Donnerstag, 3. August 2017

Great Women # 109: Colette


"Den roten Rosenstock werde ich nicht an einer Wand kreuzigen, nicht an den steinernen Rand der Zisterne fesseln. Er soll, wenn mein gutes Geschick es will, dicht bei dem Schlafzimmer im Freien wachsen, dem Zimmer, das drei statt vier Wände haben wird und nach Osten offen ist. Ich will nicht schwören, daß ein solches Zimmer eine Decke bekommt, es sei denn aus Rohrgeflecht. Letzten Sommer ließ ich sogar das. Wie viele Menschen, die die Natur lieben, lieben sie so sehr, daß sie die Nacht ganz nah bei ihr verbringen wollen..." - diese Textpassage aus der Beschreibung ihres Hauses in der Provence hat sich mir bis heute unvergesslich in mein Gedächtnis eingebrannt, beschrieb es doch eine Idee, eine Sehnsucht, die mich in jenen Sommern dort immer befiel ( und die ich mich leider nicht zu stillen traute ). Darüber habe ich alle Claudine - Bücher vergessen, die ich in jungen Jahren gelesen hatte. Geschrieben hat das alles die französische Schriftstellerin Colette, deren 63. Todestag wir heute begehen und die mir inzwischen ziemlich vergessen scheint.

Sidonie-Gabrielle Claudine Colette erblickt am 28. Januar 1873 in Saint-Sauveur-en-Puisaye im Département Yonne als letztes Kind des ehemaligen Infanteriehauptmannes, Kriegsinvaliden und Steuereintreibers Jules Colette und seiner Frau Sidonie Landoy das Licht der Welt. 

Die Mutter hat zuvor zwei Kinder aus einer vorherigen Ehe und offensichtlich etliches Vermögen, ererbt von ihrem ersten Mann, in diese neue Beziehung eingebracht. Auf jeden Fall besitzt die Familie eine Kutsche und beschäftigt mehrere Bedienstete. Anders als ihre Halbgeschwister und der sieben Jahre ältere Bruder Leo, die in Internaten untergebracht sind, wohnt Colette bei ihren Eltern und wird im Ort eingeschult. Dort fällt sie auf, weil sie - wie es bei den Jungen jener Zeit Sitte ist - nur mit ihrem Nachnamen, also Colette, angesprochen werden will.

Als Fünfjährige
"Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Königin der Erde ich mit zwölf war! Stark, mit einer rauhen Stimme, zwei festgeflochtenen Zöpfen, die um mich herumpfiffen wie Peitschenschnüre, mit geröteten, zerkratzten, narbenbedeckten Händen und einer eckigen, jungenhaften Stirn...", so beschreibt sie sich später. Die Mutter hält von Erziehung nichts und lässt ihre Kinder gewähren.  So heißt es, dass "Minet-Chéri" - so nennt sie die Mutter -, noch vor der ersten Messe bevor die Sonne aufgegangen ist, durch die Natur streift. 

Der Vater, ein stiller, zurückhaltender Mann, träumt, schreibt und liest viel. Die Szene, die Colette später in einem ihrer Claudine - Romane beschreibt, könnte sich glattweg so bei ihr zu Hause zugetragen haben: Der Vater fragt seine Tochter am Tag ihres Schulexamens: "Wo steckst du denn die ganze Zeit, ich sehe dich überhaupt nicht mehr!" - "Aber Papa, ich hab' meine Prüfung gemacht!" "Was für eine Prüfung?", fragt er weiter, während er sich schon wieder seinen Büchern zuwendet.

Es ist jener Vater, der die gerade Elfjährige mit auf eine Reise nach Paris nimmt, wo sie höchstwahrscheinlich eine für sie schicksalhafte Begegnung macht: Sie lernt den 14 Jahre älteren Salonlöwen Henry Gauthier-Villars ("Willy") kennen, Sohn eines bekannten Pariser Verlegers, der als Kritiker und Schriftsteller eine große Rolle in der Pariser Szene der Belle Epoque spielt. Sie selbst wird später behaupten, das sei erst im Sommer 1889 der Fall gewesen. Fakt ist, dass ihr Vater Jules mit dem Verleger Jean-Albert Gauthier-Villars bekannt wird und sich die beiden Männer häufig treffen.

1893
Im Sommer 1890 zieht Colette mit ihren Eltern nach Châtillon-Coligny im Département Loiret zum Halbbruder Achille, der dort eine Arztpraxis eröffnet hat. 1892 taucht Henry Gauthier - Villars mit seinem neugeborenen Sohn, den er von seiner Geliebten hat, bei der Familie auf und bittet um Hilfe bei der Suche nach einer Amme. Ihm wird geholfen. Und offensichtlich kommen sich auch Colette und Willy näher, denn im November des gleichen Jahres stellt er sie seinen Eltern vor. Doch der am 15. Mai 1893 vorgenommenen Eheschließung bleiben diese fern - in ihren Augen ist die Verbindung eine Mesalliance! Willy büßt als Folge sein Mitspracherecht im Verlag ein, und seine finanzielle Beteiligung wird reduziert.

Colette mit Mann & Hund
Ab da lebt die gerade Zwanzigjährige in der großen Stadt, nach der sich alle so sehnen, und ist verheiratet mit einem "bereits alternden Mann mit blauen Augen, einem unergründlichen Blick und einem schrecklichen Hang zur Rührseligkeit", den sie mit "Monsieur Willy" anspricht. Unter das Foto links schreibt sie: "Colette und Toby-Chien, zwei brave Typen, denen man beigebracht hat, wie man Männchen macht und Pfötchen gibt."

Was hat Willy nur angestellt, dass das Mädchen, das sich mit zwölf "Königin der Erde" genannt hat, so resignativ, so angepasst ist?

Dazu muss man etwas ausholen, und sich mit den Gepflogenheiten des Herrn beschäftigen:

Obwohl Willy nicht einen einzigen Roman selbst geschrieben hat, gilt er in der Stadt als erfolgreicher Musikkritiker und Schriftsteller. Nur: Die mühselige Arbeit des Schreibens lässt er von einer Schar anonymer Mitarbeiter erledigen, gibt das Werk als sein eigenes aus und an seinen Verleger-Vater weiter. Vom Honorar erhalten die Mitarbeiter nur einen Bruchteil, während Willy auf großem Fuß lebt. Das Ganze nennt er "literarische Werkstatt". Und als Ergänzung dazu unterhält er noch einen "geselligen Zirkel": Das sind seine Mätressen, die er zu Hause ohne Scham gegenüber seiner jungen Ehefrau empfängt. 

In den Briefen an ihre Mutter schwärmt Colette selbstverleugnerisch von ihrem großartigen Leben in Paris, während sie gleichzeitig immer tiefer in eine echte Lebenskrise gerät: "Es gibt im Leben aller jungen Menschen einen Augenblick, wo Sterben ihnen genauso normal und verführerisch vorkommt wie Leben", schreibt sie später darüber. Sie verlässt sogar zeitweilig ihren promiskuitiven Ehemann und zieht zu ihrem Bruder. Anfang 1894 erleidet sie vermutlich einen Nervenzusammenbruch, ist zwei Monate bettlägrig, so dass ihre Mutter nach Paris kommt, um ihre kranke Tochter zu pflegen.

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Irgendwann nach diesem Zusammenbruch beginnt Colette, Musikkritiken für ihren Ehemann zu schreiben, und der, überrascht von ihrem Talent, fordert sie auf  - sozusagen als weiteres Mitglied seiner "Werkstatt" -  "pikante Erinnerungen" an ihre Schulzeit aufzuschreiben. Und Colette beginnt Schulhefte zu füllen mit den Erlebnissen eines fünfzehnjährigen Schulmädchens, welches sie Claudine nennt ( damit es pikant genug wird, fügt sie zwei lesbische Lehrerinnen ein ). Doch Willy sagt das Werk auf Anhieb nicht zu, und er legt es beiseite.

Es vergeht einige Zeit, bis ihm der Text wieder in die Hände fällt, und er den Eindruck hat, es gewinnbringend vermarkten zu können.

"Er rannte zu einem Verleger - na ja, und so bin ich Schriftstellerin geworden", kommentiert sie selbst später das Ereignis. 1900 - Colette ist jetzt 27 Jahre alt - kommt dieses, ihr erstes Buch heraus und liegt als Bestseller des Jahres in allen Pariser Buchläden. Doch als Autor ist Willy genannt. Colette schweigt dazu.

ca. 1900
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Sie schweigt und produziert von da an vier Stunden täglich, eingeschlossen am Schreibtisch, neue Claudine-Texte. Zwischen 1900 und 1903 erscheinen vier "Claudine"-Bände. "Ein neuer, origineller Mädchen- und Frauentyp", verkünden die Kritiker, "erfrischend, urwüchsig und wunderbar lebenssprühend". Damit seine junge Frau körperlich in Form bleibt, richtet Willy ihr einen Fitnessraum ein...

Dieser neue, "erfrischende" Frauentyp wird sogleich begeistert von der Werbung adaptiert: Zigaretten werden damit beworben, Parfums ( "taufrisch wie der junge Morgen" ), Gesichtswasser  tragen nun den Markennamen "Claudine". Im Theater werden Claudine- Stücke aufgeführt, für die sich der Ehemann feiern lässt. Als besonderen Reklametrick lässt er Colette und die Schauspielerin, die im Theater die "Claudine" spielt, als brave Schulmädchen mit weißen Kragen gemeinsam auftreten, und dem Gerücht, die beiden jungen Frauen hätten ein Verhältnis miteinander, setzt er nichts entgegen. Gerade wegen ihrer frivolen Natur ist ja das Interesse an den Claudine - Romanen so groß, denn der leicht anzügliche Unterton trifft exakt den Nerv der Belle Époque.
"Ich habe es satt. Ich will... ich will machen, was ich will... Meinetwegen nackt tanzen... Ich will traurige und keusche Bücher schreiben, in denen es nur Landschaften gibt, Blumen, Kummer, Stolz und die Unbefangenheit der Tiere...", schreibt sie.
Doch was letztendlich der Auslöser dafür ist, dass sie Willy 1906 verlässt, habe ich nicht herausgefunden:

Fakt ist, dass Colette ab 1902 eine Affäre mit der drei Jahre jüngeren Natalie Clifford-Barney beginnt, eine aus den Staaten stammenden Salonnière, die seit 1898 in Paris lebt. 1905 folgt eine Beziehung mit Sophie-Mathilde-Adèle-Denise de Morny, Marquise de Belbœuf, "Missy" genannt. In dem Jahr unterschreibt sie auch ein Papier, dass eine Scheidung vom nahezu bankrotten Willy einleiten soll, lebt & arbeitet aber weiterhin mit ihm. Nach dem Tod ihres Vaters im September 1905 beginnt sie mit Pantomimen - Unterricht und tritt im Februar 1906 dann zum ersten Mal als Tänzerin auf. Die Familie ihres Ehemannes ist entsetzt. Oder nimmt sie die Aussage ihrer Mutter - "Das schlimmste, was einer Frau passieren kann, ist ihr erster Mann" - endlich ernst?

"Le rêve d’Egypte"
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Schließlich räumt sie im November 1906 die gemeinsame Wohnung mit Willy. Er behält alle Autorenrechte an ihren ersten vier Büchern, so dass diese bis zum heutigen Tag in Frankreich unter dem Namen "Willy et Colette" erscheinen.

Colette ist nun dreiunddreißig und muss ihr Geld selbst verdienen. Das disziplinierte Schreiben hat sie gelernt. Und nebenbei verdient sie sich Geld in music-halls.

1907 veröffentlicht sie "La Retraite sentimentale" als Fortsetzung der Claudine - Reihe  und provoziert einen Skandal, als sie zusammen mit Missy im berüchtigten Moulin Rouge auftritt: Während der Aufführung von "Le rêve d’Egypte" küssen sie sich, die Show wird verboten, und die beiden Frauen können nicht mehr ohne Weiteres zusammenleben ( die Beziehung wird 1912 enden ).

Ihre Zeit als Tänzerin inspiriert sie zu dem 1910 erscheinenden Roman "La Vagabonde" und "L’Envers du music-hall" von 1913. "La Vagabonde" markiert ihren Durchbruch als eigenständige Autorin. Sie erzählt darin von einer geschiedenen Varietékünstlerin, die sich in einen reichen Erben verliebt. 1910  wird sie für den Prix Goncourt, den größten französischen Literaturpreis, nominiert.

Mit ihrer Tochter
Ob Baron Henry de Jouvenel des Ursins dieser reiche Erbe ist? Ab 1910 hat Colette immer wieder Texte im Pariser Magazin "Le Matin" veröffentlicht, dessen Redakteur Jouvenel ist. Sie heiratet ihn im Dezember 1912, schon schwanger mit ihrer Tochter Colette Renée ( "Bel-Gazou" ). Die Ehe gibt ihr Zeit zu schreiben, ohne sich ums Überleben Sorgen machen zu müssen, wie es in ihrer Zeit als Bühnendarstellerin gewesen war. Im Juli 1913 wir die Tochter geboren.

Ein ruhigeres Leben führt sie nicht als Mutter, und das Kind - untergebracht bei einer Kinderfrau auf dem Landgut der Jouvenels - wird sie manchmal ein halbes Jahr nicht wiedersehen. Sie schreibt weiterhin Romane, tritt in Varietés auf, arbeitet als Journalistin - im 1. Weltkrieg ist sie gar Kriegsberichtserstatterin - , verfasst Tiergeschichten, ist dabei, als 1917 in Rom ihr Buch "La Vagabonde" verfilmt wird. Und immer wieder gibt es neue Liebesgeschichten mit anderen Frauen, mit denen sie den Krieg über zusammen lebt.

1919 erscheint ihr nächster Roman "Mitsou, ou Comment l'esprit vient aux filles". Es folgt ihr bekanntester Roman "Chéri", die Geschichte einer Liebe zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau. Die Idee zum Buch hat sie schon 1912, doch erst als sie selbst ein Verhältnis mit ihrem Stiefsohn Bertrand de Jouvenel angefangen hat, verarbeitet sie den Stoff. "Chéri"  trifft wieder einmal den Nerv der Zeit und ist so erfolgreich, dass es bald zu einem beliebten Theaterstück umgeschrieben wird, in dem Colette ab 1926 selbst die weibliche Hauptrolle spielen wird.

"Kannst du nicht einmal ein Buch schreiben, das nicht von Liebe handelt?", soll ihr zweiter Ehemann einmal gefragt haben. Colette liebt die Liebe, kennt ihre Abgründe und ist bekannt für ihre sinnlichen Beschreibungen und eindringlichen Szenarien. Nein, darauf verzichten wird sie nie. "Mitsou", "Chéri",  und später "Gigi" -  selbst wer unter uns Älteren wenig über Colette weiß, kennt die Namen ihrer Romanfiguren, die stets ein Hauch von unbekümmerter Lebenslust umweht.
"Wer sich in letzter Zeit jener weiblichen Exhibitionsliteratur ausgesetzt hat, die gegenwärtig nicht nur in Frankreich Furore macht, mag mit einer gewissen Wehmut an die Belle-Epoque-Schriftstellerin Colette gedacht haben, mit der diese Strömung einst ihren Anfang nahm. Doch wie dezent und delikat ist die Schilderung weiblichen Begehrens, weiblicher Sexualität und weiblichen Rechts auf erotische Selbstverwirklichung bei der großen Colette im Gegensatz zu ihren alles gebenden und alles aussprechenden späten Nachfahrinnen à la Catherine Millet oder Charlotte Roche!", schreibt Tilman Krause anlässlich der Wiederveröffentlichung des Romans "Erwachende Herzen" 2008 ( Quelle hier ).
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In den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts steigt Colette, ebenso wie ihr Mann, in der französischen Gesellschaft auf: Er macht als Politiker Karriere, und sie wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt ( später sogar zum Offizier (1928) und zum Kommandeur (1936) ). Ihre Ehe allerdings geht in die Brüche, denn auch Jouvenel hat andere Liebschaften und verlässt Colette 1923. 1924 wird er ins Kabinett von Ministerpräsident Raymond Poincaré berufen, und im Jahr darauf wird die Scheidung ausgesprochen.

Da hat Colette schon über ihre alte Freundin Marguerite Moreno bei einem Diner den Geschäftsmann Maurice Goudeket, Sohn einer französischen Mutter und eines holländischen Diamantenhändlers, getroffen und man ist sich näher gekommen. Mit dem sechzehn Jahre Jüngeren geht sie zunächst häufig längere Reisen.

1925 erwirbt Colette auch das provençalische Bauernhaus "Tamaris les Pins" bei Saint-Tropez, das sie in "La Treille Muscate" umbenennt und welches in meiner einleitenden Beschreibung gemeint ist.

Sido
Im November 1929 erscheint die erste Fassung ihres Romans "Sido", der von vielen als ihr Meisterwerk angesehen wird und eine Art Porträt ihrer 1912 verstorbenen Mutter ist, "auf indirektem Weg, über die meisterhafte Beschreibung einer blühenden, duftenden, pulsenden Welt, das Bild einer außergewöhnlichen, geradezu seherisch sensiblen Frau, von der wir nie etwas erfahren hätten, wäre aus ihrer Tochter nicht die Dichterin Colette geworden",  wie der Verlag hier schreibt.

Als Maurice Goudeket im Winter 1930/31 pleite geht und sein Anwesen verkaufen muss, quartieren sich die Beiden im Hotel Claridge an den Champs Elysées ein. Für den gemeinsamen Unterhalt ist jetzt sie zuständig. Dazu eröffnet sie einen Schönheitssalon in Paris, später auch in St. Tropez und verkauft Schönheitsprodukte unter ihrem Namen - mit geringem Erfolg. Da kommt es sehr gelegen, dass Colette  mit der Zeitung "La République" einen Vertrag über einen täglichen Artikel abschließen kann und Haupttheaterkritikerin bei "Le Journal" wird...

Sie heiratet Maurice 1935, und das Ehepaar bezieht zwei benachbarte Wohnungen in Paris. Maurice hat sich als ein Mann herausgestellt, mit dem sie zusammen leben kann, weil er nicht das Bedürfnis hatte, sie in irgendeiner Form einzuengen. ( Sie werden bis zu ihrem Tod zusammen bleiben. )

Colette & Maurice Goudeket
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1937 überlässt ihr ein Verehrer ihrer Kunst seine Wohnung im Palais Royal. Sie zieht dort mit ihrer langjährigen Haushälterin Pauline Vérine ein und wird Nachbarin von Jean Cocteau.

Im zweiten Weltkrieg während der Besetzung der Stadt Paris durch die Deutschen müssen sich Colette und Maurice erst einmal verstecken, da er aus einer jüdischen Familie stammt. Sie fahren zu ihrer Tochter in die Corrèze, dann weiter nach Lyon, wo sie Passierscheine erhalten, die die Rückkehr nach Paris wieder ermöglichen. 1941 wird Maurice von der Gestapo abgeholt, kommt aber ein Jahr später wieder frei. Colette zeigt eine nicht ganz eindeutige politische Haltung während jener Tage, lehnt auch eine Einladung zum Tee beim deutschen Botschafter nicht ab. Als 1942 die Massendeportationen von Juden aus dem besetzten Teil Frankreichs beginnt, setzt Maurice sich mit gefälschen Papieren in den Süden ab und findet Unterschlupf bei Freunden in Saint-Tropez. Im Dezember kommt er wieder zurück.

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In dieser Zeit schreibt Colette ihren Erfolgsroman: "Gigi", der 1944 herauskommt. Der Roman lebt von ihren Erinnerungen an die schillernde Belle Époque, jener verlorenen, goldenen Zeit, und handelt von einem jungen Mädchen und ihrem Werdegang zur Pariser Kurtisane.

Colette verbringt jetzt die meiste Zeit auf dem Sofa und verlässt ihre Wohnung kaum noch, denn sie leidet seit 1939 unter einer fortschreitenden Arthrose der Hüftgelenke, die ihr das Leben erschwert, sie schließlich in den Rollstuhl zwingt und zunehmend an ihre Wohnung fesselt - ein autobiografischer Text aus jener Zeit lautet entsprechend "De ma fenêtre".

Nach Kriegsende kommen Schulterschmerzen dazu, die die Schriftstellerin nun auch am Schreiben hindern. Von 1948 an besorgt ihr Ehemann eine fünfzehnbändige Gesamtausgabe ihrer Werke.

1945 ist sie als zweite Frau in das zehn Mitglieder umfassende Gremium der Académie Goncourt ( 1949 deren Vorsitzende ) berufen worden. Die Académie française hingegen kann sich nicht zu ihrer Aufnahme entschließen.

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Der 80. Geburtstag der "großen alten Dame der französischen Literatur der ersten Jahrhunderthälfte" wird  ein nationales Ereignis.

Im Jahr darauf verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand zusehends.

Colette stirbt schließlich am 3. August 1954 in Paris und erhält als erste Frau in Frankreich ein Staatsbegräbnis auf dem Père Lachaise vier Tage später. Der Erzbischof von Paris lehnt die gewünschte religiöse Zeremonie allerdings ab - nicht weiter verwunderlich, finde ich:

Sidonie-Gabrielle Colette als wichtige Wegbereiterin auf dem Weg zur sexuellen Befreiung der Frau entsprach in ihrem Auftreten und ihrem Lebensstil so gar nicht den Vorstellungen der katholischen Kirche. Als provokant wurde sicher auch ihre offen gelebte Sexualität empfunden. Nach unseren Standards ist sie bisexuell gewesen. Dass sie ihre Beziehungen zu Frauen nicht vertuschte, ist in der Belle Époque ein mehr als mutiger Schritt gewesen.

Viele ihrer Werke sind bis heute lesbare, nachdenklich stimmende Romane, die uns einen Blick zurück auf die Normen und Konventionen der Belle Époque werfen lassen und die weiblichen Realitäten zeigen, wie es kaum ein Schriftsteller ihrer Zeit getan hat. Und: "Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir es in großen Teilen Colette zu verdanken haben, dass weibliche Sexualität in den ersten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts ein Stück weit enttabuisiert wurde", schreibt Charlotte Oskar an dieser Stelle.


Wen interessiert, was dann ein amerikanisches Musical aus Colettes "Gigi" macht, für den ist der Ausschnitt mit Leslie Caron aus der Verfilmung von 1958 in diesem Video gedacht. Für mich ist das das Colette - Bild, das ich in mir trage:


Welch ein Gesicht!

12 Kommentare:

  1. obwohl ich diesmal den lebenslauf kenne , habe ich mit freude dein billet gelesen..liebe grüsse

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  2. was für ein wildes, abenteuerliches leben - und so viel kreativität. grandios! xxxx

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  3. Ihren Lebenslauf kannte ich in dieser Ausführlichkeit nicht. Gelesen habe ich vor vielen Jahren mal Chéri, aber damals konnte ich nicht viel damit anfangen als junge Frau. Wir fühlten uns doch nach 1968 schon so befreit - auch von solcherart Normen. Dass sie es war, die einen großen Teil dazu beigetragen hat, habe ich erst viel später realisiert.
    Danke, dass Du wieder an sie erinnerst.
    Herzlichste Grüße und weiterhin gute Genesungswünsche schickt Dir Sieglinde.

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  4. Liebe Astrid,
    was für ein interessantes Leben. Ich lese diese Artikel immer gerne, denn ich finde es gut, dass das Leben und Werk dieser großen Frauen nicht in Vergessenheit gerät.
    Ich wünsche Dir noch eine schöne Woche.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  5. Ein bisschen wusste ich ja schon von ihr, aber Du hast es wieder wunderbar komplettiert! Mir tut nur ihre Tochter leid...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Oh was für ein interessantes Portrait liebe Astrid! Das Musical kannte ich ;))
    Liebste Grüße
    Christel

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  7. Ein sehr schönes Portrait. Ich erinnere mich dunkel, etwas von ihr gelesen zu haben.
    LG und schönen Abend noch
    Susa

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  8. Manchmal denke ich bei solchen Llebensbeschreibungen, extrem, was in so ein Leben passt.Mit welcher Selbstverständlichkeit die Arbeit von Frauen vereinnahmt wurde, ist nach wie vor für mich erschreckend.
    Danke, dass ich jetzt mehr weiß, "Gigi" kannte ich, als Musical.Nun werde ich mal etwas lesen von ihr.
    viele Grüße Karen

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  9. boah! was ist das wieder mal ein frauenleben!! ichliebe allein schon ihre vornamen - wie klingt das schön!! gigi hab ich irgendwann mal gelesen, mehr weiß ich nicht. zeit, sich mal ein buch von ihr zu besorgen!
    liebe grüße
    mano

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  10. Ja, welch ein Gesicht, und was für eine Frau! Jetzt möchte ich auch unbedingt etwas von ihr lesen!
    Liebe Grüße Ulrike

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  11. Juhuu ein Artikel über Colette! Hurra, danke. Kenne und liebe ihre Bücher schon lange, Sido ist wundervoll. Meine Lieblingsszene ist die der Geschwister, die sich an das Gartentürchen erinnern und gemeinsam den Quietscher des Tores beim Öffnen singen können - "und weisst Du was sie gemacht haben?" - fragt der Bruder seine Geschwister - "sie haben es geölt!" Die geschwisterliche Empörung! Ach Astrid, danke für den Text! Ich muss doch mal wieder ihre Biographie lesen, sagt die Eva und verschwindet kopfüber im Bücherregal....

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  12. Und nun wird sich wieder an sie erinnert. Wir waren gestern im Kinofilm. Hie und da hatte ich schon mal über sie gelesen und mich heute erinnert, dass hier auch. Dankeschön!
    Lieber Gruß
    dörte

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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