"Kein Wechsel, kein Wanken,
Zum ruhigen Glück
Fliehn alle Gedanken
Der Ferne zurück."
Ludwig Tieck (1773-1853)
"Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind,
und unser kleines Leben
ist von einem Schlaf umringt."
William Shakespeare (1564-1616)
Am letzten Sonntag jährte sich zum zweiten Mal der Tag, an dem ich spätabends im Beisein zweier Töchter meinen Lebensmenschen in jene Gefilde, die mir nicht bekannt sind, ziehen lassen musste. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich damals war. Und ich mag diese Person.
Ich hab mich zuletzt viel zurückgesehnt nach unseren Sommern in der Provence, bin aber zur Gewissheit gelangt, dass ich dort nicht mehr hin muss: Es wird nicht mehr so sein, wie es war, trotz aller vergoldeten Erinnerungen.
Ich bin jetzt viel mehr "Ich" und habe so viel Freiheit, wie in meinem ganzen vorherigen Leben nicht. Nicht, dass mich diese soziale Abhängigkeit von anderen Menschen gestört, belastet, eingeschränkt hätte. Es war meine Entscheidung und hat mein Leben enorm bereichert. Vor allem bin ich dankbar, dass ich so eine Liebe (er)leben durfte.
Aber jetzt bereichere ich mich selber. Es ist nicht so, dass ich als Eremitin lebe. Ich fühle mich gut eingebunden in Familie, Nachbarschaft, Freundeskreise. Aber ich stelle auch immer wieder fest, dass ich gut & gerne allein sein kann. Ich habe Zeit, mein Leben zu reflektieren, wie ich geworden bin, was ich bin, meine Wurzeln, die Einflüsse, die mich geprägt haben als Kind von Kriegskindern oder bis zum Abitur durch Bildungseinrichtungen katholisch Sozialisierte.
Ich habe täglich die Möglichkeit, mich dem zuzuwenden, was mich gerade interessiert oder zur Beschäftigung reizt. Und da bin ich sehr spontan ( was wohl die Eigenschaft an mir war, die mein Mann am meisten an mir geschätzt hat, die ich selbst aber jetzt richtig genießen kann ).
Ich bin am Sonntag ganz alleine zum Grab gefahren und habe meinem Mann einen Kranz in dem Blau seiner Augen gebracht. An seine Augenfarbe erinnert mich auch der Topas an meinem Witwenring, den ich seitdem täglich trage.
Nach diesen zwei Jahren kann ich sagen: Ich hab die Kurve genommen, habe etliche gesundheitliche Turbulenzen alleine überstanden, eine große persönliche Enttäuschung verarbeitet, den Verlust akzeptiert. Meine Resilienz hat mir dabei geholfen.
Jetzt liegt wohl der letzte Lebensabschnitt vor mir. Vorgestellt habe ich mir den so allerdings nie.
Ich habe an diesem Tag über die diversen Kanäle viel Zuspruch & Aufmunterung erfahren, durch die Familie, Freund*innen, Bloggerinnen & Instagramerinnen. Dafür möchte ich an dieser Stelle
sagen.
Das ist einfach schön.
Am Dienstag durfte ich nach zwei Monaten endlich wieder einmal die jüngsten Enkelkinder in den Arm nehmen und verwöhnen, die auf der Durchreise zu den deutschen Küsten in Köln Station gemacht haben.
Am Mittwoch dann hat zum zehnten Mal hier bei uns ein Schuljahr begonnen, ohne dass ich dabei bin. Freu! Das muntere Quasseln & Trapsen der Kinder auf ihrem Schulweg unter meinem Schlafzimmer habe ich diesmal nicht mitbekommen, denn ich habe mit meinen Enkelinnen noch fest geschlafen. Für die Enkelin einer Freundin, die am Tag darauf in den neuen Lebensabschnitt gestartet ist, hatte ich ein paar Kleinigkeiten "eingetütet" und vorbeigebracht und anschließend noch etwas Midi-Stimmung am Bouleplatz in der Nähe getankt.
