Donnerstag, 5. Dezember 2019

Great Women # 202: Käte Ahlmann


Wer sich in der Kunst & Kultur oder in der Wissenschaft hervortut, dem begegne ich ganz anders als jemandem, der in der Wirtschaft erfolgreich ist. Das liegt daran, dass ich persönlich anders gestrickt bin und mir auf diesem Gebiet nichts zutraue. Dass ich heute trotzdem meine Komfortzone verlassen habe, lag an meiner Neugier. Neugier auf ein echt kölsches Mädche, dass im hohen Norden unseres Landes aufgrund der Umstände Unternehmerin geworden ist: 
Käte Ahlmann.



"In Köln am Rhing is se jebore"und zwar am 5. Dezember 1890.  Als  Catharine Aline Braun  kommt sie im Haus ihrer Eltern im Kölner Gereonsviertel, Von - Werth - Straße 31, zur Welt. Sie ist bereits deren vierte Tochter: Magdalene, Ida, die schon in ihrem ersten Lebensjahr gestorben ist, und Luise sind in den vier Jahren zuvor geboren worden. Die 26jährige Aline Langguth und ihr 14 Jahre älterer Ehemannes Josef Braun, zu diesem Zeitpunkt Amtsrichter, haben sechs Jahre vorher geheiratet. 

Beide Eltern stammen aus wohlhabenden Familien: Aline ist mit ihrer Zwillingsschwester das jüngste Kind des Weinhändlers und Erbauers des größten Weinkellers der Mosel in Traben - Trarbach, Carl Wilhelm Langguth. Traben - Trarbach ist eine protestantische Enklave im sonst katholischen Moselgebiet, und auch die Langguths haben dieses Bekenntnis. Tochter Aline wird also evangelisch erzogen und erhält eine gute allgemeine Ausbildung in einem Höheren Töchterinstitut in Frankfurt/Main. Den Amtsrichter Josef Braun lernt sie in ihrer Heimatstadt kennen und lieben.

Josef ist der jüngere Sohn des Fuhrunternehmers, Geschäftsmannes und Ziegelfabrikanten Ferdinand Leopold Braun, auf den der Name des Kölner Stadtteiles Braunsfeld zurückgeht ( damals noch außerhalb des Stadtgebietes ). Da der Älteste als Firmenerbe vorgesehen ist, betreibt die Mutter eine akademische Ausbildung für ihren zweiten Sohn. Jurist soll er werden wie ihr Bruder, ein Oberlandesgerichtsrat.

Natürlich sind die Brauns im "Hillije Kölle" Katholiken, weshalb Josef bei den Langguths als potentieller Schwiegersohn nicht gut ankommt. Man verlangt eine Prüfungszeit von einem Jahr, in der die jungen Liebenden sich nicht sehen dürfen. Doch die Liebe siegt, und Josef Braun setzt nach der Eheschließung alle Hebel in Bewegung, um dem Einflussbereich der Schwiegereltern zu entkommen. Ein Versetzungsgesuch in seine Heimat ist schließlich erfolgreich.

Ein Jahr nach der Geburt der kleinen Käte - so wird sie ihr Leben lang genannt werden - stirbt der Großvater Ferdinand Braun. Ihr Vater erbt ein Vermögen, fungiert als Geschäftsführer der "Erben F. Braun GmbH" und bekommt gleichzeitig eine Stelle am Oberlandesgericht - alles etwas zu viel für den Vierzigjährigen zusammen mit einer jungen, quirligen Familie! Gesundheitlich angeschlagen ist er in den Folgejahren immer wieder.

Käte ist wie ihre Schwestern - 1893 ist noch Aline hinzugekommen - evangelisch getauft, also  ein "Ketzerkind" in den Augen der kölschen Verwandtschaft, und besucht selbstverständlich die evangelische Töchterschule in der Antoniterstraße, in der auf solides Wissen wert gelegt wird, aber auch auf "Festigkeit und Strenge". Das ist ganz im Sinne der Mutter Aline, die die Tochter später als zu streng in schulischen Angelegenheiten charakterisieren wird. Ohnehin wird sie ihr ganzes Leben das rigorose mütterliche Leistungsprinzip in Frage stellen, obwohl sie selber ähnlich gestrickt ist...

Ihre älteste Schwester scheint eine vorbildliche & gewissenhafte Schülerin gewesen zu sein, während Luise und Käte eher Tadel einheimsen und sich auch untereinander tatkräftig auseinandersetzen. Käte gilt schon als Kind als hartnäckig, durchsetzungsfähig und wenig empathisch, was die Mutter öfter anmahnt. Die jüngste Schwester erfährt allerdings Zeit ihres Lebens von Käte besondere Zuwendung. Wie es bei Töchtern des Bürgertums in jenen Jahren üblich gewesen ist, spielen auch Käte und ihre Schwestern Tennis, bekommen Unterricht in Geige & Klavier und zeigen ihre Künste regelmäßig bei Hauskonzerten für die musikbegeisterte Familie und ihren Freundeskreis.

Gut Niederreidenbacher Hof
Die Sommerferien verbringen die Mädchen auf dem großväterlichen Gut Niederreidenbacher Hof, hoch über der Nahe gelegen - ein  Kindheitsparadies, das für Kätes Naturverbundenheit ursächlich ist.

Vor allem sie und die kleine Schwester interessieren sich für die Tierhaltung ( Käte lernt auch Melken ) und begleiten Knechte & Tagelöhner bei der Arbeit. Zu ihrem Leidwesen wird das Gut nach dem Tod des mütterlichen Großvaters 1904 verkauft.

Mit diesem Paradies scheint Käte auch die Kindheit verloren gegangen zu sein, so ihre Aufzeichnungen. Tatsächlich geht im Jahr darauf mit der Konfirmation auch das Ende des Schulbesuches einher und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Da den Eltern an einer weiteren schulischen Ausbildung ihrer Töchter weniger gelegen ist, verbringt Käte ein Jahr im elterlichen Haus, um dort bei der Mutter die Organisation und Überwachung eines bürgerlich - repräsentativen Haushalts zu lernen, um anschließend wie bereits die älteren Schwestern für ein Jahr ein Pensionat in Ouchy am Genfer See zu besuchen.  Geschliffene Umgangsformen, ein versiertes Französisch und soziale Kompetenzen gelten für eine Höhere Tochter als unabdingbar. Käte selbst erstrebt für sich zukünftig eher weniger diese Rolle und setzt nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Eltern durch, dass sie nach dem Pensionatsjahr in die Landwirtschaft gehen darf.

Im April 1908 ist Käte zur Hochzeit der ältesten Schwester wieder zurück in Köln. Als Tischherr wird ihr der 27jährige Julius Ahlmann, Freund des Bräutigams aus Schleswig-Holstein, zugeteilt. Der beschreibt sie seinen Eltern als "eine recht unterhaltende, interessierte und niedliche Person"*. Doch zunächst bleibt es bei einem weiteren Treffen im Jahr darauf.

Marienburg in Leutesdorf
Im Mai dann beginnt Käte mit einer Ausbildung an der Gartenbauschule für Frauen auf der Leutesdorfer Marienburg. In einem zweijährigen Kurs soll sie vertraut gemacht werden mit dem Obst- und Gemüseanbau,  Botanik & Zoologie allgemein, aber auch mit Buchführung, Gesetzeskunde und Betriebslehre. Sogar handwerkliche Fähigkeiten werden vermittelt, so dass die künftige Gärtnerin auch ihre Treibhäuser und ihre Obstkörbe selber herstellen kann.

Käte scheint eher überschwänglich vom abwechslungsreichen Leben auf dem Lande bei den Wochenendbesuchen zu Hause in Köln berichtet zu haben, was bei der Mutter  Aversionen auslöst, erst recht, nachdem Käte ihren Geigenunterricht, von dem die Mutter sich wohl mehr versprochen hat, aufgibt. Als Kompromiss nach etlichen Kontroversen einigt man sich darauf, dass Käte fortan Gesangsunterricht nehmen wird. Über diese Episode wird sie sich später nie mehr äußern wollen.

Am 22. März 1910 legt "Fräulein Käte Braun aus Cöln" erfolgreich und mit der Note "sehr gut" die Abschlussprüfung in der Gärtnerinnenschule ab. Ihre Leistungen werden auf allen Gebieten als hervorragend bezeichnet, aber eine anschließende tatsächliche Berufsausübung wird wohl nicht einmal von Käte selbst in Betracht gezogen. Stattdessen wird von der Mutter der "Eintritt in die Welt" für die nunmehr zwanzig Jahre alte Tochter in Angriff genommen. Repräsentationspflichten gibt es für die Familie genug, seitdem der Vater zum Geheimen Justizrat ernannt worden ist.

Eine längere Bildungsreise nach England zusammen mit der jüngsten Schwester, wie damals in Mode,  erfolgt 1911, muss aber vorzeitig abgebrochen werden, da der Vater und die Schwester Luise schwer erkrankt sind, und die Mutter Unterstützung braucht. Da wundert es nicht, dass Käte beschließt, eine Ausbildung in Krankenpflege beim Kölnischen Vaterländischen Frauenverein zu absolvieren.

Ansonsten bleibt sie fest eingespannt in die häuslichen & gesellschaftlichen Verpflichtungen der Familie Braun, denen die Mutter glänzend nachkommt - offensichtlich unter größter Anstrengung:  Im Dezember 1912 stirbt Aline Braun überraschend, 48 Jahre alt. Wenige Tage vorher hat sie noch eine "große Gesellschaft" in ihrem Haus gegeben... "Unendliche, leidenschaftliche Trauer" befällt die Familie, die nun aus einem kranken Witwer und drei im Wartestand auf die Ehe befindlichen Töchtern besteht.

Da dürfte es eine willkommene Abwechslung gewesen sein, dass Käte im Oktober 1913 von der ältesten Schwester nach Berlin gebeten wird, um sie bei der erwarteten Geburt ihres dritten Kindes zu unterstützen. Deren Ehemann Carl Wuppermann hat auch seinen alten Freund Julius Ahlmann, der zu einer Feldartillerie- Übung in Jüterbog weilt, nach Berlin gebeten und die Anwesenheit von Käte erwähnt. So kommt es, dass man sich nach vier Jahren bei einem Abendessen in der Wuppermannschen Wohnung wieder sieht.

Am nächsten Tag macht das Quartett einen gemeinsamen Waldspaziergang, und die Romanze nimmt ihren Lauf, unterbrochen nur von familiären Anforderungen & militärischen Verpflichtungen. Es ist auch Julius, der alsbald nach der Geburt des Wuppermannschen Nachwuchses auf der Matte steht und Käte und dem von der Geburt angeschlagenen Vater einen Spaziergang um den Grunewaldsee vorschlägt. Bei diesem Unternehmen fasst er den Entschluss, Käte einen Heiratsantrag zu machen.

Am nächsten Morgen schreibt er ihr einen entsprechenden Brief. Ihre positive Antwort erreicht ihn schon am Tag darauf, voller praktischer Vorschläge, wann und wie sein Besuch bei ihrem Vater in Köln stattfinden soll. Julius Ahlmann: "Erstmal Dank für Ihre Antwort. Wir werden uns schon auf des Lebens hoffentlich langer Bahn gut verstehen lernen." Am 26. Oktober macht er tatsächlich wie vorgeschlagen seine Aufwartung in Köln, nachdem er seine Eltern in Büdelsdorf bei Rendsburg in nüchternen Fakten über ihre künftige Schwiegertochter informiert hat. Josef Braun ist glücklich angesichts der von ihm konstatierten "wirkliche(n) Herzensneigung" bei den Beiden und gibt gerne sein Placet.

Carlshütte am  Kaiser-Wilhelm-Kanal 
"Julius Ahlmann war tatsächlich, wenn auch für die Braut seine Charaktereigenschaften im Vordergrund standen, eine "gute Partie" im Hinblick auf sozialen Status und finanziellen Hintergrund", schreibt Felicitas Glade in ihrer Biografie. Er gehört zu einer politisch wie wirtschaftlich einflussreichen Familie, und sein Vater, gebürtiger Däne, ist der kaufmännische Direktor und Vorstand der "Holler'schen Carlshütte bei Rendsburg", dem ersten Industriewerk Schleswig-Holsteins, das bereits um 1835 unter anderem Öfen, Dampfmaschinen und landwirtschaftliche Gerätschaften produziert. Der 1880 in Kopenhagen geborene Julius hat eine kaufmännische Ausbildung in Heide und Kopenhagen absolviert und nach eineinhalb Jahren Militärdienst für mehrere Unternehmen in England, Frankreich, Spanien und den USA gearbeitet. 1907 tritt er in die Büdelsdorfer Carlshütte ein, wo er 1909 die Prokura erhält und der Firma Absatzmärkte im übrigen Europa erschließt.
Da das Trauerjahr für Kätes Mutter noch nicht vorbei ist, wird die Verlobung erst Anfang 1914 bekannt gegeben. Im Februar verbringt die Braut dann anlässlich eines Festes für die Freunde der Familie Ahlmann drei Wochen in Büdelsdorf. Sie tut sich ausgesprochen schwer mit der "nordischen Art", besonders mit der Zurückhaltung der künftigen Schwiegermutter Wilhelmine. Julius weiß wohl auf die Verschiedenartigkeit in Mentalität und Temperament bei seiner künftigen Ehefrau mit Gelassenheit zu reagieren. "... er habe keinerlei Absicht, überhaupt mit ihr zu kämpfen, und hoffe, das auch sie selbst bald zu dieser Einstellung komme", wird er ihr einmal schreiben, nachdem sie von notwendigen "inneren Kämpfen" spricht, nach denen es "um so köstlicher" sei.

