Donnerstag, 18. Januar 2018

Great Women # 128: Marietta Blau


Marietta Blau - wer denkt bei diesem Namen schon an eine Physikerin, eher doch an eine schmetterlingshafte Tänzerin oder eine andere Vertreterin der leichten Muse. Doch als ich mich mehr in ihre Geschichte vertieft hatte, wurde mir mal wieder überdeutlich klar, dass ich da eine Entdeckung gemacht hatte und erneut die Auswirkungen dieses fürchterlichen 20. Jahrhunderts auf einzelne Menschenleben studieren konnte ( besonders schlimm, wenn man Frau UND Jüdin war ). Und ich beschloss, wieder einmal gegen das Vergessen anzuschreiben und an eine Frau zu erinnern, die im Januar vor 48 Jahren verstorben ist und die als Wissenschaftlerin Beachtliches geleistet hat.

Marietta Blau kommt am 29. April 1894 in Wien 2 in der Schmelzgasse 6 als zweites Kind und einzige Tochter des Juristen, Hof- und Gerichtsadvokaten und Musikverlegers Mayer Markus Blau und seiner Frau Florentine Goldenzweig ( Golwig wird daraus, nachdem sich Familienmitglieder vom jüdischen Glauben abwenden ) zur Welt. Das seit 1891 verheiratete Paar hat zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Söhne, Otto & Fritz. Letzterer stirbt im Jahr nach Mariettas Geburt, ein Verlust, der nicht spurlos an der damals 26jährigen Mutter, aber auch den beiden Geschwistern vorübergegangen ist. Ein weiterer Sohn, Ludwig, wird dann 1896 geboren. 

Die Familie gehört dem gehobenen jüdischen Mittelstand an, ihre Vorfahren sind seit Generationen in Deutschkreutz im Burgenland und in Wien ansässig. Immer wieder ziehen die Blaus um, meist in eine noch elegantere Wohnung rund um den Franz-Josefs-Kai, was auf einen wirtschaftlichen Aufstieg der Familie schließen lässt.

Schulgebäude Rahlgasse
Etta, wie das Mädchen in der Familie genannt wird, besucht ab Oktober 1900 die Übungsschule der k.k. Lehrerbildungsanstalt  in der Hegelgasse 12 im 1. Wiener Bezirk, ab Oktober 1905 dann bis zum Sommer darauf die Vorbereitungsklasse des Privat-Mädchen-Obergymnasiums des Vereines für erweiterte Frauenbildung. Im Anschluss daran absolviert Marietta die acht Gymnasialklassen der Schule. Diese, 1892 gegründet, ist eine Pionierstätte der österreichischen Mädchenbildung, später in der Rahlgasse 4 im vierten Bezirk gelegen. Marietta, eine von 22 Jüdinnen in der 50 Schülerinnen umfassenden Eingangsklasse, zeigt zwar exzellente Leistungen, ist aber wohl nicht angepasst genug und muss die Schulzeit unterbrechen und Privatunterricht nehmen - die Gründe dafür bleiben spekulativ. Ab 1910 besucht sie dann wieder nach einer erneuten Aufnahmeprüfung die Schule und legt dort im Juli 1914 ihre Matura ( Reifeprüfung ) mit Auszeichnung ab. Diese Reifeprüfung absolvieren die Schülerinnen extern am Akademischen Gymnasium, Marietta in den Fächern Deutsch, Griechisch, Vaterlandskunde und Mathematik. Physikunterricht hat sie nur in drei Schuljahren gehabt.

Obwohl ihr "Traum immer Kinder - Nervenärztin war" schreibt Marietta sich im November 1914 als ordentliche Hörerin in Physik als Hauptfach und Mathematik als Nebenfach an der philosophischen Fakultät der Universität Wien ein. Marietta ist nicht die einzige aus ihrer Gymnasialklasse, die ein naturwissenschaftliches Studium beginnt: Von den 22 Mitschülerinnen wählen alleine neun ein solches Fach. Bedingt durch den Kriegsausbruch steigt in jener Zeit der Anteil der weiblichen Studierenden sprunghaft an. 

