"Die Bergner" hieß es immer wieder in Gesprächen älterer Generationen und es klang bewundernd, anerkennend. Mehr wusste ich nicht. Jetzt im Rahmen des Angriffskrieges auf die Ukraine und der Attacken auf Lemberg/Lwiw kam irgendwann auch mal die Rede auf ihren Geburtsort ganz in der Nähe: Drohobytsch, einstens - von 1772 bis 1918 - Teil des österreichischen Kronlandes Königreich Galizien und Lodomerie, heute zur Westukraine gehörig. "Die Bergner" ist heute vor 36 Jahren in London gestorben.
"Die Bergner" wird am 22. August 1897 als Elisabeth Ettel im erwähnten Drohobycz in Galizien ( ukrainisch Drogobych ) als Kind einer jüdische Familie geboren. Ihre Eltern, der Kaufmann Josef Ettel und seine Frau Anna Rosa Wagner, haben bereits eine Tochter, Theodora "Lola", ein Jahr nach ihrer Eheschließung 1893 in Wien geboren. Dort kommt auch zwei Jahre nach Elisabeth der Bruder Friederich "Fritz" zur Welt. Wieso kommt aber Elisabeth zu diesem Geburtsort mit dem seltsamen Namen?
"Als ich meine Mama fragte, wieso ich in Drohobycz geboren war, weil doch meine um vier Jahre ältere Schwester in Wien geboren war, da sagte sie einmal, es habe dort so eine wunderbare Hebamme gegeben. Ein anderes Mal sagte sie, sie habe einen Fluchtversuch aus der Ehe gemacht, der meinen Papa hätte zur Vernunft bringen sollen. (...) Sie hat mir auch erzählt, sie habe mich, vier Wochen alt, mitsamt einer polnischen Amme, die Hanja hieß, nach Wien gebracht, wo mein Papa mich sofort aus dem Fenster werfen wollte, weil ich kein Sohn war", wird sie später in ihren "Unordentlichen Erinnerungen" schreiben.
Die Familie Ettel lebt in Wien in der Leopoldstadt, genauer gesagt bis 1911 in der Josefinengasse 7, dann in der Nummer 2. Emil Bergner betreibt all die Jahre eine Manufakturwarenhandlung ebenfalls im Haus Nummer sieben.
Die Eltern führen eine sehr unglückliche Ehe: "Ich kann mich an keine freundliche oder freundschaftliche Atmosphäre in meinem Elternhaus erinnern", schreibt sie später über die Beziehung ihrer Eltern. Immer ist es ums Geld gegangen. Ihr Vater habe nie an eines seiner Kinder das Wort gerichtet, es sei denn, "(...) mit sehr harter Stimme und im Befehlston: "Ruhe!" oder "Tür zumachen!" oder "Schmatz nicht so!""Über ihr Verhältnis zur Mutter lässt sie sich nicht aus.
Die Wohnung in der Leopoldstadt ist klein, zwei Zimmer nur, aber mit im Haushalt lebt eine Köchin. Elisabeth bekommt ab ihrem achten Lebensjahr Klavierunterricht, den sie hasst, sie hat eine Saisonkarte fürs Eislaufen und alle fahren jedes Jahr in die Sommerfrische - dennoch wird sie später ihre Familie als eher arm bezeichnen. Die Kinder haben sogar einen Hauslehrer, den in Bukarest geborenen, dreiundzwanzig Jahre alten Jacob Levy Moreno ( der später in die USA emigriert und dort Begründer der Gruppenpsychotherapie und Soziometrie wird ).
Vier Jahre bleibt der, und Elisabeth schreibt ihm ihre "geistige Geburt" zu. Moreno selbst vermerkt in seiner Autobiografie, dass Elisabeth ihre Mutter an den Rand der Verzweiflung gebracht habe, da nach deren Meinung diese eine "krankhafte Lügnerin und Unheilstifterin" gewesen sei. Er aber habe ihr "unglaubliches dramatisches Talent" gesehen und die Mutter zu einer entsprechenden Ausbildung ermutigt. Moreno geht mit den Kindern der Ettels in den Prater, nimmt auch welche von der Straße mit, und dort erfinden sie Geschichten & lernen Gedichte oder spielen unter seiner Anleitung Theater. Ihm verdankt Elisabeth ihre erste Rolle in Molieres "Eingebildetem Kranken".
