Donnerstag, 18. Mai 2023

Great Women #337: Nur Jahan

 


Vierzehn solcher Collagen habe ich inzwischen einem Great-Women-Post vorangestellt, vierzehn mal vierundzwanzig Frauen habe ich hier in meinem Blog porträtiert, seit ich die Anregung von Barbara Bee Anfang Oktober 2014 aufgegriffen habe. Heute reise ich tief in die Geschichte und auf einen anderen Kontinent. Ich möchte euch mit Nur Jahan, einer Mogulkaiserin des 17. Jahrhunderts auf dem indischen Subkontinent, bekannt machen, auf die ich wegen ihrer modischen Einflüsse auf indische Stickkunst aufmerksam geworden war.

Nur Jahan wird geboren am 3. 5. 1577, und zwar in einer Karawanserei nahe bei der Stadt Kandahar im Safawidenreich ( dem heutigen Afghanistan ), auf der Flucht der Familie aus Persien nach Indien, damals Hindustan. Sie ist das vierte Kind von Asmat Begam und ihrem Ehemann Mirza Ghias Beg, einem hochgebildeten Aristokraten. Zuvor ist die Familie unterwegs überfallen und ihres restlichen Vermögens mit Ausnahme zweier Maultiere beraubt worden. Ein Kaufmann, mit dem sich der Vater anfreundet, nimmt die Familie auf und bürgt für sie vor Gericht. Mirza Ghias Beg glaubt, dass die Geburt des Mädchens die Situation der Familie zum Besseren ändern wird und er gibt der Neugeborenen den Namen Mehr-un-Nissa oder "Sonne unter den Frauen".
Nur Jahan umgibt später der Mythos des "Miracle Girls", denn um ihre Geburt ranken viele Legenden. Im frühen 18. Jahrhundert schafft Khafi Khan, der an einem Mogulgericht arbeitet, mit dem Bild des verlassenen Babys eine herzzerreißende Geschichte: Da die Eltern mittellos sind, fragen sie sich, wie sie das kleine Mädchen unter diesen Umständen groß ziehen können und entscheiden sich fürs Aussetzen. Sie wickeln das Baby in ein schönes Stück Stoff und lassen es unter einem Baum zurück. Doch nach kurzer Zeit ist die Mutter untröstlich und fordert ihren Mann auf, es zurückzuholen. In einer anderen Version findet der Karawanenführer das Kind. Ein italienischer Quacksalber namens Manucci, der später über zwei Jahrzehnte im Mogulreich verbringt und sich über Nur Jahans Macht & Reichtum wundert, verfasst einen Bericht, in dem er ganz in der Tradition des Christentums dieser Geburt des Mädchens fast biblische Züge verleiht. Es geht immer darum zu verstehen, wer ist diese Frau, und zu erklären,  warum sie so besonders ist. Schreiber und Chronisten haben  sonst so über die Geburten von Königen geschrieben, mit denen immer ein Wunder verbunden wird.
Fatehpur Sikri, von Kaiser Akebar zwischen 1572-1585 erbaut
Es wird tatsächlich besser für die Familie, denn der Vater, nachdem er in Fatehpur SikriEnde des 16. Jahrhunderts die Hauptstadt des Mogulreiches, am Hofe vorgestellt worden ist, erhält unter Kaiser Akbar einen Posten als Staatsdiener im Range eines Mansab. Bald darauf wird er sogar Diwan ( Schatzmeister ) von Kabul, einer fruchtbaren und strategisch bedeutsamen Gegend im Norden des Reiches. Später - nach dem Tod Kaiser Akbars - wird er sogar Wazir und den Ehrentitel "Itimad-ud-Daula" ( "Stütze des Staates") erhalten, was so viel wie einem Finanz- & Premierministertitel entspricht.  

Mirza Ghias Beg stammt aus einer Familie wirklich prominenter Schriftsteller und Dichter und ist ein Meister im Kalligrafieschreiben, in der Kunst des Verfassens von Briefen, damals keine gewöhnlichen Dinge. Die Mutter ist eine Frau von großem Temperament, wie es Dokumente festhalten. 

Mirza Ghias Beg ist auch schon am Hof ​​von Shah Tahmasp, dem damaligen regierenden Kaiser in Persien, in einer sehr wichtigen Position gewesen. In den späten 1570er Jahren hat es dann im Land bürgerkriegsartige Konflikte, u.a. zwischen Schiiten und Sunniten, und viel politische Unsicherheit gegeben, bis der Schah 1576 gestorben ist. Wohl hat Nur Jahans Vater auch Schulden und keine anderweitige familiäre Unterstützung, weshalb er sich zu dem Schritt entschließt, das Land zu verlassen und nach Indien aufzubrechen. Dort herrscht unter Akbar dem Großen eine besonders freie Atmosphäre, in der Menschen aus der ganzen Welt willkommen sind, insbesondere Künstler, Kalligraphen, Experten für Persisch. Die Familie schließt sich deshalb einer großen, aristokratischen Karawane an, unter die sich aber auch Sufis, Prediger und Jesuiten-Missionare mischen, und die über die Seidenstraße zieht.

Der Familienhintergrund bringt einige Traditionen mit und so ist es Nur Jahans Vater auch an einer guten Ausbildung und anderen sinnvollen Aktivitäten seiner Tochter gelegen. Sie wird in Kunst, Literatur, Tanz und Musik unterwiesen und lernt neben Persisch auch Arabisch und spricht beide Sprachen fließend. Sie ist auch eine versierte Bogenschützin und wird sich später am Hof großen Respekt erwerben, als sie vier Tiger mit sechs Pfeilen aus ihrem Howda auf einem Elefanten tötet. 

Allerdings ist das Klima in Fatehpur Sikri in Nordindien auch liberaler als anderswo, und es wird viel weniger Wert auf die übliche Mädchenerziehung gelegt wie das Erlernen des Korans und Umgangsformen höfischer Art. Das ist u.a. auch auf die Interaktion mit lokalen hinduistischen Traditionen zurückzuführen.

Es gibt zudem mystische Sufi-Praktiken. Es existiert folglich eine Art von  Multikulti - Gesellschaft mit diversen Religionen, einer beliebigen Anzahl von Dialekten & Sprachen, also vielen Formen des Seins und Glaubens.

Nur Jahan wächst zu einem außergewöhnlich schönen und dazu fähigen jungen Mädchen heran. Quellen der damaligen Zeit beschreiben sie als lebhaft, verführerisch und überzeugend. Im Alter von 17 Jahren wird sie 1594 mit Ali Quli Khan Istajlu, ebenfalls ein Flüchtling aus Persien, der sich dem Hof ​​von Kaiser Akbar angeschlossen hat, als Anerkennung für dessen herausragende Leistungen im Tatta- Feldzug vermählt. Nach einem weiteren Feldzug wird Ali Quli Khan Istajlu 1599 der Titel Sher Afghan verliehen und ist ein Günstling des Prinzen Salim, Sohn von Kaiser Akbar. Nur Jahan wird in dieser Ehe 1605 ihr erstes und einziges Kind geboren, die Tochter Ladli.

Ihr Ehemann fällt allerdings beim Prinzen in Ungnade, nachdem Salim sich gegen seinen Vater Kaiser Akbar verschworen hat (der Streit hat nichts mit Nur Jahan zu tun). 

1605, nachdem Akbar gestorben ist und Salim unter dem Namen Nuruddin Muhammad Jahangir Padshah Gazi, "Licht des Glaubens, Herrscher der Welt, Hoher Herr" Kaiser wird, begnadigt er Ali Quli, versetzt ihn aber weit weg nach Burdwan in Bengalen- halb Ehre & Belohnung, halb Strafe, da Bengalen für sein ungastliches Klima, Hungersnöte, Trockenheit wie Überschwemmungen und Typhus berühmt - berüchtigt ist. 

