Die TV-Serie "Babylon Berlin" hat sie wieder in den Blickpunkt gerückt, die damals drittgrößte Stadt der Welt, das Berlin der Weimarer Zeit, eine Stadt zwischen den Extremen: Große Armut trifft auf schrilles Nachtleben. Eine, die damals mittendrin gewesen ist und als die wildeste unter all den Tänzerinnen jener Tage galt, war Anita Berber gewesen, deren 122. Geburtstag heute zu feiern ist.
Mit ihrer Großmutter (1901) |
"Eine Tänzerin voll Frische und voll lebendigen Glücks an ihrem Dasein" preist ein Kritiker des "Börsen-Kurier" 1917 ihr Talent. Auch der Berliner Autor und Kritiker Oscar Bie zeigt sich beeindruckt: "Das Stärkste wird in reiner Akrobatik erreicht, in groteskem Zittern, Verschlingen, Schlagen, Werfen, Überschneiden."
"Aus dem Tanz der Anita Berber spricht die Sehnsucht nach dem Erlebnis. Ihr Tanz verkörpert ein gesteigertes Gefühl, dessen Sehnsucht ins Bewusstsein getreten ist. Sie weiß selbst um die Weichheit ihrer Bewegung, um ihre Hingabe an den Rhythmus, und steigert sich in der Ekstase in eine weiche Aufgelöstheit hinein, die der jungfräulich herben Geschlossenheit ihrer Glieder fremd ist." ( Paul Nikolaus 1919 in "Tänzerinnen", zitiert von Jutta Drewniok hier )
Im selben Jahr fertigt Charlotte Berend-Corinth (siehe dieser Post) von Anita Berber acht Lithografien mit lasziven, wenn nicht pornografischen Szenen an. Bereits im Jahr zuvor hat der Bildhauer Constantin Holzer-Defanti für das Rosenthal-Werk in Selb zwei Porzellantänzerinnen nach Anita Berber gestaltet. Es sagt viel über die Berühmtheit der noch sehr jungen Frau aus und über das Interesse, das sie erregt.
Mit Susi Wanowski (links) |
Den Durchbruch über die Grenzen Deutschlands hinaus schafft Anita durch ihre Kinofilme. Besonders die Sexual- und Aufklärungsfilme Richard Oswalds, in denen sie nicht selten die Rolle einer Prostituierten spielt, sind in jenen Tagen, in denen ehemals geltende Werte und Moralvorstellungen in Frage gestellt bzw. über Bord geworfen werden, gefragt. Viele andere unbekannte Tänzerinnen führt allerdings die bloße soziale Not dazu, ihre Körper in den Cabarets oder Tanzbars öffentlich darzubieten. Ihre Darstellungen haben für die Zuschauer wohl eine Ventilfunktion, ist doch der zur Schau getragene Hedonismus eine Reaktion auf die durch den Krieg verursachten psychischen Deformationen.
Der Scheitelpunkt von Anitas Karriere ist mit ihrem Engagement beim Celly-de-Rheidt-Ballett erreicht. Nummern wie "Liebesnacht im Harem" und "Peitschentanz" im Nelson-Theater sind 1921 der Bühnenerfolg in Berlin. Die Programmzettel verschweigen wohlweislich, dass auch nackt getanzt wird, denn diese "Schönheitstänze" rufen alsbald die einschlägigen Tugendapostel auf den Plan.
"Körper und Nacktheit waren für Berber nicht mit athletischer Bewegung, sportiver Dynamik, brauner Haut bzw. anderen Attributen körperlicher ′Gesundheit′ oder ′Natürlichkeit′ verknüpft, wie sie in den 1920er Jahren auch als Frauenbild an Bedeutung gewonnen haben. Ihre Haut war blass, das Gesicht betont weiß, die Lippen rot, die Augen schwarz geschminkt, trug sie die Farben der Dunkelheit. Allein mit der Gestaltung ihres äußeren Erscheinungsbildes zeichnete sie ein Gegenmodell zu den Gesellschafts- und Körperentwürfen der Reformbewegungen ihrer Zeit und deren ästhetischen Programmen. Auch deren Eindeutigkeit verweigerte sie. Schönheit und „bewusst[e] Exposition des Hässlichen“, Leben und Verfall waren in ihrem Körper gleichermaßen repräsentiert", schreibt Christian Haider an dieser Stelle.Anita geht es darum, die tänzerischen Ausdrucksmöglichkeiten radikal zu erweitern, indem sie Themen auf die Bühne bringt, die noch keine Tänzerin zuvor in einer Choreographie eingebracht hat. Damit revolutioniert sie das Tanztheater. Aufsehen erregt dabei vor allem eben ihre Nacktheit. Mit deren Integration als "theatralisches Zeichen" in ihre Ausstattungen und Inszenierungen entfernt sie sich vom Kanon des Anerkannten im Tanz. Dabei kommt ihr zugute, dass sie ihren Körper liebt, ebenso ihn den begehrlichen Blicken des Publikums auszusetzen - das ist wohl Teil ihrer Sinnlichkeit. Es ist wohl aber auch das früh verlassene Kind in ihr, das von einer scheinbar unstillbaren Gier nach dem Geliebtwerden getrieben wird, den Beifall und die Aufmerksamkeit der Mitmenschen verlangt...
Die Truppe um Celly de Rheidt darf nicht ganz nackt auftreten, um die Zensur zu umgehen. Deshalb tragen die Tänzerinnen Busenschützer, Tangas und Schleier - die Revuemacher lassen sich etwas einfallen, um den Ärger mit den Tugendwächtern zu minimieren.
Zum Ensemble gehört auch Sebastian Droste, der eigentlich Willy Knobloch heißt, der Sohn einer wohlhabenden, jüdischen Hamburger Patrizierfamilie, der gerade unter seinem Künstlernamen eine Karriere als expressionistischer Tänzer, Lyriker und Maler begonnen hat- "ein klassischer Dandy, bissiger Homosexueller und Kunstsnob". Sein kühles Verhalten, sein analytischer Verstand und seine Fähigkeit, andere zu manipulieren, machen ihn für Anita sehr anziehend.
Sebastian Droste |
Madame d'Ora: Anita Berber (1922) |
Als Droste im Januar 1923 erneut verhaftet wird, ist eine Abschiebung nach Ungarn die Folge. Daraufhin will Anita sich ein paar Tage später aus dem Wiener Hotel schmuggeln. Der Portier hindert sie daran. Sie kontert mit einem Faustschlag ins Gesicht, wird daraufhin festgenommen und dann ebenfalls nach Ungarn abgeschoben samt Einreiseverbot auf fünf Jahre. Dort, in Budapest, sollen die Beiden geheiratet haben - Belege gibt es dafür nicht. Die "International Actors Union" mischt sich ein und verbietet ihnen zwei Jahre lang auf allen kontinentalen Varietébühnen aufzutreten, was die beiden Künstler nicht weiter stört, denn sie unternehmen eine fünfmonatige Tour durch Italien & Jugoslawien.
Das ist dann eigentlich auch schon der Anfang vom Ende der Beziehung. Die auf die beschriebene Weise erzeugte Publizität macht sie in Deutschland und Österreich berüchtigt, aber bald haben sie kaum noch Möglichkeiten, ihren Arbeits- und Lebensstil beizubehalten. Beide kehren nach Berlin zurück. Im Oktober 1923 stiehlt Droste Berbers Schmuck und Pelze. Vom Kauferlös kann er sich eine Flucht nach New York finanzieren.
Anita schafft es, nachdem sie wieder bei ihrer Familie untergekommen ist, sich genug zusammenzureißen, um eine neue "Anita Berber Truppe" zu gründen, die in verschiedenen Berliner Nachtclubs auftritt, obwohl ihre Volatilität immer wieder zu Verboten und Entlassungen führt. Im Oktober 1923 besucht sie eine Aufführung des schwulen amerikanischen Tänzers Henri Châtin-Hofmann, Sohn eines Pastors der Ziongemeinde in Baltimore. Elf Monate später heiratet sie ihn. Er hilft, die Karriere der Anita Berber wiederzubeleben mit Shows aus einer Mischung alter Favoriten wie "Morphine". Die Musik steuert der populäre russisch- jüdische Komponist Mischa Spoliansky bei. Speziell für Anita komponiert er "Morphium", ein Hit seinerzeit. Gastspiele finden beispielsweise in Köln, Düsseldorf, Leipzig und Breslau statt.
Doch auch mit Henri ist sie ständig in Skandale verwickelt, die gemeinsamen Auftritte werden begleitet von Tumulten und Schlägereien, mehrmals werden beide verhaftet. Mit ihrem ausschweifenden Leben, ihrem Alkohol- und Drogenmissbrauchs sowie ihrer exzessiv ausgelebt Sexualität sprengt Anita das Korsett der wilhelminischen Verklemmtheit. Ungezählte Liebschaften hat sie und prostituiert sich bei Bedarf, wie Martha Dix, die Frau des Malers Otto Dix, der die Berber 1925 in seinem Atelier in Düsseldorf malt ( siehe Briefmarke ) erzählt: "Jemand sprach sie an, und sie sagte: '200 Mark!’ Ich fand das gar nicht so furchtbar. Irgendwie musste sie ja Geld verdienen."Sie ist immer eine auffallende Erscheinung: Anita Berber trägt als erste Frau Smoking und Herrenanzüge, oft aber tagsüber nur einen Zobelpelz und im Ausschnitt ein Äffchen. Ihre Haut ist blass, ihre Augenbrauen sind aufgemalt.
"Wo Anita Berber auftaucht, müssen alle mit allem rechnen. Eines Abends sieht Schauspieler Hubert von Meyerinck die Berber in den Speisesaal vom Hotel Adlon stolzieren: Nerzmantel bis zum Hals, Goldschuhe mit sehr hohen Hacken, keine Strümpfe, Haare 'in höllischem Rot über ihrem grünen Nixengesicht'. Sie setzt sich an einen Tisch, bestellt Champagner, nestelt an ihrem Hals, 'und dann fiel der Pelz. Ein allgemeiner leiser Aufschrei – da saß sie und war splitterfasernackt", beschreibt es Michael Brettin hier.
"Jetzt ist er tot und ich glaube, daß auch die alte Nackttänzerin, die alte Anita Berber, nicht mehr lebt, möglich, daß Sie in Kürze die Nachricht vernehmen, ich habe mich vergiftet oder, was wahrscheinlicher ist, daß Sie die Notiz lesen, ich habe einen Modesalon in Berlin eröffnet. [...] Droste wollte sich um jeden Preis und mit aller Kraft vom bürgerlichen Leben und von der bürgerlichen Moral befreien, und ich hingegen wünsche sie mir heute, ich weiß nicht - sehr, sehr. Ein ruhiges Leben, arbeiten, kleine Vergnügungen..." ( Quelle hier )
"Anita Berber war schon eine Legende. Sie war erst seit zwei oder drei Jahren berühmt, aber schon ein Symbol geworden. Verderbte Bürgermädchen kopierten die Berber, jede bessere Kokotte wollte möglichst genau wie sie aussehen. Nachkriegserotik, Kokain, Salomé, letzte Perversität: solche Begriffe bildeten den Strahlenkranz ihrer Glorie. Nebenbei wußten die Kenner, daß sie eine ausgezeichnete Tänzerin war."
Was für ein kurzes, aber heftiges und intensives Leben. Wie ein Sinnbild der 20iger Jahre, so scheint es. Danke für dieses wieder so spannende Portrait!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
andrea
vielen Dank für das interessante Porträt, ich lese sie alle gerne!
AntwortenLöschenMartine
Liebe Astrid,
AntwortenLöschendie Frau hat jedenfalls ganz schön viel Intensität in ihre 29 Jahre gelegt. Eine jener Kerzen, die von beiden Seiten brennen... In ihren Augen leuchtete das schon in sehr jungen Jahren auf (als Modell für "Die Dame") - der Blick ist heißkalt, vernichtend und anziehend zugleich, es wundert mich nicht, dass Männer und Frauen und sogar männerliebende Männer sich von ihr angezogen fühlten ... Wahscheinlich war es ein Gück für sie, dass sie die Nazizeit nicht erleben musste... für ihren ersten Ehemann war es das definitiv...
