Immer auf der Suche nach Frauen in der Politik früherer Jahrzehnte bin ich irgendwann auf sie gestoßen, die einstige "Mutter Berlins". Louise Schroeder war nämlich die erste Bürgermeisterin der Stadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Louise Dorothea Sophie Schroeder kommt am 2. April 1887 in der Bürgerstraße 11 (heute Thedestraße) in der Stadt Altona (damals noch in der Provinz Schleswig- Holstein und bis 1938 eine unabhängige Stadt) als Tochter des Bauarbeiters und aktiven Gewerkschafters & Sozialdemokraten Karl August Julius Schroeder und seiner Frau Dorothea Husteden, einer Gemüsehändlerin in der Völkerstraße, zur Welt - als achtes und jüngstes Kind der Familie.
Sie wächst in einem echten Arbeiterhaushalt auf. Ihr engster Vertrauter Paul Löbe wird später Folgendes berichten:
"Da der Lohn des Vaters, eines fleißigen und ordentlichen Bauarbeiters, für die Bedürfnisse der Familie nicht ausreichte, führte die Mutter nebenbei noch einen kleinen Gemüsekeller, .... In diesem Keller ... führte Louise Schroeder, die jüngste von vier lebenden Geschwistern und etwas zart veranlagt, ihre Schularbeiten aus und sammelte die ersten Eindrücke über das Leben in Armut und Mangel, die ihr bei den einkaufenden und borgenden Kunden der Mutter sichtbar wurde."
Nach dem Besuch einer Altonaer Mittelschule für Mädchen von 1893 bis 1901 kann sich die bildungshungrige Louise dank der finanziellen Unterstützung ihrer älteren Schwester 1901/02 auf der Gewerbeschule für Mädchen in Hamburg weiterbilden. Ab 1902 arbeitet sie zunächst als Stenotypistin, dann ab 1908 als Privatsekretärin bei einer Hamburger Versicherungsgesellschaft. Sie erwirbt sich auf eigene Faust Kenntnisse in Englisch und Französisch, besucht Abendkurse und nutzt ihre freie Zeit zum Selbststudium. Auf diese Weise gelingt es ihr, sich in der Versicherung zielstrebig nach oben zu arbeiten.
In dieser Zeit engagiert sie sich auch im "Zentralverband der Handlungsgehilfen", eine von 1881 bis 1920 existierende Vereinigung von im Handel tätigen Angestellten ( = "Handlungsgehilfen") zur Schaffung von Selbsthilfeeinrichtungen und zur Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ziele, Vorläufer des Gewerkschaftsbundes der Angestellten. Louise bleibt bei der Versicherung, bis die politische Arbeit ihre ganze Aufmerksamkeit verlangt.
1910 |
Bis dato sind Frauen sonst nur im "Segment" zugelassen gewesen, d.h. sie haben in einem – wenigstens durch ein Seil – abgetrennten Bereich sitzen müssen, nicht diskutieren und nicht Beifall klatschen dürfen.
Während des 1. Weltkrieges gehört Louise schon dem Vorstand des Ortsvereins an. Bereits vor Beginn des Krieges ist sie als überzeugende Rednerin und bekennende Pazifistin weit über Altona hinaus bekannt. Sie lehnt auch jetzt angesichts des Kriegsdramas die "Burgfriedenspolitik" ihrer Partei während des Kaiserreiches ab.
Nach dessen Ende, also ab 1918 ist Louise Schroeder nun im Altonaer Fürsorgeamt tätig, dessen Vorsteherin sie sogar vom Dezember 1923 bis März 1925 sein wird. Als Leiterin des städtischen Amtes kümmert sie sich um die Fürsorge für "gefährdete Mädchen" und Prostituierte.
1918 übernimmt sie zusätzlich die Leitung der von ihr mitbegründeten "Notgemeinschaft Altona". Das ist ein Zusammenschluss von Wohlfahrtseinrichtungen, die arme Familien, bedürftige Alte und schwangere Frauen unterstützt und kostenlose Mittagstische für Vorschul- und Schulkinder organisiert - Louise Schroeder tut sich also auf dem Gebiet hervor, das ihr Namens- & Parteigenosse siebzig Jahre später mal als "weibliches Gedöns" abtun wird. Woher sie dies Power nimmt, frag ich mich manchmal.
Denn als Frauen 1918 in der Weimarer Republik das aktive und passive Wahlrecht erhalten, bewirbt sich Louise über die Schleswig-Holsteinische Landesliste um ein Mandat für die Verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar. Am 19. Januar 1919 zieht sie nach den ersten demokratischen Wahlen im Deutschen Reich als jüngste Abgeordnete und eine der 19 Frauen der 165köpfigen SPD-Fraktion in die Nationalversammlung ein ( und wird dieser ohne Unterbrechung bis 1933 angehören ).
Die weiblichen Abgeordneten der der SPD der ersten Weimarer Nationalversammlung Louise Schroeder ist die Zweite von links in der hinteren Reihe |
Als am 13. Dezember 1919 von Marie Juchacz ( siehe auch dieser Post ) und anderen Frauen die Arbeiterwohlfahrt (AWO), eine Selbsthilfe-Organisation der Arbeiterschaft für Menschen in Not, gegründet wird, ist auch Louise Schroeder wieder mit von der Partie und übernimmt den Landesvorsitz in Schleswig-Holstein für elf Jahre. Ab 1928 wird sie dann auch an der von ihr 1925 ebenfalls mitbegründeten Wohlfahrtsschule der AWO in Berlin und am Sozialpolitischen Seminar der Deutschen Hochschule für Politik (heute Otto-Suhr-Institut) über sozialpolitische Themen als Dozentin lehren.
Im Reichstag kämpft sie für soziale Reformen im Bereich des Mutter- und Kinderschutzes sowie der Jugendwohlfahrt, verteidigt den Achtstundentag und bringt heikle Themen – wie die Gleichstellung unehelicher Mütter und Kinder oder die Situation von Prostituierten – zur Sprache. Das Mutterschutzgesetz von 1927 wird gemeinhin als "Lex Schroeder" bezeichnet. 1925 sagt sie im Reichstag:
"Erschütternd ist die Zahl der Totgeburten und der im ersten Lebensjahr Gestorbenen… Dazu kommt die große Zahl von Frühgeburten, in erster Linie von Frauen, die in der Industrie beschäftigt sind. Es sollte mich wundern, dass es in Deutschland noch jemanden geben sollte, der den Frauen nicht ermöglichte, sechs Wochen vor der Entbindung von der Arbeit fernzubleiben, der es verhindern wollte, dass man ihnen für diese Zeit auch Wochenhilfe zahlt." ( Quelle hier )
Im sozialpolitischen Ausschuss des Reichstages nimmt sie einmal folgendermaßen Stellung zur Lage "lediger Mütter":
"Wir wissen wohl, dass manches, was für den Mann eine Episode ist, für die Frau Schicksal ist; wir wissen alle, dass zwischen dem Empfinden des Mannes und der Frau ein großer Unterschied ist. Aber wir wollen verhindern, dass das, was für den Mann vielleicht Episode ist, zum Unheil, zum ewigen Unglück für die Frau werden soll, und wir wollen, dass das, was sie stark machen kann, nämlich gerade das Kind, ihr auch bleiben soll, dass sie die Möglichkeit haben soll, mit diesem Kind zusammenzuleben."
Wegen ihrer Sachlichkeit und Überzeugungskraft wird Louise in ihrer Fraktion geschätzt und oft ans Mikrofon geschickt, wenn es gilt, entsprechende Gesetzesentwürfe zu verteidigen. Parlamentarierinnen wie sie, vor allem die, die ja im Sozialausschuss vertreten sind, werden von den männlichen Kollegen aber gerne als "Klageweiber" beschimpft.
Von 1929 bis 1933 übernimmt Louise neben ihrem Reichstagsmandat ein solches auch als Altonaer Stadtverordnete an. Auf der letzten öffentlichen Wahlkundgebung der SPD für die bevorstehende Stadtverordnetenwahl im Frühjahr 1933 in Ottensen warnt sie vor den Nationalsozialisten. Immer öfter wird sie gewahr, dass hie und da Genossen verschwinden.
Am 23. März 1933 zählt sie zu den 93 der 120 sozialdemokratischen Abgeordneten, die dem unverhohlen zur Schau gestellten Terror zum Trotz gegen das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" stimmen ( bekannt als "Ermächtigungsgesetz"). Sie lauscht in der gespannten Atmosphäre des Reichstages der letzten Rede ihres Fraktionsvorsitzenden Otto Wels. Zuvor hat sie ihre Genossen in einer Sitzung ihrer Fraktion aufgefordert, ihr es gleich zu tun & gegen das Gesetz zu stimmen, obwohl klar ist, was passieren wird: Die kommunistischen Reichstagsabgeordneten sind schon verhaftet oder auf der Flucht. Auch mehrere sozialdemokratische Abgeordnete sitzen schon im Gefängnis.
Otto Wels bei einer Rede vor dem Reichstag 1932 |
Die Aussichtslosigkeit des Widerstandes ist tragisch: Hitler und die NSDAP haben den Staat bereits im Griff und gehen als Sieger aus diesem Tag hervor. Das Gesetz wird mit 444 Stimmen beschlossen, allein gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Der deutsche Reichstag hat sich damit selbst abgeschafft.
Neben ihrer Partei wird natürlich auch die AWO verboten und die Wohlfahrtsschule geschlossen. Louise bekommt jetzt auch am eigenen Leibe den nationalsozialistischen Verfolgungsapparat zu spüren: Sie wird überwacht und muss sich anfangs täglich zweimal bei der Polizei melden. Außerdem wird ihr trotz Arbeitslosigkeit die Zahlung einer Arbeitslosenunterstützung verweigert. Sie versucht ihre materielle Existenz mit einem kleinen Brotladen in Hamburg zu sichern. Der Brotladen ist - wie auch so viele Tabakläden in dieser Zeit - gleichzeitig ein illegaler Treffpunkt für Genossinnen und Genossen.
1938 geht sie aber wieder nach Berlin. In der großen Stadt kann sie besser in der Masse untertauchen. Dort kann sie durch Fürsprache ihres Freundes Paul Löbe zunächst in einer Textilgroßhandlung, später bei einer Tiefbaufirma als Sekretärin und Sozialarbeiterin arbeiten. Bei ihm findet sie auch Unterkunft in der Uhlandstraße 123. Die große Vertrautheit zwischen der ledigen Louise und dem verheiraten Löbe ist schon zu Lebzeiten immer wieder eine Quelle für nie erlahmenden Parteitratsch ( und bis heute gelegentlich wieder Thema für Historiker ).
Löbe selbst hat sich als Politiker 1933 zunächst versprochen, Kompromisse mit der Nazi-Regierung schließen zu können, ist aber alsbald verhaftet worden und hat nach seiner Entlassung beim wissenschaftlichen Verlag Walter de Gruyter gearbeitet. Er wird später dem zum Goerdeler-Kreis gezählt werden.
Doch zurück zu Louise:
Mehrfach ausgebombt, magenkrank und unterernährt, körperlich geschwächt also, übersteht sie den Krieg teilweise in Dänemark. Dorthin hat sie der Prokurist ihrer Firma 1944 geschickt, als ihre angeschlagene Gesundheit normale Arbeit unmöglich gemacht hat. Zuvor hat er sie schon vor den ständigen Betriebsappellen bewahrt, nachdem er erfahren hat, wen er da in den Reihen seiner Angestellten hat. Mit dem Kriegsende kehrt Louise nach Deutschland zurück. Sie ist jetzt 58 Jahre alt.