Bildarchiv,
Zentralbibliothek für Physik in Wien
Die junge Studentin muss ihr Studium allerdings 1916 unterbrechen: Sie "kriegt die Motten", wie es in Wien heißt, seit zum Ende des 19. Jahrhunderts in den schlimmen Wiener Arbeitervierteln die Tuberkulose wieder ausgebrochen ist ( und weit in die Zwanziger Jahre die Menschen heimsuchen wird, wie bei Grete Lihotzky in diesem Post beschrieben ). Ein Heilstättenaufenthalt zur Behandlung wird notwendig.

Schließlich kann sie aber 1918 am II. Physikalischen Institut mit ihrer Dissertation "Über die Absorption divergenter Gamma-Strahlen" promovieren, betreut von Stefan Meyer & Franz Serafin Exner. 1919 - im selben Jahr stirbt der Vater, 65jährig - promoviert sie dann auch noch zum Doktor der Philosophie mit Auszeichnung. Da die Mutter sie materiell noch weiter versorgen kann, reicht es, dass Marietta danach erst einmal am Zentralröntgeninstitut in Wien hospitiert.

Stefan Meyer (1908)
Vom 1. Juli bis zum 30. Dezember 1921 erhält sie dann eine Anstellung als Physikerin in Berlin in einer Röntgenröhrenfabrik, führt dort elektrotechnische und spektralanalytische Untersuchungen durch - eine Stelle, die sie gerne aufgibt, als ihr eine universitäre Assistentenstelle in Frankfurt am Main geboten wird. Zum Jahresbeginn 1922 wirkt sie am dortigen Institut für Physikalische Grundlagen der Medizin, kümmert sich um wissenschaftliche Arbeiten und Untersuchungen für verschiedene Industrien, unterrichtet künftige Röntgenärzte, betreut Dissertationen.

Nach zweieinhalb Jahren in Deutschland kehrt sie aber im Oktober 1923 wieder heim nach Wien, aus familiären Gründen, denn ihre Mutter ist schwer erkrankt, und Marietta fühlt sich verpflichtet, sich zu kümmern. Das II. Physikalische Institut und das Institut für Radiumforschung in Wien bieten ihr allerdings die Möglichkeit, unbezahlt weiter zu forschen, woran ihr Herz besonders hängt. Und das immer noch vorhandene Familienvermögen erlaubt ihr das ( wie einhundertsiebzig anderen Forschern in jenen Tagen dort ). Physiker auf freiwilliger Basis zu beschäftigen, ist gang & gäbe, da die Akademie der Wissenschaften nicht über genügend finanzielle Mittel verfügt. Wenn wundert's, dass ein außergewöhnlich hoher Prozentsatz der unbezahlten Forscher dann auch Frauen sind, die von ihren Familien unterstützt werden ( zwei Drittel der Wissenschaftler am Radiuminstitut waren übrigens weiblich ).

Marietta Blau im Radium Institut um 1925
Marietta zeigt am Institut, was sie kann. Sie beginnt ab 1924 zu untersuchen, ob nicht fotografische Emulsionen zum Nachweis von Atomzertrümmerungsprozessen verwendet werden können.

Sie traut sich sogar, sich um eine Assistentenstelle zu bemühen. Ihr Doktorvater Stefan Meyer schreibt in seiner Befürwortung vom 27. Oktober 1930:
"Alle ihre Untersuchungen zeichnen sich durch minutiöse Präcision aus und zeugen von theoretischem und experimentellem Können, von grossem experimentellem Geschick, Ausdauer und peinlichster Gewissenhaftigkeit."
Die Antwort auf ihre Bewerbung ist: "Sie sind Jüdin und eine Frau, und das zusammen ist einfach zu viel."

Ein Internationales Stipendium des Verbandes der Akademikerinnen Österreichs bringt ihr 1932 ein Semester bei Robert Pohl in Göttingen ein, wo sie in der Kristallphysik Untersuchungen anstellt. Ein zweites Semester verbringt sie anschließend am Institut Curie in Paris bei Madame Curie. Die sonst im Privaten so scheue und Zurückweisung befürchtende junge Frau tritt auf diesem internationalen Parkett selbstbewusst als Expertin gegenüber anderen Physikergrößen auf.

Ins inzwischen braun gesprenkelte Deutschland kann sie - obwohl das ursprünglich ihr Plan gewesen ist - danach nicht mehr zurück. 

Hertha Wambacher
Seit 1928 hat Marietta eine Doktorandin betreut, mit der sie höchstens der Besuch der gleichen Schule verbindet, der Rahlgasse: Hertha Wambacher. Sonst sind die beiden äußerlich wie charakterlich sehr verschieden, Marietta, eher zielstrebig und erfolgreich, Hertha, robust und weniger entschlossen. So dauert es auch bis 1932, bis Hertha Wambacher ihre Promotion zum Abschluss bringt. Es folgen sechs Jahre der engen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der fotografischen Methoden, um nukleare Prozesse, insbesondere die Kernspaltung, zu beweisen, ein Gebiet, auf dem Marietta Blau heute als Pionierin betrachtet wird.

"Die wohl größten Vorteile der photographischen Methode liegen in der Einfachheit, mit der Experimente bewerkstelligt werden können."

Wirklich einfach und klein ist das tragbare Labor, mit dem sie forscht: eine Schachtel Fotoplatten, ein Mikroskop, ein paar einfache Chemikalien... 

Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin entwickelt sie eine Technik, um fotografische Emulsionen für die Erforschung der kosmischen Strahlung einzusetzen. Zusammen veröffentlichen sie in den Jahren 1932 - 38 zwanzig Arbeiten und erhalten für ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen diverse Preise, z.B. 1936 den Haitinger–Preis der österreichischen Akademie der Wissenschaften. 

1936 beginnen sie mit Untersuchungen über das Vorkommen von schweren Teilchen in der kosmischen Strahlung. Dabei entdecken sie "Sterne", verursacht durch kosmische Strahlung, die auf neue Teilchen hinweisen.

Diese Entdeckungen ermutigen sie zu neuen Experimenten auf Bergstationen in verschiedener Höhen- und Breitenlage. 1937 wird ein neues Muster von Spuren entdeckt, nachdem die beiden Forscherinnen am kosmischen Strahlenobservatorium auf dem Hafelekar, einem 2300 Meter hohen Berg, mehrere Monate lang fotografische Platten exponiert haben. Aufgrund der sternförmigen Form dieser Spuren nennen sie sie "Zertrümmerungssterne". Sie veröffentlichen die Ergebnisse ihrer Untersuchung in "Nature", einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften, und stoßen in wissenschaftlichen Kreisen auf großes Interesse, besonders bei theoretischen Physikern, denn sie bestätigen die bisher theoretischen Annahmen über die Energie der kosmischen Strahlen.

Zertrümmerungssterne mit von einem zentralen Punkt ausgehenden Spuren auf einer Fotoplatte,
die 5 Monate auf 2300 m Höhe der kosmischen Strahlung ausgesetzt war
Source


1937 erhält die Physikerin den Lieben- Preis der Wiener Akademie der Wissenschaften für ihre Entdeckung. Durch Vermittlung von Stefan Meyer soll sie von der Akademie der Wissenschaften einen Betrag bekommen, der Ballonflüge ermöglichen soll zur weiteren Erforschung des Phänomens der Zertrümmerungssterne. Doch die politischen Ereignisse in Österreich 1938 machen das zunichte...

Hertha Wambacher ist seit 1924 unterstützendes Mitglied der österreichischen Heimwehr gewesen und im März 1934 der NSDAP beigetreten. Ihre politische Haltung scheint sich lange Zeit nur geringfügig auf die Zusammenarbeit mit Marietta Blau ausgewirkt zu haben. Die Wende kommt mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich. Nur für einen kurzen Augenblick hat sich Marietta Blau auf dem Höhepunkt ihrer Karriere fühlen dürfen. Nun gewinnt ihre einstige Studentin und Mitarbeiterin, überzeugt von den Vorrechten ihrer Ahnen & Ahninnen, die Oberhand über die Lehrerin, die von Zeitzeugen für die eigentliche Kraft bei den gemeinsam betriebenen Forschungen gehalten wird.

Als Jüdin muss die Physikerin nach dem Anschluss Österreichs das Radiuminstitut, in dem sie fünfzehn Jahre lang gearbeitet hat, im März 1938 verlassen. Aufgrund einer Einladung von Ellen Gleditsch, Professorin für Anorganische Chemie an der Universität in Oslo, die in den Jahren 1937/38 am Wiener Radiuminstitut geforscht hat, kann sie noch gerade rechtzeitig nach Oslo ausreisen.
"Ich habe am 12. III. um 7 h abends Wien verlassen u. war mir eigentlich nicht klar über die politische Lage; ich hätte schon anfangs März wegfahren sollen u. habe es immer wieder verschoben u. bin vielleicht als letzter Oesterreicher über die deutsche Grenze gekommen. Man wußte in Wien bis zum letzten Moment nicht, was uns bevorstand u. mir kamen erst auf der Reise die deutschen Truppen entgegen u. erst da wußte ich, daß man alle Hoffnung aufgeben mußte. Ich weiß jetzt nicht, ob ich jemals zurückkommen kann oder als Flüchtling behandelt werde u. bin natürlich ganz verzweifelt." ( Brief an Friedrich Paneth vom 21. März 1938 )
Mexikanische Identitätskarte
Source
In Oslo veröffentlicht Marietta eine weitere Arbeit, kann dort aber nur eine Zeit lang bleiben.

Schon vier Wochen vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich hat sich Albert Einstein an mexikanische Stellen gewandt und um eine Stelle für seine Wiener Kollegin ersucht. Ein Jahr später bittet er einen New Yorker Freund um Vermittlung. Ohne Erfolg bleibt auch sein Versuch, mit Hilfe der American Association of University Women Marietta Blau in den USA eine Stelle zu verschaffen.

Doch dann ist doch noch Rettung in Sicht, für sie und ihre Mutter, die sie mitnehmen kann, als sie 1939 einen Ruf an die Technische Hochschule von Mexiko City erhält. Von Oslo fliegt sie mit Zwischenlandung in Hamburg nach London, ihre Mutter kommt direkt dorthin aus Wien und gemeinsam gelangen sie per Schiff nach Mexiko. ( Bruder Otto flieht nach England bzw. die Schweiz, Bruder Ludwig landet schließlich in den USA. )

Marietta Blau ganz rechts 
Marietta wird also Professorin für Physik und kann weiter an Untersuchungen über radioaktive Gesteine arbeiten. Doch selbst für eine immer genügsame Marietta Blau sind die Mittel bescheiden, die sie zur Verfügung bekommt, und die Arbeitsbedingungen sehr ungünstig. Ihre Hauptaufgabe ist vor allem die Lehrtätigkeit, die in ihren Augen aber keine richtige Arbeit ist, anders als die geliebte wissenschaftliche Forschung. Auch als einzige Frau an der Hochschule hat sie erhebliche Probleme.

Trotzdem gelingt es ihr während ihrer fünf Jahre in Mexiko sechs wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen.

