Kennengelernt habe ich Ruth Rehmann in den 1970er Jahren, als mich mein Mentor im Referendariat auf eine ihrer Kurzgeschichten - "Endlich leben" - aufmerksam machte, die bei meiner damaligen bildungsdurstigen 8. Klasse einer Brühler Hauptschule in einer Unterrichtslehrprobe sehr gut ankam, bot sie doch genug Stoff für Diskussionen. ( Dass heute immer noch nach ihr in den Hausaufgabenforen gesucht wird, hat mich bei meinen Forschungen doch mehr als überrascht... ) In den nächsten Jahrzehnten habe ich dann den einen oder anderen Roman von ihr gelesen bzw. von ihren politischen Aktivitäten gehört. Als ihr Tod Anfang dieses Jahres durch die Medien vermeldet wurde, fasste ich den Entschluss, sie in meiner Reihe großartiger Frauen vorzustellen - kein ganz leichtes Unterfangen: Ihre Romane verarbeiten zwar immer selbst Erlebtes literarisch, sind aber keine Autobiografien im üblichen Sinn. Und die Schriftstellerin stand auch nie im Mittelpunkt des medialen Interesses - eine echte Herausforderung!
Ruth Rehmann kommt am 1. Juni 1922 im rheinischen Siegburg zur Welt. Sie ist das Nesthäkchen einer insgesamt sechsköpfigen Pastorenfamilie und ein ausgesprochenes Vaterkind.
Dieser Vater, ein evangelischer Pfarrer, war nationalistisch und kaisertreu eingestellt und ganz & gar dem 19. Jahrhundert verhaftet. Er hatte am ersten Weltkrieg als freiwilliger Feldgeistlicher teilgenommen und noch in der Weimarer Republik schickte er dem Kaiser alljährlich einen Brief zum Geburtstag ins niederländische Exil - auf bestem Bütten & von ihm selbst zur Post gebracht! Republik und Demokratie erfährt Ruth in einer solchen Familie als "ungeliebte Worte".
Der Vater selbst stammte auch aus einer protestantischen Pastorenfamilie, deren Oberhaupt über die Tradition wachte: Alle seine Söhne wurden Pfarrer, alle seine Töchter heirateten Pfarrer. Ruths Tochter erinnert sich an die Erzählungen ihrer Mutter über den Großvater und das darin geschilderte "rheinisch fröhliche Milieu", an sein Lebenszugewandtheit und die in seinem Hause herrschende offene Gesprächskultur.
Auch Ruths Vater kennzeichnen Güte und Strenge zugleich. Und trotzdem fühlt sich das Mädchen in dieser Welt trotz mancher Einschränkungen in einer Wärme geborgen, die die übrige Welt kalt erscheinen lässt. So zumindest äußert sie sich noch im hohen Alter. Die mittleren Kinder scheinen sich jedoch nicht so zu entwickeln, wie es der Vater gerne hätte, und Ruth erinnert sich an "Aussprachen" mit dem Ziel, den Widerstand der Geschwister zu brechen. ( 1979 wird sie, angeregt durch die Fragen ihres erwachsenen Sohnes Jan, eines Historikers & Philosophen, sich intensiv mit dem Leben und der politischen Haltung ihres Vaters beschäftigen und das Buch "Der Mann auf der Kanzel" schreiben & veröffentlichen. )
Doch auch das vielseitig interessierte und begabte Mädchen - sie schreibt schon in der Schulzeit Gespenster- und Abenteuergeschichten und Aufsätze für ihre Mitschülerinnen und lernt das Geigespiel - scheint nicht immer nach Vaters Vorstellungen zu spuren, sie sei aufmüpfig, rebellisch, unangepasst gewesen, betont sie später in Gesprächen. ( Und es wird erzählt, sie habe sich selbst an einem Bonner Gymnasium angemeldet... )
1940 - dem Jahr, in dem auch der Vater, fünfundsechzigjährig, stirbt & die Mutter zu Verwandten nach Mecklenburg - Vorpommern zieht - macht Ruth das Abitur und besucht anschließend eine Dolmetscherschule für Englisch und Französisch in Hamburg. Danach beginnt sie ein Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik an den Universitäten Bonn und Marburg, welches sie nicht abschließt. Ab 1943 studiert sie an den Hochschulen in Köln und Berlin Musik mit dem Hauptfach Geige.