Am 17. Juni 1945 ist sie schon bei der Gründungsversammlung der Sozialdemokratischen Partei der Nachkriegszeit im Deutschen Hof in der Luckauer Straße in Kreuzberg wieder zur Stelle. Für den Wiederaufbau ihrer Partei in der Parteizentrale in der Behrenstraße ist die erfahrene Politikerin unverzichtbar. Im Mai 1946 wird sie zur stellvertretenden Vorsitzenden im Landesverband gewählt und eine der drei Vorsitzenden der Berliner Arbeiterwohlfahrt.
Innerhalb der SPD ist Louise in den ersten Nachkriegsjahren also aufgrund ihres umfassenden Erfahrungsschatzes willkommen und in ihren Heimatbezirk Schöneberg hoch angesehen. Ein Rückzug in die zweite Reihe kommt aber auch für sie für selbst nicht in Frage. Sie wird Mitglied im Zentralausschuss der SPD, dem Parteivorstand. Damit gerät sie allerdings mitten in die anstehenden, ständig an Schärfe zunehmenden Auseinandersetzungen innerhalb der Partei über ihren Kurs gegenüber der KPD und der sowjetischen Besatzungsmacht.
Sie selbst sieht wie immer ihren Schwerpunkt in der Sozialpolitik und nicht in Kabalen. Wiederholt spricht sie besonders die Situation der Frauen in der Stadt an, die in Folge des Krieges bei weitem die Mehrheit stellen:
"Das Leben der Frauen ist durch den Krieg und die Nachkriegsverhältnisse unvorstellbar hart geworden. ... Ist schon aus diesen nächstliegenden Gründen (Wohnung, Kleidung, Bildung, Gesundheit ) die Mitarbeit von Frauen in Parlament und Verwaltung außerordentlich notwendig, so darf sie sich doch darauf allein nicht beschränken. Sie müssen versuchen, in den ganzen Kreis der kommunalen Aufgaben einzudringen. Nur wenn sie sich auch an die Durcharbeitung jener Fragen machen (Finanz-, Steuer- und Wirtschaftsfragen), die die Vorbedingungen schaffen müssen für den sozialen Wiederaufbau der Gemeinde, werden sie von dem richtigen Standpunkt aus an die Lösung der Aufgaben herangehen."
1946 |
Doch mit der Spaltung der Stadt gerät dieses interessante Modell eines basisdemokratischen, parteiübergreifenden Frauennetzwerkes zwischen die machtpolitischen Mühlsteine: Die SED versucht, Teile der zerfallenden Frauenausschüsse im 1947 gegründeten Demokratischen Frauenbund Deutschlands zu sammeln. Zum Gründungskongress wird auch Louise Schroeder eingeladen - nicht als Sozialdemokratin, sondern da schon als Vertretung des Berliner Magistrats.
Ihre Rolle als erste Bürgermeisterin von Berlin ist eigentlich als Verlegenheitslösung zu betrachten: Eigentlich soll Ernst Reuter das Amt antreten. Aber die sowjetischen Alliierten lehnen ihn ab.
Schon 1946 ist Louise in die Berliner Stadtverordnetenversammlung zur Bürgermeisterin und zur 3. Stellvertreterin des Oberbürgermeister Otto Ostrowski gewählt worden. Als der wegen innerparteilicher Konflikte über das Maß der Zusammenarbeit mit der russischen Besatzungsmacht nur kurz im Amt bleibt und im April 1947 zurücktritt, soll zunächst Ernst Reuter zum Zuge kommen. Doch der wird wegen eines Vetos der UdSSR in der Alliierten Kommandantur nicht bestätigt. Deshalb wird also Louise Schroeder am 8. Mai 1947 die erste Regierende Bürgermeisterin von Nachkriegsberlin. Und die steht vor gewaltigen Aufgaben in der in Trümmern liegenden Stadt mit einer Hunger leidenden und von weiteren Kriegsfolgen geplagten Bevölkerung.
Dazu kommen noch nach wie vor die innerparteilichen Kämpfe, begleitet von der Angst um die weitere Entwicklung in der Stadt, Drohungen insbesondere im Ostteil sowie persönliche Diffamierungen und Enttäuschungen - all das ist strapaziös. Sie sind jedoch nur ein Teil der mit aller Härte geführten Auseinandersetzungen um die Sicherung der Machtposition in der ehemaligen Reichshauptstadt, die schließlich zur Spaltung der Stadt führen werden.
Zu der ständigen Sorge um die katastrophale Versorgungslage der Menschen kommt noch die sich immer deutlicher abzeichnende Isolierung der Stadt, die Louise versucht abzuwenden. Sie stößt dabei aber weder bei Ernst Reuter noch bei den amerikanischen Alliierten auf besondere Zuneigung und kann sich mit ihrer Linie nicht durchsetzen. Auch wenn die Verantwortung offiziell auf Louise Schroeders Schultern liegt - Reuter führt hinter den Kulissen und bleibt der privilegierte Gesprächspartner der amerikanischen Alliierten.
Ein neuer DM Schein mit einen für Berlin geltenden B-Aufdruck |
Während sich die Situation immer weiter zuspitzt, muss Louise Schroeder im August wegen ihres immer dramatischer werdenden gesundheitlichen Zustandes in ein Hamburger Krankenhaus eingewiesen werden. Die Bemühungen, ihr die besorgniserregenden Berichte vorzuenthalten, schlagen fehl, denn sie will auf dem Laufenden bleiben.
Aus dem Hamburger Krankenhaus schreibt sie an ihre Vertraute Gertrud Loppach:
"Der Professor behauptet, ich sei ein medizinisches Wunder; nach dem Befund hätte ich längst in Bln (Berlin) umgefallen sein müssen. Ich halte das für Übertreibung, kann es aber nicht beweisen. ... Sie lassen mich aber nicht los, obgleich ich ihnen alles verspreche: nur Diät, nicht mehr in Tempelhof schlafen, keine langen Reden, nützt alles nichts. Was tun? Kann ihnen ja nicht ausrücken."
Rücksicht auf ihre Gesundheit lehnt sie nachdrücklich ab, und alle um sie herum haben es schwer, ihr ein wenig Fürsorge zukommen zu lassen. Die Erwähnung ihrer körperlichen Erscheinung ist der Presse aber immer ein paar Zeilen wert. Gleichzeitig kann man konstatieren ( und das ist heute gründlich untersucht ), dass diese Presse sie nicht zu sehr ins Rampenlicht rückt, vielleicht auch, um ihre Legitimität nicht in Frage zu stellen. Heute können wir allerdings davon ausgehen, dass diese große Diskretion dem Image der Bürgermeisterin abträglich gewesen und ihren Verdiensten nicht gerecht geworden ist.
Neben Jakob Steffan in Koblenz (1948) |
Leitmotiv der Berichterstattung über die regierende Bürgermeisterin Berlins scheint also der Kontrast zwischen ihrem gebrechlichen Körper und ihrer Charakterstärke zu sein. "Zart", "zierlich", "zerbrechlich", aber auch "zäh" - diese häufig verwendeten Adjektive sollen das betonen.
Ein weiteres weibliches Attribut, das untrennbar mit der Repräsentation von Louise Schroeder verbunden ist, ist die Mutterschaft. Der Titel "die Mutter Berlins" sowie ihre vermeintlichen mütterlichen Tugenden tauchen in zahlreichen Zeitungsartikeln auf. Das entspricht auch dem in der Nachkriegszeit gepflegten Frauenbild. Die Parteien jener Tage sprechen ihre Wählerinnen sowieso immer nur als potentielle Mütter an. Warum sollte da eine Politikerin nicht in diese Kategorie fallen? Die Gefahr ist dabei, dass eine Politikerin damit aber auch eine unpolitische Komponente bekommt: Louise Schroeder spricht man letzten Endes ab, kein "politisches Schwergewicht" zu sein und ihre Politik wird als "Kartoffelpolitik" abgetan ( und die ist ausschließlich Frauensache ).
Ein Blick auf die Presse-Verlautbarungen im Osten Berlins soll an dieser Stelle nicht unterbleiben, besonders die nach der Währungsreform: Die Veröffentlichungen in den Medien dort schreiben die Verdienste, die auf die Stadtverwaltung von Groß-Berlin oder die Westalliierten zurückzuführen sind, ausnahmslos den Sowjets zu. Diese mediale Strategie zeitigt allerdings das paradoxe Ergebnis, dass Louise im Osten mehr Sichtbarkeit erhält als im Westen. Und das, obwohl man ihre Popularität doch bei den Ostberlinern untergraben will! Sie gilt jetzt als Vollstreckerin der Alliierten, als Verräterin und damit als "böse Mutter". Ihr Krankenhausaufenthalt wird ihr gar als Flucht ausgelegt.
"Rosinenbomber" über Tempelhof (1948) |
Die nun notwendige Luftbrücke versorgt in einem ungeheuren Kraftakt über ein Jahr lang die mehr als zwei Millionen Menschen in Berlin aus der Luft mit Kohle, Baustoffen und Lebensmitteln.
Als die Politikerin auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten im Juli 1948 die Teilnehmer auffordert, mit Rücksicht auf Berlin nichts "Endgültiges", Unwiderrufliches zu beschließen, sondern den provisorischen Charakter aller Entscheidungen zu betonen, ehe nicht "Berlin mit den übrigen Zonen wieder zu einer Einheit gekommen sei", fühlen sich die Amerikaner brüskiert und ziehen nun endgültig Ernst Reuter als Gesprächspartner vor, der sich für eine westdeutsche Staatsgründung einsetzt. Der profiliert sich in dieser angespannten Situation zur Stimme Berlins, fordert auf zahlreichen Kundgebungen und im Rundfunk die Berliner*innen zum Durchhalten auf und die Partei - Wahlslogan damals "Wer klug ist, der wählt diese - unsere Louise!" - bekommt bei den angesetzten Neuwahlen in Westberlin 64,5% der Stimmen. Regierende Bürgermeister wird dann aber Reuter. Louise Schroeder bleibt seine Stellvertreterin und ( bis 1952 ) einfaches Mitglied des Abgeordnetenhauses.
Ihre politische Arbeit findet indes nun hauptsächlich im Bundestag statt. 1949 wird sie sogar für das Amt des Deutschen Bundespräsidenten aufgrund des internationalen Ansehens, das sie sich erworben hat, vorgeschlagen. Sie muss jedoch hinter ihrem Parteigenossen Kurt Schumacher zurückstehen.
Ebenfalls 1949 erhält sie auf einer Deutsch-Französischen Bürgermeister-Konferenz die goldene Plakette der Stadt Paris. In Berlin ist sie nicht vergessen: Ebenfalls 1949, als Reuter ja schon Regierender Bürgermeister ist, verlangen die Berliner*innen bei einer Feier zum Ende der Berlin-Blockade lautstark nach "ihrer Louise". Sie, die nicht als Rednerin vorgesehen ist, soll sprechen. Auf dem Rathausbalkon stehend laufen ihr die Tränen über die Backen.
Verleihung der Ehrenbürgerwürde der FU Louise Schröder ganz links, Lise Meitner in der Mitte |
Sie ist & bleibt zu ihrer Zeit die bekannteste Frau Deutschlands und wird 1950 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg.
Im Dezember 1956 wird ihr die Ehrenbürgerwürde der Freien Universität Berlin (FU) zusammen mit Lise Meitner ( siehe dieser Post ) verliehen.
Zu ihrem 70. Geburtstag dann wird Louise Schroeder 1957 als erster Frau die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin zugesprochen. Ein Saal im Roten Rathaus in Berlin-Mitte bekommt ihren Namen.
Nur wenige Wochen später, am 4. Juni 1957, stirbt sie in ihrer Wohnung Boelckestraße 121 in Tempelhof an ihrem Herzleiden, ohne je in den politischen Ruhestand getreten zu sein. Ihre letzte Ruhe findet sie allerdings in Hamburg - Ottensen auf dem Evangelischen Friedhof Am Holstenkamp im Grab der Eltern.
Zu Ehren der großen Sozialpolitikerin und bis lange Zeit einzige weibliche Berliner Oberbürgermeisterin gibt es vom Berliner Senat ab 1998 eine Louise-Schroeder-Medaille, die für "Verdienste um Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung von Frauen und Männern" jährlich ausgeben wird.
Zu ihrem hundertdreißigsten Geburtstag 2017 veröffentlicht das Abgeordnetenhaus eine Broschüre ihr zu Ehren. Im Berliner Norden, an einer großen Kreuzung zwischen Reinickendorf und Wedding, gibt es einen weniger ansehnlichen Louise-Schroeder-Platz, da baumlos, trostlos und meist menschenlos. An einer Ecke befindet sich ein Fels mit einer knappen Erklärung, wer Louise Schroeder gewesen ist und wann sie gelebt hat.
Was für eine höchst zu achtende Persönlichkeit, die doch so oft - zu Unrecht! - in den entscheidenden Momenten für einen Wandel in eine menschenzugewandte Politik letztendlich übersehen und beinahe kaltgestellt wurde.
AntwortenLöschenDass Louise Schroeder ein fadenscheiniges Denkmal an einem doch sehr tristen Randplatz erhalten hat, zeigt mir, dass sich heute kaum jemand um eine würdigende Erinnerung an eine so herausragende Lichtgestalt der Menschlichkeit kümmert! Wo bleiben Vereine und Institutionen, wo bleiben Frauenhäuser, die sich alle um Frauenanliegen kümmern, um das zu ändern? Mich macht so eine Missachtung wirklich traurig!
Umso mehr gefällt es mir, liebe Astrid, dass Du über Louise Schroeder ein derart umfassendes und ein ihre so wichtige und unermüdliche Arbeit würdigendes Portrait verfasst hast!
Herzliche Grüße, C Stern
Am 100. Geburtstag 2017 müsste sie 130 geworden sein???
AntwortenLöschenLG Theo
Danke! Hab's geändert 🤣
LöschenLG
Das sie mit all ihren "Malessen" überhaupt so alt geworden ist... Gerade wohl, weil sie immer kämpfen musste.
AntwortenLöschenGut, dass die Amerikaner unterschätzt haben, denn sie hat Großes geleistet und kein Wunder, dass die Berliner sie im Gegensatz zum Besatzer nicht weggeschoben und vergessen haben.
Manchmal wünsche ich mir diese alte Briefmarkenserie wieder zurück (bzw eine entsprechende) um vor allem Frauen so mehr in die Erinnerung zurück zu holen.
Danke Dir und liebe Grüße
Nina
Louise Schroeder ist wahrlich eine bemerkenswerte Frau mit Mut und Durchblick. Dass sie die Finanzen immer nur als Weg zur Hilfe in der Königsdisziplin sah, könnte heute auch wieder benötigt werden, bei unserem derzeitigen Finanzminister und der Kindergrundsicherung etc.
AntwortenLöschenWie erbärmlich einfach es sich doch die Polit-Männer machten und oft auch noch machen: "Klageweiber... "
Danke für diesen großartigen Post zu Louise Schroeder, die einen wunderbaren Platz in Berlin verdient hätte.
Herzlichst, Sieglinde
Die Frau hatte wirklich Power und Zähigkeit! Ihre sozialen Anliegen und Zielsetzungen täten auch heute manchem Politiker gut. Kein Wunder, dass ihr Name in Berlin noch bekannt ist.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
von Helga:
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
Na wer weiß denn so etwas? Danken Dir sehr für dieses Portrait, jetzt wissen wir alles ganz ausführlich und Du füllst diese Gabe, die Du so gerne tust, prächtig aus. Herzlichst Helga und Kerstin mit Wünschen für ein frohes Osterfest, soweit möglich 🌺