Am 18. Mai 1914 findet dann die Trauung in der Kölner Christuskirche statt. Drei Tage lang wird mit der zahlreichen Verwandtschaft aus dem Norden und von Mosel und Rhein gefeiert. Das Hochzeitsbankett im - noch heute - führenden "Excelsior Hotel Ernst" am Dom dauert bei zehn Gängen vier Stunden.  Während am nächsten Tag der Brautvater die Gäste noch zu einem Kaffee auf den Rheinterrassen  bittet, ist das junge Paar schon auf Hochzeitsreise an die oberitalienischen Seen.

Acht unbeschwerte Tage bleiben ihnen nach der Rückkehr dann in der neu bezogenen und eingerichteten Wohnung auf der Carlshütte - Käte hat als Mitgift ein Jahreseinkommen ihres Mannes, sowie reichlich Möbel und Geschirr mitbekommen -, als der Erste Weltkrieg immer wahrscheinlicher wird. Am 3. August muss dann auch der Reserveleutnant Julius Ahlmann in den Krieg. Für die junge Ehefrau beginnt eine harte Zeit in der fremden Umgebung, einsam und alleine, während ihr Mann beim Vormarsch auf Frankreich sozusagen zu Ruhm und Ehre gelangt ( er erhält das Eiserne Kreuz II. Klasse ).

Kaum ist der Bahnverkehr wieder für die Zivilbevölkerung frei gegeben, reist Käte zur Schwester nach Berlin und - nach einem kurzen Abstecher auf die Carlshütte - nach Köln, wo sie dann auch Weihnachten und den Winter verbringt.

In Köln nimmt sie das vertraute Leben mit Gesangsstunden und Konzerten wieder auf, gestaltet die große Wintergesellschaft im Elternhaus und macht den Führerschein. Ostern 1915 stellt Käte fest, dass sie schwanger ist. In diesem Frühjahr legt sie ihren Garten in Büdelsdorf an, lädt die ganze Familie Braun zur Sommerfrische nach dort ein und weiß zum ersten Mal die Ruhe in ihrer neuen Heimat und die "Behäbigkeit" der Menschen zu schätzen. Überraschenderweise entscheidet sie aber dann, dass ihr Kind in Köln zur Welt kommen soll. Am 2. Dezember 1915 bringt sie in Köln - Lindenthal ihre Tochter Marlene auf die Welt.

1916 zeichnet sich ab, dass der Krieg wohl andauern wird. Die Carlshütte erhält erstmals russische Kriegsgefangene für die schwere Arbeit in der Gießerei, und die Nahrungsmittelknappheit nimmt immer gravierendere Ausmaße an. Immerhin wird Julius Ahlmann von der Front abkommandiert und zum Ausbildungsoffizier in Jüterbog ernannt. Käte kann mit der kleinen Tochter in seiner Nähe bei der Schwester leben und ist alsbald wieder schwanger. Am 28. September 1917 erblickt ihre zweite Tochter Roseli, diesmal in Büdelsdorf in der elterlichen Wohnung, das Licht der Welt.

Mit dem Kriegsende 1918 beginnt auch auf der Carlshütte eine neue Zeit, denn mit der Anerkennung von Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiterschaft und neuen Tarifverträgen wird auch dort der Achtstundentag eingeführt. Für den ehemaligen Hauptmann Julius Ahlmann beginnt endlich das Leben, auf das er immer hingearbeitet hat, als er Mitte Dezember 1918 kaufmännischer Direktor der "Aktien-Gesellschaft der Holler'schen Carlshütte" wird. Auch kann er erstmals mit seiner jungen Familie zusammenleben, die alsbald auch mit einem dritten Kind erweitert wird: Am 10. Februar 1919 bringt Käte ihren ersten Sohn, Hans - Julius, zur Welt.

Die vielen politischen & sonstigen Veränderungen jener ersten Jahre der Republik gehen auch an der Familie Ahlmann nicht spurlos vorüber. Für Käte bedeutet das - neben der Gewährleistung der Selbstversorgung wegen der schlechten Ernährungslage mittels Gartenbau & Aufzucht von Kleinvieh, Schwein und Kalb - ein neues Amt, das der Kreisvorsitzenden des Vaterländischen Vereins vom Roten Kreuz. Was früher Aufgabe von Prinzessinnen gewesen ist, wird jetzt halt der Direktorenfrau angetragen. Für Käte Ansporn und Bestätigung...

Am 8. Juni 1924 bringt sie dann auch noch ihren zweiten Sohn zur Welt, erst einmal nur Josef geheißen, nach dem Kölner Großvater Braun, der Anfang des Jahres 1922 verstorben ist ( später kommen die Namen Severin, Otto & Heinrich dazu ).

Die Taufe des kleinen Jungen soll der Höhepunkt des Langguthschen Familientages an der Mosel im Oktober des gleichen Jahres sein. Käte reist mit den Kindern vorher nach Düsseldorf. Dort erkrankt die siebenjährige Roseli an einer Blinddarmentzündung und muss operiert werden. Nachdem es dem Mädchen besser geht, lässt Käte es in der Obhut ihres Schwagers Wuppermann zurück und reist mit Mann und Kindern an die Mosel. Doch bald werden sie zurückgerufen. Als Käte und Julius Ahlmann in Düsseldorf ankommen, ist Roseli schon tot: Eine unerkannte Herzschwäche ist die Ursache dafür gewesen, zusammen mit einer zu starken Narkose. Wie schafft sie es bloß, auf der Trauerfeier im Krefelder Krematorium für ihre Tochter zu singen, fragt man sich... Josef wird unterdessen in der Trabener Kirche im Kreise seiner Verwandtschaft getauft.