1913 lassen sich die Eltern scheiden: Der Bruder bleibt beim Vater, die Töchter bei der Mutter, mit der sie nun in der Unteren Augartenstraße 26/22 im 2. Bezirk wohnen. Die Mutter lebt nun dafür, ihre Töchter gut unter die Haube zu bringen, was Elisabeth gar nicht passt. Sie möchte einen Beruf, keinen Ehemann, und schreibt sich schon vor der Scheidung in einer Schauspielschule ein, zum Entsetzen des Vaters. Doch sie setzt sich durch, obwohl sie zu jung für die Schauspielklasse am Konservatorium ist - wählt sie halt ein privates Institut! Das Schulgeld zahlt die Mutter und ein Onkel.
Die erste Rolle an der Schule ist die des Rautendeleins in Gerhart Hauptmanns "Die versunkene Glocke". Ihre spätere erste große Liebe Thomas Schramek und und ein weiterer Freund werden ihr als Nickelmann und Waldschrat zur Seite gestellt. Das Rautendelein verhilft ihr u.a. auch beim Vorsprechen 1912 am Wiener k.u.k. Konservatorium zu einem Platz, einem Freiplatz noch dazu, für Elly Bergner, Matrikelnummer 326, Religion: mosaisch, Schulbildung: Bürgerschule, wie es die Akte vermerkt.
"Die Unterrichtsfächer am Vormittag waren Italienisch, Französisch, Dramaturgie, Literatur, Fechten und Ballett. Der Nachmittag gehörte dem eigentlichen Schauspielunterricht. Den gab es aber nur zweimal in der Woche. Soweit ich mich erinnere, gab es drei Klassen, in drei Jahren zu absolvieren. Die erste und die zweite Klasse durften bei der Dritten zuschauen. Jeder durfte die Rollen lernen und vorbereiten, die er sich selbst gewählt hatte."
1915/16 |
Die Prüfung legt sie am 2. Juni 1915 mit der Note "Zwei" ab. Anschließend muss sie sich durch persönliches Vorsprechen bei Theaterdirektoren ein Engagement suchen. Elisabeth wird schließlich für die letzten vier Monate der Saison fürs Innsbrucker Stadttheater engagiert. Als sie aus Innsbruck zurückkehrt, will sie nicht mehr bei ihrer Mutter wohnen, sondern nimmt sich ein Zimmer in Döbling. Sie ist jetzt 19 Jahre alt.
Die Anfangszeit der Schauspielerin am Theater kommt keineswegs einem Triumphzug gleich. Sie selbst hat Angst vor und auf der Bühne, stolpert, stürzt aus Nervosität. In Innsbruck ist es schwer für sie, sich zu beweisen, nur ein bisschen leichter in Zürich ab 1916, wohin sie letztendlich durch ein Gespräch mit Alfred Reucker gelangt: "Freudentränen, tiefstes Glück. Und jetzt beginnt der erste Akt. Bis hierher war alles nur Vorspiel, Prolog." Zürich wird das Sprungbrett für sie wie viele andere Nachwuchstalente dank Reuckers exzellenter Ensemblezusammensetzung und seiner vielseitigen Repertoiregestaltung.
Dort lässt man sie also größere Rollen spielen und sie kann es. Dass sich Alexander Moissi - zwischen 1910 und 1930 der berühmteste Schauspieler im deutschsprachigen Raum -, in sie verliebt, kommt ihr schließlich gelegen: Der Star am Theater macht zur Bedingung seiner Zürcher Auftritte, dass sie an seiner Seite spielt ( im Übrigen wäre ihm das auch auch im Privatleben sehr recht, doch umsonst: die allseits begehrte Jungschauspielerin weist ihn zurück ). An seiner Seite feiert sie ihren ersten kleinen Erfolge als Ophelia in "Hamlet". Mit der führenden Schweizer Bühne geht sie trotz des Krieges auf Tournee, gastiert in deutschen Städten und auch Wien. Sie spielt die Rosalinde in "Wie es euch gefällt" und freut sich, Familie & Freunde wiederzusehen. Anfang Mai 1917 finden zwei Aufführungen in Wien statt. Alfred Polgar endet seine Kritik mit dem Satz: "Es wetterleuchtet von Zukunft um diese Elisabeth."