Begal ist die erste Provinz, die unter die Mogulherrschaft gekommen ist, die östlichste Provinz und das Land des bengalischen Tigers. Nur Jahans Umgang dort bringt ihr vielfältige Erfahrungen mit der Natur, Essen & Kleidung, Religion, aber auch die Verbesserung ihrer Fähigkeiten als Jägerin. Sie wird in Bengalen zu der Frau, die ihre beeindruckende reife Persönlichkeit ausmacht, denn dort kann sie ganz anders leben & Erfahrungen sammeln als all die Frauen im Harem, die herumlungern und darauf warten, dass der Kaiser kommt, und sie ihm seine Vergnügungen erfüllen. Das mag auch ihre Außergewöhnlichkeit erklären. Die ist umso unglaublicher, als sich das alles in einer feudal-patriarchalischen Gesellschaft vollzieht.

1607 kommt ihr Mann bei einem Aufruhr gegen den Gouverneur von Bengalen ums Leben, und die junge Frau wird mit dreißig Jahren Witwe. 

Nach dem Tod ihres Mannes wird Nur Jahan durch Kaiser Jahangir an den Hof in Agra beordert und in den Dienst seiner Stiefmutter, der Witwe Akbars, Ruqayya Sultan Begam, gestellt. Da ihr Ehemann sich Feinde gemacht hat, bedeutet es mehr Sicherheit für die junge Witwe und ihre kleine Tochter, als Hofdame zu leben. Zwischen der Begam und ihrer Hofdame entwickelt sich eine herzliche Beziehung, da diese die Talente der jungen Frau zu schätzen weiß.

In den nächsten Jahren im Harem der Moguln, dem Zenankhana (Damenkammer), nutzt Nur Jahan ihre Fähigkeiten im Sticken und Nähen und wird eine bei den Moguldamen sehr beliebte "Designerin" werden. 

Sie selbst kleidet sich sehr einfach – hauptsächlich in Weiß, wie es bei den Witwen auf dem Subkontinent üblich ist –, fertigt aber für die Damen des Harems bunte Brokate, Gewebe und Seide an. Ihre Entwürfe setzen oft Modetrends, frau kann sie als erste Stilikonie Indiens betrachten. 

So gebührt ihre die Ehre für die Erfindung des Dhaka-Musselin-Stoffes, der einst von königlichen Persönlichkeiten der indischen Geschichte wie auch später in europäischen Königshäusern sehr geschätzt wird. Es heißt, dieser Musselin soll so fein und zart gewesen sein, dass ein ganzer sechs Meter langer Sari zusammengefaltet in eine Streichholzschachtel gelegt werden konnte. Auf sie zurück geht der dudámí ( ein geblümter Musselin),  das peshwáz ( ein vorne offenes Kleid ), das Frauen auch das Reiten & Jagen ermöglicht. Sie entwirft ein neues Design für Schleier. Für die geschätzten Goldornamente entwickelt sie ganz neue elegante Muster. Auf sie zurück geht auch das Nurmahali, ein preiswertes Hochzeitskleid mit Brokat, ein Set für Braut und Bräutigam ärmerer Schichten, auf nur 25 Rupien Kaufpreis festgesetzt. Ihre Mutter hat die Rosenessenz einst entdeckt, aber das Verdienst, sie zu destillieren und bekannt zu machen, steht Nur Jahan zu.