"Das Zusammenfallen von Tod und Taufe, es waren schreckliche Monate", erzählt Käte später dazu. Die Geschwister sind traumatisiert, Julius Ahlmann vergräbt sich in seine Arbeit, denn zur gleichen Zeit tobt ein Machtkampf zwischen den beiden Direktoren der Carlshütte. Auch für Käte bietet das in gewisser Weise eine Ablenkung von ihrer Trauer. Da die junge Frau ein "Naturtalent auf betriebswirtschaftlichem Gebiet" ist, hat sie schon länger mit ihrem Mann einen Plan für sein weiteres Vorgehen im Unternehmen entwickelt. Nun gehen sie ihn an, und am Ende legt der technische Direktor sein Amt nieder und das Aufsichtsratgremium der Carlshütte spiegelt schließlich die neuen Besitzverhältnisse unter Dominanz der Ahlmanns wider.

Da ist Käte dann aber schon mit den beiden älteren Kindern an der Riviera, um sich und den erkältungsanfälligen Kindern durch eine Luftveränderung Erholung zu verschaffen. Aus jener Zeit gibt es Briefe, die erkennen lassen, wie selbstbewusst sie auf einem gleichberechtigten Umgang bei ihrem Ehemann besteht. Da ist die Rede von: "So spricht ein subalterner Lehrer vielleicht mit seiner Frau, du aber nicht mit mir." Oder an anderer Stelle:"Deprimiere Du mich nicht mit solchen Aussprüchen, die mich auf eine minderwertige Stufe drücken sollen. Man muß ein freies, aufrechtes Gefühl haben Dingen und der Welt gegenüber, um glücklich sein zu können und um die furchtbare Schwere und Tragik des Lebens tragen zu können."

Als die Carlshütte im Frühjahr 1927 ihr Hundertjähriges feiert, hat Julius Ahlmann die Modernisierung vorangetrieben, die Produktionssparten erweitert, den Absatz im Ausland gesteigert ( in Deutschland herrscht hingegen ein Rückgang des Konsums ) und die Zahl der Beschäftigten um ein Viertel der vorherigen erweitert. Käte hingegen leistet zu dieser Zeit "eine Art Entwicklungshilfe in anspruchsvoller Musik für das tiefe ländliche Holstein" und tritt auf Kammerkonzerten im Rendsburg Umland als Sängerin auf - alles für einen guten Zweck. Sie legt auch eine Obstplantage an für die Büdelsdorfer und realisiert mit ihrem Vaterländischen Frauenverein eine Reihe sozialer Projekte. Ihr Haus entwickelt sich zum Mittelpunkt eines kulturell und musisch interessierten Kreises  und - wie sie es vom Kölner Elternhaus gewohnt ist - zu einem Hort gepflegter Gastlichkeit. Die Kinder werden in diese Traditionen eingeführt und eingebunden, und Käte ist das unumstrittene Zentrum der Familie, fast so, wie es ihre Mutter in Köln gewesen ist.

Es hätte so weiter gehen können. Doch das Leben hat mit Käte Ahlmann etwas anderes vor:

Bei einem Besuch seines in England lebenden Bruders im Frühjahr 1931 erleidet Julius Ahlmann Ohnmachtsanfälle, die zunächst auf Überarbeitung zurückgeführt werden. Als zu Hause alles immer schlimmer wird, erfolgt eine neurologische Untersuchung: Ein Gehirntumor! Im Juli wird er in Hamburg operiert. Vorher hat er seiner Frau Käte die Generalvollmacht erteilt, sie in die Geschäftsführung einbezogen und sein Testament zu ihren Gunsten geändert: Die Eheleute setzen sich mit einem "Berliner Testament" gegenseitig als Alleinerben ein.

Eine zweite Operation in der Monatsmitte macht dann alle Hoffnungen zunichte. Käte bringt ihren Mann noch ins Familienheim in Gravenstein. Dort stirbt Julius Ahlmann am 3. September 1931. "Mit vierzig Jahren stand Käte Ahlmann vor einem zerstörten Lebensplan", schreibt ihre Biografin Felicitas Glade.

Eigentlich ist sie nach dem damaligem sozialen und gesetzlichen Kodex als völlig abhängig von ihrem Ehemann zu betrachten. Doch Käte hat schon vorher entschieden, die Position der Familie in der Carlshütte durch ihre eigene aktive Mitarbeit im Vorstand zu halten. Sie wird zu "Frau Julius Ahlmann".
"Mich freiwillig quasi entmündigen zu lassen, nur weil ich eine Frau bin, das kann ich nicht einsehen […]. Umsonst soll er sein Vertrauen im Fall seines Todes nicht auf mich gesetzt haben, ich würde schon zusehen, sein Lebenswerk (24 Jahre) zu stützen für unsere Kinder.
Als Alleinerbin bekommt sie die Unternehmensanteile ihre Mannes. Zur Seite stehen ihr ihr über achtzigjähriger Schwiegervater Johannes, mit dem sie zusammen die Aktienmehrheit hält, und ihr Schwager Carl Wuppermann, der als Aufsichtsratsvorsitzender der Carlshütte ihr den Eintritt in den Aufsichtsrat ebnet, es allerdings nicht vermag, sie im Vorstand zu etablieren. Das sei bei einem Betrieb mit über 1000 männlichen Arbeitern von einer Frau weder zu erwarten noch durchzuführen, so der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich Günther.

Das wird ihr dann später ihr anderer Schwager, Heinrich Athenstaedt, eigentlich Polizeidirektor in Heidelberg und der Mann von Schwester Luise, der Frauen für gleich befähigt hält wie Männer, ermöglichen...

Wie es Käte persönlich geht - darüber äußert sie sich kaum: "Wie sehne ich mich nach Jules Unterhaltung und ihrem Reichtum. Jetzt denkt man manches - kein Echo kommt mehr. Doch der Mensch kann ohne Kreuz nicht sein." 

Ihre Stabilität in jenen Tagen wird legendär. Bereits im Oktober nimmt sie demonstrativ ihre Arbeit im Unternehmen auf. Doch sie muss auch bald feststellen, dass ihr Informationen vorenthalten und das vertraglich zugesicherte Mitspracherecht umgangen wird. Aber erst im September 1933 gelingt es, den ( familienfremden ) Direktor der Carlshütte, der Käte als Unternehmerin nicht anerkennen will, zu entmachten.