Am Donnerstag hieß es wieder, Termine zu meinen derzeitigen Baustellen zu absolvieren. Die Zahnsache hat sich gut entwickelt, ruht jetzt aber erst einmal bis November, denn die Implantatkörper müssen gut einwachsen. Was die Hörgeräte anbelangt, will ich noch einmal ein anderes Fabrikat ausprobieren.
Der Freitag stand dann zu meiner freien Verfügung. Und so habe ich einen Ausflug ins Weyertal unternommen. Dort war ich schon seit knapp sieben Jahren nicht mehr.
In Sülz wollte ich einen alten Bekannten besuchen, der seit einiger Zeit zu einer
Instagram - Berühmtheit ( inzwischen über hunderttausend Follower ) mit seinem Antiquariat geworden ist bzw. seinen fundierten Aussagen zur Literatur der letzten Jahrhunderte. Inzwischen hat sich rund um diesen Account eine kleine Gemeinde von Enthusiasten gebildet, die die Anregungen zur Lektüre gerne aufgreift und mit eigenen Vorschlägen ergänzt.
Ich selbst habe seitdem auch immer wieder in der umfangreichen Bibliothek klassischer Literatur, die ich quasi von meinem Mann geerbt habe, nach Büchern gesucht, die ich noch nicht gelesen habe, die Klaus Willbrand aber empfohlen hat. Nicht vorhandene habe ich mir anderweitig antiquarisch dazugekauft.
Das Weyertal ist eine baumbestandene Idylle mit vielen kleinen Lokalen und noch mehr jungen Leute, da in Uni- bzw. Nähe zu zwei Gymnasien, aber auch mit weniger ästhetischen Aspekten, wie dem über allem dräuenden Uni - Center.
Trotz all meiner kleinen Lebensthemen, die meinen Kopf in der vergangenen Woche ausgefüllt haben, gehen mir auch immer wieder mal übergeordnete Fragen durch den Sinn. Solche beispielsweise, wie sie in den letzten Tagen
Jürgen Wiebicke in einem Radiobeitrag ausgesprochen hat.
"Die Lebensform, die wir im Moment genießen dürfen, hat unseren Vorfahren viele Kämpfe gekostet. Es hat Jahrtausende gedauert, eine Lebensform zu finden, die Freiheit der Einzelnen möglich macht und gleichzeitig für möglichst gerechte Verhältnisse sorgt. Wir stehen auf den Schultern von Riesen. Was wir haben, ist uns in den Schoß gefallen, wir haben nichts dafür tun müssen. Das Errungene sollten wir nicht leichtfertig wieder aufgeben – das wäre die Blamage."
Es passt auch ganz gut meiner augenblicklichen Stimmung & Verfasstheit, die von Dankbarkeit und Ausgeglichenheit gekennzeichnet ist, und mich manchmal nur fassungslos auf das Treiben mancher Mitmenschen in den
social media schauen lässt. Als ob WWW. nur bedeutet: "
Wut, Wut, Wut" ( gerade
dieser Patron meint ein Recht darauf zu haben und seinen mentalen Zustand anderen aufdrücken zu müssen ). Wie sich Leute so verrennen können! Das geht von kleingeistiger Bitterkeit bis zur offenen Menschenverachtung, ja Haß auf alles und jeden. Das gilt inzwischen auch für vereinzelte Blogs und immer mehr für Instagram. Ich halt's da lieber mit
Margaret Atwood, die eines ihrer Gedichte so beendet:
Und doch, sing was du nur kannst.
Dreh die Lichter auf: Sing weiter,
Verlinkt wird dieser Post wieder bei Andrea Karminrots Samstagsplausch, Nicole/niwibo sucht, Andreas Sonntagsschätzchen und Heidruns Mosaic Monday.
Ich muss sagen, ich hatte ein paar Tränchen im Auge, als ich den ersten Teil deines Posts gelesen habe. Es hat lange gedauert, aber nun scheinst du angekommen zu sein. Man vermisst sie weiterhin, da bin ich mir sicher, aber man kann damit leben lernen.
AntwortenLöschenIch freue mich auch für dich, dass du deine Enkelinnen um dich haben kannst.
Weniger freue ich mich über all die Missgelaunten im Netz. Über die Wut, die sie verbreiten. Ja, wir sollten stolz sein, mit dem, was unsere Vorfahren für uns erwirkt haben, zufrieden und es genießen!