Erst vier Jahre später nach ihrem Einzug in den Harem begegnen sich Nur Jahan und der Kaiser im März 1611 zum ersten Mal auf einem Nouruz - Fest in Agra. Er soll sich auf der Stelle beim Blick in ihr unverschleiertes Gesicht verliebt haben. Trotz ihres Alters entscheidet er sich für die Frau, die für ihre außergewöhnliche Schönheit, ihren Charme und ihre Anmut bekannt ist, und sie wird am 25. Mai 1611 nach 19 anderen Ehefrauen seine letzte Ehefrau. Jetzt wird aus Mehr-un-Nisa Nur Mahal, "Licht des Palastes", vier Jahre später dann Nur Jahan "Licht der Welt".
Nur Jahan mit einem Porträt ihres Mannes
Auch um den Beginn ihrer Liebe ranken sich Legenden, besonders im 19. Jahrhundert. Eine besonders charmante will ich hier erzählen.
 
Sie soll sich in der Zeit zugetragen haben als Jahangir, der Kaiser, noch Prinz Salim gewesen ist. Eines Tages will er ins Bad, hat aber noch zwei wertvolle Tauben in der Hand. Auf dem Weg trifft er auf eine wunderschöne Frau, die Blumen und einen Schwan beobachtet. Er fragt sie: 'Ich gehe ins Bad, macht es Ihnen etwas aus, diese Tauben für mich zu halten? Ich nehme sie wieder an mich, wenn ich zurückkomme .' Und sie sagt : 'Ja, ich werde sie halten.' Als er zurückkommt, sieht er, dass  nur noch eine Taube in ihrer Hand ist. Und er fragt: 'Wo ist meine Taube?' Und die Schöne antwortet: 'Nun, sie ist weggeflogen.' - 'Wie ist das passiert?'  Da streckt sie zweite Hand mit der zweiten Taube aus und lässt die Taube fliegen. 'So', kommentiert sie das Geschehen. Da verliert Prinz Salim sein Herz an ihren Witz, an ihre geistige Brillanz und an ihren offensichtlichen Mut.
Diese Taubengeschichte wird immer und immer wieder wiederholt und prägt sich in den Hirnen der Menschen ein und werden zur Legende. Sie ist zudem romantisch, was die Menschen schätzen, und betont die besondere Liebe zwischen Nur Jahan und Jahangir.
Jahangir kommt am 31. August 1569 in Fatehpur Sikri als Salim Chisti, benannt nach einem Sufi - Heiligen, zur Welt. Seine Mutter ist die Hindu-Prinzessin Mariam uz-Zamani, eine der Frauen Kaiser Akbars. Im Rahmen seiner klassischen, fürstlichen Erziehung ist Jagen sehr, sehr wichtig und Kraftaufbau, aber auch Poesie, Mathematik, Kalligrafie. Besonders fasziniert ist der Prinz von der sogenannten Mughal-Miniaturmalerei, die ihre frühen Formen in der Zeit des ersten Mogul-Kaisers gefunden hat. Er selbst malt ebenfalls. Doch als Fürst muss er sich vielen anderen Dingen widmen, als da sind militärische Vernetzungen mit anderen Adligen & Eroberungen, die administrative Wendigkeit erfordern. Wie fast alle Mogulprinzen revoltiert er gegen die Autorität seines Vaters Akbar, dem Großen. Schließlich vergibt dieser ihm, und er wird sein Nachfolger als 4. Mogul - Kaiser Indiens. Er ist ein sehr experimentierfreudiger, sehr verspielter Herrscher, ganz anders als sein Vater, vielseitig und philosophisch, obwohl Analphabet und mit einer wunderbaren Bibliothek ausgestattet. Er ist aber auch dem Alkohol und dem Opium verfallen, leidet zudem unter Asthma, was immer im Vordergrund in den Beschreibungen seines Lebens steht.
Jahangir ist ein herumziehender Herrscher. Nur in den ersten zwei Jahren ihrer Ehe lebt das Paar in Agra. Nur Jahan zieht mit ihrem Mann besonders gerne nach Kaschmir. Das Unterwegssein, außerhalb der Haremsmauern, scheint die Co - Souveränität von Nur Jahan begünstigt zu haben, denn sie ist nicht gezwungen wie die Frauen vor ihr, sich auf die zenankhana zu beschränken. Sie wird deshalb von Kritikern als "aufsässige" Königin empfunden: Sie beansprucht beispielsweise den öffentlichen Raum, indem sie nach dem Morgengebet an der Seite ihres Mannes für den Jharoka Darshan - ein alter Mogul-Brauch - vor Publikum auf den Balkon tritt, während die Frauen nach den purdah Richtlinien hinter die bewachten Tore des Hartems verbannt sind.