1938




Da hatte die "Neue Zeit" auch in Büdelsdorf schon Einzug gehalten und "... diese kleine marxistische Hochburg  (war) dem Ansturm der Nationalsozialisten erlegen", so die Lokalzeitung. Bei der letzten freien Wahl hatten die Wahlberechtigten des 5600 Einwohner zählenden Ortes noch mit 55,2 Prozent für die beiden Arbeiterparteien SPD & KPD gestimmt. Die Nazis hingegen konnten nur 37,2 Prozent der Stimmen einsammeln. Käte selbst ist sich nicht mehr sicher gewesen, dass ihre Wahl vor Ort geheim bleiben könnte, und sie, damals, allerdings eher inaktives Mitglied der DVP Gustav Stresemanns, hat mit ihrem Wahlschein in Flensburg abgestimmt. Doch letztendlich sind durch eine entsprechende Personalie - der Landrat wird vom Preußischen Innenminister durch den NSDAP - Kreisleiter vor Ort ersetzt - die Unsicherheiten der Umwälzungsphase in Büdelsdorf "befriedet" worden.

Käte befindet sich wegen ihres Schwagers Athenstaedt, des ehemaligen, den Nazis verhassten Polizeidirektors von Heidelberg, in einer heiklen Situation, denn sie hat ihm quasi Unterschlupf in Büdelsdorf gewährt. Offensichtlich ist es dem Wunsch des neuen nationalsozialistischen Landrats - zudem in einer skandalträchtigen Beziehung lebend - zu verdanken, unbedingt zum Kreis der Notabeln Rendsburgs  zu gehören  - und die wirtschaftlich und gesellschaftlich gewichtige Familie Ahlmann gehört eben dazu -,  dass Athenstaedt unbehelligt bleibt.

Am 1. Mai 1933 wird vor der Carlshütte unter Anwesenheit der gesamten Belegschaft, darunter auch Käte und ihr Schwiegervater, die alte Reichsflagge und die Hakenkreuzfahne feierlich gehisst - wie damals überall in Deutschland am "Feiertag der nationalen Arbeit". Der Aufsichtsrat des Unternehmens entschließt sich zu Zurückhaltung, und wartet ab, wie es sich politisch weiter entwickeln wird.

In einer ersten kritischen Situation nach einer unangemeldeten Inspektion durch den "Treuhänder der Arbeit" tritt Käte erstmals nach außen als Hauptaktionärin und Delegierte des Aufsichtsrates auf und kann durch ihr überlegtes Eingreifen unter Einschaltung ihrer Beziehungen Schaden von der Geschäftsleitung abwenden. Eine geplante Erweiterung des Unternehmens um ein Emaillierwerk vor Ort muss unter dem Radar der Nazis stattfinden, um weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Das Jahr 1934 ist ein Beweis für die Fähigkeit, sozialpolitische Krisen diplomatisch zu bewältigen und unternehmerisch mit Weitblick und Risikobereitschaft zu agieren. Das ist vor allem dem uneitlen und zweckorientierten Umgang mit der Macht der Käte Ahlmann zu verdanken. Die Devise der Familie in jenen Tagen charakterisiert die Tochter Marlene so: "Anpassung, wo es sein musste, um nicht aufzufallen und ausgegrenzt zu werden."

Emaillierte Öfen der Carlshütte
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1936 muss Käte wieder einmal feststellen, dass die neuen Direktoren der Carlshütte sie wieder außen vor lassen, ihr Informationen enthalten und alleine ihre Entscheidungen treffen.

Die Möglichkeit, diese Situation zu beenden, gibt ihr ein von den Nazis erlassenes Gesetz zur Umwandlung von Kapitalgesellschaften. Es gelingt ihr, kreditgebende Banken von sich zu überzeugen, schrittweise die Aktienmehrheit an der Carlshütte zu übernehmen und diese in den Alleinbesitz der Familie Ahlmann zu bringen. Felicitas Glade bewertet das so:
"... handelt es sich tatsächlich um ihre eigenverantwortliche Besitzergreifung. Sie unterschied sich damit ganz erheblich von den anderen verwitweten Unternehmerinnen, die nach dem Tod des Ehemannes den ihnen hinterlassenen Betrieb übernahmen. Ihr Erbteil waren nur Aktien gewesen und der Nimbus Ahlmann. Die Energieleistung, klug und weitblickend mit diesen 'Pfunden zu wuchern' kam einem Phänomen gleich."
Die Carlshütte als ältester Industriebetrieb Schleswig - Holsteins und größtes Unternehmen im Rendsburger Wirtschaftsraum hat einen einmaligen Status. Dass die Umwandlung von einer Frau bewerkstelligt worden ist, findet man bemerkenswert, zumal in einer Zeit, in der Frauen wieder an den heimischen Herd geschickt werden ( und sich dem unterwerfen, wie meine Schwiegermutter, eine studierte Mathematikerin ). Sichert sie sich da einen Freiraum, als sie 1937 in die NSDAP  eintritt? In ihren Aufzeichnungen neun Jahre später listet sie Zugeständnisse der Nazis auf, u.a. die ungestörte Religionsausübung als Protestantin unter einem dem Regime nicht genehmen Geistlichen. Nicht entziehen kann sie sich der Einordnung ihres Betriebes in die "Wehrwirtschaft" ein Jahr vor Kriegsausbruch. Nur so erhält das Werk ausreichende Materialzuweisungen wie Stahlbleche für die Fabrikation von Öfen.

Im April 1939 stirbt Johannes Ahlmann, mit dem ein wechselseitiges Verhältnis von Achtung, Liebe und Vertrauen bestanden hat und der ein treuer Berater & Unterstützer seiner Schwiegertochter gewesen ist. Jetzt ist nur noch Heinrich Athenstaedt als Ratgeber und Stütze übrig.

Spätestens mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs stellt die Carlshütte die Produktion von Gütern des zivilen Gebrauchs auf Rüstungsgüter um. Im Unternehmen werden jetzt Geschosshülsen, Munition über zwei Zentimeter, Gießereierzeugnisse für Panzerkampfwagen, Teile für Kriegsschiffe, feinmechanisches Kriegsgerät und ab 1943 Flugzeugtragflächen aus Leichtmetall hergestellt. Probleme gibt es vielfältige, verursacht u.a. auch durch den Mangel an Arbeitskräften, denn die Arbeiter werden zum Kriegsdienst eingezogen. Ein Jahr nach Kriegsausbruch bekommt die Carlshütte die ersten dreißig polnischen Zwangsarbeiter zugeteilt.

Es ist schon mehr als irritierend, dass die selbstbewusste Käte, die sich sonst nichts gefallen lässt - 1941 stemmt sie sich einer erneuten Kabale, diesmal ihres aktuellen Direktors, entgegen und übernimmt nun endgültig die alleinige Betriebsleitung - sich den Anforderungen der Nazis anpasst. Im Jahr 1943 gibt es unter den 2333 Beschäftigten mehr Zwangsarbeiter & Zwangsarbeiterinnen als normale Arbeiter, vor allem solche aus der Sowjetunion.
"Im falschen Handeln haben Sie jedenfalls das Richtige getan und Menschlichkeit bewiesen. Ein Trost immerhin. So ließen Sie russische Gefangene fotografieren, um auf den schlechten Zustand hinzuweisen, in dem die Männer in der Carlshütte eintrafen. Das hat Ihnen einen scharfen Verweis von den NS-Bürokraten eingebracht. Beim Ernährungsamt setzten Sie bessere Verpflegung der Arbeiter durch, vor allem mehr Obst und Gemüse ("drei Pfund pro Mann und Tag"). Wenn das nicht reichte, bestellten Sie heimlich bei Landwirten aus der Umgebung. Sie ließen eine Entbindungsstation für die sogenannten Ostarbeiterinnen errichten und nahmen auch Schwangere aus dem entfernten Umland auf. Sie gewährten einer Halbjüdin Schutz in Ihrem Hause, und es spricht für Sie, dass Sie von dieser guten Tat bei Ihrer Entnazifizierung keinen Gebrauch machten", hält Kerstin Bund hier Käte Ahlmann entgegen.
Ich nehme an, dass ihr zweckorientiertes Handeln immer davon geprägt gewesen ist, das Familienerbe unbedingt für ihren im Krieg befindlichen ältesten Sohn Hans - Julius zu erhalten und den Traum ihres verstorbenen Mannes zur Vollendung zu bringen. Wir wissen eben nicht, ob sie diese Zeit unbelastet hätte überstehen können, ohne all das aufs Spiel zu setzen. Die Umbenennung der Firma 1941 in "Ahlmann - Carlshütte" mag beweisen, dass das absolute Priorität bei ihr hat. Über eine Aufarbeitung dieses bedrückenden Kapitels der Firmengeschichte habe ich auf den Seiten der Nachfolge- Unternehmen nichts gefunden...

Die Familie, aber auch Freunde und andere Nahestehende, bleiben Käte auch in Zeiten großen beruflichen Einsatzes wichtig und sie umgibt sich gerne mit ihnen: Die ( kurze ) Ehe ihrer Tochter Marlene mit Rudolf-August Oetker, 1939 geschlossen, bringt ihr 1940 das erste Enkelkind, Rosely. Sie nimmt die Kleine, die ihr bis ans Lebensende sehr verbunden sein wird, bei sich auf, als Marlene nach der Trennung 1941 in Bonn ein Medizinstudium beginnt. Auch ihre elfjährige Nichte Lising Pagenstecher, Tochter ihrer jüngsten Schwester, findet bei ihr ein zu Hause, um ihr einen weniger bombengefährdeten Schulbesuch als in Köln zu ermöglichen. Und der Freundin ihrer 1942 verstorbenen ältesten Schwester, Edel Bohland, einer Halbjüdin, ermöglicht sie als "Hausdame" einen einigermaßen sicheren Unterschlupf.

Auch die Schwester Luise Athenstaedt zieht mit ihrem Mann im Herbst 1944 nach Büdelsdorf zu Käte in die Direktorenvilla, als die Lage in Deutschland bereits bedrohlich ernst ist. In der Carlshütte wird teilweise 72 Stunden pro Woche, in drei Schichten, gearbeitet, um den Anforderungen des Oberkommandos der Wehrmacht nachzukommen, sogar ein neues Stahlwerk wird in Betrieb genommen und die Anzahl der Zwangsarbeiter weiter erhöht. Doch die von den Alliierten unterbundenen Kohle- und Kokstransporte legen das Werk immer wieder still. Weitere Flüchtlinge aus der Familie füllen das Haus bis in die "Apfelkammer".

"Einen endgültigen Schlussstrich", so Felicitas Glade, zieht Käte Ahlmann, als durch eine Anordnung Hitlers, alle Industriebetriebe, Versorgungseinrichtungen & militärisch-technische Einrichtungen gesprengt werden sollen. Ihr hart erkämpftes Lebenswerk der Vernichtung preisgeben? Sie tut sich mit anderen Betroffenen zusammen, die schließlich bei Admiral Karl Dönitz, letztes Staatsoberhaupt des nationalsozialistischen Deutschen Reichs,  die Aufhebung dieses Befehls erreichen.

Trotz aller widrigen Umstände - die Carlshütte verfügt nach der Kapitulation nur noch über knapp 900 Mitarbeiter, die Direktorenvilla wird requiriert - gibt es für Käte eine ganze Reihe glücklicher Momente: ihr jüngster Sohn wie ihr Ältester kehren unversehrt aus dem Krieg nach Hause zurück, eine zweite Enkelin wird in Tirol geboren, die Carlshütte schnell "entrüstet" und mit Hochdruck, trotz Materialknappheit & Kohlemangel, produziert man Latrineneimer, Kessel für Gemeinschaftsküchen, Mülleimer, später Herde und Öfen und sogar wieder Badewannen. Viele Flüchtlinge und Heimatvertriebene, die nach Schleswig - Holstein geströmt sind, stocken die Belegschaft im ersten Nachkriegsjahr wieder aufs Doppelte auf.

Heinrich Athenstaedt rät ihr, den Mehrheitsanteil an der Kommanditgesellschaft nun an die Söhne zu übertragen. Da bekommt er von der nunmehr 56jährigen eine Abfuhr - sie hat sich endgültig von allen männlichen Ratgebern emanzipiert:
"Ich kann mir nach meiner bisherigen Arbeit nicht meine Autorität nehmen lassen, die gerade jetzt wichtig wird. Ich halte es für sehr wichtig, die Majorität zu behalten, bis ich es für richtig halte, bis ich davon überzeugt bin, dass Einsicht, Einleben und allgemeine Erfahrung genügen. (...) Ich muß auf den mir als Gründer zustehenden Rechten am Familienunternehmen bestehen."
Die Gründung einer eigenen Firma durch ihren Jüngsten Ende 1946 kommentiert sie wohlwollend. Auch Hans - Julius hat ab 1947 seine eigene Firma, die Kacheln für die Öfen der Ahlmann - Carlshütte produziert.

