Donnerstag, 19. Oktober 2023

Great Women #354: Jacqueline du Pré

Obwohl ich in der Zeit, als sie auf dem Höhepunkt ihres Erfolges stand, kaum klassische Musik gehört habe, habe ich von ihr & ihrem Schicksal gehört & gelesen und es hat mich erschüttert. Deshalb hab ich das Datum ihres Todestages -  heute 36 Jahre her - gerne zum Anlass genommen, um die Erinnerung an die begabte Musikerin Jacqueline du Pré  (wieder-) zu beleben.


1988

"Ich habe gespielt, was ich wollte, 
und ich habe mit den Musikern gespielt, die ich bewunderte."

Jacqueline Mary du Pré erblickt das Licht der Welt am 26. Januar 1945 im englischen Oxford. Ihre Eltern sind die Pianistin & Komponistin Iris Maud Greep, 30 Jahre alt, aus Plymouth in Devon stammend, und der sieben Jahre ältere Derek du Pré, zunächst Buchhalter bei der Lloyds Bank in St. Helier bzw. London und stellvertretender Redakteur und später Herausgeber des Handelsblattes "The Accountant". Die Familie des Vaters kommt von der Kanalinsel Jersey, daher der französische Name, und betreibt ein Parfüm- Unternehmen. 

Derek du Pré spielt Akkordeon und hat seine Frau 1938 auf einer Wanderung in den polnischen Karpaten in Zakopane kennengelernt, die dort einen Sommerkurs beim Pianisten Egon Petri absolviert hat. Gemeinsam ziehen sie anschließend durch die Tatra und werden vertraut mit der dortigen Volksmusik. Nach der Rückkehr nach London schreibt Derek seine Urlaubseindrücke nieder, und Iris steuert ein Kapitel über ukrainische Volksmusik bei. Der etwas harmlose Reisebericht mit dem Titel "Als Polen lächelte" wird privat veröffentlicht. 

Am 25. Juli 1940 heiraten die Eltern in einer bescheidenen Zeremonie auf dem Standesamt in Kensington. Jacqueline ist ihre zweite Tochter. Zuvor ist dem Ehepaar im April 1942  Tochter Hilary geboren worden, 1948 kommt der Sohn Piers zur Welt.

Die du Prés sind also eine typisch englische Mittelklassefamilie, in der Musik zum täglichen Leben dazugehört. Als Musiklehrerin unterrichtet die Mutter an der Royal Academy of Music in London. Sie erkennt schnell das musikalische Talent ihrer beiden Töchter und beginnt früh mit einer entsprechenden Ausbildung.

Mit der Mutter
Jacqueline - in der Familie Jacki genannt - ist ein lebensfrohes, ausgelassenes Kind. Sie bewundert die große Schwester, die durch ihr Flötenspiel die Menschen zu bezaubern vermag. Die Mutter wendet viel Zeit auf für das angehende Wunderkind, und als der Bruder geboren wird, scheint Jacki das Schicksal des mittleren Kindes zu ereilen und beginnt sich unwichtig zu fühlen. Irgendwann einmal klettert sie mit Hilfe eines Bügelbrettes auf den Schrank, auf dem ein Radio steht und schaltet es ein. Es läuft gerade eine Kindersendung, in der die Instrumente eines Orchesters vorgestellt werden

"Als ich das erste Mal im Radio ein Cello hörte, war ich noch klein, vier Jahre. Ich kann mich an den Klang nicht mehr so genau erinnern, aber ich mochte ihn so sehr, dass ich sofort meine Mutter bat, mir das Ding zu besorgen, das diesen Klang erzeugt. Und das tat sie: Sie gab mir ein riesengroßes Cello. Und ich lernte es spielen." 
Die als Lehrerin wohl sehr begabte Mutter - sie ist Anhängerin der Dalcroze - Methode - unterrichtet das Mädchen und schreibt ihr abends, wenn die Kinder schlafen, einfache Melodien auf, dichtet dazu kleine Verse und illustriert das Ganze. Jacqueline erinnert sich später, dass sich riesig gefreut hat, wenn sie morgens ein neues Stück auf ihrem Nachttisch vorgefunden hat. Noch im Nachthemd hat sie sich auf ihr Cello gestürzt und das neue Stück ausprobiert. So wird das Cello wirklich aufregend für sie, wird sie sich später äußern.

Auf diese Weise entsteht dann auch ein kleines Notenbuch, das später unter dem Titel "Lieder für mein Cello und mich" veröffentlicht werden wird und wohl noch heutzutage vielen Kindern in England und Amerika als erstes Lehrbuch dient. Zu ihrem fünften Geburtstag bekommt Jacqueline ein Dreiviertel-Cello. Innerhalb kürzester Zeit beherrscht sie das Instrument.

Im Alter von sechs Jahren bringt die ehrgeizige Mutter sie dann zum Unterricht an die London Cello School. Fröhlich, unbeschwert und angstfrei gewinnt das Mädchen einen Wettbewerb nach dem anderen - und den Neid der Konkurrenz, auch der eigenen Geschwister, die jetzt in ihrem Schatten stehen.

Jacqueline ist aber auch mit einer einzigartigen Persönlichkeit ausgestattet: Ihr Lächeln fesselt und verzaubert leicht jeden, der nur ein paar Minuten mit ihr spricht. Ihr späterer Ehemann und ihre engen Freunde werden ihr den Spitznamen "Smiley" geben und sie charakterisieren als ein Wesen ohne Arroganz, liebevoll & sorglos.

Mit dem "Cello-Daddy" William Pleeth 
Als sie zehn Jahre alt ist, gewinnt sie den "Suggia Gift Award" bei einem internationalen Wettbewerb und einen zweiten musikalischen Ziehvater, William Pleeth - den "Cello Daddy" - von der Guildhall School of Music and Drama in London, der sogleich von der Begabung des Kindes, ihrer musikalischen Intelligenz beeindruckt ist.

Zwar spielt Jacqueline fast nur Kinderlieder. Wenn Pleeth ihr Schwierigeres vorsetzt, nimmt sie es aber sofort in Angriff und es gelingt immer. 

So wird er sich später in einem Interview an einer ihrer ersten Unterrichtsstunden erinnern: Er weist sie an, den ersten Teil von Alfredo Piattis Capricen und den ersten Satz des Edward-Elgar-Konzerts zu lernen. Am Donnerstagnachmittag gibt er Jacqueline die Noten. Am Samstagmorgen, dem Tag der nächsten Unterrichtsstunde, sagt sie, sie habe sehr wenig geübt. Pleeth fordert sie auf zu spielen, und die  junge Schülerin spielt die erste Caprice und eineinhalb Sätze des Konzerts vollständig auswendig, ohne eine einzige Note zu verpassen. Für diese äußerst schwierigen Musikstücke hat sie tatsächlich nur anderthalb Tage Übungszeit gebraucht!

Was das Leben außerhalb der Welt des Cellospiels betrifft: Das Mädchen bekommt alles, was es möchte, darf die Schule schwänzen und wird von den lästigen Schulaufgaben befreit, wenn es nur übt, übt, übt. Schließlich nimmt die Mutter Jacqueline ganz von der herkömmlichen Schule und stellt das Cello bzw. die Ausbildung zur Cellistin in den absoluten Mittelpunkt des Lebens ihrer Tochter. Für die emotionale, extrovertierte jugendliche Musikerin wird das Instrument das Medium, um sich auszudrücken & Gefühle umzusetzen. Ihr gelingt es, zum Kern der Musik vorzudringen, ohne sie gedanklich begreifen zu müssen. Das fördert auch ihr Lehrer, der möchte, dass seine Schüler kreativ sind und nicht nur versuchen, genau zu sein, denn sonst wird ein Stück in seinen Augen tödlich langweilig. Das kommt Jacqueline entgegen: Ihre Technik, natürlich und instinktiv, wird durch die Interpretationsfreiheit bestimmt, über die sie verfügt.

1958 übersiedelt die Familie nach London, und unter Pleeth's Tutorenschaft beginnt Jacqueline sich ernsthaft das Stück zu erarbeiten, das sie berühmt machen wird: Elgars Cello - Konzert in e-Moll.


Im Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren studiert Jacqueline dann auch bei den weltberühmten Cellisten Pau Casals in Zermatt, Paul Tortelier in Paris und Mstislav Rostropovich in Moskau – und alle sind von ihrem Talent begeistert! In Casals Meisterklasse in Zermatt hat sie besonders vital das Cello-Konzert in a-Moll von Camille Saint-Saëns präsentiert.

Mit fünfzehn bekommt sie als jüngste Person überhaupt den Preis der Königin für britische Musiker.

Zum Abschluss ihrer formalen Ausbildung an der Guildhall School of Music in London spielt Jacqueline du Pré dann im März 1961 in der Wigmore Hall in London auf einer Stradivari von 1673, Geschenk von Isména Holland, ihrer Patin und Witwe des Lehrers ihrer Mutter. Am Flügel begleitet sie Ernest Lush. Sie bringt Sonaten von Händel, Brahms, Debussy und Falla sowie eine Solo-Cellosuite von Bach zur Aufführung. Ihr Konzertdebüt gibt sie dann ein Jahr später, am 21. März 1962, in der Royal Festival Hall mit dem Cellokonzert von Elgar zusammen mit dem BBC Symphony Orchestra unter Rudolf Schwarz. Verglichen mit anderen Wunderkindern der klassischen Musikwelt ist Jacqueline mit ihren sechzehn Jahren schon recht alt. Doch es ist eine englische Eigenheit, junge Musiker nicht zu früh der Öffentlichkeit auszusetzen und vor Druck zu bewahren.

Mit Sergio Peresson
Doch schon zwei Jahre später wird Jacqueline Solistin beim BBC Symphony Orchestra, und in England eilt ihr bereits der Ruf voraus, die größte Cellistin ihrer Zeit zu sein. Im Jahr darauf bekommt sie von ihrer Patin die "Dawidow-Stradivari" von 1712 ( jetzt Eigentum des Luxuskonzerns LVMH, gespielt von Yo-Yo Ma ). Wegen der schwierigen Spielbarkeit des "Dawidow-Cellos" sucht die Musikerin allerdings bald nach anderen Instrumenten. 1969 wird sie auf ein Cello von Francesco Goffriller wechseln, ab 1970 zu einem von Sergio Peresson, einem modernen Instrumentenbauer, bei dem sie bis zum Ende der Karriere bleiben wird.

Im Jahr 1965 entsteht die erste Aufnahme, die ihren internationalen Ruhm begründet: Elgars Cellokonzert mit Sir John Barbirolli und dem London Symphony Orchestra.
Edward Elgar ( "Pomp and Circumstance" ) hat diese Komposition in den letzten Wochen des 1. Weltkrieges begonnen und das Konzert bringt die geistig-seelische Erschöpfung des Komponisten zum Ausdruck und sein Gefühl, dass nichts mehr so sein würde wie vor dem Krieg. Es ist erstaunlich, wie dieses melancholische Alterswerk zum Paradestück eines jungen Mädchens werden kann!

Im Mai 1965 folgt das Debüt der gefeierten jungen Cellistin in den Vereinigten Staaten in der Carnegie Hall.

1966 lernt Jacqueline während einer Weihnachtsfeier, zu der sie zum Spielen eingeladen worden ist, den argentinisch-israelischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim kennen. Sie spielen gleich die ganze Nacht zusammen Sonaten für Klavier und Violoncello von Brahms und Beethoven. Offensichtlich verstehen sie sich sofort musikalisch wie persönlich: "Ich habe niemals zuvor einen Menschen getroffen, der ein so musikalischer Gesprächspartner war", wird Barenboim später sagen. Wie verliebt sie ineinander sind, bleibt keinem verborgen.

Als Barenboim 1967 aus Solidarität mit seinen israelischen Landsleuten rund um den Sechstagekrieg nach Israel reist, folgt ihm Jacqueline, und sie geben gemeinsame Konzerte und Liederabende. Einige dieser Konzerte finden auf der Ladefläche von Armeelastwagen nahe der Front statt.

Am 15. Juni 1967 heiraten die Beiden nach jüdischem Ritus an der Jerusalemer Klagemauer. Barenboims Familie hat auf einer jüdischen Hochzeit bestanden, was für die katholische Jacqueline zwingend den Übertritt zum Judentum bedeutet. Der wird aufgrund der Prominenz des Paares in zeitlich geraffter Form vollzogen. Ihr erscheint das alles ganz selbstverständlich, natürlich und überhaupt nicht problematisch. Später wird sie in einem Interview sagen: 
"Ich denke, was es mir so leicht gemacht hat, ist, dass die jüdische Religion vielleicht die abstrakteste ist. Seit ich ein Kind war, wollte ich immer Jude sein, aber nicht unbedingt, weil ich natürlich nichts davon verstand. Möglicherweise lag es daran, dass so viele Musiker Juden sind..."
Tatsächlich ist sie befreundet mit Itzhak Perlman, dem Geiger, Pinchas Zukerman, dem Violinisten und Zubin Mehta, Geiger, Pianist & Dirigent, parsischer Herkunft. Die Aufführung des Schubert-Klavierquintetts in A-Dur "The Trout" ( dt. "Die Forelle" ) mit den miteinander befreundeten Musikern in der Queen Elizabeth Hall in London im Jahr 1969 ist die Grundlage des gleichnamigen Filmes von Christopher Nupen:


Das gut aussehende junge Ehepaar entwickelt sich in der Folgezeit zum medialen Liebling der Klassikwelt. Die Ehe ist auch immer Thema in den Klatschspalten, denn die Beziehung dieser beiden begabten jungen Ausnahmekünstler verläuft nicht ohne Höhen und Tiefen. Als Musiker begeistern die Frischvermählten das Publikum in verschiedenen Städten in Nordamerika und Europa mit ihren wunderbaren Konzerten. Eine Welttournee mit Auftritten in New York, Australien, Neuseeland, Israel und Italien schließt sich an. In Australien muss Jacqueline dann einen Arzt aufsuchen, weil sie auf dem rechten Auge gelegentlich Doppelbilder sieht. Der Arzt tut ihre Symptome als Nervenschwäche ab und schlägt ihr vor, sich ein entspannendes Hobby zu suchen. 

Ihr Mann wird später berichten, dass es nur 18 Monate gewesen seien, die sie in ihrer Ehe "sorglos" verbringen konnten. Erste Symptome seien kurz nach der Narkose für einen einfachen Eingriff aufgetreten.

Mit Daniel Barenboim
1971 kehrt Jacqueline nach langen Proben und Präsentationen in den USA unerwartet und von tiefer Erschöpfung geplagt nach England zurück. Schließlich gerät sie in eine tiefe Depression, in der sie sich in die heile Welt der Familie ihrer Schwester Hilary flüchtet und macht eine Psychotherapie.

Natürlich gibt es sofort Gerüchte über ihre Konzertpause: Sie sei neurotisch, habe einen Nervenzusammenbruch, ihre Ehe stehe kurz vor dem Scheitern. Einige führen ihre Koordinationsstörungen auf ein Alkoholproblem zurück. Da Jacqueline nach wie vor kerngesund aussieht, liegt es nahe, ihre Schwäche auch als Bequemlichkeit oder Depression abzutun.

Im Juni 1972 scheint sich Jacqueline so weit erholt zu haben, dass ihre Agentur ankündigen kann, sie werde wieder öffentlich spielen. Ihr Londoner Comeback findet am 24. September statt. Sie spielt das Klaviertrio D-Dur op. 70,1 ( "Geister-Trio" ) von Beethoven. Die Kritiker sind begeistert. Eine ihrer Freundinnen: "Sie legte alles in die Musik, was sie hatte." Doch sie selbst bemerkt, dass sich das Taubheitsgefühl in ihren Fingern verschlimmert hat. Kurz darauf folgen wieder Dysthymie, Dysarthrie und Müdigkeit.

Mitten in ihrer erfolgreichen internationalen Karriere beginnt  also der unumkehrbare Niedergang der bewunderten Cellistin: Ihre letzten Londoner Konzerte finden im Februar 1973 statt, darunter das Elgar-Konzert mit Zubin Mehta und dem New Philharmonia Orchestra am 8. Februar. Ihre letzten öffentlichen Auftritte folgen im gleichen Monat in New York: Vier Aufführungen des Brahms-Doppelkonzerts in a-Moll mit Pinchas Zukerman und der New York Philharmonic unter der Leitung von Leonard Bernstein sind geplant. 

Doch schon als sie zur Probe kommt, braucht Jacqueline Hilfe, um ihren Cello-Kasten zu öffnen. Während der Probe spürt sie die Saiten nicht mehr und verliert die Kontrolle über den Bogen. Sie erschrickt, fühlt sich schuldig und beschämt. Bernstein teilt sie mit, dass sie die Aufführung wohl nicht wird schaffen können. Doch der überredet sie zu spielen, da er alles für ein reines Nervenproblem hält.

Das Gefühl, mit dem Jacqueline an diesem Abend auf die Bühne geht, muss dem Gang zum Schafott gleichen. Sie spürt: Ihre Arme sind kraftlos, die Finger taub. Sie weiß um ihre einzige Chance zu musizieren, indem sie ihre Finger mit den Augen steuert, um visuell abzuschätzen, wohin sie die Finger setzen muss. Sie versucht es und scheitert auf großer Bühne im vollen Scheinwerferlicht. Am Ende der auf sie endlos wirkenden Aufführung bricht sie zusammen.

"Sieben verzweifelte Monate noch, mit ständig sich steigernden Selbstvorwürfen, bis zur Diagnose: nicht Stress und weibliche Hysterie sondern – Multiple Sklerose!", schreibt Swantje Koch-Kanz hier über die weitere Zeit im Leben der Jacqueline du PréDie ärztliche Diagnose ist niederschmetternd und beendet mit einem Schlag eine Weltkarriere. Jacqueline ist 28 Jahre alt.

Und: Vier Jahre sind inzwischen nach dem Auftreten der ersten Symptome vergangen... 

1976
Obwohl sie manchmal ohne erkennbare Einschränkungen Cello spielen kann, bleiben die Symptome der sensiblen und motorischen Dysfunktion bestehen und treten immer häufiger auf. Im Jahr 1975 verschlechtert sich ihr Zustand, wie neue, am Rockefeller Institute in New York durchgeführte Tests ergeben. 

Ein Jahr später, 1976, nimmt sie bereits im Rollstuhl den Order of the British Empire entgegen.  Es folgen weitere Auszeichnungen wie 1977 der British Record Industry Trusts Show Award für das beste klassische Solistenalbum und 1980 als "Musiker des Jahres"Ein halbes Dutzend Universitäten verleihen ihr Ehrentitel. Zu den öffentlichen Ehrungen trägt sie wie immer wundervolle Kleider, ihr langes Haar hat noch immer seinen seidigen Schimmer, und ihr Lächeln  ist nach wie vor beeindruckend. Das Sprechen allerdings fällt ihr immer schwerer, aber sie sucht die Kommunikation und wiederholt geduldig ihre Wörter oder buchstabiert sie, bis sie ihr Gegenüber  verstanden hat ( oder verzweifelt das Thema wechselt ).

Die Tänzerin Margot Fonteyn hat ihr ihr Londoner Haus zur Verfügung gestellt, das für Fonteyns Ehemann behindertengerecht umgestaltet worden ist, nachdem dieser nach einem Attentat querschnittgelähmt gewesen ist. Daniel Barenboim, der inzwischen hauptsächlich als Dirigent arbeitet, übernimmt 1975 das Orchestre de Paris und verlegt seinen Wohnsitz in die französische Hauptstadt. Jacqueline bleibt es  nicht verborgen, dass er dort bald in der Pianistin Jelena Bashkirova eine neue Partnerin gefunden hat, die für ihn 1977 ihren Ehemann Gidon Kremer verlässt. Mit ihr wird er die Kinder bekommen, die sie sich einst auch gewünscht hat.

Es dauert ein paar Jahre, bis ihr klar wird, dass sie, wenn sie das, was sie ihr ganzes Leben lang mit Leidenschaft getan hat, nicht mehr tun kann, sie dennoch ihre Beredsamkeit und Erfahrung nutzen kann,  eine neue Generation von Cellisten auszubilden und anzuleiten. Folglich erteilt sie Unterricht und gibt Kurse - ja sogar Meisterklassen - vom Rollstuhl aus. Ihren Schüler berichten von ihr als wunderbare Lehrerin.

1980 erzählt Jacqueline in einem Interview, dass sie zwar nicht mehr lesen könne, es aber sehr genieße, vorgelesen zu bekommen. Depressionen könnten gut eine vorhersehbare Folge des Verlustes der eigenen Leistungsfähigkeit sein. Solche Verluste sind für jedermann ungemein schmerzlich ( das habe ich in den letzten Jahren mit meinem kranken Lebenspartner hautnah erfahren ) und es hat ihr sicherlich viel Leid bereitet, denn ihr Cellospiel ist ihre "Stimme", ihre Ausdrucksmöglichkeit gewesen. Und jetzt ist diese durch die Krankheit verstummt. 

Trotz alledem lächelt Jacqueline du Pré in allen Filmaufnahmen ( auch in diesem etwas unangenehmen, irgendwie stupiden Interview ). Versteckt ihre heitere Geste ihre unterschwellige Last? Während sie ihre schmerzlichsten Erinnerungen mitteilt, scheint es, als ob ihre Körpersprache die Traurigkeit ihrer Geschichte nicht zum Ausdruck bringt. Jacquelines positive und fröhliche Lebenseinstellung hat ihr möglicherweise die nötige Kraft bzw. Widerstandskraft gegeben, um mit ihrer Krankheit zurechtzukommen und einen Weg zu finden, auf kreative Weise musikalisch weiterhin aktiv zu bleiben und neue, für sie attraktive Beschäftigungen zu finden. Sie engagiert sich auch für andere Leidensgenossen und nutzt ihre Popularität für ein besseres Verständnis ihrer Krankheit. 

Jacqueline werden Kortikosteroide verabreicht, was damals die einzig verfügbare Behandlung gewesen ist und was erkennbare Auswirkungen auf ihr äußeres Erscheinungsbild hat. Aber die fortschreitende Schädigung des Nervensystems, bei der Nervenzellen ihre Myelinhüllen verlieren und damit in der Regel unfähig werden, ihre normale Funktion auszuüben, ist damit nicht aufzuhalten gewesen. 

Am 19. Oktober 1987 stirbt Jacqueline du Pré im Alter von 42 Jahren, nicht unversöhnt mit ihrem Schicksal. Zwei Jahre zuvor, im September 1985, ist bereits ihre Mutter im Alter von 71 Jahren an Krebs gestorben.

Bestattet wird die legendäre Cellistin auf eigenen Wunsch auf dem jüdischen Friedhof von Golders Green in London. 

Ihr Mann Daniel Barenboim heiratet im darauf folgenden Jahr Jelena Bashkirova.

In den USA, Großbritannien, Kanada und Österreich wird ein Jacqueline du Pré-Forschungsfonds für Multiple Sklerose gegründet.

1997 erscheint posthum "A Genius in the Family" ( später umbenannt in "Hilary and Jackie" ) von Jacquelines Geschwistern Hilary und Piers du Pré. Das Buch bekommt viel Aufmerksamkeit, weil darin eine außereheliche Affäre der Cellistin mit Christopher Finzi, dem Mann ihrer Schwester von 1971-72 behauptet wird. 

Im Jahr 1998 entsteht auf der Basis des Buches und Gesprächen mit Jacqueline du Prés Geschwistern der umstrittene Film "Hilary & Jackie", in dem Emily Watson die Cellistin darstellt. Das "Voyeurstück" erfährt reichlich Kritik aus diversen Kreisen. Christopher Nupen versucht in seinem fünften Film über die Cellistin, der auch im September 2002 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird, eine Antwort auf die "Verleumdungen" der Geschwister gegen eine, die sich nicht mehr wehren kann. Er fährt zahlreiche Freund*innen und Kolleg*innen auf, die einhellig der Meinung sind, dass Jacqueline du Pré musikalisch wie menschlich einen ungeheuren Zauber ausgestrahlt habe, dem alle erlegen sind. Dabei möchte auch ich es belassen.






8 Kommentare:

  1. Ich finde es unglaublich, welch ein Druck in der Musik auf Künstler ausgeübt wurde/wird. Vielleicht wäre es ohne diesen der jungen Künstlerin zumindest seelisch besser ergangen. Ihr Schicksal war schon so ein hartes.
    Danke Dir und liebe Grüsse
    Nina

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  2. Mir war ihre - so kurze - Lebensgeschichte überhaupt nicht bekannt.
    Sie war eine so begabte und ausstrahlende Musikerin, wie sehr muss sie der Verlust ihrer ganz persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten getroffen haben. Das ist echt sehr hart. Auch wenn sie dann doch noch Möglichkeiten darüber hinaus für sich gefunden hat.
    Danke, dass Du ihr ihren Zauber gelassen hast. Das ist, was zählt.
    Herzlichst, Sieglinde

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  3. Chello.. Respekt
    ich hatte angefangen es zu lernen..
    aber bald aufgegeben.. ich hatte nicht die Kraft die schweren Saiten genug
    herunter zu drücken .. und der Lehrer drückte dann auf meine Finger :(
    und sie fing so jung an zu spielen.. tragisch dass ihre Krankheit sie beraubt hat sich musikalisch auszudrücken
    und dass sie nicht alt geworden ist
    danke für die Biografie
    Rosi

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  4. Jacqueline du Pré ist mir durchaus ein Begriff gewesen. Die Details ihres zu kurzen Lebens habe ich im Laufe der Jahre vergessen. Danke, dass du das Wissen aufgefrischt hast. Ein sehr bewegendes Schicksal.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. Mir ist lediglich die Rose Jaqueline du Pré bekannt, dank dir bin ich nun über das Leben der Namensgeberin informiert.

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  6. Mir ist lediglich die Rose Jaqueline du Pré bekannt, dank dieses Posts bin ich nun über das kurze und tragische Leben der Namensgeberin informiert.
    Lieben Gruß von Marita

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  7. Was für eine bewegende Lebensgeschichte, den Namen der Künstlerin kannte ich, aber nicht ihr tragisches Schicksal!
    Danke für dieses wiederum so umfangreiche Portrait einer großartigen Frau!
    (Übrigens, ich habe gerade gelesen: Barenboim hat wohl als einziger Mensch auf der Welt die israelische wie palästinensische Staatsbürgerschaft.)
    Liebe Grüße, C Stern

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  8. Danke für die vielen interessanten Lebensgeschichten in Ihrem Blog, sehr oft über jüdische Künstlerinnen. Man spürt die Anteilnahme an deren bewegenden Schicksalen. Jetzt nach dem furchtbaren Massaker vom 7. Oktober ein hätte ein Zeichen von Mitgefühl und Anteilnahme gut getan ... darauf habe ich eigentlich gewartet.

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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