Im islamischen Denken gibt es drei Zeichen der Souveränität: 

Eines davon ist, dass Münzen mit dem Namen des Herrschers geprägt werden. Es gibt Münzen aus jenen Tagen in diversen Museen, die haben auf der einen Seite den Namen Nur Jahan, auf der anderen Seite den ihres Mannes Jahangir. Sie handelt mit europäischen Kaufleuten und kassiert Zölle von reisenden Kaufleuten aus anderen Provinzen. Sie prüft die Beglaubigungen aller ausländischen Gesandten und pflegt die Diplomatie mit hochrangigen Frauen in anderer Länder. 

Das zweites Zeichen sind kaiserliche Befehle. 10 bis 15 dieser imperialen Befehle in den Archiven tragen Nur Jahans Unterschrift. Ein beispielloser Akt ist die Tatsache, das neben der Unterschrift des Kaisers in allen Briefen und Ernennungsurkunden ihr  Namen - Nur Jahan, die Königin Begum - hinzugefügt wird, wodurch sie alle Beförderungen und Herabstufungen im Dienst der kaiserlichen Regierung kontrollieren kann. 

Worum ging es bei ihren Anordnungen? In einem Beispiel geht es um den Schutz der Rechte der Bauern. Als einem das Land weggenommen worden ist, gibt es eine von Nur Jahan unterzeichnete Anweisung, dass es zurückgegeben werden muss. "Sie war ein Asyl für alle Leidenden", wird einmal über sie gesagt. Während ihrer sechzehnjährigen Herrschaft arrangiert sie beispielsweise auch Eheschließungen für mindestens 5000 Waisenmädchen und gibt ihnen eine Mitgift. Viele Menschen profitieren von ihrer Wohltätigkeit. Sie besitzt aber auch die seltene Gabe, Probleme zu lösen, was sogar ihre Gegner anerkennen müssen.

Ein drittes Zeichen, das weniger dem Islam, denn indischen Traditionen entstammt, ist der oben erwähnte "Jharoka Darshan", den Janhangirs Vater Akbar eingeführt hat. Das ist der Brauch, bei dem der Herrscher zwei Mal am Tag auf einem Balkon erscheint, um dem einfachen Volk eine Audienz zu geben und ihn seine Untertanen wie eine göttliche Vision wahrnehmen. Nur Jahan ist immer dabei.

Abul- Hasan Nadiruz Zaman: 
Portrait of Nur Jahan Holding a Gun
(17. Jahrhundert )
Die Jagd auf Löwen und Tiger ist ebenso das Vorrecht des Souveräns. Nur Jahan nimmt auch das für sich in Anspruch. Es gibt sogar ein Porträt von ihr, in dem sie eine Muskete lädt. Auf einem Elefanten zu reiten gilt auch als militärische Leistung, die Geistliche, ja alle Männer, verwirrt. Dennoch stellen sie sich nicht gegen Nur Jahan.

All diese Aktivitäten sind nicht verwunderlich, sind sie immer als Paar in ihrem Reich unterwegs. Einmal passiert es, dass auf dem Weg nach Kaschmir, ein unzufriedener Adliger namens Mahabat Khan Janhangir gefangen nimmt. Auf einem Kriegselefanten reitet Nur Jahan in die Auseinandersetzung, um zu intervenieren und ihren Mann freizubekommen. Sie scheitert und muss sich ergeben und gerät nun mit in Gefangenschaft, geht aber auf eine so strategisch geschickte, geplante Weise mit der Situation um, so dass sie sich und ihren Ehemann letzten Endes befreien kann.