Anfang Oktober 1946 erhält Käte die Information von der Britischen Militärregierung, dass die Carlshütte für die Demontage vorgesehen sei. Der neu gegründete Betriebsrat protestiert mit einem eindringlichen Statement für "ihr" Unternehmen, was trotz politisch kontroverser Ansichten für ein gutes Verhältnis spricht.  Vorerst wird dann dieses Vorhaben auf Ende 1948 bzw. 1949 verschoben, doch das nun beginnende Entnazifizierungsverfahren bringt neue Unsicherheiten.

In einem ersten Verfahren wird sie als "belastet" eingestuft, denn sie sei "für gewisse völkerrechtliche Vorkommnisse ihres Betriebes wenn nicht strafrechtlich, so doch in gewissem Umfang politisch verantwortlich." Das bedeutet einige Sanktionen, was Bewegungsfreiheit, Sperrung von Konten und Vermögen und Ausschluss von Leitungsfunktionen anbelangt. Doch "gerade unter ausgesprochen widrigen Aspekten demonstrierte sie ihren Behauptungswillen mit betontem Selbstbewusstsein und gelassener Souveränität." Und sie aktiviert wie immer alle Energien, um gegen diese Einstufung vorzugehen - mit Erfolg: Ende 1947 erhält sie von der britischen Militärregierung eine Einstufung als "Mitläuferin" und die Beschränkungen werden aufgehoben. Vergessen wird sie diese Erfahrungen nie, und sie werden ihr weiteres strategisches Vorgehen prägen, das mehrgleisig und auf eine Vernetzung von Politik und Wirtschaft abzielt.

So baut sie der immer noch drohenden Demontage der Carlshütte vor, indem sie einmal die Bedeutung des Betriebes für die Region hervorhebt & kommunalpolitisch Einfluss nimmt und sich um ein gutes Verhältnis mit der Belegschaft wie der Gewerkschaft bemüht, zum anderen sucht sie die wirtschaftliche Basis der Familie durch andere Kapazitäten zu erweitern. So wird ein neues Werk in Andernach am Rhein gegründet, das 1950 in Betrieb geht. Ein Grund dafür ist sicher der Wunsch Kätes, von der englischen Besatzungsmacht weniger abhängig zu sein ( Andernach liegt im französischen Bereich ).  Unter solch nützlichen Überlegungen kann man auch die Errichtung ihres "Gartenhauses" in Godesberg sehen, denn von dort aus ist man näher am politischen Geschehen, dass sich ja ab 1949 im nahen Bonn abspielen wird.

Weitere Unternehmenserweiterungen folgen: die "Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GmbH" 1949, die in Rendsburg erste Baumaßnahmen durchführt, die "Ahlmann-Transport-KG" 1950, die den Transport von Rohstoffen zum Werk und den Abtransport der Produkte zum Verbraucher bewerkstelligt, und 1951 die Reederei "Translanta GmbH" mit vier Küstenmotorschiffen. Später werden größere Schiffe Mittelmeerhäfen und Skandinavien anlaufen und eine Linie zwischen den großen Seen Kanadas und der Karibik installiert, was zeigt, dass Käte den Markt in Übersee in den Blick nimmt. Vor allem ihr Sohn Hans - Julius spielt dabei eine wichtige Rolle.

Eine persönliche Anerkennung dürfte gewesen sein, als Käte als "Frau Julius Ahlmann" als einzige Frau im Januar 1950 in den Vorstand der "Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU)" gewählt wird. Dieses Netzwerk wird maßgeblichen Einfluss auf die Gesetzgebung der jungen Bonner Republik nehmen. Die mittlerweile Sechzigjährige kann sich eigentlich darauf einlassen, immer weniger in ihrem Unternehmen eine Rolle zu spielen.

Und wieder einmal schlägt das Schicksal zu: Hans- Julius, noch kein ganzes Jahr verheiratet und werdender Vater, verunglückt am 8. Januar 1952 tödlich auf der Bremer Autobahn. Eine neue Tragödie! Es ist dann wohl wieder Käte Ahlmann, die sich als erste aus der Schockstarre befreien kann. Mit dem sukzessiven Rückzug aus dem Geschäft wird es erst einmal nichts, obwohl der jüngere Sohn Josef - Severin, inzwischen schon sechs Jahre selbständiger Unternehmer, als "neuer Komplementär" an ihre Seite rückt. Das stürmische Wachstum der westdeutschen Wirtschaft macht sich auch auf der Carlshütte bemerkbar, die vor allem von der gewaltigen Bautätigkeit im Land profitiert.

Unternehmerinnen auf Jück


Kätes konsequentes Eintreten für bessere Bedingungen für Frauen in der deutschen Wirtschaft schlägt sich in der Gründung eines eigenen Netzwerks speziell für diese nieder, am 30. November 1954 im Kölner Dom - Hotel. Dreißig gleichgesinnte Unternehmerinnen, mehrheitlich aus der Metallindustrie, sind dabei, als dieses unter dem Namen "Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU )" gegründet wird. Acht Jahre wird sie als Präsidentin amtieren und zur "Grande Dame" des deutschen Unternehmertums aufsteigen. Ihr Credo: Mehr Mädchen für Ingenieurberufe gewinnen und Aufsichtsratsplätze von den Männern einfordern. Frauenförderung sieht sie als unabdingbare wirtschaftliche Notwendigkeit und ihr leuchtet es lebenslang nicht ein, dass Frauen weniger fähig sein sollen als Männer.

Mit Wirtschaftsminister Ludwig Erhard 
Ins enge Rollenbild der Fünfziger Jahre passt das alles nicht. Noch werden die Unternehmerinnen als "Nelke im Knopfloch der deutschen Wirtschaft" belächelt und als bloße Übergangserscheinung nach den Wirren der Kriegsjahre betrachtet. Doch binnen eines Jahres nach der Gründung hat die Vereinigung ihre Mitgliederzahl schon verdreifacht.

