Montag, 9. März 2020

Auf meinem Stehpult X

Wow, diesmal habe ich es geschafft, schon einen Monat später wieder einen Buch-Post zu verfassen!

Hysterie ( vor allem in den Medien ) bläst die derzeitige Pandemie so auf, als hätte die Menschheit so etwas noch nie erlebt. Mir kamen da Bücher in den Sinn, richtig gute, die sich um ähnlich Vorkommnisse in der Vergangenheit drehen. Und die, die lege ich euch heute einfach mal auf mein Stehpult und ans Herz:


Da ist also erstmal ein Buch von Stewart O'Nan, das mich letztendlich auch zur Lektüre des zweiten gebracht hat: "Das Glück der anderen" - mein Exemplar gehörte zur legendären BRIGITTE - Edition von Elke Heidenreich.

Stewart O'Nan, von Hause aus eigentlich Flugzeugingenieur, ist einer, der die Scheinwelt des "amerikanischen Traums" gerne entlarvt. "Das Glück der anderen", sein siebtes Buch, Erstveröffentlichung 1999 als "A Prayer for the Dying" schildert eine Diphterie-Epidemie im Wisconsin des 19. Jahrhunderts, die Jacob Hansen, Sheriff, Leichenbestatter und Pastor in einem, zu bewältigen versucht. Anstoß für dieses Buch gab dem Autor eine Dokumentation über den "Wisconsin Death Trip" und er wählte dafür eine ungewöhnliche Erzählperspektive ( er schreibt in der 2. Person Singular ), die die Gedankenwelt der Hauptperson mit einer gewissen Distanz betrachten lässt. Dramaturgisch perfekt arrangiert, ließ mich das Buch zuweilen an den Film "High Noon" denken.



Die Hauptperson Jacob Hansen wird mit Menschen rund um seine Gemeinde konfrontiert, die an Diphtherie gestorben oder daran erkrankt sind. Den einen Rat des Arztes - die Sache zu verheimlichen - beherzigt er, den anderen nicht, denn er geht wie gewohnt seiner Arbeit als Leichenbestatter nach und fasst dabei die zweite Tote an. Seine Frau, die er informiert, hält er aber zurück, mit der neugeborenen Tochter zu einer Tante vor der Ansteckung auszuweichen. Erst als weitere zwanzig Menschen im Ort gestorben sind, verständigen sich der Arzt und Jacob Hansen endlich darauf, Quarantäne zu verhängen und an den Ausfallstraßen Sperren zu errichten. Am Ende entwickelt es sich ein bisschen so wie in der biblischen Geschichte von Hiob: Hansen übersteht die Apokalypse als Einziger - mehr will ich aber nicht verraten.

Ich habe mich vom lakonischen Sprachstil und der Erzähltechnik der Short Story sehr angesprochen gefühlt, so dass diese erschütternde Geschichte ohne Sentimentalität herüberkommt. Spannend ist es dennoch!

Das zweite Buch dreht sich um die schlimmste Influenza - Epidemie der Geschichte, die Spanische Grippe. Bis 1920 tötete sie mehr Menschen, als im gesamten Ersten Weltkrieg starben - das war mal eine echte Katastrophe!



"Sie kamen wie die Schwalben" von William Maxwell, schon 1937 publiziert, sah der Autor selbst als sein eigentliches Debüt an, mit dem ihm der literarische Durchbruch in den Vereinigten Staaten gelang. 1997 gab es eine Neuerscheinung, die dann auch bei uns 2001 veröffentlicht wurde.

Im Roman erkrankt der achtjährige Peter Morison, Bunny genannt, als erster in der Familie. Diese Zeit des Fiebers und Betthütens empfindet er als Glück, denn nun gehört ihm die uneingeschränkte Aufmerksamkeit seiner über alles geliebten Mutter. Während er schwach im Bett dahindämmert, ist er sich sicher, dass sie bei ihm wacht. Die wirkliche Gefahr ist dem Kind nicht bewusst. Auch dann nicht, als die, mit einem dritten Kind schwanger, vom Vater in eine entferntere Stadt zur Entbindung gebracht wird. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen erkrankt sie ebenfalls an der Spanischen Grippe und stirbt kurze Zeit nach der Entbindung des dritten Sohnes.

Für Bunny und seinen Bruder Robert, mit dessen Darstellung die zweite Ebene im Roman angelegt ist und der als All-American-Kid gezeichnet wird, zerbricht mit einem Mal die behütete Welt der Kindheit. Die dritte Ebene ergibt sich mit der Darstellung des Vaters James, der völlig hilflos agiert, mit seinen Kindern zwar ins leere Zuhause zurückkehrt, dort aber seine Verzweiflung nicht durchbrechen kann und schließlich fortzulaufen versucht.