1944 ereilt sie ein weiterer Schicksalsschlag, als ihre Mutter zum Jahresbeginn nach langer Leidenszeit an Leberkrebs stirbt und sie selbst sich mit Typhus infiziert. Im selben Jahr nimm Marietta die Gelegenheit wahr, in die USA zu übersiedeln, wo ihr Bruder Ludwig lebt. An Stefan Meyer schreibt sie rückblickend auf die Zeit in Mexiko:
"Das Leben dort war außerordentlich anregend u. interessant aber auch ziemlich abenteuerlich. […] Aber ich habe damals so viel Güte und Liebe von Menschen dort empfangen, daß mir die Erinnerung daran sehr wertvoll ist."
Zuerst ist sie in den Staaten bei der "Canadian Radium and Uranium Corporation" beschäftigt, arbeitet verschiedene Patente teils alleine, teils mit Mitarbeitern aus und publiziert verschiedene Arbeiten über Messmethoden für radioaktive Präparate, bis sie von der "Atomic Energie Comission" an die Columbia University (New York City) als Research-Physiker berufen wird.

Ihre in Wien zurückgelassenen halbfertigen Arbeiten, darunter auch von der Gestapo beschlagnahmte Aufzeichnungen aus einem Forschungszeppelin, werden durch ihre dortigen Kollegen weitergeführt und publiziert. Ihre Zugehörigkeit zur NSDAP  haben diese zuvor durch Einlassungen wie "man habe nur dem NS - Lehrerbund für karitative Zwecke gespendet" gründlich vernebelt. Ihre ehemalige jüdische Kollegin erwähnen sie in diesen Veröffentlichungen mit keiner Silbe. Als Hertha Wambacher, die ehemalige Studentin, 1950 stirbt, wird sie im Nachruf als alleinige Entdeckerin der "Zertrümmerungssterne" gewürdigt. Ihre Lehrerin selbst hat in einer Festschrift kurz vor Wambachers Tod noch ihre gemeinsame Zusammenarbeit als fair und vollständig bezeichnet.

1967
Source
Bis 1960 arbeitet Marietta noch an diversen amerikanischen wissenschaftlichen Einrichtungen, bis ihr ihre, durch die radioaktive Strahlung, der sie immer ausgesetzt gewesen ist, geschwächte Gesundheit einen Strich durch die Rechnung macht: Schmerzhafte Schäden an den Händen und der Graue Star behindern sie so, dass sie ohne Operation nicht weiter machen kann. Mit ihrer geringen Pension in den Vereinigten Staaten kann sie die notwendigen medizinischen Leistungen nicht bezahlen. In Österreich hat sie zwar auch keinen Anspruch auf eine Pension ( da sie dort ja nie für ihre Forschungsleistungen bezahlt worden ist ), aber die medizinische Ausgaben sind günstiger. Marietta Blau beschließt also, nach Wien zurückzukehren.

Als sie 1960 also wieder heimkehrt, ist sie bereits drei Mal - vergeblich - für den Nobelpreis vorgeschlagen worden und findet in ihrer Heimat eine durch die unaufgearbeitete Nazivergangenheit vergiftete Atmosphäre vor, die auch ihre weiteren vier Jahre Tätigkeit am Radiuminstitut schwierig gestalten.

Kränkend ist für sie, dass sie trotz ihrer unbestrittenen wissenschaftlichen Leistungen wieder nur als freie Mitarbeiterin tätig sein kann, ihre ehemalige Kollegin Berta Karlik aber die Institutsleitung innehat. Noch schlimmer: Georg Stetter, ein ehemaliger Nationalsozialist und Leiter des Radiuminstitutes nach der Machtübernahme, ist sogar als Professor am Physikalischen Institut beschäftigt. Trotz ihrer Geldnöte verbietet es ihr ihr Stolz, um eine besoldete Stelle am Institut zu fragen. Als 1961 der Antrag gestellt wird, Marietta Blau als korrespondierendes Mitglied in die Akademie der Wissenschaften aufzunehmen, findet dieser Antrag nicht die erforderliche Mehrheit.

Dass die außergewöhnlich engagierte & fähige Forscherin mit ansehen muss, dass die, denen die politischen Verhältnisse gewogener waren, auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse zur photographischen Methode mit internationaler Anerkennung bedacht worden sind, führt für mich nachvollziehbar zur Verbitterung. Und es ist unverschämt, Marietta Blaus Gefühlslage nach der Rückkehr in die Heimatstadt darauf zurückzuführen, dass sie sich selber in die Ecke gestellt hat, wie es ihr die ehemalige Kollegin Berta Karlik dereinst vorgeworfen hat.

Immerhin bekommt sie 1962 den Erwin-Schrödinger-Preis verliehen: 
"Die Verleihung des Erwin-Schrödinger-Preises für das Jahr 1962 in der Höhe von 30.000.- Schilling an Frau Dr. Marietta Blau, ehem. Professor an der Universität Miami (Florida), für die Entwicklung der grundlegenden photographischen Methode zur Untersuchung von Elementarteilchen und insbesondere für die gemeinsam mit Frau Dr. Wambacher gemachte Entdeckung der Zertrümmerungssterne." ( Aus der Begründung )
1967 folgt der Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaften und eine Plakette vom Radium Institut in Paris, 1969 wird ihr von der Universität Wien das Goldene Doktordiplom zuerkannt. Da ist sie schon an Krebs erkrankt. Am 27. Januar 1970 verstirbt Marietta Blau nach viermonatigem Krankenhausaufenthalt. 

Keine wissenschaftliche Zeitschrift sieht sich veranlasst, einen Nachruf zu veröffentlichen. Auch Cecil Powell, dessen Arbeiten wesentlich von ihr und Wambacher inspiriert worden sind, erwähnt 1950 in seiner Nobelpreisansprache die Kollegin mit keinem Wort.

Erst in diesem Jahrtausend beginnt man sich auf Marietta Blau zu besinnen: 

Zu ihrem 109. Geburtstag 2003 gibt es eine Gedenkveranstaltung im Großen Festsaal der Wiener Universität, in deren Rahmen auch das Buch "Marietta Blau – Sterne der Zertrümmerung" der Öffentlichkeit präsentiert wird.  2004 wird eine Tafel an ihrem ehemaligen Gymnasium angebracht und 2005 ein Hörsaal der Wiener Universität nach ihr benannt und eine Gasse in Wien-Donaustadt.

"Marietta Blau ist die tragischste Figur in der Geschichte der kosmischen Strahlung. Ihr Leben und ihre Arbeit waren von Widrigkeiten und Rückschlägen geprägt, doch ihre Leistungen und die Ergebnisse ihrer Arbeit übertreffen die vieler anderer, denen der Nobelpreis im Zusammenhang mit der kosmischen Strahlung verliehen wurde. "( Georg Federmann, Institut für Radiumforschung und Kernphysik Wien )





15 Kommentare:

  1. Das Schicksal dieser Naturwissenschaftlerin ist wirklich beschämend für die deutsche und österreichische Wissenschaftsszene. Eine Verbitterung wäre absolut nachvollziehbar.
    Immerhin ist sie dreimal - leider vergeblich - für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. Das ist ein kleiner Trost, dass sie irgendjemand im Bewusstsein hatte...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  2. Furchtbar tragisch. Zum Glück kam sie noch rechtzeitig weg aus Europa.
    Man hätte ihr die Anerkennung doch zu Lebzeiten gewünscht.
    Liebe Grüße

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  3. Vielen Dank für deinen Bericht über diese ungewöhnliche Frau. Leider gibt es ja noch sehr viele solcher Lebensgeschichten, die so oder so ähnlich stattgefunden haben. Grüße von Rela

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  4. Hallo Astrid,
    die Ehrungen hätte sie zu Lebzeiten verdient.
    Aber zum Glück gab in diesen turbulenten Zeiten
    doch ein paar weinige Menschen die alles in ihrer
    Macht stehende versucht haben, wenn auch ohne Erfolg.
    Du hast mal wieder sehr interessant geschrieben.
    Danke!
    Liebe Grüße, Kerstin

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  5. Danke, liebe Astrid, für deine regelmäßigen Portraits hochbegabter Frauenschicksalen, die beschämenderweise fast immer tragisch enden.
    Lieben Gruß
    Gerda

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  6. Wahrlich vergiftet, dieses Frauenleben. Vom Radium und von der Mitwelt. Dabei hatte sie solches Potential.
    Der Akademische Betrieb ist ja eh eine Schlangengrube - noch heute.
    Bisher hatte ich jedoch noch nie von ihr gehört. Sehr spannend und - wie so oft bei den Great Women - auch traurig.
    Danke und liebste Grüße, Sieglinde

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    1. Fürwahr wahr: Schlangengrube! Im Februar porträtiere ich eine meiner Professorinnen - die hat auch Einiges ertragen müssen.
      LG

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  7. Ein spannendes Thema- mit dieser Thematik kenne ich mich garnicht aus, deshalb doppelt interessant. Und- wie oben schon erwähnt, tragisch und beschämend. Warum müssen erst immer soooo viele Jahre vergehen um eine Anerkennung zu bekommen. Zum Glück gibt es genügend Menschen die- Trotz < Schlangengrube< sie heute würdigen.
    Danke für deinen Post und Gruß zu dir
    heiDE

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  8. Wie immer habe ich Deinen Post über die “Great Women” bei der zweiten Tasse Kaffee gelesen. Ich frage mich wie all diese hochbegabten Frauen, die ständigen Zurücksetzungen ertragen haben. Ich bin ja friedlich, aber da wäre mir wohl des Öfteren der Kragen geplatzt, obwohl das wahrscheinlich auch nichts gebracht hätte.
    Liebe Grüße
    Sigi

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  9. es hat mich gerade wieder sehr wütend gemacht, dass eine solch kluge frau wieder mal voll ins hintertreffen geraten ist. blau's ehemaligen mitarbeitern, die sich ihre wissenschaftlichen ergebnisse unter den nagel gerissen haben, sollte man jeglicheehrungen absprechen.
    liebe grüße
    mano

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  10. Vielen Dank für deinen interessanten Artikel, mal wieder über eine Frau, von der ich noch nie etwas gehört hatte. Ich bin immer wieder berührt von solchen Lebensgeschichten.
    Herzlichen Gruß!
    Doro

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  11. wieder ein sehr interessanter Lebenslauf von einer Frau
    die sich nicht hat verbiegen lassen
    die zielstrebig ihren Weg gegangen ist
    ins solchen schlimmen Zeiten zeigt sich immer der wahre Charakter eines Menschen
    liebe Grüße
    Rosi

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  12. Gänzlich unbekannt. Wie interessant wieder einmal und wie beschämend für die Akadmiker - nur in Geldnot gibt es mehr weibliche Wissenschaftler, weil diese unbezahlt arbeiten. Lässt mich doch recht wütend werden und hoffe, dass diese ihren Frieden gefunden hat.

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  13. Nie von ihr gehört, umso begeisterter von deinem artikel bin ich! ja, erst frau und jüdin und zur flucht gezwungen, zurückgekommen wiederholt es sich grad wieder - weil die nazichargen entnazifiziert fröhlich weiter arbeiten konnten, grrr. hühnesuppige abendgrüße, eva

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  14. Nun habe ich das spannende Marietta-Blau-Porträt von dir noch nachgelesen, was für ein Leben mit soviel Auf und Ab, voller Gefahren und Demütigung... Liebe Grüße nach Köln Ghislana

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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