Ich drücke dich ganz fest
Andrea
(Übrigens hat mich dein Kommentar von meinem Vorhaben, den Kerl zum Spielen zu überreden, zurückgeholt. Er wäre wahrscheinlich der, der lieber sticken und Katze kraulen würde!)
Singen UND Tanzen, das ist es was ich mit Lucia täglich tue. Kinder tun uns gut.
AntwortenLöschenAstrid ich lese die Ausgeglichenheit aus Deinen Zeilen und freue mich mit Dir. Auch dass Du gut allein sein kannst und die Freiheit genießt zu tun, was Dir gerade in den Kopf kommt. Auch wenn es nicht der Plan war. Ich drücke Dich virtuell💕
Die Sache mit dem Antiquariat und den Followern freut mich, denn es zeugt vom Interesse für Literatur.
Ich wünsche Dir ein wunderschönes Wochenende, herzliche Grüße Tina
Du machst das toll! LG, Christine
AntwortenLöschenliebe astrid, ein rundum froh stimmender blogbeitrag von dir, ich freue mich über das selbstverständnis, über die kraft mit den schwerem umzugehen und die freude, freude wahrzunehmen und auch zu suchen und zu schenken. das gedicht habe ich in meinem blog wiederholt, es passte so gut. herzlichen gruß, roswitha
AntwortenLöschenLiebe Astrid.
AntwortenLöschenein sehr berührender Beitrag.
Bewundernswert, wie Du bis hierher alles bewältigt hast. Weiter so.....
Wieder Freude zu empfinden und das Leben so gestalten, ganz nach eigenen Wünschen, das ist wunderbar.
Liebe Grüße nach Köln
Sigrid
Ähnlich wie Andreas hab ich auch einen Klos im Hals und "Pippi inne Augen", hab an meinen Papa gedacht und an so viele andere. Und wie gut Du Dein Leben lebst. Ohne diese Menschen, so groß die Lücke auch ist, die sie hinterlassen haben, wäre unser Leben doch nie so gut und schön und sie leben in uns weiter!
AntwortenLöschenUnd ja, etwas mehr Demut tut uns gut und wir sind nur so groß, weil wir auf besagten Schultern stehen.
Hab ein schönes Wochenende und ganz liebe Grüße
Nina
Ein sehr berührender Post, denn ich finde mich vor allem im ersten Teil wieder. Alles hat seine Zeit, fällt mir dazu ein. Es gibt eine Zeit zum Lieben und jetzt, zum Ende zu, ist es eine Zeit, für sich selbst im Mittelpunkt zu stehen. Das fühle ich auch so. Ich hoffe, wir können diese Zeit noch lange genießen.
AntwortenLöschenWie wohltuend Dein Post klingt. Du bist nun Freifrau, das habe ich Dir ja schon mal geschrieben und das ist ein ganz feiner Status: Niemand und nichts ist vergessen, aber alles ist soweit möglich gut und Du bist und hast Deine Mitte.
AntwortenLöschenDas freut mich so für Dich.
Herzlichst,
Sieglinde
Hallo Astrid,
AntwortenLöschenwie schön sich das alles liest, wenn es auch kein leichter Weg dahin war, und Du jetzt so eins mit Dir selber sein kannst.
Dein Witwenring finde ich sehr schön und kenne ich so gar nicht, hier tragen viele den Ring vom Partner dann einer Kette um den Hals.
Liebe Grüße zu Dir
Manu
Liebe Astrid, in welch passenden Worten Du deinen Gemütszustand schilderst und wie vorbildlich Du Lebenssituationen annehmen kannst. Bei all den schmerzlichen Erfahrungen, entgehen Dir nicht die neuen Möglichkeiten, die sich auftun. Und ja, sich die Zukunft vorstellen ist das eine, sich dann mit den Tatsachen arrangieren ist Lebenskunst. Ich drücke dir meinen Respekt aus. Herzliche Augustgrüße nach Köln von Margit P.
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
AntwortenLöschenauch mich haben deine Worte mit so viel Offenheit und Stärke sehr berührt! Ich freue mich, dass du inzwischen deinen Platz in deinem nun nicht mehr ganz so neuen Leben gefunden hast! Du bist bei dir angekommen und scheinst in dir selbst zu ruhen. Den Witwenring zur Erinnerung an die blauen Augen finde ich wunderschön. Und auch das blaue Hortensienkränzchen drückt noch immer ganz viel Liebe aus.
Schön, dass du wieder deinen Enkelkinder genießen konntest. Schön, sind auch wieder alle deine Fotos.
Ich wünsche dir einen feinen Sonntag!
Liebe Grüße
Ingrid
liebe Astrid, bei deinen ersten Worten hatte ich sofort den berühmten Klos im Hals, unausweichlich dass man besonders an solch schweren Tagen an den fernen geliebten Lebenspartner denkt. Und doch, man verändert sich wenn einer von beiden zurückbleibt und der andere den Weg alleine weiter geht.
AntwortenLöschenIrgendwie ist das vorher nicht zu üben, der Weg ergibt sich und reichen sich helfende Hände dazu, ist es Trost und Hoffnung nicht auf Stolpersteine zu treffen. Familie, Freunde und dein Umfeld fangen dich auf.
Die Kraft und auch Freude am Leben die in einem steckt bricht sich Bahn und du bist da und du setzt sie ein, das freut mich immer wieder neu zu lesen...
seine Mitte finden ist ein gutes Gefühl...
ich denke oft an dich im fernen Köln. Grüße dich herzlich 💕 Angel
Dobré ráno, milá Astrid, ve Tvých slovech je tolik moudra, moc ráda čtu Tvé řádky. Katka
AntwortenLöschenIch lasse Dir ganz viele bewundernde Grüße da.
AntwortenLöschenDu schaffst das auch weiterhin und machst für Dich das Beste aus der Situation.
Liebe Grüße noch dazu
illy
die auch die Daumen drückt das zahntechnisch alles gut läuft.
Liebe Astrid, der erste Teil mit den eindrucksvollen Impressionen hat mich sehr berührt und es ist eine Freude zu lesen, dass du nun in deiner neuen Lebenssituation angekommen bist und die schönen und angenehmen Seiten genießen kannst. Von lieben und zugewandten Menschen umgeben bleibt Herr K. dennoch unvergessen.
AntwortenLöschenHab einen feinen Sonntag - lieben Gruß von Marita
Zu deinen ersten Zeilen schicke ich dir eine Umarmung!
AntwortenLöschenIch suche aktuell immer noch nach meiner inneren Stabilität, die ich brauche, um die kommenden Veränderungen zu steuern. Ein Segen ist mein kleinstes Lieblingsmenschlein, das ich in den nächsten Tagen hoffentlich wieder sehen werde.
Für diesen und all die anderen Wutmenschen fehlt mir immer mehr das Verständnis.
Viele liebe Grüße,
Karin
Schön zu lesen, dass du in deiner Lebenssituation angekommen bist und dein Leben nach deinen Bedürfnissen leben kannst. Der Weg dahin war sicherlich nicht immer einfach, aber du darfst mit recht Stolz sein auf dich. Und ich bin mir sicher, der Herr K. wäre es auch.
AntwortenLöschenL G Pia
Ich schließe mich an, ich bin sehr berührt von deinem Beitrag (auch weil ich vor 1 Monat meine Mutter beim Sterben begleitet habe).
AntwortenLöschenSchon 2 Jahre vergangen, wie die Zeit vergeht. Du hast dich weiterentwickelt und deinen eigenen Weg gefunden. Ich finde das sehr tröstlich und Mut machend. Ich würde auch nicht an Orte fahren, die einmal in der Zweisamkeit etwas bedeutet haben, es wäre wohl eine Enttäuschung. Die Erinnerung trägst du sowieso im Herzen.
Alles Liebe
Ich bin so froh, dass Du Dein neues Ich annimmst und magst liebe Astrid.
AntwortenLöschenIch stelle mir das alles nicht leicht vor, aber wie schön ist es, wenn man ein starkes soziales Netz hat, was einen auffängt.
Und Deine Woche hört sich wieder mal abwechslungsreich und schön an.
Hab einen schönen Abend, ich schaue gerade WDR nebenbei, ich liebe diese Koch-Land und Lecker Sendungen.
Lieben Gruß
Nicole