Von links nach rechts: Alexander Moissi, Albert Ehrenstein, Wilhelm Lehmbruck |
Thomas Schramek und der Dichter Albert Ehrenstein, ein weiterer glückloser Verehrer - "ein lieber, lieber Mensch" und "Tolpatsch", der "einfach immer dort war, wo ich gerade engagiert war" - sind so besorgt um Elisabeth, dass sie ihre Freundin, die sie beide vergöttern, zu Alfred Adler zwecks Therapie schleppen.
Der reagiert ihr gegenüber so: "Und jetzt glauben Sie, Sie sind schuld? Das könnte Ihnen so passen." Und zu Ehrenstein: "Sie ist ein romantisches Kind, eitel ist sie sicher auch, wenn ihr alle hinter ihr her seid wie die Narren."
Ab dem 1. September 1919 wird sie festes Mitglied des Ensembles der Neuen Wiener Bühne für die Spielzeit 1919/20. In der Rolle der Lulu scheitert Elisabeth im Wien aufgeführten Zyklus, ihr wird aber Anmut & Reiz in der Kritik bescheinigt. Aber in ihrem zweiten Stück als Ensemblemitglied - "Die Sendung Semaels (Ritualmord in Ungarn)" von Arnold Zweig - übernimmt sie die Rolle des vierzehnjährigen Knaben Moritz Scharf. "Dieses Knaben Gestalt ist die zarteste und innigste Partie dieses grausamen Wirklichkeitsdramas", heißt es anschließend im "Neuen Wiener Journal" und Alfred Polgar lobt Elisabeth in den höchsten Tönen. Auch im nächsten Stück - "Einen Jux will er sich machen" von Nestroy - übernimmt sie wieder eine Hosenrolle. "Das talentierte Frl. Bergner ist selbstverständlich auch talentiert, wenn sie etwas nicht spielen kann", meint die "Wiener Allgemeine Zeitung" zu ihrem Auftritt.
Zum Jahreswechsel verlässt Elisabeth die Wiener Bühne aufgrund einer Empfehlung von Alfred Adler und wird Patientin in einer psychiatrischen Klinik, dem Sanatorium "Am Steinhof". Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln, auch ihre Autobiografie gibt da nicht wirklich Aufschluss. Schon 1918 hat sie im bei Zürich gelegene Sanatorium Kilchberg Zuflucht gesucht. In einem Brief berichtet sie, dass sie dort die Elisabeth Bergner wie eine Glanzrolle spiele.
Am 19. Juni 1920 steht sie dann schon wieder auf den Brettern, die die Welt bedeuten, auf denen der Münchner Kammerspiele in Shakespeares "Ein Sommernachtstraum". Ein paar Tage vorher hat sie in einem Brief an Thomas Schramek geschrieben, dass sie es nie "für möglich gehalten (hätte), daß ich mich einmal so nach Steinhof sehnen werde."
Mit Paul Hartmann in "Der Evangelimann" |
"Ich bin wie versteinert. Die ganze Nacht muss ich weinen und weiß mir garnicht zu helfen. Wenn ich nicht meinen Scheißfilm habe, gehe ich nicht aus dem Haus."Ihr Durchbruch auf der Bühne wird markiert vom Shakespeare-Stück "Wie es euch gefällt" am Lessing-Theater in Berlin 1923 unter Victor Barnowsky.
"Wie sie als Junge sprach und als Mädchen kopierender Knabe und wieder als Frau -- und wie rein sie alle Töne brachte![...] Bergner! Bergner! rief die Galerie. Und wir, die wir dabei waren, nuckelten mit dem Kopf und segneten sie und wünschten ihr alles Gute. Betend, daß Gott sie erhalte, so jung, so schön, so hold. Und daß der Film ihr fernbleibe...", schreibt Kurt Tucholsky darüber in der "Weltbühne".
"Sexlos", schreibt der Kritiker George Salmony, "beherrschte sie das Hexeneinmaleins der Verführung." Mit 566 aufeinanderfolgenden Auftritten in dieser Rolle stellt sie einen Rekord auf.
Paul Czinner |
"Ich bin zu meinen Charakterisierungen ohne jedes Konzept gekommen. Ich habe nie ein Konzept gehabt und auf Proben nie viel gewonnen. Ich war nie eine Probenschauspielerin. Ich habe immer erst mit dem Publikum angefangen, eine Rolle zu formen, und dann war es da."( Quelle hier )
1924 bietet Paul Czinner, ein österreichisch-ungarischer Filmschaffender mit jüdischen Wurzeln in Berlin, Elisabeth die Hauptrolle in seinem Film "Nju" an. Ab da dreht sie nur noch Filme mit ihm als Regisseur. Alsbald wird aus der Arbeitspartnerschaft auch eine private, denn sie erlebt Czinner als "verkleideten Engel". Sie drehen gemeinsam noch vier Stummfilme, deren letzter 1929 auf Arthur Schnitzlers Novelle "Fräulein Else" basiert und dem recht widerstreitende Kritiken zuteil werden. Schnitzler ist übrigens ein guter Freund der Schauspielerin.
Der Übergang zum Tonfilm gelingt der theatererprobten Elisabeth ohne Mühen: In der Literaturadaption "Ariane" (1930/31) ist ihre Rolle die der russischen Studentin Ariane Kusnetzowa, die sich in einen älteren Lebemann, dargestellt von Rudolf Forster, verliebt, - ein großer Erfolg:„Man merkte den Intellekt. Man merkt ihn Anfangs besonders stark. Nicht anzuzweifeln, dass er der erste, der wuchtigste Motor dieser Schauspielerin war, die schon vor Jahren Theater zu spielen begann, da, dort, auch in Wien, ohne daß es unbedingt glückt. Da war eine Schauspielerin für das Fach der „Naiven“, sie erfüllte ihren Kontrakt, doch, wie die Juristen sagen würden, mit Mentalreservation. Sie radierte vorerst alles himmelblau weg. Sie erstickte die Konvention im Keim. Sie kurierte das Ach, das sie nicht sagt, das Oh das sie parodierte, aus einem Punkt: beim Gehirn." So steht es in der Kritik des Filmes in der "Neuen Freien Presse" 1926.
Elsa Lasker-Schüler stellt über die Bergner fest: "Sie dringt ins Herz – aber sie geht auch in den Kopf."
Porträts der Bergner von Bruno Krauskopf (links) und Emil Orlik |
"Dreaming Lips" (1939) |
Da könnte man sie glatt mit der Garbo verwechseln |
Mit Martin Held in "Der Pfingstausflug" ( 1978, links ), in "Der Garten" ( 1983 ) |
"Der Rang Elisabeth Bergners als Filmstar wurde übertroffen von ihrer Bedeutung als eine der legendären deutschsprachigen Theaterschauspielerinnen des letzten Jahrhunderts. Von knabenhafter Gestalt, die Schultern etwas hochgezogen, spielte sie oft zarte, nervlich angespannte Frauen; ihr quirliges Wesen, der intellektuelle Nuancenreichtum ihres Spiels ließen jedoch nie vergessen, dass nicht der Film, sondern die Bühne ihr ureigenstes Medium war. Nach Zeiten fülliger Weiblichkeit schuf Elisabeth Bergner ein androgynes Schönheitsideal; ihr Repertoire reichte von kessen, koboldhaften bis hin zu anmutig-melancholischen Frauen und am meisten lagen ihr zerbrechliche Wesen, die Ehebruch, Unglück oder Tod heraufbeschworen", heißt es im "Lexikon der deutschen Film- und TV-Stars".
Leider ist die Vielgerühmte auf Bühne wie im Film/Fernsehen völlig an mir vorübergegangen. Hier kann man ihr ein wenig zuschauen bzw. zuhören und einen Eindruck von ihrer Stimme, Mimik & Gestik gewinnen.
sie kommt mir bekannt vor .. auf dem Ausschnitt im Interwiev..
AntwortenLöschenaber ich habe ja eh ein grottenchlechtes Namensgedächtnis ;)
dass sie so berühmt war wußte ich allerdings nicht
ein sehr interessantes Leben
danke für die Biographie
liebe Grüße
Rosi
Ich kannte sie nur vom Namen. Ein tolle Karriere hatte sie und dass sie auch ziemlich früh wieder in Deutschland spielte, ist schon bemerkenswert.
AntwortenLöschenAuch wie sie später eine echte Jüdin wurde über die biblischen Texte, die sie beruflich las, finde ich spannend.
Danke für dieses Portrait sagt
Sieglinde
Der Name kam mir gleich bekannt vor, da ihn meine Mutter öfter mal erwähnt hatte. Ein spannendes und sehr bewegtes Künstlerinnenleben!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea