Freitag, 13. Mai 2016

Wie gefährdet sind Blogger in muslimischen Ländern?


Raif Badawi ist nunmehr seit 1448 Tagen eingekerkert, weil er gesagt hat, was er denkt, weil er ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen aller Religionen und Atheisten gefordert hat. Inzwischen weiß ich, dass er von Glück sagen kann, dass er noch lebt, nicht Opfer des Mobs auf der Straße oder von Killer - Kommandos selbst ernannter Verteidiger des Glaubens geworden ist, sondern vor einem Gericht - welcher Justizauffassung auch immer - durch sein Bekenntnis zum Glauben dem Tode entgangen ist, der ja eigentlich auf den Abfall vom Glauben in Saudi - Arabien gesetzlich vorgeschrieben ist.


In der letzten Woche habe ich  schon über den marokkanischen Blogger, Atheisten & politischen Aktivisten Kacem El Ghazzali berichtet, der in der Schweizer Botschaft in Marokko um Asyl gebeten hatte und nun in der Schweiz lebt.

Heute möchte ich an einen Blogger erinnern, der sehr viel weniger Glück gehabt hat: Nazimuddin Samad, ein 28jähriger Jura - Student  in der bangladesischen Hauptstadt Dhaka. Dieser wurde vor einem Monat, am 6. April 2016 abends, auf dem Heimweg von der Universität von Motorradfahrern abgefangen, mit Macheten verletzt und am Boden liegend dann mit Schusswaffen brutal ermordet. ( Quelle hier ) 

Nazimuddin Samad, von seiner Facebook-Seite

Nazmuddin Samed hatte sich in einer Facebook-Kampagne für den Säkularismus in seinem Land eingesetzt und war ein entschiedener Kritiker der radikalen Islamisten, die seine Heimat zunehmend infizieren. 2013 hatte er an Protesten gegen islamistische Religionsvertreter mit den politischen Aktivisten der Gruppe "Gonojagoron Moncho" teilgenommen, die sich u.a. auch für die Religionsfreiheit engagiert. Regelmäßig hat er aber nicht nur über die islamischen politischen Parteien seines Landes geschrieben, sondern auch über das Versagen der Regierung in seiner Heimat, mit diesen Radikalen umzugehen. Kurz bevor ermordet wurde, hatte er noch einen Kommentar auf Bengali über die regierende Awami-Liga gepostet und den Verfall von Recht und Ordnung angeprangert. Offensichtlich stand er auf einer Todesliste religiöser Extremisten, die Kritiker des Islam zum Schweigen bringen wollen, denn die Täter skandierten "Allahu Akbar". 

Nazmuddin Samed ist seit 2013 bereits der zehnte Online-Aktivist, der so für immer zum Schweigen gebracht wurde. Allein im Jahr 2015 sind vier Blogger sowie ein Verleger weltlicher Texte - Niloy Terjee, Ananta Bijoy Das, Washiqur Rahman Babu, Avijit Roy, Faisal Arefin Dipan -  auf die gleiche Weise bestialisch getötet worden. Diese Männer hatten alle die Freiheit der Meinungsäußerung und des Glaubens gefordert und den Islamismus oder bestimmte religiöse Vorstellungen kritisiert. ( Übrigens sind nach Nazmuddins Todim im gleichen Monat noch ein liberaler Englischprofessor an der Universität von Rajshahi  (23.4.) und zwei Aktive der Homosexuellen - Bewegung (25.4.) auf die gleiche bestialische Weise umgebracht worden. )

Sie alle waren lose verbunden durch die Webseite "Mukto Mona", eine Plattform für "freie Denker, Rationalisten, Skeptiker, Atheisten und Humanisten" aus Südasien. All diese Mordopfer standen auf einer Liste mit sogenannten Atheisten-Bloggern, die vor zwei Jahren von islamistischen Gruppen zusammengestellt und in Umlauf gebracht worden ist, insgesamt 84 Menschen, deren Ermordung von den Fanatikern gefordert wird, darunter alleine zwanzig in Bangladesch.


Was ich an Nazmuddin Sameds Tod besonders erschütternd finde, ist, dass der Platz, auf dem dies geschah, voller Menschen war, aber niemand eingriff, die Täter verfolgte oder bereit war, als Zeuge der Polizei zur Verfügung zu stehen. Dies scheint mir die im letzten Post zitierten Aussagen von Kacem El Ghazzali zu bestätigen, dass die Tötung von "Ungläubigen" eine von breiten Bevölkerungsschichten akzeptierte Verhaltensweise in Bangladesch ist.

Obwohl das säkulare Prinzip eigentlich fest in der Verfassung des südasiatischen Landes verankert und Redefreiheit ein Teil der Verfassung von Bangladesch ist* -  trotz 90 prozentigem Anteil an der Gesamtbevölkerung, die sich zum Islam bekennt - ist zuletzt das radikale, gewalttätige Vorgehen gegen Andersdenkende nicht zu übersehen. Nicht nur Atheisten werden verfolgt, auch religiöse Minderheiten sind gefährdet. Es gab bereits zahlreiche Übergriffe auf Christen und Hindus in Bangladesch. So wurde ein italienischer Geistlicher bei einem Anschlag im letzten Jahr schwer verletzt, ein italienischer und ein japanischer Entwicklungshelfer ermordet.

Die Regierung geht nur zögerlich gegen Extremisten vor. Vor der Radikalisierung der armen Bevölkerung, die aufgrund ihrer wirtschaftlich prekären Situation leicht zu ködern ist, werden von den Regierenden offensichtlich die Augen geschlossen. Vor zwei Jahren schon hatte die größte islamistische Organisation des Landes, die Hifazat-e-Islam, Hunderttausende gegen die andersdenkenden Blogger auf die Straße gebracht. Dabei kam es zu heftigen Ausschreitungen.

Ob das Netzwerk der Hifazat-e-Islam oder einige ihrer Untergruppierungen hinter den Blogger-Morden steckt, hat sich bisher allerdings nicht verifizieren lassen. Laut "Human Rights Watch" ist "Hifazat-e-Islam" für eine strikte Einhaltung des Islams in Bangladesch und verantwortlich für die Unruhen 2013,  die zum Tod von Dutzenden Demonstranten, Passanten und Polizisten geführt haben.


Je tiefer ich mich in die Materie einarbeite, um so deutlicher wird mir, mit welchen Scheuklappen wir hier unser Leben in Europa leben, als Blogger nur schöne Nichtigkeiten verbreiten, während anderswo unsere "Kollegen" mit tödlicher Bedrohung sich weiter einsetzen für das, was ihnen lebenswert erscheint, zum Beispiel die Idee, dass wir die Religion von der Politik & dem gesellschaftlichen Zusammenleben abkoppeln müssen. Vermengt man nämlich den Glauben mit der Politik, hat man am Ende faschistische, intolerante religiöse Theokratien wie die des Iran oder Saudi-Arabiens...

"Ich habe auch Angst, Sir. Angst davor, ermordet zu werden. Aber was sonst kann ich tun? Es ist besser zu sterben, als zu leben, indem man seinen Kopf einzieht", hat Nazmuddin Samed einem Kommentator zu letzt auf Facebook geantwortet...

* Bangladesch hatte den Säkularismus als einen der vier fundamentalen Grundsätze in seiner Verfassung von 1972 verankert. Obwohl die Säkularismus - Klausel im Jahr 1977 entfernt wurde, hat der Oberste Gerichtshof diese als eine der Grundprinzipien der Verfassung im Jahre 2010 wieder eingesetzt.

10 Kommentare:

  1. Vielleicht hatten die Menschen auf dem Platz einfach Angst und deshalb nichts gemacht. Ich wüsste nicht, wie ich mich verhalten würde. Und du weißt ja, je mehr Menschen da sind, desto weniger helfen.

    Wir haben die Glaubenskriege mit den christlichen Kirchen schon hinter uns. Und die schicken auch keine Schergen um Ungläubige zu töten. Bei so wenig Gläubigen heutzutage hätten die viel zu tun.

    Gruß Astrid

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    1. Ich habe solche in meiner Kindheit auf dem Lande noch erlebt, aber holla! In den Fünfzigern war man besonders fromm, nachdem man Millionen von Menschen umgebracht und das 5. Gebot geflissentlich ignoriert hatte...
      LG

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  2. Na, das ist doch klar, wir leben in dem glückseligsten Land der Erde! P.

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    1. Das ist sicher nicht der Fall. Es ist alles relativ...
      LG

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  3. Ja, Scheuenklappen...liebe Astrid...die haben schon in der Vergangenheit nie wirklich gut getan...braucht man sich nur mal in der Geschichte umsehen. Hätte ich ein Optikergeschäft...ich würde kostenlos Brillen verteilen...Wobei "Sehen" das eine ist..."die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen" noch mal was ganz anderes...LG Lotta.

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  4. Interessanter Weise habe ich gestern Abend auf dem Weg zur Arbeit so etwas ähnliches Gedacht. Ich welcher Schöneweltblase wir hier eigentlich leben. An einer Kreuzung fuhren die Autofahrer diszipliniert und die Fußgänger gingen völlig sicher über die Straße. Wie muss es für die aussehen, die in chaotischen Zuständen leben? Die Ruhe, ist das bei uns nur eine Illusion? Ach dieser Nachtdienst macht mir wirre Gedanken... Ich wünsche dir einen schönen Abend,
    Andrea

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  5. das problem ist, dass die meisten menschen nicht mit freiheit umgehen können - nicht mit ihrer eigenen und schon gar nicht mit der der anderen - hier und überall auf der welt. und die religionen, kirchen und sekten und etliche politische parteien leben davon. davon den menschen zu sagen was richtig und falsch ist und wer richtig oder falsch ist. keiner wird als terrorist, milizionär oder pegidaanhänger geboren. aber jeder wird in eine welt des "teile und herrsche" hineingeboren. all diese gewalt ist nur ein symptom......
    xxxxx

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  6. Ich versuche jeden Tag etwas Gutes zu tun, sei es dem Syrer der in der Nähe wohnt oder der alten Dame schräg gegenüber, wenn sich dies jeder Mensch zur Aufgabe machen würde, wäre schon viel geschafft. Ich möchte auch in meinem Blog auf die schönen Dinge, die kostenlos jedem Menschen zur Verfügung stehen hinweisen - die von Gott geschaffene Natur. Ich versuche Menschen, die nur noch wenig Freude im Leben empfinden oder empfinden konnten und hier nehme ich mich nicht aus, einen neuen Grund zu zeigen Lebensfreunde zu empfinden. Weg vom materiellen hin zu dem auf was wir alle Zugriff haben - die winzig kleinen Kleinigkeiten, den Tautropfen, die Biene, Blume im Sand ... Kraft und Hoffnung schöpfen und sich auf das Wesentliche besinnen. Ich hoffe immer, wenn man irgendwo einen Dominostein anstößt, dann geht es einmal um die ganze Welt. Dies ist meine Art etwas zu tun ... vielleicht eine Winzigkeit aber besser als gar nichts.

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  7. Noch gestern Abend hatten wir mit Freunden das Thema und kamen zu dem Schluss, dass wir ein so priviligiertes Leben haben, dass wir hier in Europa leben, und dann noch in einem Land, wie Deutschland. Klar hier ist auch nicht alles gold, aber das Jammern ist doch auf sehr hohem Niveau.
    Ich will hier auch gar nicht aufzählen, dass die muslimischen Flüchtlinge hier oft nicht gerne gesehen sind und was alles hier mit den Flüchtlingen gerade nicht richtig läuft.
    Es war auch nur ein Gefühl im Kreise von Menschen, denen es gut geht, dass wir keine Angst haben müssen, unsere Meinung zu äußern.
    Das es dem Staat egal ist, ob wir glauben, was wir glauben, ob wir aus der Kirche ausgetreten sind oder nicht.
    Hier muss nicht eine Familie im Kollektiv der Kirche angehören und mittlerweile sind glaubensübergreifende Partnerschaften oder Ehen kein Problem mehr.
    (Ich weiß, ich weiß, das war in den 50ern anders: Meine Schwiegereltern, er Evangelisch hatten am tiefsten, katholischen Niederrhein große Probleme einen Pfarrer zu finden, der sie traute)

    Mein Respekt gehört den Bloggern in aller Welt, die dieses Medium benutzen, für die Freiheit ihrer Gedanken zu kämpfen.

    Und mein Dank gilt wieder einmal dir, dafür, dass du unermüdlich an diese Menschen erinnerst, bzw. auf sie aufmerksam machst.

    LG, Monika

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  8. Ja, danke, Astrid. Und alle Vorfälle in einen Post gepackt macht die Situation noch klarer. Und bedrohlicher. Und mich noch hilfloser.

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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