Dieses Studium wird immer wieder durch Dienstverpflichtungen bei der Wehrmacht, durch die ständigen Bombenangriffe auf die Hauptstadt und die Abwesenheit der Lehrer unterbrochen und nicht abgeschlossen, auch, weil sie gegen Kriegsende mit den Militärs, bei denen sie als Bürokraft gearbeitet hat, vor der heranrückenden russischen Front in Richtung Bayern flieht. Ausgerechnet am Tag des Kriegsendes kommt sie im Chiemgau zur Ruhe, genauer gesagt bei Mina Stecher, geborene Roiter, in einem abgelegenen Fischer- und Bauernanwesen an der Alz. Dort trifft sie auf eine bunte Schar anderer Gestrandeter.
Mit der nur zwei Jahre älteren Bäuerin, die sie aufnimmt, versteht sie sich auf Anhieb, und Ruth bringt in diese kriegsbedingte Notgemeinschaft neben Hilfe in der Landwirtschaft & beim Fährdienst ein, was sie gut kann: dolmetschen im Umgang mit den amerikanischen Besatzern, schreiben, um Informationen über den vermisst gemeldeten Bräutigam herauszufinden, und musizieren zur abendlichen Unterhaltung aller. "Als ich das erste Mal schwimmen war in der Alz, dachte ich: Hier bleib ich", erzählt sie später ( und sie geht auch noch bis ins hohe Alter gerne in diesen Fluss zum Baden ).
Die Freundschaft der beiden Frauen bleibt über vierzig Jahre bestehen und findet ihr literarisches Denkmal im Roman "Die Schwaigerin" von 1987 ( und der Gasthof "Roiter" hat bis heute den Ruf eines Literaturschauplatzes ).
Doch Ruth ist umtriebig und bleibt nicht in diesem Idyll, sondern nutzt ihre Fähigkeiten & Möglichkeiten und tritt zusammen mit einer dreiköpfigen Band als Sängerin auf, zuerst in Marburg im "Officers Club" der amerikanischen Armee, dann in Heidelberg. 1947 nimmt sie auch ihr Musikstudium wieder auf und schließt es 1951 mit der Konzertreife am Düsseldorfer Robert-Schumann-Konservatorium ab. Immer wieder findet sie Zeit zum Reisen: So trampt sie 1950 nach Algerien.
Sie arbeitet dann als Dolmetscherin für diverse ausländische Botschaften, z. B. der der Vereinigten Staaten, und als Pressereferentin der Indiens, und setzt sich zum Ziel, 3000 DM zu ersparen. Begeistert von amerikanischen Short Stories, namentlich von Sherwood Anderson und William Faulkner, beginnt sie in den Nachkriegsjahren Kurzgeschichten zu schreiben, die in der im Rowohlt Verlag erscheinenden Monatsschrift "Story" publiziert werden.
Als sie das Geld zusammen hat, zieht sie mit ihrem 1953 geborenen Sohn Jan nach Oberbayern zurück, um dort ihren ersten Roman zu schreiben, und lässt sich 1958 in Trostberg nieder, wo sie bis zu ihrem Tod leben wird.
Über den ebenfalls am Chiemsee wohnenden Horst Mönnich bekommt sie Kontakt zu Hans Werner Richter, dem Begründer der "Gruppe 47". Sie wird eingeladen, an deren Sitzung im Allgäu teilzunehmen und ein Kapitel aus ihrem Roman "Illusionen" vorzulesen, der von vier Büroangestellten und deren Fluchten aus der betrüblichen Wirklichkeit erzählt. Sie kommt damit so gut an, dass sie für den Preis der Gruppe in Betracht gezogen wird ( den dann aber Günter Grass für die "Blechtrommel" erhält ).
Es folgen Hörspiele, Features sowie eine Übersetzung – Arbeiten, mit denen sich die Autorin, wie sie selbst sagt, „über Wasser“ hält. Sie führt ein nonkonformistisches Leben, bekommt noch zwei weitere Kinder, Juliane und Lisa. Männer betrachtet sie als "Verliebtheiten", die schnell vorbei & nicht auf Dauer sind. "Ich war nicht sehr standhaft in solchen Dingen", bekennt sie später. Nur den Literaturwissenschaftler & -kritiker und Lektor Franz Schonauer, ebenfalls der "Gruppe 47" nahe stehend, hat sie geheiratet.
Ihre "Lehr- und Wanderjahre einer höheren Tochter" in der Nachkriegszeit haben sie erfahren lassen, dass sie keine Sicherheiten brauche, dass sie auch immer Chancen bekommt, ohne abgeschlossene Studien ihren Lebensunterhalt zu verdienen. "Ich bin damit zurecht gekommen, es passte zu mir", meint sie später dazu. Den Alltag einer schriftstellernden, mitunter allein erziehenden und von 1972 bis 1979 als Lehrerin berufstätigen Mutter meistert sie mit Disziplin & kanalisiert ihre Kreativität so, dass sie in der übrigen Zeit schreiben kann.
Gleichzeitig unternimmt sie viele Reisen, u.a. nach Griechenland und Frankreich, über die sie auch veröffentlicht.
Größere Beachtung findet Rehmanns Schreiben erst 1979 mit "Der Mann auf der Kanzel". Fragen nach der Schuld und der Verantwortung des väterlichen Handelns während der nationalsozialistischen Diktatur treffen den Nerv der Zeit in der Bundesrepublik, und die 1. Auflage des Buches ist schnell vergriffen.
Im selben Jahr beginnt ihr Engagement für die Neue Friedensbewegung infolge des NATO-Doppelbeschlusses am 12. Dezember 1979 und des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan am 25. Dezember 1979 und für den Umweltschutz ( eine leidenschaftliche Streiterin gegen Umweltzerstörung und Globalisierung wird sie bis ins hohe Alter bleiben - in dieser Art des Widerstands bleibt sie sich treu, literarisch & lebenspraktisch ).
Sie tritt den Grünen bei und setzt sich auf lokaler Ebene mit Leidenschaft ein, als die Bürgerentscheide gegen den Bau eines Ersatzbrennstoffkraftwerks und gegen die Fällung der Platanen in Trostberg erkämpft werden. Bei der Bundestagswahl 1983 wird sie von den Grünen gar für die Kandidatur im damaligen Stimmkreis Traunstein-Berchtesgaden vorgeschlagen, was sie letztlich ausschlägt, um „Freiheit zum Schreiben“ zu haben.
Dieser Vater, ein evangelischer Pfarrer, war nationalistisch und kaisertreu eingestellt und ganz & gar dem 19. Jahrhundert verhaftet. Er hatte am ersten Weltkrieg als freiwilliger Feldgeistlicher teilgenommen und noch in der Weimarer Republik schickte er dem Kaiser alljährlich einen Brief zum Geburtstag ins niederländische Exil - auf bestem Bütten & von ihm selbst zur Post gebracht! Republik und Demokratie erfährt Ruth in einer solchen Familie als "ungeliebte Worte".
Der Vater selbst stammte auch aus einer protestantischen Pastorenfamilie, deren Oberhaupt über die Tradition wachte: Alle seine Söhne wurden Pfarrer, alle seine Töchter heirateten Pfarrer. Ruths Tochter erinnert sich an die Erzählungen ihrer Mutter über den Großvater und das darin geschilderte "rheinisch fröhliche Milieu", an sein Lebenszugewandtheit und die in seinem Hause herrschende offene Gesprächskultur.
Auch Ruths Vater kennzeichnen Güte und Strenge zugleich. Und trotzdem fühlt sich das Mädchen in dieser Welt trotz mancher Einschränkungen in einer Wärme geborgen, die die übrige Welt kalt erscheinen lässt. So zumindest äußert sie sich noch im hohen Alter. Die mittleren Kinder scheinen sich jedoch nicht so zu entwickeln, wie es der Vater gerne hätte, und Ruth erinnert sich an "Aussprachen" mit dem Ziel, den Widerstand der Geschwister zu brechen. ( 1979 wird sie, angeregt durch die Fragen ihres erwachsenen Sohnes Jan, eines Historikers & Philosophen, sich intensiv mit dem Leben und der politischen Haltung ihres Vaters beschäftigen und das Buch "Der Mann auf der Kanzel" schreiben & veröffentlichen. )
Doch auch das vielseitig interessierte und begabte Mädchen - sie schreibt schon in der Schulzeit Gespenster- und Abenteuergeschichten und Aufsätze für ihre Mitschülerinnen und lernt das Geigespiel - scheint nicht immer nach Vaters Vorstellungen zu spuren, sie sei aufmüpfig, rebellisch, unangepasst gewesen, betont sie später in Gesprächen. ( Und es wird erzählt, sie habe sich selbst an einem Bonner Gymnasium angemeldet... )
1940 - dem Jahr, in dem auch der Vater, fünfundsechzigjährig, stirbt & die Mutter zu Verwandten nach Mecklenburg - Vorpommern zieht - macht Ruth das Abitur und besucht anschließend eine Dolmetscherschule für Englisch und Französisch in Hamburg. Danach beginnt sie ein Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik an den Universitäten Bonn und Marburg, welches sie nicht abschließt. Ab 1943 studiert sie an den Hochschulen in Köln und Berlin Musik mit dem Hauptfach Geige.
Dieses Studium wird immer wieder durch Dienstverpflichtungen bei der Wehrmacht, durch die ständigen Bombenangriffe auf die Hauptstadt und die Abwesenheit der Lehrer unterbrochen und nicht abgeschlossen, auch, weil sie gegen Kriegsende mit den Militärs, bei denen sie als Bürokraft gearbeitet hat, vor der heranrückenden russischen Front in Richtung Bayern flieht. Ausgerechnet am Tag des Kriegsendes kommt sie im Chiemgau zur Ruhe, genauer gesagt bei Mina Stecher, geborene Roiter, in einem abgelegenen Fischer- und Bauernanwesen an der Alz. Dort trifft sie auf eine bunte Schar anderer Gestrandeter.
Alzfähre beim Roiter Source |
Die Freundschaft der beiden Frauen bleibt über vierzig Jahre bestehen und findet ihr literarisches Denkmal im Roman "Die Schwaigerin" von 1987 ( und der Gasthof "Roiter" hat bis heute den Ruf eines Literaturschauplatzes ).
Doch Ruth ist umtriebig und bleibt nicht in diesem Idyll, sondern nutzt ihre Fähigkeiten & Möglichkeiten und tritt zusammen mit einer dreiköpfigen Band als Sängerin auf, zuerst in Marburg im "Officers Club" der amerikanischen Armee, dann in Heidelberg. 1947 nimmt sie auch ihr Musikstudium wieder auf und schließt es 1951 mit der Konzertreife am Düsseldorfer Robert-Schumann-Konservatorium ab. Immer wieder findet sie Zeit zum Reisen: So trampt sie 1950 nach Algerien.
Sie arbeitet dann als Dolmetscherin für diverse ausländische Botschaften, z. B. der der Vereinigten Staaten, und als Pressereferentin der Indiens, und setzt sich zum Ziel, 3000 DM zu ersparen. Begeistert von amerikanischen Short Stories, namentlich von Sherwood Anderson und William Faulkner, beginnt sie in den Nachkriegsjahren Kurzgeschichten zu schreiben, die in der im Rowohlt Verlag erscheinenden Monatsschrift "Story" publiziert werden.
Als sie das Geld zusammen hat, zieht sie mit ihrem 1953 geborenen Sohn Jan nach Oberbayern zurück, um dort ihren ersten Roman zu schreiben, und lässt sich 1958 in Trostberg nieder, wo sie bis zu ihrem Tod leben wird.
Über den ebenfalls am Chiemsee wohnenden Horst Mönnich bekommt sie Kontakt zu Hans Werner Richter, dem Begründer der "Gruppe 47". Sie wird eingeladen, an deren Sitzung im Allgäu teilzunehmen und ein Kapitel aus ihrem Roman "Illusionen" vorzulesen, der von vier Büroangestellten und deren Fluchten aus der betrüblichen Wirklichkeit erzählt. Sie kommt damit so gut an, dass sie für den Preis der Gruppe in Betracht gezogen wird ( den dann aber Günter Grass für die "Blechtrommel" erhält ).
1961 Source |
Ihre "Lehr- und Wanderjahre einer höheren Tochter" in der Nachkriegszeit haben sie erfahren lassen, dass sie keine Sicherheiten brauche, dass sie auch immer Chancen bekommt, ohne abgeschlossene Studien ihren Lebensunterhalt zu verdienen. "Ich bin damit zurecht gekommen, es passte zu mir", meint sie später dazu. Den Alltag einer schriftstellernden, mitunter allein erziehenden und von 1972 bis 1979 als Lehrerin berufstätigen Mutter meistert sie mit Disziplin & kanalisiert ihre Kreativität so, dass sie in der übrigen Zeit schreiben kann.
Gleichzeitig unternimmt sie viele Reisen, u.a. nach Griechenland und Frankreich, über die sie auch veröffentlicht.
Source |
Im selben Jahr beginnt ihr Engagement für die Neue Friedensbewegung infolge des NATO-Doppelbeschlusses am 12. Dezember 1979 und des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan am 25. Dezember 1979 und für den Umweltschutz ( eine leidenschaftliche Streiterin gegen Umweltzerstörung und Globalisierung wird sie bis ins hohe Alter bleiben - in dieser Art des Widerstands bleibt sie sich treu, literarisch & lebenspraktisch ).
Sie tritt den Grünen bei und setzt sich auf lokaler Ebene mit Leidenschaft ein, als die Bürgerentscheide gegen den Bau eines Ersatzbrennstoffkraftwerks und gegen die Fällung der Platanen in Trostberg erkämpft werden. Bei der Bundestagswahl 1983 wird sie von den Grünen gar für die Kandidatur im damaligen Stimmkreis Traunstein-Berchtesgaden vorgeschlagen, was sie letztlich ausschlägt, um „Freiheit zum Schreiben“ zu haben.
1993 erscheint "Unterwegs in fremden Träumen - Begegnungen mit dem anderen Deutschland", was eigentlich als Sachbuch über den ersten und einzigen gesamtdeutschen Schriftstellerkongress von 1947 gedacht war. Doch bei der Arbeit an diesem Buch kommt Ruth die Geschichte in die Quere & der 9. November 1989 dazwischen, so dass daraus ein hoch spannender Bericht über die deutsche Wiedervereinigung wird. "Bootsfahrt mit Damen" folgt 1995, "Fremd in Cambridge", ein leidenschaftliches Plädoyer für die humanistische Bildung 1999, und dann - nach zehn Jahren der Stille - "Ferne Schwester", in der die eigenen Erfahrungen der unmittelbaren Nachkriegszeit einfließen.
2010 Source |
"Ich brauche das Schreiben, um mein Leben anzuschauen und zu befragen." Und: „Aber das geht so ganz ohne Plan eigentlich, da spinn ich einfach nur so rum und denke mir was aus, auch was, das nicht gewesen ist, das setzt sich dann selber zusammen. Ich schreibe gerne, ich mach die Bewegung des Schreibens gern, heute noch, ich spinne gerne herum, langweile mich nie, weil ich immer etwas im Kopf habe, woran ich herum murkse, um Menschen zu verstehen, um mich selbst zu verstehen; um genauer zu sehen, wie ich reagiert habe, um von einer Zeit nicht nur die Tatsachen zu schildern, sondern auch das Drumrum, die Atmosphäre, das Fluchtgefühl, wie das war, nichts zu haben, das Gefühl, zu leicht über die Dinge hinwegzugehen, nirgends zu bleiben. Das ist sicher auch ein Charakterfehler von mir, weil ich nirgends wirklich geblieben bin.“ ( Quelle hier )
Und der Essener Literaturwissenschaftler Werner Jung erklärt es so: "Es geht ihr also darum, schreibend sich die Dinge und Sachverhalte, Beziehungen und Strukturen zu erklären, etwas zu verdeutlichen, was andernfalls bloß im Vagen verbliebe." ( Quelle hier )
Source |
Bis ins hohe Alter liest sie aus ihren Büchern. Bis ins hohe Alter trifft man sie auf ihren täglichen Spaziergängen an der Alz. „Gehen hat heilige Aspekte: Gelassenheit tritt zu Tage, Geduld macht sich breit, Gehen ist zu sich selber finden, Gehen ist erkennen, was wirklich wichtig ist, Gehen lässt falschen Ehrgeiz hinter sich, aber auch Enttäuschungen und Kränkungen. Gehen ist eine poetische Haltung, die die Welt von ihren Übeln heilen kann“, so eine tibetische Weisheit, die sie in einen Umschlag mit der Aufschrift "Gehen und Sterben" gesteckt hat.
Erst das Nachlassen der Sehkraft wegen einer Makuladegereration stürzt sie, die sonst so heitere, gelassene, nach Beobachtung ihrer Kinder in Verzweiflung, denn sie kann die eigenen Zeilen nicht mehr lesen. "Gefühle und Gedanken flossen nicht mehr zu einer Einheit zusammen“, so ihr Sohn.
Am 29. Januar 2016 schließt sie diese Augen für immer in ihrer Wohnung in Trostberg. Sieben Romane, vier Bände mit Erzählungen und ein Dutzend Hörspiele, in sechzig Jahren geschaffen, hinterlässt sie.
„Mein Schreiben war immer darauf gerichtet, Kompliziertes einfach zu machen, durchsichtig, klar, überschaubar, mitteilbar. Keine literarischen Experimente!“, so ihre Maxime. Mögen ihre Bücher, der "Ästhetik des Humanen" (Böll) verpflichtet, weiterhin ihre Leser finden!
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Liebe Astrid! Ich bin ganz gerührt. So einfühlsam geschrieben. Ich muss ganz viel darüber nachdenken. Wie klein ich mir vorkomme, wenn ich sehe was diese Frau geleistet hat und trotzdem stehen Männerportrais noch immer im Mittelpunkt und deren Biografien verkaufen sich zu Lebzeiten noch immeer besser. Du solltest deine Reihe als Buch rausbringen ... glg Martina, die gespannt auf nächsten Donnerstag wartet
AntwortenLöschenDanke, Martina!
LöschenJe mehr ich mich mit den Frauen beschäftige, umso mehr fällt mir die Diskrepanz auf, dass die Männer übermäßig im Blickpunkt stehen, obwohl es genug Frauen zur gleichen Zeit gab, die mindestens ein genauso interessantes Leben führten...
GLG
Eine Frau nach meinem Geschmack. ich werde mich mal nach ihren Büchern umschauen.
AntwortenLöschenDanke, das du sie uns vorgestellt hast. Manche Menschen ziehen an uns vorbei, ohne das wir sie wahrnehmen, obwohl sie doch sehr klar neben uns standen...
Liebe Grüße
Andrea
Das hast du schön formuliert, Andrea!
LöschenGLG
Danke
LöschenSehr interessant wie immer. Bin sehr überrascht, dass es viele Frauen gibt, die soviel leisten und dochso 'geheim' und unbekannt. Wow! 'DEIN' Buch würde auch ich kaufen.
AntwortenLöschenToll, deine Berichte sind immer wieder interessant und so lebhaft präsentiert. Wirklich toll
AntwortenLöschenLG susa
Da kann ich meinen Vor-Kommentatorinnen nur zustimmen: deine Biographien würden ein feines Buch ergeben. Oder eine wunderbare Serie in einer Zeitschrift.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
Wieder mal sehr interessant. Diese Frau habe ich noch nie richtig wahrgenommen. Das wird sich jetzt ändern.
AntwortenLöschenLG
Magdalena
Auch ich habe diese Biografie aufmerksam durchgelesen & zolle meinen Respekt vor dieser großen Persönlichkeit.
AntwortenLöschenLiebe Abendgrüße von mir :-)
Ich hab noch nie von Ruth Rehmann gehört! Besonderes Interesse weckt ihr Ausspruch - Kompliziertes einfach zu machen - bei mir. Ich lese momentan viel Fachliteratur. Wenn dann noch neben dern Tgeszeitungen Zeit zu Lesen bleibt muss es einfach leicht gehen - ohne nur leichter Stoff zu sein. Danke, mein Interesse ist geweckt!
AntwortenLöschen"ich brauche das Schreiben, um mein Leben anzuschauen"- schon dieser Satz ist wunderbar. danke, liebe Astrid, für das Nahebringen dieser mir unbekannten Autorin. Da werde ich mal auf die Suche gehen...und schauen.
AntwortenLöschenLieben Lisagruß!
liebe Astrid,
AntwortenLöschenmit ganz großem Interesse hab ich Deinen heutigen Bericht gelesen, wunderschön geschrieben. Sie war eine bemerkenswerte Frau! Ich durfte sie einmal persönlich kennen lernen. Die Alzfähre ist nicht weit weg von uns.
Durch Deinen Bericht habe ich jetzt natürlich noch viel mehr über sie erfahren.
liebe Grüße
Gerti
Dann ist "Die Schwaigerin" ja vielleicht das passende Buch....Ja, sie verdient eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit.
LöschenGLG
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenich kannte sie - aber jetzt habe ich noch viel mehr
über sie erfahren. Wieder sehr interessant.
Einen angenehmen Abend wünscht dir
Irmi
Ich habe wieder jedes deiner Worte über eine so interessante Frau genossen. Bislang kannte ich nur den Namen Ruth Rehmann, nun hab ich das Gefühl, den Menschen dahinter zumindest ein kleines bisschen zu erahnen. Danke dafür! Und ich werde jetzt zu "Die Schwaigerin" greifen. Liebe Grüße, Ulli
AntwortenLöschenDanke, Uli! Für dich als Historikerin ist vielleicht die "Ferne Schwester" noch interessanter...
LöschenGute Nacht!
Liebe Astrid,
AntwortenLöscheneinfach nur JA! und unterschrieben und unterstrichen und fett gedruckt!
Danke für die Erinnerung!
Hab ein feines Wochenende
Elisabeth
ich gestehe, dass ich ihren namen mal gehört habe - mehr aber nicht. schade. aber das hast du ja nun geändert und mich auf eine sehr interessante frau und schriftstellerin aufmerksam gemacht. danke dafür!
AntwortenLöschenwie ich schon mal sagte, hoffe ich sehr, dass aus deinen "great women" mal ein buch wird!!
(ich hatte erst "lost women" geschrieben - passt ja auch ganz gut!!)
liebe grüße von mano
Wieder jemand, den ich sofort lesen möchte, nachdem du so über ihn geschrieben hast.Mir ist sie kein Begriff gewesen, aber es gibt so viele Frauen, die es wert sind nach oben geholt zu werden! Die Generation dieser Zeit hast so viele Umbrüche mit gemacht, es ist gigantisch, was es da alles an Lebenswegen gibt. So sympathisch bei dem vielen auf und ab. Vielen Dank für diesen Einblick!
AntwortenLöschenLesende Grüße von Karen
Für mich eine Entdeckung, ich kannte sie gar nicht, aber das hat sich nun schon geändert und ich werde was lesen... Der Text übers Gehen, den sie in ihren Umschlag "Gehen und Sterben" gesteckt hat, berührt mich sehr, da ist ähnliches Empfinden. Danke dir, mal wieder, herzlich Ghislana
AntwortenLöschenNun habe ich mach "Unterwegs in fremden Träumen" auch "Der Mann auf der Kanzel" gelesen, dank deiner Postsendung 💛. Gut, jetzt hier noch mal zu lesen. Wie sie ihr Leben in die Hände genommen hat. Die Art ihres Schreibens als Selbsvergewisserung liegt mir sehr. Was sollte ich als nächstes von ihr in die Hand nehmen, "Die Schwaigerin"? Grüße von unterm Dach in Freiberg. Der Sturm hat Schnee ❄ flocken gebracht...Ghislana
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