Oft wird bis heute angeführt, dass sich Nur Jahan diese Co - Souveränität, diese Macht nur beschaffen hat können, weil den Kaiser sein Alkoholismus und seine Opiumsucht oft schachmatt gesetzt hat. Er selbst hat immer betont, dass sie als Paar funktioniert haben, auch aufgrund ihrer gemeinsamen Interessen für Kunst, Architektur und Mode. So ist sie z.B. bei mehreren Bauten der Mogul-Architektur planend und federführend beteiligt: Bereits im Jahr 1618 gibt sie den Bau einer später nach ihr benannten  Karawanserei im Punjab in Auftrag. Weitere Rastplätze für Reisende und Kaufleute werden folgen. Später entwickeln sie auch eine gemeinsame Leidenschaft für Gärten. Rambagh oberhalb des Flusses Yamuna gelegen ist ihr berühmtester und wohl schönster Garten.

Ein kleiner, intimer Moment, Zeugnis für ihre Beziehung voller Zuneigung und Sympathie ist die Formulierung in Janhangirs Erinnerungen, sie habe ihn "besser als jeder Arzt" betreut, als er krank gewesen ist. Unvorstellbar für uns heute, dass es eine solche erotische Darstellung eines Herrscherpaares gibt, wie die von Nur Jahan & Janhangir, die im Los Angeles County Kunstmuseum aufbewahrt wird.

Am 28. Oktober 1627 stirbt Nur Jahans Ehemann mit 58 Jahren in Khanpur Chingas / Kaschmir, auf dem Weg nach Lahore. Sein Tod löst einen Erbfolgekrieg zwischen seinen beiden noch verbleibenden kompetenten Söhnen Prinz Khurram - später Shah Jahan - und Prinz Shahryar. Jahangirs ältester Sohn ist geblendet worden, nachdem er sich gegen den Vater aufgelehnt hat, sein zweiter Sohn, Parviz, gilt als schwach und alkoholabhängig.

Nur Jahan ist in diesem Falle Partei, hat sie doch Shahryar mit ihrer Tochter Ladli verheiratet. Khurram, religiös konservativ, während Nur Jahan liberal ist, was zu Reibereien führt, ist Ehemann ihrer Nichte Mumtaz Mahal ( ja die, für die er das Taj Mahal in Agra bauen lassen wird ). Diese Verehelichungen stellen erst einmal sicher, dass sich der Einfluss der Familie Nur Jahans auf die eine oder andere Weise über das Mogulreich für mindestens eine weitere Generation erstrecken wird. Ihr Bruder Asaf Khan schlägt sich auf nachvollziehbare Weise dann auf die Seite seines Schwiegersohnes. Nachdem dieser seinen Bruder Shahryar besiegt hat und ihn hinrichten lässt, besteigt Khurram als Shah Jahan 1628 den Thron der Mogulkaiser.

Die meisten Matriarchinnen jener Tage ziehen sich nach dem Tod ihrer Männer in den Harem zurück. Wenn Nur Jahan sich entschieden hätte, in den ihres Stiefsohns und ihrer Nichte zu gehen, dann wäre sie willkommen geheißen und ihr wäre vergeben worden. Doch die 51jährige entscheidet sich für das Alleinsein. Als ehemalige Souveränin besitzt sie mehrere Ländereien und anderes kaiserliches Eigentum. Sie verbringt den Rest ihres Lebens lieber zusammen mit ihrer Tochter Ladli in einer komfortablen Villa in Lahore, heute Pakistan. Dort beschäftigt sie sich alsbald mit der Fertigstellung des Mausoleums ihres Vaters in Agra, das dieser 1622 selbst begonnen hat. Heute ist es als Itmaddaulahs Grab ein Touristenmagnet. Sie führt also ihr eigenes Leben. Und dazu gehört auch, dass sie ihr eigenes Grabmal im Shahdara Bagh plant, in dem sich auch das ihres Mannes befindet, und es selbst bezahlt. ( Beide Gebäude sind als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.) 