Die Mutter, deren überragende integrative und kommunikative Kraft das Familiengeflecht zusammenhält, ist die Sonne, das Licht - wie im Gedicht von William Butler Yeats, dem William Maxwell den Titel seines Romans entnommen hat:
Sie kamen wie die Schwalben und flogen wie Schwalben fort,
Und doch machte das starke Wesen einer Frau,
Dass eine Schwalbe nicht ihr Ziel verlor;
Und eine Schar von einem halben Dutzend dort,
Die scheinbar ohne Richtung wirbelnd in den Himmel stieg,
Fand im träumenden Raum sicheren Weg und Ort.
Ihr Sterben erspart uns der Autor, der sich auch sonst als Erzähler konsequent zurückhält, klar und schnörkellos schreibt und sich auf kleine Gesten beschränkt. Allein indem er die Einsamkeit seiner Protagonisten beschreibt, überlässt er den Leser*innen, Empfindungen zu entwickeln.



1918, William Maxwell war zehn Jahre alt, als seine eigene Mutter an der Spanischen Grippe gestorben ist. Der Vater, emotional zuvor schon nicht erreichbar, verkaufte das Haus, die Familie brach auseinander. "Ich schreibe über die Vergangenheit", hat er einmal gesagt, "nicht weil ich etwa denke, sie sei besser als die Gegenwart. Ich will einfach die Dinge, die passierten, nicht vergessen." Damit ist ihm ein zeitloser Roman gelungen.


Den hübschen Schal mit den Schwalben habe ich übrigens von ihr geschenkt bekommen, justament als ich mal in den Büchern geschmökert und diesen Post vorbereitet habe. Vielen Dank, du Liebe!






Verlinkt mit dem karminroten Lesezimmer

6 Kommentare:

  1. liebe Astrid
    Dieses Thema bietet sich ja ausgerechnet in dieser Zeit in der viele durchzudrehendrohen, voller Ängste und damit auch voller Aggressionen sind, als Postthema geradezu an um zu fesseln.
    Die Vorstellung dieser beiden Buchbände/wobei ich die Heidenreich besser kenne und sehr mag/ ist damit hochinteressant, auch - um festzustellen wie in früheren Zeiten mit Pandemien,Epidemien/& den dazu passenden Hysterien umgegangen wurde.
    beide Bücher werde ich mir näher ansehen und versuchen sie zu bekommen, in meiner Bibliothek fehlen sie nämlich noch.
    Vielen Dank für die Tipps...und lieben Gruß angelface

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  2. "Das Glück der Anderen" ist mir durchaus noch ein Begriff als Buchtitel.
    Vielleicht gingen unsere Vorfahren einfach etwas anders mit dem Thema um, weil sie wesentlich häufiger mit dem Tod durch Krankheiten (Lungenentzündung Typhus usw) konfrontiert gewesen waren, ganz zu schweigen von mindestens einem Krieg. Immerhin haben wir heute so viel mehr Wissen, wie man damit umgehen kann und wer wirklich lebensbedrohlich betroffen sein könnte.
    Ganz viel Gesundheit
    Liebe Grüsse
    Nina

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  3. Ja, das sind wirklich Bücher zum Thema Nr. 1 derzeit.
    Und sie zeigen, dass wir immer noch auf einer Insel der Seligen leben und Panik ein schlechter Ratgeber ist in unseren Zeiten.

    Es freut mich, dass der Schwalben-Schal Dir gut gefällt!
    Liebste Grüße von Sieglinde

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  4. Liebe Astrid,

    da hast Du uns recht schöne Bücher herausgesucht. Sie stehen jetzt auf meiner Lesen-mögen-Liste.
    Auf die Gefahr hin, unpopulär zu sein: In den letzten drei Jahrzehnten, hat sich ein sehr gemütliches Nest aufgetan. Unsere letzte große gesundheitliche Krise hieß HIV. SARS und MERS nicht eingerechnet, da es kurze, heftige Attacken waren. Am Herumrudern in Medien und Politik zeigt sich, wie wenig über Ernstfälle wirklich nachgedacht wurde und wird. Kaum ist eine Krise überstanden, vergißt die Gesellschaft (nicht nur die Einzelperson, sondern das Kollektiv), was vor ein paar Jahren war. Dazu gehört die Erziehung zur Hygiene: Diese fällt komplett unter den Tisch.
    Oft erlebt, von mir nicht goutiert. Damit ecke ich übrigens auch heute noch an, jemandem den Handschlag zu versagen, und das als Frau!, kann schon ein Ende des Gesprächs bedeuten.

    Herzliche Grüße,
    Franziska

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  5. Da sieht man, wie sich die Dinge wiederholen und erneut aktuell werden. Und gute Literatur liest sich ja eh immer gut. Danke für die interessanten Buchtipps!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Eine gute Auswahl!
    Na hoffen wir mal, dass alle brav daheim bleiben und uns solche Geschichten erspart bleiben!

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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