Freitag, 1. Mai 2020

"Saudiarabien verzichtet auf Prügel, aber nicht auf Willkür"


... schrieb die "Neue Zürcher Zeitung" am vergangenen Sonntag. Und weiter: "Saudiarabien will Menschen nicht mehr mit Stockhieben bestrafen. Die Justiz bleibt trotzdem willkürlich und brutal, wie der Tod des 'saudischen Nelson Mandela' in Gefangenschaft zeigt."

Abdullah al-Hamid
*12. Juli 1950, +24. April 2020


Ja, das ist der nächste Skandal: 

Der Menschenrechtsaktivist Abdullah al-Hamid ( hier hatte ich schon über sein Schicksal berichtet ), Träger des Alternativen Nobelpreises 2018 ( hier nachzulesen ), Verfechter eines friedlichen Weges der Veränderung, politischer Häftling seit Jahrzehnten, ist am vergangenen Freitag in einem saudischen Gefängnis gestorben, so Amnesty International. 

Er habe in Haft bleiben müssen, obwohl er am 9. April einen Schlaganfall erlitten und danach im Koma gelegen habe, eine angemessene medizinische Behandlung wurde ihm also verweigert. Abdullah al-Hamid litt an Bluthochdruck und wurde schon vor drei Monaten von einem Arzt darüber in Kenntnis gesetzt, dass er sich besser einer Herzoperation unterzöge. Die Gefängnisbehörden drohten ihm aber, dass sie die Möglichkeit der Kommunikation mit seiner Familie unterbinden würden, wenn er seiner Familie von seinem Gesundheitszustand erzählen würde. 

Al-Hamid, Professor für zeitgenössische Literatur an der Islamischen Universität al-Imam Muhammad bin Saud in Riad, war einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten im Land. Er gehörte zu den Mitbegründern einer saudischen Menschenrechtsorganisation "Saudi Civil and Political Rights Association (ACPRA)" und setzte sich mit seinen Mitstreitern unter anderem für eine konstitutionelle Monarchie in Saudi-Arabien ein. Al-Hamid wurde seit 1993 wiederholt vor Gericht gestellt und ist unter drei saudischen Königen - Fahd, Abdullah und Salman - immer wieder in Haft geraten. Im März 2012 wurde er erneut verhaftet und wegen seiner Arbeit für die ACPRA im März 2013  zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Zusätzlich sollte er weitere sechs Jahre "absitzen", die ihm eigentlich bei einer Begnadigung durch König Abdullah 2006 erlassen worden waren. 

Dieser Fall ist gleichzeitig schockierend als auch aufschlussreich, was die Brutalität des saudischen Regimes anbelangt. Das lässt sich aber gerade mal wieder feiern und legt sein Fortschrittsmäntelchen um, weil es die Prügelstrafe abschafft.

Die Salamitaktik der saudischen Herrscher dient doch nur dazu, im Westen als reputierlicher dazustehen, als man tatsächlich ist: Die öffentliche Bestrafung mit Stockhieben fällt jetzt zwar ( stattdessen werden Haft- oder Geldstrafen erteilt ), aber andere Formen der körperlichen Bestrafung wie das Amputieren von Gliedmaßen bei Diebstahl bleiben erlaubt. Am Montag ging die  Strafrechtsreform tatsächlich noch ein Stück weiter: Jetzt soll auch die Todesstrafe für Minderjährige der Vergangenheit angehören. Doch auch das ist nur Blendwerk: Minderjährige, die von Antiterrorgerichten verurteilt worden sind, können nach wie vor hingerichtet werden, also auch Ali al-Nimr, der Neffe des 2016 exekutierten schiitischen Klerikers Nimr al-Nimr ( Posts über ihn hier und hier ).

Was man aber wissen sollte:  Das gilt nur für jene Delikte, für die keine genauen Strafen niedergeschrieben sind und die im Ermessen des Richters liegen. Daneben gibt es noch Delikte, für die der Koran genau vorgibt, wie sie geahndet werden sollten. Explizit dort genannt sind Diebstahl, Unzucht, falsche Bezichtigung der Unzucht, Straßenraub, Weinkonsum, Apostasie und Rebellion ( letzteres unter Rechtsgelehrten umstritten ). Im Koran und in der Sunna, der Überlieferung der Worte des Propheten Mohammed, sind für diese Delikte körperliche Züchtigungen als Sanktionen festgelegt, oft z. B. mit der ­genauen Zahl von Stockhieben.

Unter islamischen Rechtsgelehrten wird darüber gestritten, ob diese Vorschriften für die jetzigen Gesellschaften noch gelten. Es gibt auch islamische Länder, die diese Strafen de facto abgeschafft haben. Ob sich Saudi - Arabien dem anschließt, ist nicht klar. Es lässt sich auf jeden Fall erst mal bejubeln für diesen "historischen Moment",  "in Einklang mit internationalen Menschenrechtsnormen gegen körperliche Strafen".

Jubel kann der so machtgeile wie überhebliche Kronprinz Mohammed bin Salman gut gebrauchen: Es scheint momentan nicht so wirklich gut zu laufen ( siehe dieser Artikel )... 



3 Kommentare:

  1. Als ich das im Radio hörte, habe ich mich zuerst gleich gefreut, dass nun Raif Badawi keine Stockhiebe mehr bekommen wird. Ich hoffe, das ist auch so.
    Was solche Ankündigungen wert sind, wird sich erst rausstellen im Laufe der Zeit. Von Menschenrechten jedenfalls sind sie noch weit entfernt.
    GlG Sieglinde

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  2. Das ist alles nur sehr schwer zu ertragen und es macht mich immer wieder sehr nachdenklich, dass die westlichen Regierungen so umfangreich mit diesem Staat zusammenarbeiten. Mal mit dem erhobenen Zeigefinger winken reicht halt nicht. Aber das sind ja nicht die einzigen Sorgen, die man sich machen muss.
    LG
    Magdalena

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  3. Liebe Astrid, heute mal herzlichen Dank für Dein unermüdliches Recherchieren, das ich längst verfolge!! - Die Artikel von Martin Gehlen schätze ich besonders, ich lasse keine, die ich finde, aus. Aber manchesmal brauche ich tagelang Abstand von diesen Horrornachrichten. Als der Syrienkrieg ausbrach, konnte ich zwei Jahre lang keine Bücher von Rafik Schami lesen, es ging einfach nicht. Ein schönes u erholsames WE! - Sigrid

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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