Als große Parisliebhaberin besitze ich natürlich auch solche Coffeetable Books mit Wohnungen in der Lieblingsstadt. Eine hat mich darin besonders angesprochen in ihrer sehr persönlichen Mischung aus Art Deco und zeitgenössischer Geradlinigkeit, die von Andrée Putman. Vor Weihnachten wäre sie neunzig Jahre alt geworden - ein Grund, sie hier & heute vorzustellen.
Andrée Putman wird am 23. Dezember 1925 in Paris als Andrée Christine Aynard in eine großbürgerliche Familie von St. Germain geboren: Andrées Vater ist ein vielsprachiger Intellektueller, Sohn eines Bankiers, Leiters der Wertpapierbörse von Lyon und Präsident der Abgeordnetenkammer & einer Nachfahrin des Heißluftballonerfinders, Rose de Montgolfier. Andrées Mutter Louise Saint-René Taillandier gilt als exzentrische Virtuosin auf dem Klavier.
An weiteren Ästheten und Exzentrikern mangelt es nicht in der Familie: Die andere Großmutter, Madeleine Saint-René Taillander, stellt ägyptische Mumien in ihrer Pariser Wohnung zur Schau und ist Mitglied der Jury für den renommierten Literaturpreis Femina. Die Familie Aynard besitzt das Zisterzienserkloster Fontenay im Burgund ( das mittlerweile zum Weltkulturerbe der Unesco gehört ), wo Andrée regelmäßig die Sommerferien verbringt.
1906 kauften die wohlhabenden Gebrüder Edouard und René Aynard die Abtei Fontenay
und begannen mit der Restaurierung, die bis heute andauert.
Nur den Bemühungen der Aynards ist es zu verdanken,
dass Fontenay in seinem wiederhergestellten Zustand im Jahr 1981
von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.
|
In der übrigen Zeit wächst Andrée unter dem Turm der Kirche von Saint-Germain-des-Prés auf, von der Mutter zusammen mit der Schwester Agnès zu einem musikalischen Wunderkind erzogen, welches täglich bis zu acht Stunden am Klavier sitzt und schon mit elf Jahren eigene Kompositionen spielt.
In dieser oberen Mittelklasse, zu der die Familie zu rechnen ist, kann nichts einfach oder arm sein, und das junge Mädchen fühlt sich visuell übererregt in einer Umgebung voller Montgolfieren auf Tapeten, Tassen, Kannen, Fensterläden...
Da verwundert es nicht, dass sie mit fünfzehn ihr Jugendzimmer einer strikten Inventur unterzieht, allen unnötigen Zierrat entsorgt, um es ganz klösterlich nur mit einem Eisenbett, einem Stuhl und einigen abstrakt expressionistischen Gemälde auszustatten. Nur von wesentlicher Schönheit umgeben, lässt sich da schon ihr Wille zur Gestaltung erkennen.
Nach der Schule studiert sie erfolgreich Klavier und Komposition am Pariser Konservatorium bei Francis Poulenc. Mit neunzehn gewinnt sie sogar den ersten Preis in Harmonie. Doch Andrée bricht aus dem vorgegebenen Rahmen aus, zur großen Enttäuschung der Eltern, besonders der Mutter, die ihre Ambitionen auf die Tochter übertragen hat. Sie fällt diesen Entschluss, nachdem sie in einem U-Bahn-Eingang 5 Meter tief stürzt und mit gebrochenem Kiefer & Rücken lange Monate der Rehabilitation benötigt. Später wird sie darüber sagen, sie habe sich befreit von der Verzauberung durch die Herrschaft des Ohres, um Zugriff auf das Königreich des Auges zu erhalten.
1950 schreibt sie als Journalistin für das Magazin Femina, 1952 – 1958 ist sie Design-Kolumnistin bei der Elle. Sie sammelt Kunst und führt ein sehr freies Leben in einer Zeit, als der Feminismus noch nicht vielen Frauen ein Begriff ist.
Source |
Ihren zukünftigen Mann Jacques Putman, Redakteur, Kunstkritiker, Verleger & Sammler lernt sie im Café de Flore, Paris kennen, über den sie in Kontakt kommt mit zeitgenössischen Künstlern, darunter Pierre Alechinsky, Bram van Velde, Alberto Giacometti, Juliette Greco, Samuel Beckett, Arman, César oder Niki de Saint Phalle.
Sie heiraten 1958 und leben in einer großen Wohnung in der Rue des Grands-Augustins auf der Rive Gauche. 1962 wird der Sohn Cyrille geboren, 1964 die Tochter Olivia.
Sie heiraten 1958 und leben in einer großen Wohnung in der Rue des Grands-Augustins auf der Rive Gauche. 1962 wird der Sohn Cyrille geboren, 1964 die Tochter Olivia.
Source |
1958 ( bis 1967 ) übernimmt Andrée auch die künstlerische Leitung für die Kaufhauskette Prisunic, wo sie bekannte Designer für die Gestaltung von Haushaltsgegenständen gewinnt. Prisunic ist zu dieser Zeit sehr innovativ:
Source |
Von 1960 – 1964 arbeitet sie auch bei L'Oeil als Redakteurin für Innenarchitektur und führt sonst das Leben einer typischen Pariserin von der Rive Gauche. Party hier, Party dort... In New York verbringt sie ihre Nächte im "Studio 54" zwischen Andy Warhol und Louise Bourgeois. Sie sagt: "Es interessiert mich nicht", aber "es macht mir Spaß!" Sie gilt als "die beste PR für Paris", sie liebt die Jugend, den Witz & Wortspiele und hat einfach Esprit...
In den Siebzigern mit Thiery Mugler Source |
Andrées Leben nimmt eine andere Wendung, als ihr Mann sie wegen einer Jüngeren verlässt, die Familienwohnung geteilt wird und sie ihre Zelte in einer ehemaligen Druckerei aufschlägt, einem minimalistischen Loft, quasi das Negativ zur bürgerlichen Wohnung, die nun durch das neue Paar besetzt ist, aber direkt gegenüberliegend, so dass die Kinder bei beiden Elternteilen aus- und eingehen können.
Sie entdeckt ihre Leidenschaft für vergessene Designer - Stücke der Dreißiger Jahre, die sie auf Flohmärkten aufgabelt. Diese Wiederentdeckungen führen zu einer neuen Karriere: Sie gründet 1978 "Ecart International", um die modernen Klassiker zu vermarkten. Mariano Fortuny, Eileen Gray, Pierre Chareau verhilft sie zu neuem Ansehen & Verbreitung.
"Sie ist eine großartige Stylistin", erkennt auch der Architekt Jean-François Bodin, mit dem sie den Verlag und die Beratungsfirma Gap gründet. Die Publizität, die sie durch Wohnungsumgestaltungen für Freunde erhält, erweckt die Aufmerksamkeit von Modedesignern wie Thierry Mugler, Yves Saint Laurent & Karl Lagerfeld, der sie anheuert, um Geschäfte in Frankreich zu gestalten.
1981 in einem Raum, den sie für Lord & Taylor gestaltet hat Source |
Ihr erster, international bewunderter Geniestreich gelingt ihr im Jahre 1984 in New York mit dem "Makeover" des Morgans Hotel: Ein schäbiges Hotel auf der Madison Avenue wird so das Vorbild der späteren Boutique-Hotels, der kunstvoll gestalteten Antwort auf standardisierte Massenunterkünfte. Das lächerliche Budget, das ihr Steve Rubell & Ian Shrager, die ehemaligen Besitzer des berühmten "Studio 54" zugestehen, bringt sie zu ihren viel beachteten, innovativen Lösungen:
Sie vermeidet, was sie als vulgäre Klischees von Luxus betrachtet: "Zu viel Louis Seize und zu viele Blumen", und setzt auf einfachen Linien, wenige gute Möbelstücke, das Schachbrettmotiv, den Kontrast von teuren und preiswerten Materialien. ( Der Prototyp des schwarz - weißen Badezimmers ist übrigens schon zwei Jahre vorher entstanden, ein Wunsch von Karl Lagerfeld für seine Wohnung in Rom, deren Thema die Wiener Secession war...)
1984 gestaltet sie auch die Büroräume des französischen Kulturministers Jack Lang im Palais Royal, Paris, um:
Source |
In Köln wird auch ihre Arbeit für das Wasserturm - Hotel viel bestaunt & beachtet:
Als Adelsschlag gilt der 1993 an sie ergangene Auftrag, die Kabine des britisch-französischen Überschallfliegers „Concorde“ zu modernisieren:
Source |
Seitdem steht Andrée Putman, deren stolzes Gesicht im Alter wie von einem Meister in Marmor gemeißelt aussieht und die sich stets in Pariser Haute Couture zu kleiden weiß ( klar: mit vielen Modemachern ist sie ja auch befreundet), in dem Ruf, Farben zu verachten. „Die Leute halten Graubraun (‚Taupe’), Grau und Elfenbein nicht für Farben“, entkräftet sie dieses Vorurteil, „aber natürlich sind es ganz intensive Farben.“
Das sie auch anders kann, zeigt sie bei der Gestaltung des "Pershing Hall Hotel" in Paris 2001 und dem Blue Spa des Hotels "Bayerischer Hof" in München 2005:
Nachdem sie "Ecart" 1997 verlässt, gründet sie das Unternehmen Andree Putman Sarl. 2007, 82jährig, übergibt sie Tochter Olivia die Leitung der Firma:
Source |
Am 19. Januar 2013 stirbt sie in ihrer Wohnung im 6. Arrondissement in Paris.
Mir wird sie in Erinnerung bleiben als eine Ikone unter den Designern des zwanzigsten Jahrhunderts, als Repräsentantin der französischen Art zu leben, als „französische Stil-Botschafterin schlechthin“ (Süddeutsche Zeitung).
Guten Morgen Astrid,
AntwortenLöschendann warst du bestimmt schon in ihrem Studio in Paris?
Eine großartige Frau, die schon etwas bewerkstelligt hat.
Du hast bestimmt noch so viele auf Lager und wir können gespannt
sein.
Lieben Gruß Eva
die dir eine schöne Restwoche wünscht.
Danke für dieses wunderbare Frauenportrait! Ich habe es mit großem Intresse gelesen...23.12. Geburtstag...? Ein gutes Vorzeichen...;-). LG Lotta.
AntwortenLöschenjahrelang habe ich mir zeitschriften mit den kreationen der 'putmann' gekauft ..und war wie immer sehr begeistert...
AntwortenLöschenohne etwas über ihr leben zu wissen...das ist dir wieder gut gelungen!!!! noch einen schönen karnaval wünsche ich dir und deiner familie!
Du kannst es einfach.
AntwortenLöschenEs war wieder eine wunderbar lesbare Reportage über eine tolle Frau in einer spannenden Zeit.
Die von dir ausgewählten Bilder gefallen mir auch sehr - Danke, mal wieder.
Liebe Grüße - Monika
23.12. geburstag... deine kurze biographie von Andrée Aynard Putman lesen und in ein paar minute so vieles von ihr zu lernen - prima * und dies gereichert wieder mein wissen * und ich merke dass reichtum (geld * macht) nicht alles ist und kunst den genie von *menschen* braucht ! aber sie hat es von ihrer wohlhabenden situation her vieilleicht leichter gehabt, ihre talente in der höhe zu bringen ?
AntwortenLöschenbelle entrée dans le carnaval 2016 !
Wieder ein toller Bericht, liebe Astrid, vielen Dank!
AntwortenLöschenWitzig, vorher noch nie gehört lese ich bei Dir schon zum zweiten Mal heute das Wort Coffeetable Book :-) was mir das wohl sagen soll?!
liebe Grüße und. ALAAF
Dä! Das sind Bilderbücher für Erwachsene, die auf dem Couchtisch ( blödes Wort ) herumliegen und in denen man Blättern kann ohne viel Lesen zu müssen wie im Wartezimmer beim Zahnarzt...Bei mir stehen sie allerdings meist auf dem Boden herum...
LöschenLG
Über die Einrichtung des Wasserturm-Hotels habe ich damals begeistert gelesen und war sehr fasziniert. Dachte, wenn ich mal groß bin, will ich mal dort übernachten. Über ihr sonstiges Leben habe ich aber nicht viel gewußt. Viele Dank für den Einblick! VG K.
AntwortenLöschenIch kenne zwar ihren Namen, habe sie aber gar nicht mit all diesen Ausstattungen in Verbindung gebracht. Spannende Frau. Ich hätte meine Nächte wohl auch gerne mal zwischen Warhol und Bourgeois verbracht... LG mila
AntwortenLöschendas kölner hotel im wasserturm und andrée putman waren damals im innenarchitekturstudium recht frisch und in aller munde. danke für den vertieften einblick und das hervorholen aus meiner versenkung. interessant mal wieder das studio 54 auch hier. gab es in den 1970ern kreative, die nicht dort waren? gab es danach jemals wieder so einen ort, wo sich alles traf? lg heike
AntwortenLöschenIch wüsste nicht, dass ich vorher was - bewusst - von ihr gesehen oder gehört hätte, toll, was sie so gemacht hat. Das Arbeitszimmer vom frz. Kulturminister würde ich ja sofort nehmen... Lieben Gruß Ghislana
AntwortenLöschenIch bin wieder begeistert, wie Du mir einen mal eben so gehörten Namen zu einem mir bekannten gemacht hast. Bestimmt werde ich (wie schon öfter bei deinen bisher vorgestellten Frauen) in Zukunft aufmerken, wenn ich ihren Namen höre oder lese. Liebe Grüße
AntwortenLöschenAndrea
Mal wieder ein wunderbares Portrait! Und wenn dann noch von Paris die Rede ist... <3
AntwortenLöschenLiebste Grüße und Kölle alaaf!
Steffi
ein schönes portrait hast du da geschrieben!
AntwortenLöschenich frage mich allerdings ob sie eine solche karriere hingelegt hätte wenn ihr vater sagenwirmal eisenbahner gewesen wäre......
:-)
xxxxx
Da hast Du wieder eine sehr spannende Frau vorgestellt.
AntwortenLöschenDir einen schönen Abend
Lieben Gruß
Katala
Frau mit Klasse - Klasse Frau!
AntwortenLöschen♥
Eine interessante Frau, die etwas bewirkt hat ohne dass man ihren Namen in der breiten Öffentlichkeit kennt, was natürlich schade ist. Sie hat einen erlesenen Geschmack (finde ich) :-)
AntwortenLöschenAlaaf, Ingrid
so schön, von Ihr bei dir zu lesen
AntwortenLöschenherzliche Grüße und feine Tage!!!
ich komme nochmal wieder!!
AntwortenLöschen...und wieder was gelernt, wunderbar.- man kennt doch so viel mehr nicht, als das man kennt....
AntwortenLöschenLieben Lisagruß, und ein wunderbares Karnevals WE für Dich!
Ich schätze sie sehr !!! vielen Dank für dieses schöne Portrait, liebe Astrid :-)
AntwortenLöschenIch wünsche dir und deiner Nase gute Besserung ! GlG helga (Leidensgenossin)