Dienstag, 30. Januar 2024

Einundneunzig Jahre später

"Die Tradition aller toten Geschlechter 
lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden."
Karl Marx
( "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" )

Mit tausenden von Fackeln und unter dem Klang preußischer Militärmusik brach am 30. Januar 1933 das "Tausendjährige Reich" an. Braune Bataillone zogen durch das Brandenburger Tor zur Reichskanzlei. In seiner Rede zum Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933 hatte Adolf Hitler vom deutschen Volk gefordert,  ihm vier Jahre Zeit zu geben. In diesem Zeitraum wollte er das Deutsche Reich verändern, nach vorne bringen. Das Endergebnis nach drei mal vier Jahren hat die Fotografin Margaret Bourke - White unter anderem in meiner Heimatstadt Köln 1945 festgehalten.

The Life Picture Collection 

Das ist mein ganz persönlicher Alp, seit ich eine Kindheit unter Kriegstraumatisierten verbracht habe.

Und die, die Millionen Tote, zerschmetterte Städte den Ruin eines alten Gemeinwesens verursacht haben und deren faschistische Ideologien, sind unter diesen Erfahrungen, mit diesem Wissen seitdem mein Feind.

Es ist diese "geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem"
gewesen, die unverrückbar erklärt hat, dass die Vergangenheit nie wieder geschehen darf, 
wie es Elfriede Jelinek in Wien am vergangenen Freitag formuliert hat,
und die auch mich bestimmt. 
Aber:
"Die Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern, die ihre Geschichtslektion gelernt haben, 
aber jetzt langsam aussterben, und unserem verliert langsam, aber sicher ihre Gültigkeit."



























Neunundsiebzig Jahre 
später wütet seit zwei Jahren ein faschistisch begründeter Angriffskrieg gegen ein autonomes Land eintausendfünfhundert Kilometer von uns entfernt 
und nun greifen auch in unserem Land wie schon in einigen Nachbarländern und darüberhinaus 
erneut Partei-Ideologen, die ihre faschistischen* Ansichten nur in neue Worte gekleidet 
und sich in andere Farben gehüllt haben, nach der Macht in Parlamenten und Regierungen. 
Sie stellen ein gesellschaftliches Zusammenleben in Frage, das auf 

Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Rechtsstaat, Gleichberechtigung

basiert.

Diese Werte sind in den vergangenen vier, fünf Jahren mächtig unter Druck, ja, in die Defensive geraten.

Die letzten Tage haben mir aber gezeigt,
dass das Ideale für ein menschliches Zusammenleben sind, die nicht nur für mich ,
meine Familie, meine Freunde, meine Nachbarn, ehemalige Arbeitskolleginnen,
Bloggerfreundinnen usw. lebenswert bzw. wesentlich sind, 
sondern darüberhinaus für
eine viel größere Zahl von Menschen,
die miteinander in diesem Land leben, lieben, schaffen.

Verstand, Vernunft, Sachlichkeit, Miteinander

sind 
in unserem Land NICHT gewichen,
wie ich es seit den Reaktionen auf die Coronamaßnahmen
in den social media auf allen Kanälen 
und auf den Straßen & Plätzen der Republik, 
angenommen & befürchtet habe.
( Leider betraf das auch "Bloggerland":
der Gipfel der Widerwärtigkeiten 
waren für mich ganz persönlich entsprechende Kommentare 
zum Tod meines Mannes. )

Und wäre nicht meine unmittelbare Umgebung, mein Veedel, meine Stadt
und die verbliebenen Leserinnen & Leser gewesen,
hätte ich allen Glauben
an einen freundlichen Umgang in unserer Gesellschaft, 
unserem Land, sausen lassen. 
Das bei mir vorherrschende "Welteindunklungsgefühl" der letzten zwei Jahre
war nicht nur in meiner individuellen Trauer begründet. 

Ich selbst habe noch während meiner acht Lebensjahrzehnte miterlebt, 
wie die alten patriarchalischen, illiberalen Normen durch neue überschrieben wurden 
und war immer wieder froh, 
mich der restriktiven Lebensentwürfe
nach und nach 
entledigen zu können.
Für mich ist der schönste Aspekt an unserem Grundgesetz, 
dass es Menschen möglich gemacht hat, 
Gemeinschaften zu finden, 
in denen sie respektiert und sich aufgehoben fühlen konnten, 
und dass ihre Herkunft unwichtig ist angesichts ihres Einsatzes 
für ein gutes Leben 
MITEINANDER.
Jetzt geht es um die Frage, wie dieses Land in Zukunft aussehen soll, 
wer hier leben darf und wer nicht, 
wer Angst verbreitet und wer welche haben muss. 

