Donnerstag, 11. September 2025

Great Women #430: Ana Mendieta



"She turned trauma into art" hieß es in einem Instagram-Post im Juni und erinnerte mich an die kubanische Künstlerin, deren Werk mich immer wieder verstört & gefesselt hat. Jetzt ist sie endlich dran in meiner Great-Women-Reihe: Ana Mendieta 


"My art is grounded 
on the belief in one universal energy
which runs through all being and matter, 
all space and time."

Ana Maria Mendieta wird am 18. November 1948 in Havanna, Kuba in eine tonangebende, katholische  Familie der kubanischen Politik und Gesellschaft hineingeboren. Ihr Vater Ignacio Alberto Mendieta de Lizáur ist Rechtsanwalt und ein Neffe von Carlos Mendieta, der von Fulgencio Batista - zu diesem Zeitpunkt noch Armeechef, ab 1952 diktatorisch regierender Staatspräsidenten Kubas - für knapp zwei Jahre von 1934 - 35 als Präsident des Inselstaates eingesetzt worden war. 

Ihre Mutter Raquel Oti de Rojas hingegen ist die Enkelin von Carlos Maria de Rojas, einem Zuckermühlenbesitzer in Matanzas, der eine maßgebliche Rolle im Kampf gegen Spanien um die kubanische Unabhängigkeit gespielt und als General die Aufständischen angeführt hat. Als die von den spanischen Truppen kontrollierten Zuckerfabriken niedergebrannt worden sind, hat auch er seine eigene Fabrik angezündet und all seinen Reichtum vernichtet, um sein Land zu retten. In Anas Familie gibt es viele Helden! An patriotischen Feiertagen marschiert das Mädchen also in der Parade nach Puerto Rojas, einer Festung, die nach ihrem Urgroßvater Carlos Maria de Rojas benannt ist, mit.
Ana unten links
(1952)
©The Estate of Ana Mendieta Collection LLC
and Galerie Lelong & Co.

Annas Mutter selbst ist Chemikerin & Forscherin. Ana wächst zunächst sehr behütet zusammen mit ihrer 3 Jahre älteren Schwester Raquelin und ihrem jüngeren Bruder Ignacio auf und besucht eine katholische Privatschule.

Anas Vater unterstützt zunächst die kubanische Revolution unter Fidel Castro Ende 1958 und ist an der Schweinebucht-Invasion beteiligt, entwickelt sich aber zu einem Gegner, auch weil er sich gezwungen sieht, seine Religion aufzugeben. 

Er und seine Frau sehen 1961 eine Chance, ihre Töchter der Einflussnahme der Regierung im Rahmen eines Gemeinschaftsprogramms der US-Regierung und des "Catholic Welfare Bureau" des Paters Bryan O. Walsh zu entziehen. 

Die "Operación Pedro Pan" basiert auf Gerüchten bzw. Flugblättern aus den Staaten, dass Fidel Castro und die Kommunistische Partei nicht nur planen, den Privatbesitz der kubanischen Bourgeoisie zu enteignen, sondern auch den Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder zu nehmen und die Minderjährigen in "kommunistische Indoktrinationszentren" stecken zu wollen. Heute weiß man, dass diese Mission ein Versuch der Vereinigten Staaten gewesen ist, Kubas gesellschaftliche Struktur zu destabilisieren, indem man sich auf das konzentriert hat, was jeder Familie am wichtigsten ist: der Nachwuchs. Geplant ist zunächst nur ein Aufenthalt von einem halben Jahr, bis sich die politischen Spannungen in Kuba gelegt hätten.

Die zwölfjährige Ana und ihre Schwester werden ( wie 14 000 kubanische Kinder insgesamt ) am 11. September 1961 nach Miami geflogen, mit dem endgültigen Ziel eines Aufnahmezentrums in Dubuque in Iowa. Im Gegensatz zur älteren Schwester, die nicht weg will und am Flughafen weint, ist Ana aufgeregt & neugierig. "Sie hatte dieses Bild von all den Teenagerfilmen im Kopf, die damals angesagt waren. Die Partys, die Teenager in Cabrios, die an den Strand fahren und Spaß haben", so Raquelin an dieser Stelle.

Die Eltern haben mit einer entsprechenden Vollmacht noch erreichen können, dass die Mädchen nicht voneinander getrennt werden. In der Folgezeit werden sie in verschiedenen Internaten und Pflegefamilien untergebracht - in einem Jahr ziehen sie achtmal um -, darunter auch eine Einrichtung, die bei uns als "Besserungsanstalt" firmiert, weil ein Gericht eine Einweisung in eine staatliche Einrichtung vermeiden will. Fluchen, Schlagen, Gewalt gehören zur täglichen Erfahrung der Mädchen, der Rassismus gegenüber Hispanos ebenso.

Die Beiden können kaum Englisch und sind deshalb sehr aufeinander bezogen. Sie entdecken, dass künstlerischer Ausdruck ihnen helfen kann, mit der Härte des neuen Alltags und dem Schmerz, aus ihrer Herkunftsfamilie gerissen worden zu sein, klarzukommen. 1965 kann Ana die High School abschließen, während ihr Vater im gleichen Jahr in Havanna wegen Kooperation mit dem CIA in Haft genommen wird. Erst im Jahr darauf wird ihre Mutter zusammen mit dem Bruder zu den Schwestern stoßen. 

Ana studiert zunächst Französisch im Hauptfach und Kunst und Kultur indigener Völker im Nebenfach am  Briar Cliff College in Sioux City, Iowa. Doch als sie an die University of Iowa wechselt, an der schon ihre Schwester Raquelin studiert, wird sie nach und nach von der Avantgarde-Community dort inspiriert. 1972 schließt sie ihr Studium mit einem Bachelor of Arts ab. 
"Der Wendepunkt in der Kunst kam 1972, als mir klar wurde, dass meine Bilder nicht real genug waren für das, was ich mit dem Bild ausdrücken wollte. Und mit real meine ich, dass meine Bilder Kraft und Magie haben sollten," so wird sie später ihre Umorientierung begründen und 1977 nicht nur einen Master in Malerei ablegen, sondern auch einen Master of Fine Arts im Studiengang Intermedia. 
Hinter dem Intermedia-Programm der University of Iowa versteckt sich ein kreatives Labor, in dem Künstler*innen, Studierende und Wissenschaftler*innen verschiedener Fachbereiche miteinander kommunizieren & experimentieren und bewusst die Grenzen der bis dahin geltenden Kunstgattungen – Malerei, Plastik, Grafik - überschreiten. Angeleitet wird das von dem renommierten, aus Herford stammenden Künstler Hans Dieter Breder. Dieses Studium ist performanceorientiert, und Video ein wesentlicher Aspekt. Obwohl die Technik zunächst nur dokumentarisch eingesetzt wird, wird sie sofort zu einem integralen Bestandteil vieler studentischer Performances und bald ein eigenständiges Medium.

Mit dem 13 Jahre älteren Breder verbindet Ana in der Folge eine professionelle wie romantische Beziehung bis in den Sommer 1980. Breder hat in vielerlei Hinsicht großen Einfluss auf die junge Künstlerin. Er macht sie auf das spannende Potenzial interdisziplinärer Kunst aufmerksam und nutzt sie als Muse & Model, insbesondere für "La Ventosa" (1971), wo Ana nackt mit einem Spiegel in der Hand am Strand liegt und von Wellen überrollt wird. 

