Für den Monatsspaziergang im August habe ich mir - anders als sonst, wo öfter Siedlungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt standen - ein Wohnprojekt des beginnenden 21. Jahrhunderts vorgeknöpft. In meinen Posts findet diese Siedlung öfter Erwähnung, gehe ich doch mindestens zweimal pro Woche dorthin, denn dort befindet sich auch meine Physiotherapiepraxis. Auch einer meiner 12tel Blicke, nämlich der von 2019, liegt westlich dieser Wohnanlage, und das Terrain war in den letzten Jahren sehr beliebt bei Spaziergängen mit meinem Mann während der Pandemiezeiten.
Dieses Werk, seit 1862 bestehend und bis in die 1970er Jahre hinein größter Arbeitgeber in meinem Veedel, war eigentlich schon 1978 aufgegeben worden, aber viele Gebäudeteile wurden von der Bahn noch genutzt und die Kantine auf dem Gelände entwickelte sich zu einem beliebten Treffpunkt für Tanzbegeisterte & zu einer gefragten location für kulturelle Veranstaltungen.
Als die Deutsche Bahn sich Ende der 1980er Jahre ganz zurückgezogen hatte, richteten sich in den freigewordenen Gebäuden Künstler und verschiedene Betriebe als "Zwischennutzer" sowie eine Sonderwerkstätte für Behinderte ein. Der größte Teil des ehemaligen Betriebsgeländes entwickelte sich aber fortan zur Industriebrache.
Die Initiatoren wurden als Öko-Spinner abgetan, stellte doch zu jener Zeit in der breiten Bevölkerung kaum einer das Auto als Statussymbol in Frage. Das Ringen um politische Mehrheiten war mehr als mühsam für die Initiatoren. Vor allem die Kölner Stadtverwaltung erwies sich als besonders autoaffin & spreizte sich, so gut sie konnte ( Notiz an mich: gelegentlich sollte ich mal zu den Auswüchsen dieser Ideologie der autogerechten Stadt einen Ausflug machen ).
Inzwischen verbucht die Stadt Köln das Projekt jedoch als Erfolg. "Die autofreie Siedlung "Stellwerk 60" in Köln-Nippes zeigt, dass autofreie Bereiche und begrünte Innenhöfe zu einer hohen Aufenthaltsqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner führen", heißt es jetzt in offiziellen Verlautbarungen.
Auch die unmittelbaren Nachbarn des Geländes waren nicht wohlwollend, fürchtet man doch den eigenen Parkplatzverlust. Die Mitglieder der Initiative lehnten für sich selbst Autos ab und wollten auch keins der kommenden Nachbarn vor der Tür stehen haben. Bis heute eint dieser Gedanke allerdings die meisten Bewohner der Siedlung. Achtzig private Stellplätze gibt es heute in einem abgesonderten Parkhaus – das verlangte ein Kompromiss mit der Stadt. Zwei Car-Sharing Stationen mit zwanzig Autos ( inklusive Neunsitzer und Kastenwagen ) befinden sich an den Zugängen zur Siedlung. Dafür gibt es in den Kellern der Häuser Tiefgaragen für Fahrräder.
Trotz der vielen in den Weg gelegten Steine - ein deutscher Projektentwickler warf das Handtuch - gab es doch noch grünes Licht vom Kölner Stadtrat, und es fand sich schließlich & endlich ein niederländischer Immobilienentwickler als Investor für das 80 Millionen Projekt. 2006 wurde mit der Umsetzung begonnen, die vor zehn Jahren abgeschlossen werden konnte.
Heute leben auf einer Fläche von 4,5 Hektar Fläche um die 1550 Bewohner, verteilt auf 455 Haushalte. Gut drei Viertel der Wohnungen sind vermietet, der Rest ist Eigentum. Zwischen den Wohnblocks und kleinen Reihenhäusern befinden sich kleine Spiel- und "Versammlungsplätze".
Eine große Freifläche mit Wiese und dem von mir geliebten Birkenwäldchen befindet sich westlich von den Wohnbauten und zieht sich bis zur Trasse der Bahnstrecke Köln - Krefeld hin. Daneben gibt es einen Spielplatz sowie südlich davon ein sehr bunt bewirtschaftetes Gartengelände.
Ehemalige Kantine, jetzt Kindergarten |
Die Kantine ist längst in eine Kindertagesstätte umgewandelt worden, es gibt ein Mehrgenerationenhaus, eine Mobilitätsstation, wo Bollerwagen, Fahrradanhänger, Elektro-Lastenräder, Tretroller, Bierzeltgarnituren u.a. ausgeliehen werden können ( das Motto: Teilen statt Besitzen )...
Mehrgenerationenhaus mit pride flag |
Schon 2007 hat das autofreie Projekt die ersten Preise gewonnen, den "Best Practice Modell"-Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung oder die Auszeichnung als ein Ort der Aktion "Deutschland – Land der Ideen". 2013 gab es den dritten Platz beim Deutschen Fahrradpreis für die Siedlung.