Ganz herzliche rostrosige Donnerstags-Grüße,
Traude
PS: Noch kurz zu deinem Kommentar zu meinem vorigen Blogbeitrag - die Sache mit dem Flüchtlingskoffer (der mich übrigens ebenfalls berührt hat). Du schriebst: "Ich habe mich immer gefragt, warum meine Großmutter bestimmte Dinge wie Weihnachtsbaumschmuck ... mitgenommen hat oder meine Mutter eine bestimmte Sammlung von Büchern ..." Ich glaube, wenn man keine großartigen Wertgegenstände besitzt, die man eventuell umsetzen könnte, dann nimmt man etwas mit, in dem oder mit dem man sich "zuhause" fühlt. Ein Weihnachtsbaumschmuck kann einem das Gefühl von Heimat geben, und manche Menschen fühlen sch vermutlich IN Büchern am meisten zu Hause... Ich weiß nicht, was Marianne-Oma (die Mutter von Janas Papa) von daheim mitnahm, aber ich weiß, dass sie später eine riesige Büchersammlung angelegt hat... vermutlich aus ähnlichen Motiven...
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenauch wenn ich nicht immer bei diesem Thema kommentiere, so schaue ich mir dennoch sehr gerne deine Beiträge über "Great Women" an und du gräbst wirklich stets ganz außergewöhnliche Frauen aus, um mal bildlich zu sprechen, die es verdient haben, in den Mittelpunkt gerückt zu werden.
Liest man diese Biographie von ihr, so hatte sie wirklich ein sehr bewegtes Leben, verbunden mit großen Extremen.
Beim heute bei mir gesetzten Link zur Kölner Journalistenschule musste ich natürlich unweigerlich an dich denken. :-)
Es ist schon schlimm, wie brutal, ja man kann es ruhig so nennen, Journalisten, die nichts anderes tun als ihre Arbeit, angegangen werden.
Herzliche Grüße und hab einen schönen Abend
Christa
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenvielleicht hat Anita Berber insgeheim geahnt, dass sie sehr jung sterben wird und hat deswegen so intensiv gelebt.
Danke Dir für das Portrait.
viele Grüße Margot
Tatsächlich kannte ich sie gar nicht. Was für ein voll gepacktes kurzes Leben. Man schwankt zwischen Bewunderung und Mitleid.
AntwortenLöschenLG
Magdalena
Traurig!LG Gundula
AntwortenLöschenvon Helga:
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
welch ein Leben, welch ein kurzes Leben, welch ein intensives Leben. Ich habe es wieder mit großem Interesse gelesen. Wer kennt all diese Frauen und bereitet ihr Leben so für uns auf? Die liebe Astrid und sie macht das ganz wunderbar mit viel Herzblut. Heute spiegelt Frau ein anderes Bild wider, schön und anmutig, bunt gekleidet und vermittelt nicht mehr den Eindruck einzig und allein dazu geboren worden zu sein, um den Männern zu dienen, rechtlos und unterjocht. Wir haben es längst gezeigt. Gottseidank das ist erledigt.
Herzlichst Helga
Ein Porträt, das ich mit Sicherheit dreimal lesen werde, um mich in den Einzelheiten zu vertiefen. Applaus für Dich!
AntwortenLöschenSagenhaft... und ja, Babylon Berlin gesehen und ob der Regie, den Darstellern, der Geschichte als solches, bewundert.
Sommerliche Grüßle aus Augsburg von Heidrun
ich kannte nur ihren namen - und die briefmarke, die sich in einem meiner alben befindet. dein beitrag hat mich wirklich umgehauen. so ein kurzes, aber extrem intensives leben!
AntwortenLöschenliebe grüße
mano
ein kurzes aber intensives Leben
AntwortenLöschenund ein tragisches Ende ..
LG
Rosi