Diese Fragen stellt man/frau sich besser vor einem Wahlgang,

( Darüberhinaus treibt mich noch ein weiteres Anliegen: 
Ich möchte nicht in einem Satellitenstaat des Russischen Großreiches putinscher Prägung leben. )


Das Gerede der Rechtspopulisten und ihrer Anhänger, 
sie verkörperten den gesunden Menschenverstand, 
sie stünden für die neue Normalität
 oder besäßen sogar die faktische Überlegenheit politischer Art, 
ist nun eingehegt und umgrenzt worden
durch die Menschen auf den Straßen der großen wie der kleinen Städte unseres Landes,
im Osten wie im Westen, im Süden & Norden. 

Die faschistische Gehirnwäsche aus allen medialen Rohren
( Jelinek: "ideologische Schlachtfelder")
hat auch bei mir seine Wirkung nicht verfehlt gehabt:
Es gab zuletzt immer wieder Zweifel in meinem Kopf & Herzen,
 ob die Menschen hierzulande wissen, 
was sie an unserer Verfassung haben
ob sie genug bereit sind, für das Grundgesetz einzustehen.

Inzwischen habe ich wieder etwas Hoffnung.
                                                           

* Merkmale des Faschismus sind in diesem Post aufgelistet.

11 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,

    das Foto vom zerstörten Köln, der zerstörten Eisenbahnbrücke macht mich unfassbar traurig.

    Nie wieder! Nie wieder! Nie wieder!

    Danke für den Beitrag,

    herzliche Grüße,
    Claudia

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  2. Vielleicht liegt es daran, dass meine Eltern und das vorgelebt haben. Würde, Respekt, Miteinander, Liebe.... Nur dann kann man es wohl auch leben und an seine Kinder weitergeben. Da fängt bei mir alles an.
    Liebe Grüße
    Nina

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  3. liebe Astrid, du hast damit einen Beitrag erstellt der erschütternd darstellt wie es in unserer heutigen Zeit zu-geht.
    wer sich darüber ( die Zeit der Kriege früher und heute ) weder Gedanken noch Sorgen macht ist , nicht mehr zuhören oder etwas darüber wissen möchte -scheint - tja, entweder völlig abgestumpft zu sein, oder zu viel selbst darüber erlebt und gehört zu haben - andere brauchen und suchen auch wegen des eigenen Interesses um zu verstehen - das Gespräch darüber um zu verarbeiten was sie erlebt haben.
    nach all dieser Zeit des Entbehrens darüber zu sprechen tut bestimmt heute noch weh - der einen Krieg mit-erlebt hat.
    die Zeitzeugen werden weniger, doch man sieht ihnen am Gesicht an was sie erlebt haben und für die nachfolgende Generation ist es wichtig darüber unterrichtet zu werden...damit diese oder eine ähnliche Zeit nicht mehr wieder kommt.
    Leider hat noch keine Ära bestanden die die Wut, den Geiz, den Hass, den Neid und die Hoffnungslosigkeit und Machtbesessenheit gut überlebt hat und das Böse in der Welt besiegen konnte...
    wie u n s e r e Zukunft aussehen wird - wissen wir nicht - wir älteren werden sie ja nicht mehr erleben und manchmal bin ich ganz froh darum dazuzugehören.
    Ein Beitrag der - hoffentlich nachhaltig Inne Halten - und nachdenken lässt, ich hoffe, - viele werden ihn lesen. und genau das tun auch wenn sie sehr viel jünger mit ganz anderen eigenen Interessen und Wünschen für ihr eigenes Leben beschäftigt sind ..!!!
    ein herzliches Danke dafür...
    angel

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  4. danke für deine klaren worte, liebe astrid. auch in mosbach war der marktplatz mit über 3000 demoteilnehmern/-innen überfüllt, mich freute das. nun hoffe ich auf den nächsten schritt. und der herrgott hat den afd-ler aus dem rennen geworfen um den landratsposten, wenn das kein zeichen ist. ich las gerade ein buch von susanne abel, in dem kommt viel kriegsgeschichte in köln vor. dankbarkeit für unsere lebenszeit und ansporn zu meinem einsatz für unser freies land wurden beim lesen bestärkt. liebe grüsse, roswitha

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    1. Liebe Roswitha, ich hab sie auf Instagram bei Marc Raschke gesehen, die Bilder aus Mosbach und mein Herz ist gehüpft! -
      Ich hab einen Band von August Sander, dem berühmten Fotografen, mit seinen Fotos vom alten Köln. Und mir tut immer noch das Herz weh, wenn ich beim Anschauen sehe, was wir verloren haben. Ich beneide bis heute alle Städte, die keine solche Verwundung erfahren haben und deren Alter man auch im Stadtbild gut erkennen kann.
      Ganz besonders liebe Grüße nach Badisch-Sibirien!