Doch noch einmal zurück in die Zeit ihres Zweitstudiums, während dessen die junge Frau  beginnt, sich mit Blut und Gewalt gegen Frauen zu beschäftigen und ihr Interesse an Spiritualität, Religion und primitiven Ritualen zu entwickeln. Sie entwickelt ihre ganz eigene, außergewöhnliche Vision basierend auf ihrer persönlichen Geschichte des erzwungenen Exodus.

Schon im Sommer 1971 ist sie nach Mexiko gereist und hat sich dort mit den schmerzhaften Auswirkungen dieser, ihrer kulturellen Vertreibung aus Kuba beschäftigt. Später wird sie die Reise als "Rückkehr zum Ursprung" bezeichnen. Diese Reise gibt auch auch den Anstoß zu Anas Interesse an einem "Dialog zwischen Landschaft und weiblichem Körper". Die Beziehung zwischen Künstlerin und Erde lässt sie den Schmerz über ihre frühen Trennung von Mutter und Heimat lindern bzw. in universeller Hinsicht wie die vom Mutterleib.

In diesen jungen Jahren unterrichtet Ana auch Kunst an der Henry Sabin Elementary School in Iowa City. Während dieser Zeit schafft sie gemeinsam mit ihren Schülern Kunstwerke und filmt die gemeinsamen Aktionen.
1972

Eine der bis heute wohl bekanntesten Arbeiten aus jener Zeit ist "Untitled (Facial Hair Transplant)" der damals 24 Jahre alten Künstlerin. Ein Kommilitone der Iowa University hilft ihr bei der Erstellung, indem er seinen Bart stutzt. Diese Haare klebt sie dann sorgfältig auf ihr eigenes Gesicht. Den Vorgang dokumentiert sie vollständig mit vielen Fotos. Ihr subversives Selbstporträt verzerrt unsere gewohnten Vorstellungen von Schönheit und stellt Geschlechterkonstrukte in Frage - in diesen Tagen ungeheuer provokant.

Immer wieder mit Diskriminierung als weibliche Studierende - ihre Schwester wird aufgefordert, als sie noch als Studentin heiratet, nach Hause zu gehen und ihr Geschirr abzuspülen! - und blutiger Gewalt konfrontiert, wendet sie sich immer wieder solchen Themen zu: 

Zum ersten Mal verwendet sie Blut während einer Performance im Jahr 1972, als sie "Untitled (Death of a Chicken)" präsentiert. Dabei steht sie nackt vor einer weißen Wand und hält ein frisch geköpftes Huhn an den Füßen. Im Todeskampf befleckt sich das Huhn das blütenweiße Gefieder und bespritzt den Körper der Darstellerin. Das dabei in einem Raum der in einem Raum der University of Iowa gedrehte Video dauert sechs Minuten.

Nachdem die Studentin Sarah Ann Ottens auf dem Campus vergewaltigt und ermordet worden ist, lädt Ana 1973 zu der Performance "Rape Scene" in ihre Wohnung in der Moffit Street ein, bei der sie die von der Hüfte abwärts nackt, blutverschmiert, vornübergebeugt und an einen Tisch gefesselt ist. Sie hat die Tat, wie sie von der Polizei berichtet worden ist, sorgfältig nachgestellt.

Später erinnert sie sich, dass sich ihr Publikum aus Studenten & Professoren "alle hinsetzten und anfingen, darüber zu reden. Ich bewegte mich nicht. Ich blieb etwa eine Stunde lang in dieser Position. Das hat sie wirklich erschüttert." Diese Interaktion zwischen den Leuten, die ihr Werk beobachten und darüber reden sowie ihr Körper als Subjekt und Objekt der Arbeit selbst ist das Mittel gewesen, das eigentliche Verbrechen zu verarbeiten, das an der Universität von Iowa stattgefunden hat.

Die Dokumentation dieses Werks ist schockierend. Es kann als Initialzündung für Anas weiteres künstlerisches Vorgehen betrachtet werden, indem sie die Macht ihres eigenen Körpers als Subjekt und Objekt in ihren Kunstwerken nutzt, um sexuellen Missbrauch und Gewalt auf eindringliche Weise anzuprangern.

In einer Diaserie mit dem Titel "People Looking at Blood Moffitt", auch "Moffitt Building Piece", im gleichen Jahr hält sie fest, wie die Passanten reagiert haben, nachdem sie Blut und Lumpen auf einen Bürgersteig gelegt hat. Ein scheinbar endlosen Strom von Menschen geht vorbei ohne anzuhalten. Nur der Mann aus dem Geschäft mit dem Schaufenster "HF Moffitt" wischt alles auf. Ana offenbart auf diese Weise unsere Bereitschaft, alltägliche Anzeichen von Gewalt zu ignorieren. Das wird sich ab da wie ein roter Faden durch ihr Werk ziehen... 

Sowohl die aufrührerische Wut dieses Stücks als auch seine subtilen Manipulationen – was erwartet sie denn schon von den Leuten mit einem Haufen blutiger Lumpen? – sind typisch für Anas explosives Pathos.
"Das war Teil ihrer Persönlichkeit. Nichts, was sie tat, überraschte mich jemals. Sie war schon als Kind immer sehr dramatisch – und liebte es, Grenzen auszuloten, die Leute zu erschrecken, sie ein wenig zu schockieren. Das war ihre Art, und sie genoss es sehr. Und manchmal lachte sie darüber, wenn die Leute ausflippten", so ihre Schwester später an dieser Stelle.
Während weiterer Reisen nach Mexiko in der ersten Hälfte der 1970er Jahre kreiert Ana u.a., die "Siluetas", Arbeiten, bei denen ihr Körper einen Abdruck im Boden hinterlässt, den sie dann mit Steinen, Blättern, Blumen und Hölzern dekoriert und manchmal mit roter Farbe füllt. Sie schreibt dazu:
"Meine Kunst basiert auf dem Glauben, dass es eine universelle Energie gibt, die alles durchläuft, vom Insekt zum Menschen, vom Menschen zur Seele, von der Seele zur Pflanze, von der Pflanze zur Galaxie."
"Untitled (from the Silueta Series)"
(1976)
©Ana Mendieta FairUse

Anas Werk wirkt auf verblüffende Weise zugleich radikal fortschrittlich und uralt und vibriert vor einer weiblichen Kraft, die bis in die frühesten menschlichen Riten zurückreicht. Eines ihrer bekanntesten Werke aus dieser Reihe mit dem Titel "Imagen de Yagul" ( siehe ganz, ganz oben ) zeigt die Künstlerin in einem zapotekischen Grab liegend, ihr nackter Körper mit weißen Blumen bedeckt. Das Laub, das ihr Gesicht verdeckt und aus ihrem Körper zu wachsen scheint, verwandelt ihre unbekleidete Gestalt zugleich in einen leblosen Körper und einen Ort großer Fruchtbarkeit. 

Ansonsten hinterlässt sie Abdrücke ihres nackten Körpers auf der Erde an Orten, die ihr besonders am Herzen liegen, wie Kuba, Mexiko und Iowa. Anschließend markiert sie die so entstandenen Umrisse oder Silhouetten mit bestimmten Farben oder Materialien, die diese Orte aufgrund ihrer persönlichen Identifikation nahelegen. Auf diese Art & Weise vermag sie ihre Beziehung zur Erde und zu ihrer Weiblichkeit sichtbar & erfahrbar zu machen.