Von links nach rechts: Grabmal Nur Jahan, Grabmal ihres Vaters, Grabmahl ihres Ehemannes Jahangir


Es gibt allerdings keine Quellen für diese letzten Jahre Nur Jahans. Ihr Stiefsohn setzt alsbald das Narrativ in die Welt, dass sie eine überaus manipulative Ehefrau gewesen und Jahangir jemand gewesen sei, der sich leicht manipulieren ließ. In der Tradition des Chauvinismus wird sie nach und nach bis zur Karikatur verformt, und Indiens hindu-nationalistische Regierung heutzutage verstellt die Erinnerung an die Vielfalt der einstmaligen indischen Traditionen: Nur Jahan ist eine schiitische Muslima gewesen, die einen sunnitischen Kaiser geheiratet hat, der wiederum eine hinduistische Mutter und sowohl hinduistische als auch muslimische Frauen und Konkubinen in seinem Harem gehabt hat. 

Nur Jahan stirbt am 17. Dezember 1645 in Lahore. 72 Jahre ist sie geworden. Sie wird im Shahadra Bagh, Lahore, in ihrem Grabmal aus rotem Sandstein beigesetzt, nur einen kurzen Spaziergang von der letzten Ruhestätte ihres Mannes entfernt.

Ihre Geschichte ist eine, die von politischer Geschicklichkeit & militärischer Kompetenz zeugt und an viele kulturelle Errungenschaften erinnert. Während sich die kulturellen Manifestationen geändert haben, hat ihre Legende mythologische Ausmaße angenommen und ein Teil der Realität ihres Lebens bleibt geheimnisumwittert. Das, was ich in Erfahrung gebracht habe, hat mich letzten Endes mehr beeindruckt & fasziniert als ihre modischen & textilen Erfindungen.


5 Kommentare:

  1. danke für diesen besuch in einer mir fremden welt. so viel fremdes, auch so viel bekanntes schon vor vielen jahrhunderten. es gab zu allen zeiten mutige frauen, auch wenn ihr tun nicht so lange ausstrahlte. liebe astrid, danke fürs hinführen zu all diesen frauen, und hab einen guten tag, herzliche grüsse, roswitha

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  2. Liebe Astrid,
    auch ich bin beeindruckt & fasziniert. Ein großartiger Blick in eine fremde Welt. Danke dir!
    Ganz liebe Grüße aus dem kleinen Dorf zwischen den Meeren
    Lydia

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  3. wow
    das liest sich fast wie eine Geschichte aus tausend und einer Nacht
    was für eine beeindruckende Frau
    in ihrem Lebensbereich absolut ungewöhnlich
    dass man später versucht hat das alles klein zu machen passt
    in diese frauenfeindliche Gesellschaft
    danke für das Portrait
    liebe Grüße
    Rosi

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  4. Das war ein sehr farbenprächtiges, mythisches Eintauchen in eine ganz fremde Welt. Danke dafür!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. So viele Jahrhunderte vor uns und solch eine patriarchale Welt und dann gibt es da eine so kluge Frau, die weiß, was sie will und es auch bekommt. Sowas von beeindruckend!
    Solche Biografien finde ich immer so motivierend. Auch für das eigene Leben und das Leben von Frauen allgemein.
    Ruth Cohn hat einmal als einen ihrer Leitsätze in der TZI gesagt:
    "Ich bin nicht allmächtig, ich bin nicht ohnmächtig, ich bin partiell mächtig."
    Das ist mir bei Nur Jahan wieder einmal so deutlich geworden. Diese partielle Mächtigkeit kann sehr viel bewirken.
    Danke für dieses außergewöhnliche Portrait!

    Und nun wird sich bei Euch in den familialen Fliederrausch gestürzt und ich wünsche allen eine fulminante Fliederhochzeit!!
    Herzlichst, Sieglinde

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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