erschienen ist. Auf den freue ich mich auch, bin in der Bibliothek auf Warteliste.

    Vielen Dank für die ausführlichen Anregungen deiner Bücherliste.

    Liebe Grüße,
    Claudia

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