Liebe Astrid,
AntwortenLöschendanke, dass du dich auf den schweißtreibenden Weg gemacht hast. Ein großartiges Projekt und eine kleine Oase in der Großstadt. Vor allem für die Kinder freut es mich, dass sie so unbeschwert spielen können.
Ganz liebe Grüße aus dem kleinen Dorf zwischen den Meeren
Lydia
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenvielen Dank für den tollen und sehr interessanten Bericht trotz großer Hitze.
Grüße aus Regensburg Doris
Hallo Astrid,
AntwortenLöschenwas für ein schöner Platz zum Wohnen in der Stadt.
Danke dir sehr fürs Mitnehmen auf deinen Rundgang.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag
Tina
...das gefällt mir sehr gut, liebe Astrid,
AntwortenLöschenund ich kann nicht verstehen, dass über solche Projekte nicht viel mehr berichtet wird, ja das es nicht gefördert wird, solche Projekte zu machen...schön hast du in deinen Bildern die Stimmung da eingefangen...
wünsche dir einen schönen Sonntag,
liebe Grüße Birgitt
Eigentlich wäre das doch die Wohnsiedlung der Zukunft. Irgendwann muss doch endlich des Deutschen heilige Kuh, das Auto, geschlachtet werden...
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
(P.S. zu deiner Frage im Blog: wir waren im Zürcher Tierspital. Für uns der kürzeste Weg zu einem CT mit Spezialist*innen.)
Liebe Astrid, ich mag deine Serie über Wohnsiedlungen. Und gerade dieses heute vorgestellte neuere zeigt nochmal einen ganz anderen Aspekt mit dem komplett autofrei. In den letzten Jahren hat ja ein Umdenken stattgefunden, weniger Tiefgaragenplätze, dafür mehr Platz für Fahrräder und Carsharing. Eine Baugemeinschaft in Bamberg hat auch nur mit Carsharing, ganz ohne eigene Parkplätze gebaut, das war nicht nur gewollt sondern auch eine Vorschreibung von seiten der Stadt für ihr Grundstück. Und bereits in den 1970er Jahren wurden autofreie Siedlungen gebaut. Zumindest oberirdisch, die Autos wurden gleich am Rand des Grundstücks unter die Erde verbannt. Das hat schon eine ganz andere Wohnqualität. Und so eine autofreie begrünte Siedlung ist an so einem heißen Tag wie heute garantiert auch weniger heiß als eine mit glühenden Blechbüchsen zugestellte Asphaltwüste. Die Science Busters haben da vor kurzem auch eine Sendung zu diesem Thema gemacht.
AntwortenLöschenVielen Dank also fürs mitnehmen, ohne selbst nach draußen zu müssen und liebe Grüße, heike
So eine schöne Siedlung mitten in der Großstadt ohne störende Autos dazwischen, zeigst Du uns heute. Platz für die Menschen und die Natur.
AntwortenLöschenDass sich die Visionäre solcher Vorhaben immer erst durchbeißen müssen, ist sehr schade. Aber ich denke, inzwischen sind wir ein Stückchen weiter. Auch bei uns gibt es solch eine Siedlung, etwas eingezwängt zwar in Bereich von bereits vorbebauten Straßen, aber auch ganz großartig. Allein schon, dass die Autoschau - wer hat das Größte? - hier gar nicht stattfindet, ist schon ein Gewinn.
Dein schweißtreibender Spaziergang hat sich voll gelohnt. Danke für diesen Bericht.
Herzlichst, Sieglinde
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenwie schön.
Ich finde solche Siedlungen einfach nur gemütlich. Hilfe ist da, wenn Hilfe gebraucht wird.
Stille tut gut.
Kinder laufen herum und am Büdchen trifft man immer jemanden.
Klasse Projekt mitten in der Großstadt und dann auch autofrei.
Und auch irgendwie klar, dass das sich jetzt groß selbst auf die Fahne geschrieben wird.
Viele Grüße,
Claudia
Ich glaube Dir gerne, dass Dein Spaziergang schweißtreibend war liebe Astrid.
AntwortenLöschenSo warm ist es im Moment, aber ich möchte mich nicht beschweren, es ist Sommer.
Die Siedlung sieht gut aus und da wird wohl an alles gedacht.
Aber so ganz ohne Auto? Das wäre für mich wohl nichts, ich brauche meinen kleinen Flitzer fast jeden Tag.
Aber das ist wohl auch eine Lernsache, vielleicht ist es mitten und er Stadt nicht so erforderlich.
Dir einen schönen Abend, lieben Gruß
Nicole
Oh liebe Astrid, bei diesen Temperaturen unterwegs zu sein ist echt schweißtreibend. Ich freue mich dass Du es gemacht hast und wir hier diese interessanten Informationen von Deinem Veddel bekommen haben.
