Dienstag, 24. Januar 2023

Auf meinem Stehpult XVII

Uuuih, zehn Monate ist es her, dass ich unter dieser Rubrik etwas gepostet habe. Aber was ist auch alles in dieser Zeit passiert, das genussvolle, konzentrierte Lesen von Büchern gehörte nicht unbedingt dazu. Die Stapel an geschenkten, ungelesenen Büchern mehren sich, aber so wirklich mag ich mich meist immer noch nicht vertiefen, von ein paar Ausnahmen abgesehen...
"Gefühle sind schwer zu definieren, 
aber man erkennt sie manchmal in Bildern, 
jedoch in einem übertragenen Sinne."
Katja Petroskaja

Vor zehn Monaten hatte ich ein Buch von Timothy Snyder vorgestellt ( das ist der Autor von "Bloodlands", mit dessen Hilfe ein größeres Verständnis über die vergangene und derzeitige Geschichte der Ukraine gewonnen werden könnte, wenn... ). 



Auch das erste Buch in meiner heutigen Vorstellung hat mit diesem gebeutelten Land an Europas Ostflanke zu tun. Es  ist von der ukrainischen Autorin Katja Petroskaja: "Ein Foto schaute mich an".  Es passt ganz vorzüglich zu meinen derzeitigen Lebensgewohnheiten. Zu einem Foto, welches ihr ins Auge sticht, schreibt die Petroskaja einen kurzen Text bzw. eine Kolumne, legt ihre Gedanken und Assoziationen bloß und stößt eigene Überlegungen an. 



Sei es ein Foto vom historischen Majdan 1943, das mir auch noch einmal die Schuld meines Landes gegenüber der Ukraine vor Augen führt, von einem erschöpften alten Mann im 1968 von Truppen des Warschauer Pakts beschossenen Prag, einer geisterhaften Pflanze in einem Buch über die Folgen für die Flora nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 oder einem Autodafé des russischen Aktionskünstler Petr Pavlensky am Tor der Lubjanka, dem Sitz des KGB, heute FSB, von 2015, seien es eher Fotos aus dem privaten, persönlichen Bereich wie das der Autorin als kleines Kind, welches ihr deutlich macht, dass sie ja eigentlich Linkshänderin gewesen ist... 

…. oder das von Mira, die auf dem Weg zur Schule fotografiert wird, 1936 in Danzig. Auch das ikonografische Filmstill von Maya Deren gehört zu dieser Gruppe oder das ihrer Familie, gekleidet im Hippie - Style. Immer gibt es dazu kurze Texte, die mein Konzentrationsvermögen nicht überstrapazieren, im Gegenteil, den Kopf auf weitere Gedankenreisen schicken. Es ist ein Buch, das immer mal in Phasen der Ruhe und Kontemplation in die Hand genommen werden, aber auch immer wieder zur Seite gelegt werden kann, wenn einem danach ist. Das nicht nur Denkanstöße gibt, sondern auch Anlässe schafft, sich zum Beispiel in der Historie umzutun und neue Kenntnisse zu sammeln.

Katja Petrowskaja - Bachmann - Preisträgerin von 2013, ab 1999 in Berlin lebend, seit 2020 in Tiflis/Georgien - sagt über ihr jüngstes Buch, dass es nicht vom Krieg handle, aber von diesem "umklammert" sei. Unter dem Schock der politischen Ereignisse in ihrer ersten Heimat, der Ukraine, hat  sie das literarische Register gewechselt und ihre Betrachtungen zu den einzelnen Fotos in Form einer Kolumne alle drei Wochen in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", in Worte gefasst. Für mich ein sehr anregendes Unterfangen!

Das zweite Buch wendet sich, wie so oft bei mir, auch an Kinder und ist eigentlich keines, das auf dem Stehpult gelesen werden sollte, sondern in eine Sofaecke gekuschelt, am besten noch in den Arm der Oma, die vorliest. 

Meine Tochter war mit der Familie in einer öffentlichen Lesung und hat mir ein Exemplar mit persönlicher Widmung zum Geburtstag geschenkt. Es ist das Buch "Max - Memoiren eines Schulanfängers" von Jan Weiler mit Illustrationen des geschätzten Ole Könnecke.

Es enthält kurze, meist drei Seiten umfassende Geschichtchen und beschreibt Alltagserlebnisse aus der Sicht des sechsjährigen Max, die mal mehr, mal weniger komisch sind. Mich erinnern die 36 Episoden schon mal an solche vom kleinen Nick von Sempé oder vom Franz der Christine Nöstlinger. 

"Wieso ist die Schultüte randvoll mit Süßigkeiten, wenn man sie nicht alle auf einmal aufessen darf?" - das sind so Geheimnisse, mit denen Kinder in diesem Alter sich konfrontiert fühlen und die meist auch für sie unlösbar bleiben, denn Erwachsene stehen beim Beantworten solcher Fragen meist auf dem Schlauch. Also macht sich Max oft seinen eigenen Reim drauf, so auch auf die Schlafliedzeile "Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt". Was passiert, wenn Gott nicht will – wie bitte soll man bei dem Gedanken in den Schlaf finden?

Nur am etwas sehr herkömmlichen Familien- bzw. Rollenbild hab ich mich manchmal gestört. Aber das kann Oma ja auch beim Vorlesen in Frage stellen... 



6 Kommentare:

  1. Ich wusste noch gar nicht von Deinem Stehpult, liebe Astrid!
    Wieder Neues erlesen, vor allem auch, was Dich noch weiter an Gelesenem beschäftigt und mitnimmt, sicherlich auch auf Gedankenreisen.
    Zwei sehr unterschiedliche Welten, die sich in den dargebrachten Büchern auftun, aber das Leben ist eben so vielschichtig.
    Es stimmt, Fotos sind sehr anregend, das stelle ich auch immer wieder fest. Manchmal sagen sie auch viel mehr, als Worte dies jemals ausdrücken könnten.

    Kinder stellen sich viele Fragen - ihre Geistesgegenwart erfüllt mich auch sooft mit Begeisterung. Auf die Schlafliedzeile, die Du hier postest, sollten wir verzichten, sie kann Alpträume wecken ... Darüber stellen sich nicht nur Kinder Fragen ...

    Ich schicke liebe Grüße zu Dir auf den Weg,
    C Stern

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  2. Das Buch von Jan Weiler würde mich ja auch interessieren liebe Astrid,
    ich habe den kleinen Nick sowie den Franz als Kind geliebt.
    Leider konnte ich meine Leseleidenschaft nicht auf meine Jungs übertragen.
    Die lesen nur, was denn unbedingt gelesen werden muss.
    Ja, was machen wir, wenn Gott nicht will...
    Ich hoffe, so weit ist es bei uns noch lange nicht.
    In diesem Sinne einen schönen (Lese)Abend,
    lieben Gruß
    Nicole

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  3. liebe Astrid,
    heute war es etwas schwierig sich mit Namen anzumelden über google, neuerdings scheint es damit Schwierigkeiten zu geben, erst beim 3.Versuch klappte es.
    " kenne " ich dein Stehpult? wenn, kann ich mich nur vage daran erinnern so, freut es mich dich heute lesend dort anzutreffen und deine Lektüre zu sehen, Bücher, die ich nicht unbedingt erwartete.
    Im Moment da uns der viele Schnee in die Knie zwingt, mache ich ähnliches wie du, nicht in Buchform sondern im Radio und den 3.Programmen im Fernsehen die vorwiegend aus deiner geschilderten Zeit sehr interessant und oft beängstigend grausam berichten. Geschichtlichr Zeitunterricht könnte man es nennen was mich verstärkt interessiert - wie deine Lektüre...
    schöne Abwechslung im Winterprogramm die zudem zum Denken anregt...wenn man sich isoliert...und viel Zeit dafür nimmt.
    herzlich ein Gruß in deinen Morgen
    angelface

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  4. Danke für die interessanten Buchtipps. Da muss ich gleich mal weiter nachforschen...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. Deine vorgestellten Bücher hören sich interessant an, liebe Astrid...beim ersten ist es sicher auch spannend, das jeweilige Foto auf sich wirken zu lassen und dann die Gedanken der Autorin dazu zu lesen.
    Das zweite behalte ich mal im Hinterkopf für die Schulkind-Zeiten.
    Lieben Gruß von Marita

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  6. Auf Deinem Stehpult lagen schon immer Besonderheiten. So auch dieses Mal.
    Das Buch mit Fotos und kurzen Texten finde ich sehr interessant und prägnant.
    Das Kinderbuch von Jan Weiler klingt auch gut, wenn ich auch Jan Weiler bisher nicht so mochte, er war mir etwas zu albern. Aber sein "Markisenmann" soll ja auch ein gutes Buch sein.
    Danke, dass Du Dein Pult mit uns mal wieder geteilt hast...
    Herzlichst, Sieglinde

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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