Mittwoch, 1. April 2020

#BleibtZuhause 7

"Wie das Übermaß der Freude 
oft in Traurigkeit endet, 
so folgen hingegen 
neue Freuden auf das überstandene Leid."
Giovanni Boccaccio

Heute möchte ich euch auf eine Fantasiereise nehmen. Fantasiereisen habe ich mit meinen Kindern in der Schule immer gemacht, wenn ich merkte, dass sie die Stimmung so war, dass der Unterricht aus dem Ruder zu laufen drohte. Das war nach konfliktreichen Pausen der Fall, aber auch in Zeiten des Irakkrieges, bei Nine Eleven oder wenn auf dem Schulweg im Kasten der Krawallblätter eine aufwühlende, für Kinder nicht immer sofort verständliche Schlagzeile zu lesen war. Garantiert wäre das in diesen unseligen Coronazeiten auch so, wenn denn noch Schule wäre und ich noch Lehrerin...



Auf dieser Fantasiereise heute nehme ich euch nach Italien, genauer gesagt zu den grünen Hügeln der Toskana. Die Luft flimmert ein wenig, und wenn Gott am Ende seiner Schöpfungswoche die Idee einer harmonischen Landschaft gehabt haben sollte, dann ist seine Idee dort Wirklichkeit geworden.

Ich führe euch in ein Städtchen, dessen Oberstadt, von Mauern umgeben, mit einer romanischen Kirche, auf einem Hügel thront. Zwischen den engen Gassen findet sich eine breitere, in einen Platz mündend, an dessen Ostseite eine Treppe zu einem Palazzo Pretorio führt, dessen Mauern mit den Wappen vieler, längst verblichener Stadtherren geschmückt ist. Die vorherrschende Farbe des Örtchens ist jenes Braun, das den klingenden Namen Siena hat und in dem sich Jahrhunderte voller Sonne mit den Steinen und Ziegeln verbunden haben.



Unweit jenes Städtchens oberhalb von Florenz haben sich zehn junge Leute, sieben Frauen, drei Männer, zwei Wochen in ein Landhaus verzogen und erzählen sich an jedem Tag zehn Geschichten, so dass am Ende hundert zusammengekommen sein werden. Geschichten vom Leben und etwas vom Tod und noch viel mehr von Liebe und von Erotik. 

Warum ich euch auf diese Reise mitgenommen habe?
"Seit der heilbringenden Menschwerdung des Gottessohnes (waren) 1348 Jahre vergangen", so in der Einleitung des Decamerone, "als in die herrliche Stadt Florenz … das tödliche Pestübel gelangte, welches, entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder im gerechten Zorn über unseren sündigen Wandel von Gott als Strafe über den Menschen verhängt (wurde)."


Nein, Corona ist nicht die Pest. Und dass das Übel von Gott gesandt worden ist, um uns wegen unserer Sünden zu bestrafen, glauben hoffentlich nur noch solche wie der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr, der die gleichgeschlechtliche Ehen als eine der Gründe für die Ausbreitung des Coronavirus ansieht und die Regierungen der Welt auffordert, die Legalisierung aufzuheben - Quelle u.a. hier - oder der Patriarch Filaret, Bischof und Ehrenpatriarch der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Der Metropolit Mark, der russisch-orthodoxe Erzbischof von Berlin und Deutschland, schloss sich allerdings gerne an. Und die evangelikalen US-Prediger Steven Andrew sowie Ralph Drolliger, der Chef des Bibelkreises des Weißen Hauses ist, verbreiten diese Botschaft auch. Da kann dann auch ein israelischer Rabbi wie Meir Mazuz nicht nachstehen.

Fakt ist, beide Seuchen raffen die Menschen unterschiedlos dahin, egal ob Sünder oder nicht, wie es halt so Viren- oder Bakterienart ist. Im Florenz jener Tage unterbrach die Pest das Leben, die Wirtschaft und die Kultur auf mörderische Weise und am Ende waren mehr als zwei Drittel der rund hunderttausend Einwohner tot.


Das "Decamerone", welches die Geschichten der Zehn in unserem toskanischen Landhaus enthält, ist bis heute ein unterhaltsames Lesebuch geblieben und beweist, wie nah uns das Mittelalter immer noch ist. Denn die Gefühle der Menschen bleiben die gleichen.

Der italienische Dichter Giovanni Boccaccio, der esim Jahr darauf veröffentlich hat, wusste: 
"Die Seuche gewann umso größere Kraft, da sie durch den Verkehr von den Kranken auf die Gesunden überging, wie das Feuer trockene oder entzündliche Stoffe ergreift, wenn sie ihm nahe gebracht werden."
Deshalb: #BleibtZuhause! Und schmökert vielleicht mal in diesem Meisterwerk, das als erstes europäisches Werk in Prosa, also nicht in Versen und Reimen oder rhythmischer Sprache abgefasst, gilt. Hier kann man das sogar digital tun.






Wer lieber einen weniger literarischen Text lesen mag und sich mit der Geschichte der Wahrnehmung solcher Pandemien und der heutigen Sichtweise darauf auseinandersetzen mag, den verweise ich auf diesen interessanten Beitrag von Thomas Assheuer in der "Zeit".


Macht et joot. Und diesmal: Resta a casa!


Verlinkt mit dem Monatsmotto der Zitronenfalterin





9 Kommentare:

  1. Geschichten erzählen, das ist ein gutes Mittel um in Verbindung zu bleiben. Heute gehts ja auch digital in vielen Varianten. Deine Fanatasiereise hat mich an viele Seminare erinnert, die ich gehalten habe, und in denen wir auf Fantasiereisen gegangen sind.
    Nun können wir derzeit sowieso nur in der Fantasie auf Reisen gehen. Erlebte Reisen nochmals durchleben, von anderen welche erzählt bekommen... Auch eine schöne Art zu Reisen.
    Komplett von zuhause aus und doch werden wir verändert zurückkommen.
    Herzlichst, Sieglinde

    AntwortenLöschen
  2. Guten Morgen, liebe Astrid!
    Wir haben für die Pfingstferien eine Wohnung
    in einem Agriturismo 30 km südlich von Siena gebucht...
    Du kannst dir vorstellen, wie ich bange...
    Danke für deinen Post!
    Liebe Grüße und passt auf euch auf!
    Melanie

    AntwortenLöschen
  3. Danke für den digitalen Link zum Werk. Ja, wir haben es heute wirklich gut, mit einer viel besser ausgestattetem Leben - in allem. Auch unser Wissen kreist nicht mehr um s Hexenwerk, wenn so eine Seuche um sich kreist, auch wenn es immer Unverbesserliche gibt. Wie wenig Kinder manchmal aufgeklärt werden über solche Ereignisse (von ihren Eltern, deren Aufgabe das doch eigentlich sein sollte) hat mein Mann am Anfang der Kriese im Bus erfahren. Da sprach ganz viel Angst heraus. Wir schimpfen ja schon ein wenig oder mehr über die Medien, aber wenn man will, kann man sich richtig informieren und dann hat man vor dem Unbekannten auch weniger Angst. Wobei wir wieder am Anfang sind und der Entstehung Deines vorgestellten Meisterwerkes in den zeiten der Pest.
    Liebe Grüss
    Nina

    AntwortenLöschen
  4. Fantasiereisen ..
    eine schöne Idee..
    ich habe gerade einen dicken Schmöker gelesen (aus dem Bücherschrank hier in der Straße)
    "Die geliehene Zeit" auch der hat mich auf eine Reise in vergangene Zeiten geschickt ..
    aber ich habe immer noch.. irgendwie.. zu wenig Zeit *lach*
    ja .. die Pest war auch so ein einschneidendes Ereignis
    aber das Leben ging weiter
    und so wird es auch dieses Mal wieder sein ..
    mich ärgern nur alle die selbsternannten "Fachleute" die alles besser wissen und allen Schuld zu weisen .. man hätte es früher erkennen müssen ect.(die toben sich in den Kommentaren auf bestimmten Seiten weidlich aus )
    aber es ist müßig über Vergangenes zu schimpfen
    man sollte sich seinen Atem und seine Kraft für das Jetzt und Später aufheben
    mein Tag läuft wie bisher auch und eigentlich fehlt mir immer Zeit ;)

    pass auf dich auf
    Rosi

    AntwortenLöschen
  5. Diese Art der Reisen sind wenigstens über alle Grenzen hinweg noch möglich. Nun ja, die Ursachen der Seuche sind ja damit auch geklärt...
    Ich versuche gerade beim Homeschooling meiner Enkel in den Staaten zu helfen, denn dort ist die Schule jetzt bis zu den Sommerferien gecancelt.
    Liebe Grüße
    Andrea

    AntwortenLöschen
  6. Nun, vielleicht ist Corona aber die gerechte Strafe (nicht Gottes, aber der Erde) für den Klimawandel? Immerhin zeigt es uns ja, dasz es auch langsamer und mit weniger Flügen geht - - - und was Greta nicht erreicht hat ;-)
    Kollektive Fastenzeit für alle...
    Das sind ja tolle Dekameron-Bände! Ich kenne es nur als antiquierte Textausgaben und konnte, eherlich gesagt, noch nie damit warm werden. Mag ja auch keinen Grimmelshausen und den anderen alten Kram, der so überdauert hat.
    Diese Bände wtrde ich mir gerne anschauen, dannn bekommt die mir unsympathische Sprache mir Visuelles und das wiederum spricht mich ja sehr an. Immer.
    Danke für den Input.
    Frühlingssonnengrüsze - bleibt gesund -
    Mascha

    AntwortenLöschen
  7. PS: Interessantes neulich in der ZEIT: nämlich dasz die erste Pandemie der Welt am Untergang des Römischen Reiches mitschuld war.
    Leider nur hinter Bezahlschranke der Artikel, aber vielleicht hast Du ihn sowieso gelesen?
    https://www.zeit.de/2020/13/historische-pandemien-roemisches-reich-coronavirus

    AntwortenLöschen
  8. :-) Wunderbar, liebe Astrid! Und wie liebe ich den Film von P.P. Pasolini!
    Lieben Gruß!
    Lisa

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Genau DER hat mich damals veranlasst, diese Bücher zu kaufen! Wie schön, dass der dir auch gefallen hat!
      GLG

      Löschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.