"Untitled (Blood and Feathers #2)"
© The Estate of Ana Mendieta Collection

1974 entsteht "Untitled (Blood and Feathers #2)", ein dreieinhalbminütiger Super-8-Film, der eine Performance der Künstlerin während ihres Studiums festhält. Er zeigt die junge Frau nackt vor einem fließenden Bach  ( der  Old Man's Creek, Sharon Center, Iowa City ), den Blick direkt in die Kamera gerichtet, während sie Blut aus einer Flasche an ihrer Vorderseite herunterfließen lässt. Dann gießt sie das restliche Blut über den Rücken, wirft den leeren Behälter beiseite und lässt sich in einen Haufen weißer Federn fallen. In denen wälzt sie sich und die Federn bleiben an ihrem Körper haften. Dann steht sie aufsteht und breitet die Arme wie Flügel aus. angewinkelt – eine Position, die sie bis zum Schluss des Films beibehält.

Sie versucht so die Idee zu vermitteln, dass aus dem Opfer eines Lebens ein anderes, reineres Leben entstehen kann bzw. dass die physischen Grenzen des Körpers überwinden werden können und eine spirituellere Existenz erreicht wird. Sie knüpft damit an Vorstellungen an, die in religiöse Rituale der katholischen Kirche wie der Santeria einfließen. 

Ana Mendieta steht dem Katholizismus sehr kritisch gegenüber, weil die Religion den indigenen Völkern Amerikas aufgezwungen worden ist. Ihr Interesse an der Santería ist aus ihrer Verbindung zu Kuba zu erklären. Der gehäufte "rituelle Gebrauch von Blut" ( bei der Santeria immer Hühnerblut ) sowie die Verwendung von Schießpulver, Erde und Steine durch die Künstlerin ist auch auf diese Traditionen zurückzuführen. Ihre Schwester wird Ana als geradezu besessen von diesem religiösen Wissen charakterisieren.

Auch andere primitive Rituale aus Mesoamerika, den Mayas und Azteken faszinieren die junge Frau. Ihre Betonung einer Mutterfigur könnte auf die Maya-Gottheit Ix Chel, die Mutter der Götter, zurückzuführen sein. Viele Kunstkritiker haben Anas wiederkehrende Verwendung einer Mutterfigur und ihrer eigenen weiblichen Silhouette als feministische Kunst interpretiert. Da ihr Werk sich aus vielen Ideen speist - darunter Leben, Tod, Identität und Ort gleichzeitig -, lässt eine derartige Beschränkung eher nicht zu. Land und Erde sind bei Ana Mendieta eine Metapher für Familie, Liebe und Kultur, die Sehnsucht nach dem, was sie als Kind verloren hat.

Ihr Interesse an indigenen religiösen Praktiken wie Menschenopfern zeigt sich auch in einem Werk ohne Titel von 1976: In einer steinerne Nische ( in den Mauern eines mexikanischen Kloster Cuilapan de Guerrero ) steht die in ein weißes Laken gehüllte Künstlerin. Die Vorderseite weist blutrote Abdrücke ihres Körpers auf dem Stoff auf. 
"Für mich ist es entscheidend, Teil all meiner Kunstwerke zu sein. Durch meine Teilnahme wird meine Vision Wirklichkeit und Teil meiner Erfahrungen."
1981
1978 geht Ana nach New York. Sie freundet sich mit den feministischen Künstlerinnen jener Zeit an, darunter Nancy Spero und Carolee Schneemann, und wird Teil der "Artists in Residence Inc (A.I.R. Gallery)", der ersten amerikanischen Kunstgalerie, die ausschließlich Frauen gewidmet ist. 

In dieser Galerie lernt sie den minimalistischen Bildhauer Carl Andre, sechs Jahre älter als sie, kennen, als der an einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Wie hat die künstlerische Praxis von Frauen die gesellschaftliche Einstellung männlicher Künstler beeinflusst?" teilnimmt. Die beiden Künstler verlieben sich, obwohl zwei vollkommen gegensätzlichen Persönlichkeiten in künstlerischer Hinsicht. Liliana Porter, eine argentinische Videokünstlerin, mit ihnen befreundet:
"Carl war in seinem täglichen Leben sehr methodisch, er folgte den Routinen, Ana war das Gegenteil. Sie mochte ihre starke Persönlichkeit [...] und irgendwie brauchte sie auch einen reiferen und konstanteren Bezugspunkt."

Bekannt ist Andre vor allem durch seine auf dem Boden ausgelegten Metallplatten. Er hat seit Mitte der 1960er Jahre einen raschen Aufstieg in der Kunstwelt genommen. Obwohl also "Hoherpriester der Minimal Art", gibt sich der große, massige Mann äußerlich wie ein gewöhnlicher Arbeiter, der auch 1970 einen Streik von Künstlern, Schriftstellern, Galeristen & Museumsmitarbeitern organisiert hat im Rahmen der Protestbewegungen gegen den Vietnamkrieg.

Ana - zierlich, energisch, offen, gesellig, großzügig & belastbar - wird von ihrer New Yorker Umgebung als optimistisch, auffallend vital und dem Leben zugewandt erlebt, mit einem sehr guten Netzwerk aus vielen Freunden und dem gemeinsamen Feiern nicht abgeneigt - das gerät aufgrund ihres Werkes manchmal aus dem Blickfeld! Auch mit Andre widmet sie sich dem kulturellen & gesellschaftlichen Leben der Stadt, sie sind Gäste auf vielen Partys. 

Mit Carl Andre
Obwohl Anas Arbeiten größtenteils feministischer Natur sind, sind sie tendenziell inklusiver und lebensbejahender, als es innerhalb des Kollektivs sonst üblich ist. Sie sieht durchaus die Möglichkeit, Männer als Verbündete für die feministische Perspektive zu gewinnen. So kommt es 1982  zu einem Ende ihrer Zusammenarbeit mit A.I.R., als es über ein Gemeinschaftswerk mit Andre, das der Galerie vorgelegt worden ist, ein Streit entbrennt. Sie verabschiedet sich mit den Worten: "Der amerikanische Feminismus, wie er jetzt ist, ist ausschließlich den Weißen der Mittelklasse vorbehalten.

Von da an stellt sie die von der Gesellschaft festgelegten Grenzen generell in Frage. Sie tritt für die Überwindung des Eurozentrismus in der Kunst ein, kritisiert den Ausschluss nicht westlicher Künstler aus dem internationalen Kunstbetrieb und betont ihre eigene transkulturelle Identität. Sie entzieht ihre Werke dem konventionellen Kunstraum und der gängigen Kunstpraxis, die Kunstobjekte über Generationen hinweg in Museen zu verwahren, aber auch zu kommerzialisieren über Galerien.

Schon 1980 ist sie zum ersten Mal seit ihrer Emigration als Kind nach Kuba zurückgekehrt und wird das in den folgenden Jahren noch sechs Mal wiederholen. In Hügeln und Höhlen von Jaruco außerhalb der Stadt Havanna wird sie viele Werke hinterlassen, ganz der Erosion und dem Verfall ausgesetzt. So hat sie sich das vorgestellt.

Sie wird auch als Reiseführerin im kubanischen Kulturkreis arbeiten. Ihre Sehnsucht nach ihrem Ursprungsland kommt nicht nur in ihrer bildenden Kunst zum Ausdruck, sondern auch literarisch. Sie wird später viele Bücher und Seiten mit Notizen und Gedichten hinterlassen.

"Sandwoman"
(1983/84)
© The Estate of Ana Mendieta Collection
1983 wird sie mit dem Rom-Preis der renommierten American Academy  ausgezeichnet, verbunden mit einem einjährigen Studienaufenthalt ab Oktober des gleichen Jahres in der "Ewigen Stadt". Dort wendet sie sich endgültig von der Performancekunst ab und beginnt, Skulpturen und Zeichnungen aus natürlichen Elementen zu schaffen. Später entsteht noch die Totem- Serie aus Holz.

Die Beziehung zwischen ihr und Andre verschlechtert sich in dieser Zeit. Doch im Januar 1985 überraschen sie ihre Freunde und die Familie mit der Nachricht von einer privaten Hochzeitszeremonie in Rom.

Einige Monate nach ihrer Rückkehr nach New York vertraut Ana einer Freundin gegenüber ihren Verdacht an, dass Carl Andre, der während ihres Aufenthaltes in Rom in Berlin beschäftigt gewesen ist, eine andere Liebesbeziehung unterhält.

Am Abend des 8. September 1985 beschließt das Paar nicht auszugehen und bestellt zu einer Flasche Champagner chinesisches Essen. Man habe sich noch im Nachtprogramm einen alten Katherine-Hepburn-Film angeschaut, so Andre später. Ana sei vor dem Ende des Films ins Schlafzimmer gegangen. Dort stürzt die 36jährige aus dem geöffneten Fenster der gemeinsamen Wohnung, 33 Stockwerke tief auf das Dach eines Feinkostladens. Kurz vor ihrem Tod haben Nachbarn das Paar heftig streiten und ein "Nein!" schreien gehört. Ein Portier aus der Nachbarschaft, der sich einen Kaffee holen will, hört ebensolche Schreie. Andre selbst hat überall im Gesicht Kratzer, als zwei Polizisten an der Wohnungstür eintreffen. Er selbst hat zuvor noch einen Notruf abgesetzt: 
"Meine Frau ist Künstlerin, und ich bin Künstler, und wir hatten einen Streit darüber, dass ich stärker im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehe als sie. Sie ging ins Schlafzimmer, und ich ging ihr nach, und sie sprang aus dem Fenster."
In der Folge macht Andre widersprüchliche Aussagen zum Hergang. Anas Tod spaltet unterdessen die Kunstwelt:

Viele prominente Künstler bieten Andre, der einen Nimbus ohnegleichen in der Kunstszene hat, Unterstützung an gegen die sogenannte "feministischen Kabale". Obwohl eine Tragödie, sind viele der Meinung, der Vorfall dürfe nicht "Andres brillante Karriere" beschädigen. Aus dieser menschenverachtenden Perspektive ist der Verlust einer hispanischen Frau es also nicht wert, den Namen eines weißen Künstlers zu beschmutzen. Auf der anderen Seite sind Künstler*innen wie Carolee Schneemann und die gerade gegründete feministische Aktivistinnengruppe "Guerrilla Girls" sowohl über das Ereignis als auch über den darauffolgenden Umgang damit entsetzt: "Wir waren alle fassungslos über ihren gewaltsamen Tod. Wir wurden Zeugen, wie sich die Kunstwelt um Andre schloss, um ihn abzuschirmen", heißt es in einem Zeitungsinterview.

Während des dreijährigen Gerichtsverfahrens bezeichnet Andres Anwalt Ana Mendietas Tod als möglichen Unfall oder Selbstmord. Nach diesem Verfahren ohne Geschworene wird der Künstler im Februar 1988 vom Vorwurf des vorsätzlichen Mordes freigesprochen. Dieser Freispruch ist bis heute umstritten. Zum 25. Jahrestag ihres Todes wird 2010 in New York ein Symposium mit dem Titel "Wo ist Ana Mendieta?" veranstaltet werden. Weitere Aktionen gibt es 2014, 2015, 2017.

Anas Schwester hat schon bald nach dem Tod mit einigen Freunden das "Ana Mendieta Committee" gegründet, das sich zum Ziel genommen hat, einen Ort für eine posthume Einzelausstellung ihrer Werke zu finden. Schon 1987 geht der Wunsch in Erfüllung, als für Ana im New Museum in New York eine Einzelretrospektive eingerichtet wird.

Erst 2018 veröffentlicht die "New York Times" einen verspäteten Nachruf auf die Künstlerin, der mit den Worten beginnt: 
"Mendietas Kunst, manchmal gewalttätig, oft unverblümt feministisch und meist roh, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck, bevor ihr Leben ein jähes Ende fand."
Nach ihrem vielbeachteten Tod wird Ana Mendieta zu einer mythischen, romantischen und tragischen Figur in der Kunstwelt. Diese Sehweisen überlagern lange Zeit jegliche Aufmerksamkeit auf ihr überaus wichtiges Werk bzw. es wird allzu oft nur rückwirkend im Kontext ihres Todes betrachtet & interpretiert. Dabei wird völlig außer acht gelassen, dass sie eine lebhafte, furchtlose, konfrontative junge Frau gewesen ist, die sich von nichts und niemandem aufhalten ließ und die ihren Körper zu ihrer Sprache gemacht hat: Roh, verletzlich und trotzig. Erst in jüngerer Zeit, ab Mitte der 1990er Jahre, hat sich der Blickwinkel dahingehend geändert. Anfang der 2000er-Jahre beginnen dann auch ihre Familie und die Galerie Lelong mit der Restaurierung der filmischen Arbeiten, die sie hinterlassen hat.

Anas Geschichte zwingt uns, genauer hinzusehen: Auf die Macht, auf die Erinnerung und auf das, was wir vergessen.
                                                                              

Wer über noch mehr interessante Frauen erfahren möchte,
der sei auf diese Posts in meinem Blog verwiesen:

Dienstag, 9. September 2025

Recycling - Shirt

 Da durfte doch die Overlock-Maschine nach langer Zeit mal wieder aus dem Dunkeln...


Im Dritte-Welt-Laden in der Nachbarschaft gekauft, war das T- Shirt mit den Anzüglichkeiten auf meinen Stadtteil  ( für nicht - Kölner*innen: Nippes ist die Bezeichnung für mein Veedel ) schon etwas knapp ausgefallen, hat es der Trockner weiter schrumpfen lassen. Da die Qualität sonst sehr gut & das Motiv gefällig, habe ich es mittels des Schnittmusters "Ottobre Creative Workshop 301" weiter "geschrumpft" für die jüngste Enkelin. Fand die lustig und hat es sofort noch hier in Köln getragen.

                                                              

Verlinkt mit dem Creativsalat im September


Samstag, 6. September 2025

Meine 36. Kalenderwoche 2025

 
"Die Gleichgültigkeit der Natur 
verschluckt die menschlichen Geschicke.
.....
Die Geschichte wird dämonisiert, 
aber die Panik entbehrt empirischer Grundlagen. 
.....
Der Macht des Zufalls sind Propheten nicht gewachsen.
.....
Zufälle sind Einfallstore magischer Weltdeutung, 
in der alles in einem Kausalnetz verwoben ist."
Helmut Lethen, Kulturwissenschaftler

"Frauen erheben oft die Stimme an Stellen, 
wo Männer schweigen"
Nicole Schilling, Generalin

Das zurückliegende Wochenende habe ich hemmungslos vertrödelt. Statt "Kölner Lichter" habe ich mir Literatur-Videos eines (von mir) neu entdeckten YouTube-Kanals angeguckt, gelesen, mir was Schönes gekocht, mit Familienangehörigen, auch entfernteren, telefoniert. Am späten Sonntagnachmittag bin ich dann auf den Hansaring ins Kino gegangen:



"In die Sonne schauen" von Mascha Schilinski, in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet, wollte ich mir angucken. Vorneweg: Wenn ich vorher vielleicht mehr über den Film gewusst hätte, hätte ich eher Abstand genommen, so verstört war ich letztendlich. 

All das Böse, was Menschen widerfahren kann oder was sie sich gegenseitig antun, diese ganze Gewalt - eine solche Ahnung von Gefahr, von Tod, davon, dass diese Welt nicht zum Besten eingerichtet ist, hat den ganzen Film über gelauert. Getriggert wurden eigene Erfahrungen in meiner bäuerlichen Familie von damals durch Geschehnisse in der Sequenz aus der wilhelminischen Zeit. Dass sich historische Traumata in der Familie vererben und auch nachfolgende Generationen verfolgen, wird visuell ständig durchdekliniert - mir hätte sehr viel weniger bildliche Darstellung & Intensität gereicht. 

Warum Kinder noch in den Szenen, die in der aktuellen Gegenwart spielen, von den Geistern der Vergangenheit geplagt und in Richtung Tod gezogen werden, war mir eine nicht nachvollziehbare Zumutung. Einige Aussagen, gelesen bei Roger Willemsen in "Der Knacks" wie "Als Kind bewegt man sich in der Idee seines eigenen Todes wie der Angehörige einer Geheimloge"... "Kinder haben sich an das Leben vielleicht noch nicht genug gewöhnt, um es für unverzichtbar zu halten", haben meine Gedanken dann etwas relativiert. Meinen eigenen Erfahrungen war das fremd.

Die Sonne, die doch im Filmtitel, hat mir einfach gefehlt, auch wenn es Feste & Feiern im Film gab...


Deutlich wurde mir mal wieder der Unterschied zwischen Kino & Literatur. Parallel zum Film habe ich am Wochenende Rilkes "Malte Laurids Brigge" gelesen. Da geht es auch viel um Tod & Sehnsucht nach ihm, Krankheit, Leid. Aber die Bilder, die mir aus den Worten kommen, habe ich in gewisser Weise unter Kontrolle, sie bedrängen mich nicht und ich kann sie in meine Erfahrungen einordnen.

Natürlich hätte ich viel lieber einen solchen Abendhimmel mit weitem Horizont über der Ostsee wie meine Kinder zu Beginn dieser Woche...


Aber ich freue mich auch über das Septemberlicht in Magnolie & Küche. Andrea fragte in dieser Woche bei den Fotofragezeichen: "Erste Septemberwoche: Für Dich Spätsommer oder Frühherbst?" Immer noch Sommer, wie man/frau sieht.




Am Mittwochmorgen wurde ich "händysch" mit einem Sonnenaufgang über der Ostsee begrüßt. Aber tausendmal lieber war mir, die Kinder am Spätnachmittag in realiter zu umarmen. Sie haben sich gleich über meine verschiedenen Farben hergemacht und Meeresszenen aquarelliert.



Auch den Tisch haben sie gedeckt und immer wieder Freude daran, meine bunten Schätze herauszuholen und zu verwenden. Hach ist das schön, die Mädchen wieder einmal um mich zu haben! 



Am Nachmittag gab es Besuch von der holländischen Freundin mit ihrer Enkelin, und die Tochter hat dafür ihren leckeren Apfelkuchen gebacken.



Die Jüngste hatte die Idee, die holländische Etagère mit orangefarbenen Bonbons zu bestücken. Jetzt habe ich ( zusammen mit dem aus Lübeck mitgebrachten Marzipan ) wieder verführerische Süßigkeiten im Haus, nachdem ich etliche Wochen keine mehr bei mir geduldet habe. 🤣 Damit wäre dann auch Andreas erste Frage beim Fotofragezeichen -  "Was isst du, wenn du frustriert bist?" - beantwortet...



Nach dem Besuch des neu eröffneten Spielplatz in einem Park in der Nähe haben wir uns noch einen gemeinsamen Restaurantbesuch gegönnt. Pfifferlingsalat ist eh gesünder für mich 🤣.



Das war dann letztendlich eine Woche, in der ich mein Herz erwärmen und die Finger weitgehend vom Computer lassen konnte. Deshalb schließe ich den Post auch nur ab mit meinen Angaben zu den Verlinkungen - mit Andreas Samstagsplausch in Berlin, dem Fotofragezeichen der anderen Andrea am Bodensee und dem Mosaic Monday von Heidrun - und wünsche euch allen ein schönes Wochenende!


                                                                                



Freitag, 5. September 2025

Friday - Flowerday #36/25

 

Beim heutigen Friday - Flowerday stehen für mich mal nicht
spektakuläre Blumen im Vordergrund,
sondern die witzige Etagère aus gebrauchtem Porzellan in Delfter Blau,
die mir meine holländische Freundin 
aus meinem Lieblingsort in Nord-Holland mitgebracht hat.


 
In die Vase sind dann Blümchen aus dem Garten gelangt:

Lampionblumen & Japananemonen



Noch einmal das Ganze:


Damit
ein schönes Wochenende
für euch alle!
                                                           

Und nun seid ihr wieder dran,
liebe Freundinnen des Friday - Flowerday!

You are invited to the Inlinkz link party!

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Donnerstag, 4. September 2025

Great Women #429: Ruth Hubbard

Hat dir deine Oma ( oder gar noch deine Mutter? ) auch weis gemacht, du sollst ganz viel Karotten essen, dann siehst du besser im Dunkeln? Dieser Glaube war während des Zweiten Weltkriegs weit verbreitet. Dahinter steckte, vor allem in Großbritannien, dass man zum einen einen enormen Karottenüberschuss hatte, aber auch das Radar erfunden, mit dem die Royal Air Force deutsche Flugzeuge nachts avisieren konnte. Um diese neue Technologie nicht zu verraten, machte man den Briten weiß, ihre verbesserte Nachtsicht sei ihrem emsigen Karottenkonsum zu verdanken und würde den Menschen helfen, bei Stromausfällen gut zu sehen. Diese "Fake News" wurden sogar landesweit an die Wände gepappt und in die Briefkästen gesteckt. Währenddessen erforschte auf der anderen Seite des großen Teichs eine Frau die wahren Hintergründe des Dämmerlichtsehens: Ruth Hubbard .

"Frauen werden immer noch dazu erzogen, 
großen Männern zu Füßen zu sitzen."
..... 
"Sie wissen, der Löwe ist der König der Tiere, 
bis Sie herausfinden, 
dass es die Löwin ist, die alles tut."

Die ist allerdings am 3. März 1924  zuerst in Wien auf die Welt gekommen, als Ruth Hoffmann, Kind zweier  jüdischer Eltern, Richard Hoffmann, 31 Jahre alt, und Helene "Hella" Ehrlich, ein Jahr älter. Beide sind Ärzte und zählen zu den linken Intellektuellen & sozialistischen Aktivisten der Stadt. Helene ist sogar eine begabte Konzertpianistin, und als Kind zeigt Ruth ebenfalls vielversprechende pianistische Fähigkeiten, liebt Kammermusik und genießt Bücher mit komplizierten Handlungssträngen bzw. kniffligen wissenschaftlichen Fragestellungen.

Ruth ist vierzehn Jahre alt, als das Nazireich auf Österreich ausgeweitet wird. Die Eltern sind als Juden & Sozialisten doppelt gefährdet und schaffen es gerade noch rechtzeitig, mit Ruth & ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Alexander Peter in die Vereinigten Staaten zu fliehen.

Dort lassen sie sich außerhalb von Boston, in Brookline Massachusetts, nieder. An der Brookline High School schließt Ruth ihre Schulausbildung ab und schreibt sich anschließend in Cambridge, Massachusetts am Radcliffe College ein, um dort einen vormedizinischen Abschluss zu erlangen. Diese Berufswahl liegt für sie erst einmal nahe, denn alle um sie herum sind Ärzte.

Radcliffe College (1938)

In Harvard lernt sie den Literaturstudenten Frank Hubbard kennen, der später ein führender Cembalobauer werden wird, und heiratet ihn 1942 im Alter von 18 Jahren, bevor er wegen des Zweiten Weltkriegs eingezogen wird.

Das Radcliffe ist ein "Liberal Arts College", was bedeutet, dass man zum Grundstudium in einem geistes- oder naturwissenschaftlichen Fach zusätzlich ein breites Allgemeinwissen und allgemeine intellektuelle Fähigkeiten vermittelt bekommt. 

Die Institution ist zu diesem Zeitpunkt ein "Harvard Annex", weil Frauen in der ehrenwerten Einrichtung das Studium nicht erlaubt ist. Unterrichtet wird von Harvard-Professoren - ausschließlich Männer -, die es übel nehmen, ihre Zeit in Radcliffe mit dem Wiederholen von Vorlesungen vor Frauengruppen verbringen zu müssen. Oft schickt man nur die zweite Garnitur für diese Aufgabe, so dass das Niveau des vermittelten Wissens nicht mit dem in Harvard vergleichbar ist. Ruth empfindet, dass die Lehrenden kaum ihre Verachtung gegenüber den Frauen verbergen und das Verhalten als herabwürdigend. Es brandmarkt Frauen in ihren Augen als Bürger zweiter Klasse.

ca. 1945
Für die Sommerschule wird die Geschlechtertrennung zeitweilig aufgehoben, so dass Ruth mit einer weiteren Kommilitonin einen Physik-1-Kurs mit 350 Studenten belegen kann - sehr unbehaglich für sie! Als im Herbst der reguläre Unterricht wieder beginnt, dürfen die beiden Studentinnen allerdings nicht mit dem Physik-2 -Kurs fortfahren, da dieser Kurs Harvard-Studenten vorbehalten ist. Ihr wird sogar von einem weiteren Studium in  Physik dringend abgeraten, und so wendet sie sich der Biologie zu. 1944 beendet sie ihr Studium der Biochemie mit dem Bachelor-Abschluss.

Zunächst wohnt sie bei ihrem Ehemann, der in Chattanooga Tennessee stationiert ist, bis sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin ins Labor des George Wald eintritt, einem charismatischen Professor für Biologie der Harvard University von knapp vierzig Jahren. Wald ist besessen von der Photochemie der Augäpfel und einem enormen, ungelösten Rätsel: Wie wandelt das Auge Licht in Informationen für das Gehirn um?

Ruths Laborarbeit ist mit einem Graduiertenstudium finanziell abgesichert und auch sie forscht nun zu Sehpigmenten. Wald hat zuvor schon herausgefunden, dass diese Sehpigmente aus einem Vitamin-A-Aldehyd, heute Retinal genannt, bestehen. Ruths erste Untersuchungsreihe besteht darin, diesen Mechanismus aufzuklären. Aufgrund finanzieller Unterstützung durch ein Promotionsstipendium des United States Public Health Service kann sie ab 1948 ihre Forschungen auch an der University College Hospital Medical School in London fortführen. 

Rhodopsin ist ein lichtempfindliches Protein, das sich in den Stäbchen der Netzhaut befindet. Es ist für das Sehen bei schwachem Licht, dem sogenannten Skotopischen Sehen, verantwortlich. Früher ist es auch unter dem Namen "Sehpurpur" bekannt gewesen. Es besteht aus dem Protein Opsin und einem Chromophor 11-cis-Retinal. Trifft Licht auf Rhodopsin und das darin enthaltene Retinal, löst das eine Signalkaskade aus, die zur visuellen Wahrnehmung führt.
Ruth arbeitet viele Stunden im Labor, lagert unzählige Augäpfel von Menschen, Tintenfischen & Kühen im Kühlhaus und entwickelt die sachgerechtesten Methoden, diese aufzuschneiden, um an ihren Inhalt zu gelangen. Noch vor ihrem 25. Geburtstag hat die junge Frau bereits eine Reihe bahnbrechender Erkenntnisse gewonnen.

Die ausgezeichnete berufliche Beziehung, die zwischen der jungen Doktorandin und ihrem Mentor herrscht, hat sich in dieser Zeit sehr schnell auch zu einem Liebesverhältnis gewandelt. Da Wald verheiratet ist - Ruth & ihr Ehemann leben schon lange räumlich getrennt, da dieser in Europa auf der Suche nach alten Musikinstrumenten ist -, halten sie ihre Beziehung fast vierzehn Jahre geheim. "Eine große Romanze", wird ihr gemeinsamer Sohn später sagen.

1950 erfolgt Ruths Promotion. 1951 wird sie von Frank Hubbard geschieden und geht nun als Forschungsstipendiatin weiteren Studien zu Retinal und Retinol nach. George Walds Hypothese hat sich inzwischen verifizieren lassen. 1952 kann Ruth dank eines Guggenheim-Stipendiums am Carlsberg-Forschungszentrum in Kopenhagen  weiter am Thema arbeiten. Von da ab bis in die 1960er-Jahre leistet sie wichtige Beiträge zum Verständnis der Biochemie und Photochemie des Sehvermögens von Wirbeltieren und Wirbellosen.

Ruth mit George Wald und Sohn Elijah
(1959)

Nachdem auch George Wald geschieden ist, heiraten sie 1958. Im Jahr darauf kommt im März Elijah zur Welt, der später ein bekannter Gitarrist & Musikwissenschaftler werden wird, 1961 Deborah "Debbie".

Das Leben der nunmehr 35jährigen dreht sich weiterhin ausschließlich um das Labor: Sie und Wald gehen jeden Morgen zu Fuß zum Campus, arbeiten in nebeneinanderliegenden Laboren, essen gemeinsam zu Mittag und schlendern anschließend wieder nach Hause, wobei sie die ganze Zeit über ihre Arbeit diskutieren. "Es gab Rhodopsin beim Frühstück und Rhodopsin beim Abendessen", wird sich Elijah später erinnern. 

Die eifrige Forscherin veröffentlicht über dreißig Artikel über das Sehen. 1967 erhält sie zusammen mit ihrem Ehemann die Paul-Karrer-Medaille der Universität Zürich für ihre Arbeiten auf diesem Gebiet. Es ist auch das Jahr, in dem George Wald mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird - Ruths Anteile an der Rhodopsin-Forschung werden ihm einfach mitangerechnet.

Bei der Verleihung der Paul-Karrer-Medaille bzw. des Nobelpreises
(1967)

Bis dahin lebt sie eigentlich zufrieden in einer patriarchalischen Welt. "Ich dachte wirklich, Männer seien klüger, interessanter und die bessere Gesellschaft." Und noch regt es sie nicht auf, dass sie und die anderen Wissenschaftlerinnen in Harvard in niederen Dozenten- und Forschungspositionen – "Nicht-Jobs" bzw. "typisches Frauenghetto" nennt sie es später  – gehalten werden, während Männer eine Festanstellung als Professoren bekommen. "Wir waren einfach naiv und dachten: ‚Na ja, Harvard lässt uns hier arbeiten. Ist das nicht nett von denen?‘Ich habe das Ganze nicht wirklich wahrgenommen."

George, Deborah, Ruth & Elijah
(1969)
Jetzt sieht sich Ruth aber um! Und wie!

Nun tritt sie quasi in die Fußstapfen ihrer politisch aktiven Eltern und ihres Bruders Alexander, Anwalt der Black-Panther-Bewegung und der United Farm Worker. Ende der 1960er Jahre nimmt sie ihre Kinder mit zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Sie schaut sich auch genauer die Erscheinungsformen der Wissenschaft um sie herum an, zunächst was den Beitrag der Forschung insbesondere zu den in Vietnam eingesetzten Waffen, Gasen und chemischen Entlaubungsmitteln anbelangt.  Eine abrupte Kehrtwende in ihren Ansichten wird ausgelöst: 

"Es wurde einfach unerlässlich, die Augen nicht vor der Tatsache zu verschließen, dass Wissenschaft Teil der gesellschaftlichen Struktur ist“, sagt sie später.

Zur gleichen Zeit beginnen Frauen an Universitäten im ganzen Land die Grundlagen der Privilegien weißer Männer zu hinterfragen, auf denen das traditionelle Wissen basiert. Nachdem sie über zwei Jahrzehnte lang maßgeblich zu unserem wissenschaftlichen Verständnis des Sehens beigetragen hat, beginnt Ruth Hubbard mit ihrer noch aufschlussreicheren Arbeit in den Bereichen Wissenschaft und Feminismus. Sie wendet sich also von der Suche nach Antworten auf biologische Fragen ab und der Frage zu, wer überhaupt die Fragen formuliert. Und da geht ihr auf, dass "die großen Fragen von Männern gestellt wurden, und deshalb stellen sie nur bestimmte Arten von Fragen."

Sie interviewt nun andere Wissenschaftlerinnen, um weitere anekdotische Daten für einen Vortrag über das Leben als Wissenschaftlerin vor der American Association for the Advancement of Science (AAAS) zu sammeln. Und wie durch einen Blitz ausgelöst wird ihr klar, dass ihre Karriere nicht den Verlauf genommen hat wie die ihrer männlichen Kollegen!

1982
Ihre eingehenderen Betrachtungen bringen den in der Wissenschaft tief verwurzelten Frauenhass und Sexismus ans Licht und das führt auf Dauer zu einem der radikalsten Fortschritte in Harvard: der Vergabe von Festanstellungen an Frauen. Ruth Hubbard wird 1974 schließlich die erste Frau, die eine unbefristete Professur für Biologie an der Harvard University erhält und damit "mehr Freiheit bei der Entscheidung, welche Arbeit ich machen und was ich lehren wollte." Ihr feministischer Aktivismus und ihre Kritik der Soziobiologie verändern die Wissenschaftsgeschichte. 

Ein Jahr nach ihrem Amtsantritt als Professorin hält Ruth ein kleines Seminar mit dem Titel "Bio 109 – Biologie und Frauenfragen" ab, das sich mit Sexismus und Rassismus sowie mit Fragen zu Klasse, Sexualität und anderen ausgrenzenden Strukturen in der Wissenschaftsgeschichte auseinandersetzt. Bis zum Ende des Jahrzehnts zieht "Bio 109" Dutzende von Studierenden an. 

1976 gibt sie ihre Arbeit im Labor auf – sehr zum Missfallen ihrer Kollegen –, um sich auf die Art und Weise zu konzentrieren, wie soziale Strukturen die Wissenschaft prägen. In den 1980er Jahren und darüber hinaus verfasst Ruth Bücher und Artikel, in denen sie sich gegen die Soziobiologie und ähnliche Formen des Missbrauchs der Wissenschaft zur nachträglichen verstandesmäßigen Rechtfertigung von Diskriminierung wehrt.

"Um Hubbards Einfluss zu verstehen, muss man sich mit der Denkweise jener Zeit auseinandersetzen. Damals dachten Wissenschaftler beispielsweise ernsthaft darüber nach, wie die menschliche Evolution erklären könnte, warum Jungen beim SAT-Mathetest im Durchschnitt besser abschnitten als Mädchen. Immerhin übertraf die Zahl der Jungen, die bei diesem Test zu den besten 0,01 % gehörten, die der Mädchen mit ähnlich guten Ergebnissen im Verhältnis 13:1. Doch die vorherrschende Theorie der 1980er Jahre besagte, dass die Gehirne der neolithischen Jäger in der prähistorischen afrikanischen Savanne – natürlich allesamt Männer – ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen ermöglichten als die der Sammlerinnen. Das Argument lautete, dass die Fähigkeit, Tiere mit Steinwaffen zu erlegen, Jahrtausende später zu korrekteren Antworten bei Multiple-Choice-Fragen zu Gleichungen führte. Dieser Analyse zufolge spiegelten traditionelle Geschlechterrollen und -erwartungen angeborene Fähigkeiten wider, anstatt Verhalten und Entscheidungen zu beeinflussen." So beschreibt Beryl Lieff Benderly, eine Wissenschaftsautorin, was sie vorgefunden hat, als sie sich mit Ruth Hubbards Ideen auseinandergesetzt hat.

1970er Jahre
Ruths Interesse an Rhodopsin ist also erloschen. Sie erklärt, dass sie mit der "vorgetäuschten Objektivität" der Laborarbeit fertig sei und widmet sich stattdessen nun dem Schreiben und Redigieren von Büchern, die die maskulinen Paradigmen der Wissenschaft in Frage stellen. 

Seit den 1970er Jahren erlebt die Forschung zu Geschlechterunterschieden allerdings auch immer wieder einen flashback, indem behauptet wird,  wissenschaftlich bewiesen sei, dass Frauen von Natur aus besser in der häuslichen Pflege und Mutterschaft seien als Männer, während Männer von Natur aus besser für das wettbewerbsorientierte Leben auf dem Markt geeignet seien. Der Schutz der reproduktiven Integrität von Frauen wird als Vorwand benutzt, um diese von besser bezahlten Berufsgruppen auszuschließen, von denen sie traditionell ohnehin ausgeschlossen gewesen sind. Diese Art der wissenschaftlichen Mythenbildung sollte langsam der Vergangenheit angehören, findet Ruth.