AntwortenLöschenLiebe SOnntagsgrüße
Kerstin und Helga
Der Rundgang war sehr schön! Und das er gestern besonders schweißtreibenden war, glaube ich sofort. Sehr schwühl. Aber Dein Gang in eine wirklich ganz besondere Siedlung hat sich sehr gelohnt! Es hat sich so viel ganz offensichtlich dort getan. Ich ziehe den Hut vor jedem, der ohne Auto lebt.
AntwortenLöschenSchönen Abend (endlich ohne Schwühle hier, aber ich muss mich erst wieder dran gewöhnen)
Liebe Grüße
Nina
Das war sehr interessant zu schauen und zu lesen. Meinen Respekt hast Du Astrid, bei der Hitze so einen Ausflug zu unternehmen und so schön zu bebildern. Vielen Dank, dass Du mich immer so schön mitnimmst.
AntwortenLöschenLiebe Grüße Tina
Ich freue mich immer sehr über die schönen interessanten Berichte über die Veedel. So lerne ich noch viele neue Sachen kennen. Alles Gute und Danke schön , die Südstadt grüßt herzlich Maria H.
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
AntwortenLöschenwie schön doch dieses Veedel gleich bei dir umme Ecke ist und natürlich, dass du dich bei den tropischen Temperaturen zum Porträt aufgemacht hast.
Deine Bilder vermitteln ein chilliges Viertel, wo Wäsche und Äpfel hängen und man ganz relaxt sein Leben ein paar Gänge herunter geschaltet hat. So entspannte, ruhige Viertel mag ich sehr und grad gelesen gibt es nur eins in der bekannten Fahrradstadt in meiner Nähe. ;-)
Lieben Gruß von Marita
wie gut dass sich die Idee hat durchsetzen können
AntwortenLöschenes sieht sehr gemütlich und urban aus
da trifft man sich sicher auch abends mal draußen zu einem Plausch.. besonders bei dieser Hitze
und die Hektik.. der Lärm und Gestank ist weit weg
liebe Grüße
Rosi
Ich muss sagen, Auto hin oder her. Mein Opa hatte keinen Führerschein und fuhr so immer mit seiner Mofa und dem Anhänger dafür einkaufen oder mit dem Fahrrad. Aber auch die Busverbindung war wirklich sehr gut. (Damals). Damals auch im ländlichen Raum war die Busverbindung in die Stadt sehr gut, wenn man Großeinkäufe machen musste. Ich wohne ländlich und habe keine Busverbindung. Eine Haltestelle habe ich (fast) direkt vor der Haustür, nur mit dem Bus happert es. Der fährt nur 3 mal am Tag. Wenn ich also in die Stadt zum einkaufen möchte, dann fahre ich morgens hin und komme dann irgendwann am Nachmittag zurück. Wir hier in unserer Siedlung haben viele ältere Menschen, die dadurch auf Ihre Enkel, Kinder etc mit dem Auto angewiesen sind. Leider kümmert es die Gemeine nicht. Schade...
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Elke
Schön so ein Wohnviertel in der grossen Stadt zu haben. Als Tourist kommt man eher selten an so schöne Orte. Wie gut, dass es immer wieder Pioniere mit langem Atem gibt um so ein Projekt zu realisieren.
AntwortenLöschenL G Pia
wie gut, dass es diese visionär*innen gibt, die weit vorausdenken und dann auch dranbleiben. eine wunderbare siedlung, in der ich mir auch vorstellen kann zu wohnen. immerhin gibt es hier in der jetzt unsrigen auch car- und bikesharing und schön begrünte innenhöfe.
AntwortenLöschenmich hat dein bericht sehr an die siedlung in wittenberg-piesteritz anfang des 20. jh erinnert, über die ich ja bei einem monatsspaziergang berichtet habe. dort könnten sich die planer dieses viertels tatsächlich anregungen geholt haben!
danke, dass du die mühe an einem heißen tag auf dich genommen hast, über diese interessante siedlung mit aussagekräftigen fotos zu berichten.
liebe grüße von mano
Ein sehr schöner und interessanter Bericht, liebe Astrid, mit gewohnt tollen Bildern von dir. In dieser Siedlung zu wohnen, muss ein ganz besonderes Lebensgefühl sein. Wir auf dem Land sind leider auf das Auto sehr angewiesen, doch wir bemühen uns, so wenig wie möglich zu fahren. Das Motto Teilen statt Besitzen finde ich klasse. Wir teilen uns hier in der Nachbarschaft auch so manches...
AntwortenLöschenGanz liebe Grüße
Ingrid
Kleine, ruhige Oasen sind doch so wohltuend in den Städten! Diese hier finde ich auch sehr fein. Besonders dass die Kinder spielen und laufen können, ohne dass sie ständig Gefahr laufen, übergemangelt zu werden. Ich bin sehr gerne mitspaziert mit Dir.
AntwortenLöschenHerzliche Grüße aus Kopenhagen sendet Kristina