Montag, 5. August 2019

Mein Freund, der Baum: Grau- oder Weißerle

Bei einem Spaziergang am Rande des Murnauer Mooses vor drei Wochen habe ich Bäume entdeckt, die mir wegen der Früchte bekannt vorkamen und doch irritierend anders geformte Blätter aufwiesen. Das hat meine Neugier geweckt, und dank Internetrecherchen fühlte ich mich bald bestätigt: Das waren nicht die viel bekannteren und üblichen Schwarzerlen, sondern Grauerlen!



Die Grau- oder Weißerle Alnus incana ist ein sommergrüner, 10 bis maximal 25 m hoher Laubbaum aus der Gattung der Erlen mit ca. 30 Arten in der Familie der Birkengewächse, der in ganz Europa bis zum Kaukasus vorkommt, in den Alpen auf bis zu 1600 Meter Höhe ( und damit höher als die Schwarzerle ) anzutreffen ist und überwiegend Gewässer begleitet. Bei uns kommt sie vor allem in Süddeutschland vor. Bis -28°C ist sie frosthart.

Diese Erle wird oft zur Aufforstung von Abraumhalden und zur Stabilisierung von Hängen und Böschungen verwendet, verfügt sie doch über eine enorme ökologische Standortsamplitude: Neben Auenstandorten im Gebirge ( dort wird sie oft "Bergerle" genannt ), besiedelt sie auch solche, in denen der Mutterboden abgetragen worden ist oder wo durch Sand-, Kies-, und Schotteraufschwemmungen nährstoffarme Böden entstanden sind. Auch in offen gelassenen Kiesgruben und Baggerlöchern findet man sie, denn dort droht ihr kaum Konkurrenz anderer Gehölzarten. Sie ist damit eine Pionierpflanze par excellence!


Die Grauerle wächst ein- oder mehrstämmig, wobei die Stämme selten einen Durchmesser von vierzig Zentimeter überschreiten. Sie ist reich verzweigt in der Krone, oft aber auch nur strauchförmig ausgebildet, denn die Stämme bleiben gerne kurz, wachsen krumm oder drehwüchsig. In dichten, schattigen Beständen bildet die Grauerle üppige Stockausschläge oder Wasserreißer.  Sie entwickelt - im Gegensatz zur Schwarzerle - keine Borke, die Rinde ist vielmehr glatt, reißt auch im Alter kaum auf, hellgrau gefärbt und locker mit Korkporen besetzt. An zusagenden Standorten ist diese gerne von Flechten übersät.


Die Grauerle verfügt über ein Herzwurzelsystem mit kräftigen Horizontalwurzeln mit einer Reichweite von 2 bis 3 Meter in der Breite und einer Tiefe von 90 Zentimetern auf tiefgründigen Böden. Ist der Standort stark überflutet, entwickelt sie sogenannte Adventivwurzeln - i.e. zusätzliche, neu gebildete Wurzeln an Pflanzenteilen, die zuvor keine Wurzeln hatten -, die sich zu Stelzwurzeln mit zahlreiche Korkporen auswachsen können.

Eine Besonderheit des Baumes sind die Wurzelknöllchen: Durch Symbiose mit dem Bakterium Frankia alni können die den Stickstoff der Luft binden - eine Fähigkeit, die sonst nur Leguminosen ( Schmetterlingsblütler) haben. Dadurch ist der Erle die Besiedlung stickstoffarmer Böden überhaupt möglich, und sie trägt zur Bodenverbesserung bei. So wurden Werte von bis zu 200 kg in den Knöllchen gespeicherten Stickstoffes pro Hektar und Jahr errechnet, was einer landwirtschaftlichen Volldüngung entspricht! ( Deshalb hat es die Erle auch nicht nötig, vor dem Laubfall die Inhaltsstoffe den Blättern zu entziehen und diese behalten ihren grünen Farbstoff. )

Für die Fähigkeit der Grauerle, monatelang in überschwemmtem Gelände zurechtzukommen, ist ein lufthaltiges Wurzelgewebe, das sogenannte Aerenchym, verantwortlich, welches den Bäumen ein Überleben unter Luftabschluss sichert.



Die Blätter der Grauerle sitzen im Gegensatz zur Schwarzerle auf behaarten Stielen und haben eine deutliche Spitze, während die der Schwarzerle als eindeutiges Erkennungsmerkmal eine eingebuchtete Blattspitze besitzen, die dem Blatt eine Art Herzform gibt. 

Auffällig ist die starke Zähnung der Blattränder der Grauerlen, die vor allem im Austrieb etwas weicher sind und niemals klebrig. Sie sind 4 bis 10 Zentimeter lang und 3 bis 7 Zentimeter breit, variieren aber stark in Größe und Blattform. Ihre Unterseite ist graugrün und bei jungen Blättern grau-filzig behaart. Die Blätter werden im Herbst noch grün abgeworfen ( siehe auch weiter oben ). 

Besonders ist, dass auch zwei behaarte Nebenblätter gebildet werden, die aber im Frühsommer abgestoßen werden, ebenso wie die ersten und untersten Blätter der Jahrestriebe, die von den später erscheinenden, oberhalb befindlichen so beschattet werden, dass sie nicht mehr überleben können. Das ist also eine ganz natürliche Angelegenheit und kein Schadsymptom, sondern Folge des extrem hohen Lichtbedarfs dieser Baumart.

Die Grauerle ist wie alle Erlen windblütig und einhäusig. Die Blüten haben eine Würstchenform wie die Birken und tauchen von Februar bis März, etwa drei Wochen vor der Schwarz-Erle, am Baum auf. Zum Herbst entwickeln sich daraus die bekannten verholzten, kleine Zapfen - für einen Laubbaum übrigens ungewöhnlich! Diese werden im Winter gerne von Vogelschwärmen heimgesucht, welche die darin befindlichen Flügelnüsschen als Nahrung besonders mögen. Verbreitet werden die Samen durch Wind und Wasser. Die Wasserverbreitung ist besonders effektiv, weil die Wahrscheinlichkeit, einen gut wasserversorgten Rohboden zu finden, hoch ist. 


Die Grauerle verbreitet sich aber auch gerne, besonders in Skandinavien, vegetativ durch Wurzelbrut und Stockausschlag. 

Das Holz der Grau-Erle wird wenig geschätzt und verwendet, weil die Stämme oft krumm und von geringem Durchmesser sind. Frisch geschlagen ist es auffällig orangerot, mit dem Austrocknen rötlichweiß, rötlichgelb bis hell rötlichbraun gefärbt.

Vom zum Ende des 20. Jahrhunderts auftretenden sogenannte Erlensterben sind auch Grauerlen  besonders betroffen und damit gefährdet. Der Befall mit einem Eipilz namens Phytophthora alni führt zu einer Wurzel- oder Wurzelhalsfäule und die so infizierte Bäume sterben meist schon nach wenigen Monaten ab. Häufig sind gleich ganze Gehölzsäume betroffen. In Deutschland wurde die Krankheit 1995 erstmals nachgewiesen. Auch zwei Schlauchpilzarten setzen den Bäumen zu sowie Ständerpilze, die sonst nur auf Totholz zu finden sind, und Rußtaupilze.

Unter den Insekten, die den Erlen generell zusetzen, ist der bekannteste der Blaue Erlenblattkäfer Agelastica alni, der in manchen Gegenden die Erlen bis zu dreimal im Jahr kahl frisst.


Viele nordische Sagen und Gebräuche ranken sich um die Erle, der Zauber abwehrende Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Deshalb wurden Erlenzweige aufgehängt, um Haus und Hof vor Hexen zu schützen. In den Erlenwäldern  sollten sich besonders gerne Elfen und Geister herumtreiben. Die bekannte Goethe - Ballade vom Erlkönig hat aber nichts mit dem Baum zu tun: Vielmehr geht sie auf einen Übersetzungsfehler Gottfried Herders zurück, der aus dem dänischen "ellerkonge" ("Elfenkönig") einen Erlkönig gemacht hat. 


Mit diesem Post beteilige ich mich an Ghislanas Naturdonnerstag/ Schwerpunkt "Baum" - ein letztes Mal, denn sie gibt diese Linkparty wieder zurück an Jutta. Vielen, vielen Dank für die schöne & anregende gemeinsame Zeit!


8 Kommentare:

  1. Da sieht man doch mal wieder, welch ein Wunderwerk ein Baumorganismus ist. Ich werde hier in "Fast-Lappland" mal nach Erlen Ausschau halten...liebe Grüße, Taija

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  2. Oha, wie schön Astrid,
    ich muß gestehen, ich habe auf die Bäume nicht geachtet, weil wir hier soviele haben und ichmuß jetzt mal gucken, ob deine Erle auch dabei ist.

    Superschön gemacht.

    Lieben Gruß Eva

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  3. Wow, hast Du viel über die Grauerle zusammengetragen. Höchst interessant, sind sie mir doch im Murnauer Moos im Februar auch begegnet, jedoch ohne Blatt und ich dachte, sie sind eben Erlen...
    Dass ihr Holz nicht so beliebt ist, ist sicher eher gut für sie.
    Und dass der Erlkönig ein Übersetzungsfehler ist, habe ich auch gleich noch dazu gelernt. Dass Herder das passieren konnte, tststs... :-)

    @Danke nochmal, liebe Astrid, dass Du so dekorativ im Broschen-Post bei mir dabei bist. Ich habe mich sehr darüber gefreut.

    Herzlichst, Sieglinde

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  4. du bist die erlenkönigin! :)

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  5. Da habe ich wieder eine Menge gelernt und werde in Zukunft genauer hinschauen.
    Die Herkunft des Erlkönigs wird ja auch kontrovers diskutiert.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. ein wunderschöner Baum
    und du hast viel Wissenswertes über ihn zusammen getragen
    ich wußte auch nicht dass es zwei Arten gibt
    schade dass sie so bedroht sind
    aber ich hoffe sie vermehren sich ausreichend um das auszugleichen

    liebe Grüße
    Rosi

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  7. Da hast du mir doch jetzt einen für mich tatsächlich noch gänzlich unbekannten Baum spendiert und ich bin gespannt, wo ich ihm erstmals begegne. Die Rinde kommt mir irgendwie bekannt vor, mal sehen, wann und wo ich fündig werde. Vielen Dank, liebe Astrid, für die vielen Bäume, die du uns hier so detail- und facettenreich vorgestellt hast... Lieben Gruß Ghislana

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  8. Ein höchst interessantes Baumportrait, besonders die Knöllchengeschichte ist ja sehr spannend. Danke vielmols. Liebgruß, Eva

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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