Der angesehene Genetiker Richard Lewontin allerdings schätzt seine Kollegin: "Niemand war eine einflussreichere Kritikerin der biologischen Theorie der Ungleichheit der Frauen als Ruth Hubbard." Ihre hervorragenden Kenntnisse der technischen, philosophischen und soziologischen Aspekte der Biologie zwingen ihre Kollegen, ihre eigenen Annahmen zu hinterfragen und ihre Theorien zu überdenken. Doch Ruth Hubbard ermutigt nicht nur Kolleginnen, in ihrer Karriere voranzukommen, sondern inspiriert auch Frauen außerhalb der Wissenschaft, sich entsprechende Bildung anzueignen. 

"Sie war wirklich eine Mentorin für eine Generation von Progressiven, Feministinnen und LGBT-Studenten in Harvard, und das bedeutete ihr sehr viel", so ihre Tochter Deborah, eine Anwältin. Und ihr Sohn ergänzt: "Sie war eine echte Lehrerin, nicht nur im Klassenzimmer. Sie beriet gern Menschen und gab gern Ratschläge. Sie interessierte sich aufrichtig für Menschen. Sie war jemand, zu dem die Leute, die sie kannten, mit ihren Problemen kamen."

Ruth kritisiert auch das bis heute übliche Peer-Review-Verfahren in der Wissenschaft, welches vor unzuverlässiger, ungenauer und voreingenommener Forschung schützen solle, aber in der Praxis darauf hinauslaufe, dass "Gleichgesinnte mit ähnlichem persönlichen und akademischen Hintergrund" nur die Plätze in den Gutachtergremien tauschen. Wissenschaftliche Materialien, die fast ausschließlich von weißen Männern erstellt werden, sind damit nicht vertrauenswürdiger als die Zucker-Propaganda, bei der in den 1960er- Jahren einige Harvard-Wissenschaftler von der Zucker-Industrie geschmiert worden sind und sich eine ganz andere These durchsetzt: Fett sei das größte Übel auf unserem Speiseplan, das mache uns dick und krank. 

1990

1990 greift sie in einem Essay mit dem Titel "Die politische Natur der 'menschlichen Natur'" die Gewohnheit der Wissenschaftler und Wissenschaftsautoren an, Gene ( die nichts anderes als Moleküle sind ) als Schlüssel zum "Geheimnis des Lebens" oder als "Baupläne des Organismus" zu begreifen: 

Das sei "eine Form des Reduktionismus, der individuelles Verhalten und gesellschaftliche Merkmale anhand biologischer Funktionen erklärt", was "zu Vergleichen zwischen der Größe der Gehirne von Männern und Frauen sowie zwischen den Gehirnen von Männern verschiedener Rassen geführt hat – was Wissenschaftler nutzten, um die Überlegenheit kaukasischer Männer gegenüber Männern anderer Rassen und gegenüber allen Frauen zu ‚beweisen‘."

In Anbetracht der Äußerungen des aktuellen Präsidenten der USA mit all ihren Folgen für viele Menschen im Land müsste Ruth Hubbard im Grab rotieren...

Die Stellung der Frauen und nicht-weißen Männer in den Naturwissenschaften bessert sich mit dem Herannahen des neuen Jahrtausends deutlich. Doch noch immer kann Caroline Criado Perez 2019 in "Invisible Women" über eine "geschlechtsspezifische Datenlücke" klagen: Von Sicherheitsgurten über Werkzeuge bis hin zu Bürotemperaturen ist die Welt um uns herum nach den Maßstäben von "kaukasischen" Männern gestaltet. Und frau muss immer noch betonen: Weibliche Gehirne sind nicht weniger intelligent, mathematisch weniger begabt oder weniger fleißig, doch stehen Männern mehr Möglichkeiten für Ausbildung, Praktika und Vernetzung in der Wissenschaft zur Verfügung. Und wenn es um Fakten geht, gibt es ein Spektrum an Wahrheit. Wie Ruth  Hubbard so schreibt: "Fakten sind nicht einfach da draußen. Jede Tatsache, jeder Faktor hat einen Urheber."

Zurück zum ( privaten ) Menschen Ruth Hubbard, die sich  in den USA immer wie eine Ausländerin gefühlt hat. 1990 sagt sie in einem Interview mit dem "Boston Globe": 

"Diese Fremdheit hat mir das innere Recht und die Freiheit gegeben, mein Leben nach meinen Bedürfnissen zu gestalten – mich nicht an Modelle anpassen zu müssen, die vorgeben, wie eine Berufstätige, eine Ehefrau, eine Mutter oder eine Gastgeberin zu sein hat. […] Wenn ich einige meiner Freunde ansah, hatte ich das Gefühl, dass es mir leichter fiel, loszulassen, woran ich nicht teilhaben wollte. Ich kann es Arroganz nennen, und in gewisser Weise ist es das auch. Aber es entsteht aus der fehlenden Identifikation mit einem Modell, in das ich passen muss."

Viele Jahre lang nach ihrem Rückzug aus der biochemischen Forschung verbringen Ruth Hubbard und George Wald die Winter in Cambridge und die Sommer in Woods Hole am Cape Cod, wo sie gern am öffentlichen Strand sonnenbaden und nackt schwimmen. Als George Wald am 12. April 1997 stirbt, ist Ruth, nun 73 Jahre alt, verzweifelt und hört praktisch auf, sich weiter in der Welt der Wissenschaft zu äußern. Sie wird vom Ausmaß ihrer Trauer überrascht. "Für jemanden, der sich als Feministin einen Namen gemacht hatte, war es ein Schock für sie, dass er wirklich der Mittelpunkt ihres Lebens war", so ihr Sohn.  

"Sie dachte, dass ihr Leben nach dem Tod meines Vaters mit mehr Schwung weitergehen würde: Sie würde Konferenzen besuchen, mehr reisen, mehr Bücher schreiben. Aber als mein Vater tatsächlich starb, wollte sie nichts anderes mehr tun. Er war ihre andere Hälfte. Da sie nun allein auf der Welt war, fiel es ihr sehr schwer, weiterzumachen. Fast fünf Jahre vergingen, in denen sie fast nichts tat. Sie nahm ihr intellektuelles Leben wieder auf, aber nicht mit derselben Kraft. Ihr Ehrgeiz war nicht mehr derselbe."

Wie nahe sie mir da ist! Doch solange sie körperlich noch dazu in der Lage ist, schwimmt die einst so inspirierende & kämpferische Wissenschaftlern & Feministin weiter vor der Küste von Woods Hole und bleibt ihren Überzeugungen treu, bis sie am 1. September 2016 mit 92 Jahren in ihrem Zuhause in Cambridge stirbt. 

Ihr Verdienst liegt vor allem darin, dass sie ihre mutigen Ideen zu einer Zeit veröffentlicht hat, als geschlechtsspezifische Themen noch als absolut unakzeptable Provokationen gegolten haben. Ein wertvoller Beitrag im Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen also! Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit hat sich da in mir breit gemacht, als ich über sie geforscht & geschrieben habe.

                                                                                

Gerne mache ich an dieser Stelle auf andere großartige Frauen aufmerksam,
über die ich schon gepostet habe und die einen Gedenktag haben: