Donnerstag, 17. März 2016

Great Women # 54: Elfriede Lohse - Wächtler





Auf die Künstlerin meines heutigen Porträts wurde ich bei einer Ausstellung im Bonner Macke - Haus 2004 aufmerksam, bei der es um die "Femme flaneur" ging, Künstlerinnen also, die die Barrieren bürgerlicher Konventionen und Schicklichkeiten ignorierten. Und eine fiel mir dabei ganz besonders auf mit ihren aufwühlenden Darstellungen: Elfriede Lohse - Wächtler. 
Unser Besuch in der Bielefelder Kunsthalle ( hier habe ich davon berichtet ) hat mich dann vollends überzeugt, dass ich sie hier unbedingt vorstellen muss...


Anna Frieda Wächtler wird am 4. Dezember 1899 in Löbtau bei Dresden geboren. Der Vater, Adolf Wächtler, ist kaufmännischer Angestellter und protestantischen Glaubens, die Mutter Sidonie ( Maria Zdenka ) Ostadal, ursprünglich aus dem südböhmischen Husinec stammend und als Dienstmädchen nach Dresden gekommen, hingegen römisch - katholisch, was zu einer Heiratsverzögerung führt, so dass Sidonie bei der Hochzeit am 18. Juli 1899 schon mit dem Kind schwanger ist. Frieda selbst wird dann evangelisch getauft.

Dank des guten Einkommens des Vaters wächst Frieda in gesicherten Verhältnissen auf & zeigt schon früh künstlerische Interessen, wie sie der Vater bereits bei der Zweijährigen zu beobachten glaubt. Die Eltern scheinen sehr unterschiedliche Erziehungsvorstellungen zu haben & mit der Genialität und Exzentrik der Tochter überfordert zu sein, doch schätzt die Mutter, die als bürgerliche Ehefrau nur mit der Aufzucht ihres Kindes beschäftigt zu sein hat, die Ruhe, die herrscht, wenn sich die Tochter malend beschäftigt.

Ab 1904 wohnt die Familie dann in verschiedenen Wohnungen im Dresdener Stadtteil Striesen.

Im Sommer 1905, im Anschluss an eine Reise nach Wien, werden die Verwandten in Böhmen besucht, und Frieda bleibt bis nach Weihnachten bei der warmherzigen Großmutter in Husinec ( übrigens der Geburtsort des tschechischen Reformator Jan Hus im Böhmerwald ). Bei ihrer Heimkehr nach Dresden kann sie angeblich kaum noch Deutsch sprechen & fremdelt mit der Mutter.

Ostern 1906
Ab Ostern 1906 besucht das Mädchen die X. Bürgerschule in Striesen, eine reine Mädchenschule. Acht Jahre lernt sie dort und scheint eine gute Schülerin zu sein. Die Eltern finanzieren ihr Geigenunterricht, aber sonst ist die Atmosphäre im Elternhaus eher amusisch & wird von Frieda durch die autoritäre Einstellung des Vaters als eher beengend empfunden.

Im Alter von Jahren elf Jahren bekommt Frieda einen Bruder, Hubert, zu dem sie zeitlebens eine innige, herzliche Beziehung haben wird.

Nach ihrer Konfirmation Ostern 1914 endet für Frieda die Schulzeit. Ein Jahr lang verbringt sie "zur Erholung" in Böhmen bei Großmutter & Tante, hilft dort im Geschäft und lernt das Nähen. Offensichtlich kehrt sie nach diesem Aufenthalt mit großem Selbstbewusstsein heim, doch scheitert sie mit ihrem Wunsch, auf die Kunstakademie zu gehen, am Einspruch des Vaters. Der schlägt eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule vor, in einem Bereich, in dem man künstlerisch tätig sein, aber auch Geld verdienen kann. "Es ist Krieg, alle Männer werden eingezogen. Glaubst du, du findest da noch einen der dich ernährt?", zeichnet Regine Sondermann den Monolog nach.

Frieda schickt sich erst einmal in ihre Abhängigkeit von der väterlichen Autorität, legt aber den verhassten Namen Frieda ab, nennt sich um in Elfriede und beginnt die Ausbildung zur Kostüm- oder Modellschneiderin in der Dresdener Königlichen Kunstgewerbeschule.

Kunstgewerbeschule 1915
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Doch der Sieg des Vaters ist nur der Anfang seiner Niederlagen: Die weiblichen Sonderklassen werden 1915/16 in gemischte Klassen umgewandelt, Männerklassen den Frauen geöffnet. Im September 1916 wechselt Elfriede in die Fachklasse "Angewandte Grafik" von Georg Oskar Erler. Und zum gleichen Zeitpunkt zieht sie aus der elterlichen Wohnung aus und teilt sich ein Zimmer mit ihrer Freundin Londa Freiin von Berg, der späteren Ehefrau des Malers Conrad Felixmüller. Das ist in der damaligen Zeit ein unerhörter, mutiger  Akt, zu dem sich Elfriede entschlossen hat, weil ihr "zwischen dem konventionell Bürgerlichen die Luft genommen" wird, so berichtet der Bruder Hubert später.

Doch scheint das Verhältnis zu den Eltern ausgesprochen zwiespältig zu sein: Da ist einmal die böse Elfriede, die sich alle Freiheiten herausnimmt. Und dann wieder die liebe Frieda, die den Eltern & dem Bruder in jenen von Entbehrung gekennzeichneten Kriegszeiten einen Landurlaub verschafft, bei dem die sich satt essen können. ( Elfriede selbst verdient sich zu dieser Zeit ihren Lebensunterhalt mit Landarbeit. )

Durch die Freundin kommt Elfriede in Kontakt mit der Künstlerszene der Dresdner Avantgarde. Fortan lebt und malt sie im Kreis sozialkritischer Künstler, wird Anhängerin von Dada und besucht Veranstaltungen des Spartakusbundes. Wie viele der sensiblen jungen Menschen, die durch die Gräuel des ersten Weltkrieges aufgeschreckt wurden, bildete sie sich politisch und sozial. Sich selbst nennt sich zu dieser Zeit Nikolaus Wächtler, Kurzform "Laus" - so auch der Titel eines Holzschnitt - Porträts von ihr von Felixmüller von 1917.

Londa & Conrad Felixmüller, seit 1918 verheiratet
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Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich mit dem Verkauf gebatikter Lampenschirme, Decken, Kissenhüllen, ja sogar Kaffeewärmern und Puppenkleidern, aber auch Postkarten und Holzschnitten. Sie "organisiert" Lebensmittel, sogar von den böhmischen Verwandten. Doch sie weiß auch, dass man etwas Besonderes sein muss, um die Kunstwelt zu beeindrucken. Sie pfeift auf das alte Frausein, schneidet die Zöpfe wortwörtlich ab,  raucht auf der Straße, kleidet sich ungewöhnlich:

1918
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Nach dem Ende des 1. Weltkrieges schließen sich Elfriedes Freunde zur Dresdener Sezession 1919, der zu diesem Zeitpunkt fortschrittlichste Künstlergruppe der Stadt, mit dem Hauptgrundsatz "Wahrheit - Brüderlichkeit - Kunst" zusammen.  Elfriede selbst scheint sich an kleineren Ausstellungen beteiligt zu haben, genaueres dazu ist aber nicht bekannt.

Die immense künstlerische Aufbruchstimmung in der Stadt hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass sie in dieser ansonsten sehr schwierigen Zeit entscheidet, ihre Ausbildung nicht weiter fortzuführen, sondern fortan als freie Künstlerin zu leben. Als Wohnatelier überlässt ihr Felixmüller nach seiner Heirat seine Wohnung in der Pirnaer Vorstadt - ein beliebter Treffpunkt der Sezessionisten!

Ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg begegnet Elfriede Wächtler auch dem Kunststudenten Kurt Lohse, in den sie sich verliebt und mit dem sie eine rechte Künstler- und Katastrophenbeziehung verbindet.
Kurt Lohse & Elfriede Wächtler (1921)
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1921 heiratete das Paar und zieht in ein Haus über einem halb verfallenen Steinbruch bei Wehlen. Dort gibt es einen Gemüsegarten mit einer kleinen Tabakpflanzung, Hühner, Enten und Gänse. Die Idylle dauert jedoch nur ein Jahr, nachdem der Gerichtsvollzieher das Haus versiegelt hat, weil die Eheleute sich in den dörflichen Geschäften schwer verschuldet haben:

In Wehlen (1921)
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Kurt Lohse ist Liebhaber italienischer Opernarien und schwankt zwischen der Entscheidung, ob er Maler oder doch lieber Sänger sein will. Gelegentlich übernimmt er Rollen am Residenztheater, übt sich im Gesang und Klavierspiel, trägt aber wenig zum Lebensunterhalt bei und wird als rücksichtslos, verschwenderisch, ausschweifend beschrieben. Elfriedes Freunde sehen die Beziehung deshalb sehr kritisch, finden ihn pflichtvergessen & zynisch, Elfriede aber viel zu feinfühlig & verletzbar. Der Freund Otto Griebel dazu: "Aber sie liebten sich auf Gedeih und Verderb, teilten alles Gute und Schlechte miteinander und konnten nicht wieder von einander los."

Selbstporträt (1921)
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Aus beruflichen Gründen zieht Lohse im Spätsommer 1922 nach Görlitz, Elfriede folgt ihm und tritt gelegentlich am dortigen Stadttheater als Tänzerin auf. Nach einem Jahr kommt es zur vorläufigen Trennung & Elfriede kehrt nach Dresden zurück. Dort erfüllt sich 1923/24 ein Traum, als sie in einem Atelier der Kunstakademie malen kann.

1925 erhält Kurt Lohse eine Stelle als Chorsänger in Hamburg. Und als er schwer erkrankt, habe  das ihre "Gegenwart und Pflege notwendig" gemacht, notiert sie. In Hamburg erhält sie endlich die Anerkennung als Malerin, gerät zugleich aber immer tiefer ins Unglück.

Selbstporträt mit blauem Kragen (1925)
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Zuerst kommt es zu einer Versöhnung und einer Schwangerschaft, die aber in einer Fehlgeburt endet ( in den Jahren zuvor hat Elfriede mehrere Abtreibungen vornehmen  lassen ). Trotz fester Anstellung Lohses lebt das Paar weiter über seine Verhältnisse, und als Kurt Lohse eine Beziehung zur Tochter seines Konzertmeisters unterhält ( die in den nächsten Jahren mit fünf Kindern gesegnet sein wird - eine Kränkung für die kinderlose Malerin ), kommt es 1926 zu einer zweiten Trennung. Lohse spricht Elfriede alles "Weiche" und "Warme" ab. "Sie gibt mir nichts", so die Begründung für seinen Seitensprung.

1927 leben die beiden wieder für kurze Zeit zusammen, als der tuberkulosekranke Lohse seine Stellung als Chorsänger aufgeben muss. Elfriede verschafft den Lebensunterhalt durch kunstgewerbliche Arbeiten, aber auch Illustrationen für ein Buch. Ein weiteres Kind der Geliebten 1928 gibt der Beziehung aber den Rest.

Selbstporträt & Foto von 1928, Porträt von Kurt Lohse (1927)













Sie lebt nun alleine in einem möblierten Zimmer in Elmsbüttel mehr schlecht als recht, bittet zum Beispiel bei der Hamburger Senatskomission für die Kunstpflege um eine Unterstützung und reicht Arbeiten ein ( tatsächlich erhält sie 200 Reichsmark ). Pakete von der Mutter sind immer willkommen und der Verkauf eines Bildes bei der Ostermesse des "Bundes der Hamburgischen Künstlerinnen und Kunstfreundinnen" ( später GEDOK ) für eine öffentliche Sammlung ebenso.

Überhaupt fehlen die Freunde, die in Dresden so zahlreich waren. Als ihr Bruder sie nach seiner langen Seereise 1929 wieder besucht, findet er sie aufgelöst vor: "Sie (...) konnte zu keinem Menschen mehr vernünftig sprechen, sie hatte keine vernünftigen Gedanken mehr." Die ersten Anzeichen einer psychischen Erkrankung...

Am 4. Februar 1929 bringt sie der Bruder zusammen mit ihrem einzigen Hamburger Freund Johannes Baader in die Staatskrankenanstalt Hamburg - Friedrichsberg. Obwohl sie im Bett bleiben muss, auf das Rauchen verzichten & sich ständig mit Fluchtabsichten herumschlägt, beginnt sie drei Tage nach der Einlieferung ihre Mitpatienten zu zeichnen. Ein Produktionsschub sondersgleichen. "Mit ihrem unermüdlichen Schaffen arbeitet sie gegen die Anstaltsanweisung an." ( Quelle hier ) Ihr Ehemann, vom Freund bedrängt, bemüht sich um ihre Entlassung, die tatsächlich Ende März erfolgt. Zu dieser Zeit äußert ein Arzt erstmals den Verdacht, dass die Künstlerin unter Schizophrenie leidet. Eine keinesfalls überprüfte Diagnose, schriftlich festgehalten, die fatal sein wird...

"Im blauen Kittel" (1929 )
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Die in der Klinik gezeichneten und aquarellierten Porträts von Mitpatienten, Personal und sich selbst -  die "Friedrichsberger Köpfe" -, werden noch im selben Jahr im Hamburger Kunstsalon Maria Kunde ausgestellt und begeistert aufgenommen und bringen für kurze Zeit Ehrungen und einzelne Ankäufe. Doch auch dieser Erfolg bietet der Malerin keinen dauerhaften Halt.

Selbstporträt
erste Zeichnung der Serie "Friedrichsberger Köpfe"
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Leidenschaftlich malt sie gegen ihre materielle Verelendung an. Es wird ihre produktivste Zeit als Künstlerin. Sie lebt, liebt, hungert und malt die Randfiguren der Hamburger Gesellschaft zwischen Hafen und Herbertstraße. Aus der gemeinsamen Perspektive der Not entstehen außerordentlich berührende Werke. Doch ohne jegliche Wohlfahrt verliert sie 1931 ihre Wohnung, landet auf der Strasse und nächtigt wochenlang  in Bahnhöfen.

"Hafenarbeiter" und "Zwei Brüder" (1930 bzw. 31)
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Mittellos und in physisch wie psychisch schlechtem Zustand kehrt sie 1931 nach Dresden in ihr Elternhaus zurück.

"Elbbrücke Blasewitz Loschwitz" (1931)
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Im März 1932 muss sie wegen einer Fussverletzung in das Stadtkrankenhaus. Weil sich ihr seelischer Zustand weiter verschlechtert, liefert sie ihr Vater am 17. Juni 1932 in die in die nahe Dresden gelegene Landes-Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf ein.

1931 im Elternhaus

In den ersten drei Jahren bleibt sie noch künstlerisch aktiv, porträtiert Ärzte, Krankenschwestern und Patienten, schneidert nach eigenen Entwürfen und Schnitten Kleider und Kostüme. Sie hat Freigang, und kann Ausflüge mit den Eltern und mehrwöchige Sommerurlaube unternehmen.

Am 10. Mai 1935 wird Kurt Lohses Antrag, die Ehe "wegen unheilbarer Geisteskrankheit" ( die niemals verifizierte Diagnose "Schizophrenie" aus Hamburg gibt den Ausschlag ) zu scheiden, vom Preußischen Landgericht Altona stattgegeben. Elfriede wird entmündigt und am 20. Dezember 1935 zwangssterilisiert - das von den Nationalsozialisten erlassene Gesetz zur Verhütung genetisch erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 erlaubt das, auch der Widerstand und die Einwürfe des Vaters nützen da nichts.

Von nun an schwindet die Schaffenskraft der Malerin zunehmend, denn ihre Persönlichkeit ist endgültig gebrochen. 1937 werden die Arnsdorfer Bilder von Elfriede Lohse-Wächtler als "Entartete Kunst" von den Nazis zerstört. Auch ihre Werke in Hamburger Museen werden beschlagnahmt und auf der berühmt - berüchtigten Münchner Ausstellung gezeigt.

Schrecklich auch die Einstufung in die unterste Verpflegungsklasse, die Elfriede zum Hungern verdammt. Die Mutter hat denn auch große Angst um das Leben ihrer Tochter, diese beruhigt mit einer Postkarte: "Ängstige Dich nur nicht immer so sehr", schreibt sie, "es wird schon alles wieder gut werden." Sie fleht aber auch immer wieder die Eltern an, sie nach Hause zu holen: "Ich weiß zwar, dass ich Euch sowieso meist nur Kummer bereite, aber ich bitte, das gütigst mir zu verzeihen, ich bin so traurig darüber und einsam und allein."

GEKRAT - Bus
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Die Mutter hat sich noch um einen Sommerurlaub für der Tochter bemüht. Aber als sie nach Arnsdorf kommt, um diese heimzuholen, ist es schon zu spät: Die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten ist schon angelaufen. Elfriede ist am 31. Juli 1940 in einen der graugrünen Busse der GEKRAT, deren Scheiben zugestrichen sind, verfrachtet und mit 25 anderen Frauen in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein gebracht worden.

Noch am selben Tag wird sie dort vergast und eingeäschert. Laut Todesanzeige vom 12. August 1940 sei Elfriede Lohse-Wächtler, 40jährig, an einer Lungenentzündung mit Muskelschwäche, "trotz aller Mühen der Ärzte, die Patientin am Leben zu erhalten" verstorben.

Gaskammer in Sonnenstein, Zustand 1995
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Es gäbe jetzt noch so viel zu berichten: Dass der Vater Elfriedes die Behörden & Adolf Hitler in zwei mutigen Briefen des Mordes an seiner Tochter angeklagt hat ( und von der Gestapo verhaftet wird ), dass etwa ein Drittel der Mitarbeiter der Tötungsanstalt Sonnenstein in den Jahren 1942 und 1943 in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka ihr schändliches Treiben in großem Stil fortgesetzt und auf dem Sonnenstein alle Spuren der Gaskammer verwischt worden sind, dass der Bruder Elfriedes als Zeuge im Dresdener Ärzteprozess vom Sommer 1947 ausgesagt hat, in dem einige der Beteiligten an der Mordaktion auf dem Sonnenstein zur Verantwortung gezogen wurden, dass aber anschließend über vier Jahrzehnte der DDR alles verdrängt & verschwiegen und auf dem Gelände ein von der Öffentlichkeit abgeschirmter Großbetrieb errichtet wurde, der auch die Gebäude der Tötungsanstalt nutzte...

Erst nach der Wende kamen auf Initiative einiger an der Aufklärung interessierter Bürger die Verbrechen der Nazizeit wieder zur Sprache und eine Gedenkstätte wurde 1995 eingerichtet.

Dieses Verdrängen und Vergessen, dieses mangelnde Geschichtsbewusstsein, dass ich immer wieder in der jüngsten Zeit konstatieren muss & höchst fahrlässig finde, war für mich auch ein Anlass, die Geschichte dieser großartigen Künstlerin hier auszubreiten. Zumal es hierzulande politische Gruppierungen gibt, die wählbar sind, die in Bezug auf psychisch Kranke Überlegungen anstellen, diese in Sicherheitsverwahrung zu geben statt sie in entsprechenden Einrichtungen zu therapieren. Wer jemals verfolgt hat, wie manche Diagnose auch in unserer Republik zustande kommt, weiß, dass der Willkür damit Tür & Tor geöffnet wird. Wehret den Anfängen!


32 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,
    du schreibst es im letzten Satz. Mit diesen Gekrat (Gemeinnützinge Krankentransportgesellschaft) bin ich neulich konfrontiert worden, als ich einen Bericht über die Tötungsanstalt Grafeneck gelesen habe, die bei Tübingen liegt. Ich glaube so eine Tötungsfabrik wie die Deutschen es hatten, das ist unglaublich in der Geschichte. Aber man darf auch nicht vergessen, was woanders geschehen ist. Manche Länder bekennen sich ja heute noch nicht zu ihren Verbrechen. Ich denke hier nicht zuletzt an die Türkei und Armenien. Hier wurde auch ein ganzes Volk ausgerottet.
    Eine Geschichte, die sehr nahe geht und ich danke dir für deinen "Große Frauen" Post.

    Ich betreibe zur Zeit Ahnenforschung und zwar wegen meines Vaters der zwei Amtsenthebungen als Bürgermeister einer Stadt in Württemberg wegen Wehrkraftzersetzung hinter sich hat und - ich dachte immer zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Ich habe aber das Todesurteil neulich beim Staatsarchiv gesehen und dort steht Tod durch Erschießen. Mein Vater war in Torgau in Fort Zinna und wurde dort von den Amerikaner befreit. Zum damaligenZeitpunkt waren da noch 120 politische Häftlinge.
    Es geht mir schon sehr nahe.
    Eine schlimme Zeit.
    Lieben Gruß Eva

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    1. mein Vater lebt nicht mehr und es sollte lauten

      "wegen Wehrkraftzersetzung hinter sich hatte"

      Er konnte halt nicht stille sein und hat seine Meinung gesagt, vor allem hat er nie mit dem "Deutschen Gruß" gegrüßt, was ihm dann auch das Genick brach.

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  2. was für eine biografie!!! so wunderbar einerseits und so erschütternd traurig andererseits. und wie viele frauenschicksale wie ihres endeten... in der psychiatrie/gaskammer... eine schreckliche zeit!
    danke für diesen spannenden post!
    herzlichste grüße & wünsche an dich :-)
    amy

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  3. Wie interessant! Danke für die Inspiration. Ich kannte die Künstlerin noch nicht. Heute morgen habe ich die Bilder gesehen, am Abend werde ich den Text lesen. Eine tolle Kategorie ist es, dass Du regelmäßig Künstlerinnen vorstellst. Liebe Grüße, Taija

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    1. So, nun habe ich endlich Zeit gefunden. Danke, dass Du die Künstlerin so ausführlich vorgestellt hast. Ein sehr erschütterndes Schicksal...und man kann sehr gut sehen, welch eine Kraft der künstlerische Schaffensdrang haben kann. So dass sie selbst unter absolut schweren Bedingungen weiter gemalt hat...im Versuch sich zu (er)halten in einer hoffnungslosen Situation.
      Um dann in einer noch größeren, politischen Machtlosigkeit zu enden...wie vielen Frauen geht es noch heute so.
      Liebe Grüße, Taija

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  4. Liebe Astrid,
    welch ein Lebenslauf.
    Ja, davor habe ich auch Angst, dass der Stempel "Nicht-Lebenswert" leichtfertig aus der Schublade geholt wird.
    herzlich Margot

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  5. Danke, dass Du mit deinen spannenden Biographien auch gegen das Vergessen anschreibst. Die Verdrängung in der ehemaligen DDR zeigt heute noch schlimme Folgen. Aber auch der Westen war ja im Unter-den-Teppich-kehren geübt.
    Was für ein enormer Druck gesellschaftlicher, privater, finanzieller und seelischer Art auf Elfriede Wächtler gelastet haben muss...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Liebe Astrid, wieder einmal auf beeindruckende Weise ein Künstlerinnenportrait von Dir. Ich kannte sie nicht. Ihre Geschichte berührt mich sehr. Es gab und gibt viel zu viele Vernichtungen von Begabung, von Lebensmut und -kraft.
    Welcher Ohnmacht Frauen damals ausgesetzt waren, und heute fast überall auf der Welt noch sind. Als ob es nicht schon Kraft genug erfordert, seid Gaben zu nutzen und zu entfalten, müssen Frauen in den meisten Fällen erst Berge versetzen, bevor man sie an ihre eigenen Quellen lässt. Wenn überhaupt.
    Dein letzter Satz ist so wichtig. Und grade hüllen sich die Wölfe ja in sehr dicke Schafpelze, werden zu allen Talkshows eingeladen, geben sich gelassen und überlegen, werden salonfähig. Mir graut's.
    Lieben Lisagruß!

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  7. bin sehr beeindruckt von dieser biographie meiner namens-schwester..
    einfach furchtbar dieses ende einer künstlerin..
    werde noch heute abend dein billet genauer durchlesen ..

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  8. Eine sehr berührende Lebensgeschichte.
    LG Jennifer

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  9. Liebe Astrid,
    Elfriede Lohse - Wächtler war mir gänzlich unbekannt. Was für eine Biografie... Was die Nationalsozialisten an der Menschheit verbrochen haben ist so unvorstellbar grausam gewesen. Wenn man die aktuelle Politik verfolgt, werde ich meine persönliche Gänsehaut kaum noch los. Augen auf - und wehret den Anfängen!

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    1. besser könnte ich es nicht formulieren, v.a. das mit der gänsehaut (die mir die politische stimmung in meiner alten heimat deutschland genauso beschert wie in meiner neuen heimat österreich). danke pünktchen für das formulieren meines kommentars ;-) und danke astrid für einen weiteren tollen great women artikel lg heike

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  10. Liebe Astrid,
    Danke für die schöne Vorstellung. Ich liebe deine Serie der Künstlerinnen Porträts. Eine sehr berührende Lebensgeschichte.
    Liebe Grüße aus dem Teuto...
    Michaela

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  11. Es ist gut, dass Du gegen das Vergessen anschreibst. Gerade jetzt.
    Lieben Gruß
    Katala

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  12. Auch die Frau dieses Porträts war mir unbekannt was für eine Geschichte. Ja. Erschreckend, wie schnell so Diagnosen im Raum stehen und wie schwer dagegen anzugehen. Da wird auch mir bange. Wer mag entscheiden, wer sich vermehren darf und wer nicht. Danke für das Erinnern und Aufrufen! Ich liebe diese Porträts!

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  13. Wieder ein toller Beitrag zu den großen Frauen . Es graut mir zu lesen und wieder ins Bewußtsein gerückt- wie die Menschen und ihre Seelen grbrochen wurden!! Ich hoffe, dass viele Menschen sich auf den Weg machen gegen das Vergessen, besonders JETZT. Und erst recht kein Podium für die Wölfe im Schafsfell ( wie oben die Lisa sagt)!!!
    Gruß zu dir
    heiDE

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  14. ...ein teilweise unglaublicher Lebensweg, liebe Astrid,
    den diese begabte Frau gehen musste...und ja, es graut einem, wenn man bestimmte Wahlprogramme in Hinsicht auf Frauen und Gleichstellung aller Menschen liest...du hast das treffend formuliert,

    lieber Gruß
    Birgitt

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  15. Schließe mich dem Kommentar von Birgitt mit an & bin froh, dass es euch gibt.

    LG, Gerda

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  16. Wie deprimierend...und doch kein Einzelschicksal. Danke für dieses ausführliche und sehr bewegende Portrait. "Politische Gruppierungen" solltest du meiner Meinung nach allerdings genauer benennen...Klare Fakten sind immer noch die besten Argumente...;-). LG Lotta.

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  17. Danke für deinen Beitrag. Erneut ein Einblick in das Leben einer grossen Frau, wenngleich jetzt ein sehr trauriges. Beste Grüsse

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  18. Liebe Astrid! Vielen Dank für dieses berührende Porträt. So viele solche Schicksale sind einfach vergessen, ich empfinde es als so wichtig die Lebensgeschichten von starken, mutigen und eigenständigen Frauen kennenzulernen. Es stärkt uns alle, wenn wir wissen, dass es immer schon Frauen gegeben hat, die ihren Weg gegangen sind, auch wenn sie scheitern mussten, es wäre so wichtig viel mehr solche Geschichten zu kennen. Gerade heutezutage sind wir wieder recht unerwartet zu Zeiten in die Position gekommen Stellung zu beziehen und es ist so wichtig, dass wir den Mut aufbringen die Liebe zu leben und der Angst zu widerstehen, die Kraft des Miteinanders zu leben...

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  19. Beeindruckendes Portrait. Ich habe wieder was dazu lernen dürfen. Vielen lieben Dank für den gut recherchierten Post!

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  20. Liebe Astrid,
    ein wirklich tolles Porträt. Du machst dir immer soviel
    Arbeit. Ich freue mich auf jede Darstellung. Es gibt immer wieder
    Einzelheiten, die mir nicht bekannt waren.
    Einen angenehmen Restabend wünscht dir
    Irmi

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  21. ich bin ganz erschüttert - und weis dass ich unter diesen politischen und gesellschaftlichen umständen wahrscheinlich auch auf dem sonnenstein geendet wäre.
    .......
    muss mal hier recherchieren nach spuren von ihr.
    danke astrid!
    xxxxxx

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    1. Das hätte nicht nur dir, auch mir, all unseren dementen Eltern usw. geblüht...
      Freue mich, wenn du mehr herausfindest!
      LG

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    2. ja - aber ich wäre schon als junge frau da gelandet! und nicht wegen demenz. nicht das das irgendwie besser wär.
      xx

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  22. Liebe Astrid,seit fast 1 Jahr habe ich nichts mehr geschrieben. Aber für diesen Beitrag möchte ich Dir danken. Die augenblickliche politische Lage macht mich zutiefst betroffen. Jeder kleine Beitrag, der wachrütteln kann, ist wichtig und notwendig. Vielleicht finde ich ja nochmal den Weg zurück in die Bloggerwelt, wer weiß. Aber das hier war jetzt nötig. Danke!
    Magdalena

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  23. ein schicksal von vielen. so erschütternd, so traurig und so berührend. wir hatten über viele jahre kontakt zu einer sehr liebenswerten frau, die aus ähnlichen gründen (falsche diagnose) in den 1950er jahren in der psychatrie gelandet ist und erst anfang der 1970er jahre dort befreit (ja: befreit!) wurde. zivildienstleistende hatten für sie gekämpft und es geschafft, sie dort rauszuholen. sie hat trotz prozess keinerlei entschädigung bekommen, konnte aber noch 20 jahre arbeiten und eine gute zeit verleben. mir wird schlecht, wenn ich denke, dass auch sie vergast worden wäre wie so viele, viele andere.
    danke für das portrait, ich kannte elfriede lohse-wächtler nicht, habe aber auch voller interesse über ihre zeit anfang des 20. jh gelesen - sie hätte ja "meinen" gustav treffen können, denn sie müssen etwa gleich alt gewesen sein.
    liebe grüße, mano

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  24. das leben von Elfriede Lohse - Wächtler in details zu erzählen * die mit dieser schreckliche historische zeit verbunden ist. *entartete kunst* *gaskammer* *zwangssterilisation* sind nur einige worten die das grauen zeigen
    * man muss achtsam sein; in LÜneburg sind 47 stolpersteine, gedenkstein an Lüneburger Opfer und 55000 in ganz Deutschland und jetzt auch in andere Länder.
    diese Mahlerin kannte ich nicht * und danke dir für diesen Beitrag der ihr schweres Leben nicht in Vergessenheit bringt.

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  25. Wundervoll geschrieben und hoch interessant. Ich werde mich jetzt mal so nach und nach durch deine Serie lesen. Danke für deine Mühe.
    Herzlichst Ulla

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  26. Liebe Astrid, ja die von dir angesprochenen politischen Gruppierungen werden allerorten mehr, durch die ganze Welt ruckt und zuckt es nach rechts, gewiss AUCH eine Reaktionn auf manche politische Laschheit auf der anderen Seite, aber zugleich ein Zeichen, dass das, was in früheren faschistoiden Regimes Menschen angetan wurde, allmählich in Vergessenheit gerät... und dass man das, was in manchen Regimes auch heute Menschen angetan wird, gerne verdrängt. Wie gut und wichtig, dass du den Mantel des Schweigens wegreißt...
    Alles Liebe und herzliche Vor-Oster-Grüße,
    Traude
    http://rostrose.blogspot.co.at/2016/03/a-new-life-3-keiner-ist-zu-klein.html

    (⁀‵⁀,) ✿
    .`⋎´✿✿¸.•°
    ✿¸.

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  27. Ich habe gerade Sabines Bodes Bücher Kriegskinder und Kriegsenkel gelesen..., es ist soviel Schreckliches noch da aus dieser Zeit, unbewusst, unbearbeitet, ignoriert... Schwere Kost dieses Mal, dein Porträt, auch ich kannte die Malerin nicht. Ein wenig lüftet sich der Schleier des Vergessens nun durch dich. Was für ein furchtbares Lebensende, mir graut, was heute alles wieder salonfähig wird... Am Anfang deines Porträts, erschien mir ein Bild sehr vertraut: Wenn sich Kinder und Enkel malend beschäftig(t)en, genieße ich die damit verbundene Ruhe ;-). So schön und wichtig, wenn Kinder malen. Liebste Grüße Ghislana

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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