Einen Durchbruch bringt dem Verband die Veranstaltung eines internationalen Wirtschaftskongresses mit über 300 Unternehmerinnen aus der ganzen Welt in Bonn 1957. Dort werden sie von den höchsten politischen Würdenträgern der jungen Republik empfangen. Dadurch werden sie auch öffentlich wahrgenommen.

Während des längsten Arbeitskampfes der Bundesrepublik Deutschland, der die Metallindustrie Schleswig-Holsteins für 114 Tage Oktober 1956 bis Februar 1957 lahm legt, gewinnt Käte Ahlmann Bekanntheitsgrad über die ganze Republik, denn in der Ahlmamm - Carlshütte heißt es, aus Loyalität zur Unternehmensleiterin, "Streik - Weshalb denn?". Das verleiht Käte einen Nimbus sondergleichen.

Weniger glücklich verläuft die Zusammenarbeit mit ihrem Sohn: Schon 1955 tut sich ein Riß auf, der sich bis zu ihrem Tod nicht mehr wirklich kitten lässt. Sie fühlt sich aus der Carlshütte gedrängt und wittert hinter dem Ansinnen des Sohnes den Einfluss einer neuen Freundin, der mondänen Maria Jänicke, einer starken Frau wie sie selbst, die Severin Ahlmann in zweiter Ehe Ende 1957 heiraten wird. 1956 erklärt sie die dem Sohn erteilte Vollmacht für ungültig. Mit einem entsprechenden Rahmenvertrag baut sie den kleinen Hans - Julius Carl Michael Ahlmann, damals knapp fünf Jahre alt, zum künftigen Firmenerben auf. Die Witwe ihres ältesten Sohnes, mit ihrem zweiten Ehemann und dem kleinen Sohn nach Hongkong verzogen, kehrt nach Büdelsdorf zurück und lebt mit ihr im Direktorenhaus zusammen. Die älteste Enkelin Rosely erweitert die Wohngemeinschaft, um in Rendsburg das Abitur abzulegen.

Trotz betriebswirtschaftlicher Missgriffe gleichen die letzten Lebensjahre der Käte Ahlmann "in gewisser Weise einer Apotheose". Sie wird mit Auszeichnungen überhäuft, darunter 1960 als erste Frau das "Große Bundesverdienstkreuz". Anlässlich ihres 70. Geburtstages im gleichen Jahr stiftet sie das Eisenkunstgussmuseum Büdelsdorf, damit die Sammlung, die sie und ihre Vorgänger zusammengetragen haben, angemessen aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Sie wird Ehrenbürgerin ihres Wohnortes & Ehrenpräsidentin der VdU.

Das ganze Frühjahr 1963 über fühlt sich Käte Ahlmann krank und erlebt etliche Fieberattacken. Schließlich stimmt sie einer Behandlung durch Marlenes Ehemann, dem Herzspezialisten Max Halhuber, in Innsbruck zu. Sie ordnet alles im Haus und verabschiedet sich am 5. Juni in Hamburg am Bahnhof von ihrem Enkel, der sie mit ihrem Fahrer dorthin gebracht hat. Sie will alleine reisen.

CC BY-SA 3.0
Ihr geschwächtes Herz erholt sich im Innsbrucker Sanatorium nicht mehr. Am Vormittag des 15. Juni 1963 stirbt sie. Am 21. Juni findet in der großen Werkshalle der Carlshütte die Trauerfeier statt.

Als sie stirbt, ist der von ihr als Erbe bestimmte Enkel erst elf Jahre alt. 1974 geht das Unternehmen in Konkurs. Das Werk besteht noch bis 1997.

Auf dem Nachbargelände entwickelt sich die ACO Severin Ahlmann weiter und auf dem Gelände der Carlshütte entsteht eine einmalige Kulturlandschaft, das "Kunstwerk Carlshütte". Dort, wo Kätes Haus gestanden hat, ist nur noch eine Wiese...

Am Ende dieses Posts war ich völlig erledigt von einem Leben, dessen Protagonistin doch aus jedem Schicksalsschlag neue Kraft geschöpft hat...






* Alle Zitate sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, der Biografie von Felicitas Glade entnommen


7 Kommentare:

  1. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Oma so einen Ofen hatte. Ja, was für ein Leben, welche Stärke.
    Liebe Grüsse
    Nina

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  2. Allein das Lesen nimmt einen mit. Was für eine Kraft und ein Selbstbewusstsein diese Frau hatte!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  3. Sehr beeindruckend, liebe Astrid,
    danke für all die Arbeit, die Du in diesen Post gesteckt hast. So etwas lese ich wirklich sehr gerne.
    Ich denke, wenn man im Dritten Reich überleben wollte, waren gewisse Anpassungen unumgänglich und sie hat ihre Stellung genutzt, um vielen Menschen zu helfen, was sonst sicher nicht möglich gewesen wäre. Und dieses Helfen zählt für mich.
    Ich wünsche Dir noch eine schöne Restwoche.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  4. Kein Wunder, dass Du erschöpft warst als Du den Post fertig hattest. Soviel Leben, soviel Energie, soviel Tod und Sterben und soviel Überlebenswillen, das strengt an. Auch mich als Lesende.
    Was diese Frau alles geleistet hat und wie sie sich mit den Nazis arrangiert hat, das ist bewundernswert und gleichzeitig auch etwas zwiespältig. Aber wahrscheinlich hätte sie nicht als Chefin überlebt, wenn sie dies nicht getan hätte. Da wäre sicher ein strammer Nazi eingestellt worden dafür und den Arbeitenden wäre es wohl schlechter ergangen. Frau Julius Ahlmann, da muss frau erstmal drauf kommen sich so zu nennen.
    Dass Ihr Werk nun als Ort der Kunst weiterlebt, finde ich einfach ganz besonders schön.
    Danke für die viele Arbeit, die Du inverstiert hast in diesem Post.
    Sie war es wert!
    GlG Sieglinde

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  5. Boah, wieder! Äußerst interessant!
    Wie die Gegebenheiten ein Leben beinflussen.
    Was für eine starke Frau!
    LG Urte

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  6. Ich kann gut verstehen, dass Du geschafft warst. Aber dieser Bericht ist sehr aufschlussreich, wieder eine von den Frauen, die für uns vorgearbeitet haben und wir sind noch lange nicht am Ende.
    LG
    Magdalena

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  7. Mir ging es vom Lesen alleine ähnlich. Vielen Dank für dieses wireder sehr mitreissende Porträt einer Frau die ich überhaupt nicht kannte.
    Schönen 2. Adventssonntag!
    Doro

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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