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  5. Wie das Land aussehen soll, ist natürlich besonders beim Gang der Wahlurne wichtig. Aber das reicht nicht. Man muss es immer und immer wieder machen - für seine Meinung einstehen - so wie du in diesem Post.

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  6. Liebe Astrid auch bei uns waren am Wochenende viele Menschen auf der Straße und haben ein Zeichen gesetzt. Wir waren mit allen drei Generationen da. Die 91jährige Mutter, Oma, Uroma ließ es sich nicht nehmen. Sehr bewegend zu sehen, dass Demokratie so vielen Menschen wichtig ist. Grüße birdy

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  7. Danke für deinen bewegenden Beitrag. Ja, Freiheit und Demokratie müssen jeden Tag aufs Neue verteidigt werden. Ich fürchte, da wird noch einiges in den nächsten Jahren auf uns zukommen...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  8. wer heute sagt.. ach.. das sind doch alte Kamellen
    versteht nicht dass Eines auf dem Anderen aufbaut
    dass die Wurzeln die Frucht bringen
    aus einem nur noch auf Spaß an der Freude und Konsum orientierten Leben
    kann leider keine schöne Pflanze "erwachsen" und Werte gehen verloren
    aber es scheint zumindest so als sei die schweigende Merheit "aufgewacht"
    vielleicht bekommen sie noch die Kurve

    als Kind habe ich nicht viel vom Krieg mit bekommen
    Flensburg war unzerstört
    und es gab die "Tommys" die uns Kinder Schokolade schenkten
    zerstörte Häuser sah ich erst hier
    es hat mir Angst gemacht
    und ich träumte nachts von Feuer ..
    Bingerbrück war zu 80% zerstört
    von ehemals über 3000 Bewohnern waren zum Kriegende
    noch nicht mal mehr 100 ansässig

    man hat gedacht.. so etwas passiert nie wieder
    doch es war ein Irtum :(

    meine Eltern haben nie vom Krieg erzählt
    ich habe mich nur gewundert warum ich meine Großmutter in "Polen" nicht besuchen durfte
    sie mich auch nicht .. und die andere in der Zone lebte
    aber es war halt so ..warum und wiso erschloß sich mir erst später

    auf einem Plakat bei den jetzigen Demos las ich .Rassismus hat viele Gesichter.. aber alle sind hässlich

    wir dürfen nicht resignieren sondern sollten für das einstehen an was wir glauben und nicht den Hetzern das Feld überlassen

    liebe Grüße
    Rosi

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  9. Liebe Astrid, du hattest ja schon in deinem Kommentar unter meinem „Nie wieder ist jetzt!“- Post am Holocaustgedenktag anklingen lassen, dass du auch mit einem Artikel zum Thema „Rechtsruck“ befasst bist.
    Ich habe ihn mit sehr großem Interesse und ebensolcher Betroffenheit gelesen. Du hast noch einige, andere Aspekte miteinbezogen . Erschütternd finde ich auch deine persönlichen Erfahrungen, wie Leute ihr „Gift“ verspritzen, ohne Rücksicht auf den Menschen, der gerade Schweres durchmacht, zu nehmen.
    Einen kleinen Einblick in die Denke solcher Leute habe ich ja auch bekommen. Dank dir konnte ich ihn aber richtig einordnen.
    Ich finde es großartig, dass du weiterhin Stellung beziehst, trotzdem oder vielleicht GERADE deswegen.
    Ich bin 100% deiner Meinung !!!
    ♥️liche Grüße, Monika (aka Lilamalerie)

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  10. Vilen Dank für diesen Beitrag!
    Ich bin immer wieder fassungslos, wie viele unserer Mitbürger ganz offensichtlich nichts dazugelernt haben.
    Ich vermisse Sätze, die man noch in den 80er und 90er Jahren regelmäßig aus berufenem Munde hörte, wie "von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg aus gehen" (nur vorsichtshalber: damit meine ich nicht, dass man nicht mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen, die Ukraine unterstützen sollte!) oder "für Antisemitismus darf in diesem Land nie wieder Platz sein".
    Und mir macht Angst, dass "der Deutsche" seine Liebe zu Militarismus, Uniformität und Gleichmacherei gerade so massiv wiederentdeckt. Ich will ein Land, das ein friedlicher und bunter Flickenteppich aus Religionen, Kulturen, Hautfarben und Lebensstilen bleibt.
    LG
    Centi

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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