Mittwoch, 9. Dezember 2020

Lieben Sie Lyrik? {11}

 Heinrich Heine


Altes Kaminstück

Draußen ziehen weiße Flocken
Durch die Nacht, der Sturm ist laut;
Hier im Stübchen ist es trocken,
Warm und einsam, stillvertraut.

Sinnend sitz ich auf dem Sessel,
An dem knisternden Kamin,
Kochend summt der Wasserkessel
Längst verklungne Melodien.

Und ein Kätzchen sitzt daneben,
Wärmt die Pfötchen an der Glut;
Und die Flammen schweben, weben,
Wundersam wird mir zu Mut.

Dämmernd kommt heraufgestiegen
Manche längst vergessne Zeit,
Wie mit bunten Maskenzügen
Und verblichner Herrlichkeit.

Schöne Frauen, mit kluger Miene,
Winken süßgeheimnisvoll,
Und dazwischen Harlekine
Springen, lachen, lustigtoll.

Ferne grüßen Marmorgötter,
Traumhaft neben ihnen stehn
Märchenblumen, deren Blätter
In dem Mondenlichte wehn.

Wackelnd kommt herbeigeschwommen
Manches alte Zauberschloss;
Hintendrein geritten kommen
Blanke Ritter, Knappentross.

Und das alles zieht vorüber,
Schattenhastig übereilt —
Ach! da kocht der Kessel über,
Und das nasse Kätzchen heult.

( Hier kann man sich das Gedicht auch von Ulrich Matthes vorlesen lassen. )



Über den deutsch-jüdischen Dichter, Journalisten, Essayisten und Literaturkritiker Christian Johann Heinrich Heine muss ich an dieser Stelle sicher nichts mehr erzählen. Für die Veröffentlichung in der dritten Auflage der Sammlung "Neue Gedichte"  ( 1852 ) ausgesucht hat das Gedicht erst der späte Heine, der todkrank in seiner Pariser "Matratzengruft" lag. "Dies arme träumerische Wesen ist mit der Welt verwebt und verwachsen, gleichsam in ihr eingekerkert" und gibt sich, durch die Krankheit vom Treiben außerhalb getrennt, nun seinen Tagträumen, Halluzinationen hin, Erinnerungen an heitere Tage, Reisen, Lieben undsoweiter. Ein Rezept für diese Tage des Eingeschlossenseins?

Heute firmiert ein solches Tun unter dem Begriff "Achtsamkeit". Und dazu gibt es Ratgeber, Kalender, Übungen im Netz, als ob es was ganz Neues wäre. Dieses Werkzeug, um mit schwierigen Situationen umzugehen, Tee trinkend, simelierend, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Und vielleicht in der derzeitigen Zeit immer wieder angebracht und sinnvoll. Die Realität holt einen ja schnell genug wieder ein wie die heulende Katze...




7 Kommentare:

  1. Heine hat's so schön gesagt. Und Du auch!
    Träumerische Grüße von Sieglinde

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  2. Irgendwie kam ich mir heute so ähnlich vor, da uns für 6 Stunden der Strom abgestellt worden war. Da saß ich ähnlich am Kamin, schaute in die Flammen, trank warmen Tee aus der Thermoskanne (nix mit Wasserkessel) und mit trockenem Hund im Korb. "Dämmernd kommt heraufgestiegen
    Manche längst vergessne Zeit,
    Wie mit bunten Maskenzügen..."
    genau, so ähnlich. Nur das mit den Masken, ähm...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  3. Ein wirklich rührendes Gedicht und zu meiner Freude verstand ich es gut. Das Gedicht hat viele schöne Sprachbilder, z. Dies:

    Märchenblumen, deren Blätter
    In dem Mondenlichte wehn.

    Jetzt ist es wichtig, sich gut zu Hause zu fühlen und da bleiben. Mit lieben Grüssen, riitta

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    1. Stimmt! Die Märchenblumen mochte ich auch, habe mich aber für das ( persönliche Erlebnis des ) Maskenspiels entschieden.
      GLG

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  4. ... und in seinem Pariser Exil hatte er soviel Heimweh, als er die Zeilen "denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht...." schrieb, welche ja heute gerne in anderen Zusammenhängen zitiert werden. L.G. Ulrike

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  5. jaa.. ich mag Lyrik ;)
    gerade sind meine alten Schulbücher wieder bei mir eingezogen ..
    und mit etwas Wehmut lese ich in meinem alten Lesebuch von 1954
    wie anrührend und naiv die kleinen Geschichten doch sind
    und die alten Gedichte
    wer kennt heute z.B. noch Ludwig Uhland oder Hoffmann von Fallersleben??
    Gerade aufgeschlagen..
    In einem leeren Haselstrauch da sitzen drei Spatzen Bauch an Bauch .
    Der Erich rechts und links der Franz und mittendrin der freche Hans.
    Sie haben die Augen zu,ganz zu, und oben - drüber - da schneit es,hu!
    Sie rücken zusammen dicht an dicht.So warm wie der Hans hat´s niemand nicht.
    Sie hörn´n all drei ihrer Herzlein Gepoch.Und wenn sie nicht weg sind,so sitzen sie noch.
    Christian Morgenstern
    Auch für uns heißt es zur Zeit mit denen die bei uns sind eng zusammen rücken ..gegen die Kälte von außen

    liebe Grüße
    Rosi

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  6. wirklich toll von ulrich matthes vorgelesen! ich mag das gedicht total gerne. man fliegt durch wolken von wunderbaren erinnerungen und landet dann (doch wieder?) im alltag. gut so. auch wenn es zur zeit manchmal nicht gerade prickelnd ist, dort zu landen. aber wir machen es uns schön und passen auf, dass zumindest der wasserkessel nicht überkocht!!
    herzensgrüße von mano
    ...ich mag so gern den ausdruck "süßgeheimnisvoll" :))!

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