Zu meinem Spaziergang im März hat mich Susanne Abels zweiter Band ihrer Gretchen Reihe - "Was ich nie gesagt habe: Gretchens Schicksalsfamilie" - animiert. Da gab es nämlich eine kleine Geschichte von einem achtjährigen jüdischen Jungen, die mich erschüttert hat und von der ich bis dato nichts wusste.
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Ubierring |
Ich fuhr erst einmal mit der KVB- Linie 15 von meinem Veedel bis zur Endhaltestelle Ubierring in der Kölner Südstadt, geradewegs dort, wo ich vor 55 Jahren mit dem Studium der Kunst begonnen hatte. An die Wohnbebauung schließt sich nämlich ein Park an, der Römerpark, der seit 1898 dort besteht und 1912 vom legendären Kölner Gartendirektor Fritz Encke teilweise umgestaltet worden ist.
Am Übergang von Römerpark zum Friedenspark ist die wohl kürzeste Straße der Südstadt zu finden, gerade einmal etwa 150 Meter lang, kopfsteingepflastert, links Büsche, rechts die Mauern des preußischen Forts von 1830 - übrigens die einzige Hausnummer des Hans-Abraham-Ochs-Weges. So hieß nämlich der Junge, von dem ich durch das Buch erfahren hatte.
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Das Fort I Rheinschanze ist der südlichste, rechtsrheinische Bau des inneren Festungsrings von Köln aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts |
Hans Abraham Ochs lebte mit seiner verwitweten Mutter & seinem-Bruder in der nahen Trajanstraße 41. Als er an einem Tag im September 1936 mit Mutter & Bruder durch den Park ging, pöbelte ihn eine Gruppe Hitlerjungen an und schlug ihn zusammen. Auch als er bereits am Boden lag, traten die HJ-Jungen ihn vor den Augen seiner Mutter und seines kleinen Bruders so lange, bis er sich nicht mehr rührte und er schwer verletzt in das israelitische Krankenhaus an der Ottostraße in Ehrenfeld eingeliefert werden musste. Dort starb er am 30. September. Offizielle Todesursache auf dem Totenschein: "Bauchfellentzündung".
Die Mutter, selbst nicht Jüdin von Geburt, traute sich nicht, die Tat anzuzeigen, ließ ihren Jungen auf dem jüdischen Friedhof in Bocklemünd bestatten und brachte ihren kleineren Sohn in den Niederlanden in Sicherheit. Der Onkel Henry Ochs emigrierte nach Kalifornien.
Es ist in erster Linie der Rundfunkjournalistin Kirsten Serup-Bilfeldt ( die auch ein Buch über die Stolpersteine verfasst hat ) zu verdanken, dass die Geschichte von Hans Abraham Ochs 1988 ans Licht kam. Mutter Ochs hatte noch bis 1981 in der Südstadt gelebt. Türen und Münder blieben der Journalistin aber verschlossen, als sie in der Südstadt nach Zeugenaussagen gesucht hat. Diese Erfahrungen stellen das Narrativ der Nachkriegszeit von der ach so widerständigen Kölner Südstadt ganz schön in Frage, denn der Tod des kleinen Jungen ist ja schon recht spektakulär gewesen und den dürften doch etliche Südstadtbewohner mitbekommen haben...
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Kaukasische Flügelnuss |
Eine Initiative prominenter Kölner wie Ralph Giordano, Dieter Wellershoff und Alphons Silbermann setzte sich vergebens für die Errichtung eines Denkmals ein. Im Oktober 2001 wurde immerhin inoffiziell ein Weg durch den Römerpark nach dem Jungen benannt, ein Jahr später stimmt die Bezirksvertretung Köln-Innenstadt dem zu. Der Künstler Gunter Demnig hat vor dem Wohnhaus von Hans Abraham sowie im Römerpark Stolpersteine zum Gedenken an ihn verlegt. Das NS-Dokumentationszentrum Köln rief 2009 in der Ausstellung "Erinnern - Eine Brücke in die Zukunft" das Schicksal von Hans Abraham Ochs ins Gedächtnis zurück. 2015 gab es vom WDR einen Kurzfilm & ein Hörspiel "Tod im Römerpark".
Politisch aufgeladen ist der Ort auch sonst: 1927 wurde die Adlerplastik des in Köln ansässigen Bildhauers Georg Grasegger auf dem Fort-Gebäude aus eingeschmolzenen Kanonen durch den Reichspräsidenten Hindenburg und Konrad Adenauer als Ehrenmal der Stadt Köln eingeweiht.
Das Schmücken des Kriegerdenkmals mit der lateinischen Phrase Numero oppressis mente invictis ( "Der Vielzahl unterlegen, im Geiste unbesiegt" ) stand allerdings ganz in der zeitgenössischen Tradition der so genannten "Dolchstoßlegende", einer bewusst konstruierten Geschichtsfälschung und Verschwörungstheorie, welche die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf Demokraten, die Sozialdemokratie und das "bolschewistische Judentum" abwälzte. Der bis dahin namenlose Park erhielt bei der Gelegenheit den Namen Hindenburgpark.
Das Denkmal dient bis heute als Gedenkstätte für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Kölner Soldaten. Von 1933 an wurde das Fort für Propagandazwecke von den Nationalsozialisten missbraucht, ab 1939 bis Kriegsende als Flugabwehrstellung.
Die Bläck Fööss haben sich 1989 mit dem Song "Ungerm Adler", einem Antikriegslied, auf dieses Denkmal bezogen: "Ungen an d'r Südbröck, do es ene Park, nit wick vom Rhing. Do hös de Kinder laache, do blöhen dausend Ruse em Sonnesching" und bringen den Wunsch zum Ausdruck, "dat dä Adler nie widder flüch".
1978 entstand aus einer Elterninitiative heraus neben dem Fort ein Bauspielplatz. Während die Besetzung des Parks durch Kinder und Eltern zunächst zu heftigen Konflikten mit der Stadt führte - drei Monate nach seiner Entstehung wurde der Spielplatz am Nikolaustag auf Anweisung der Stadtverwaltung abgebrannt -, erkannte die Stadt Köln schließlich Sinn und Nutzen des Bauspielplatzes und übernahm offiziell die Trägerschaft. Das Engagement der Besucher*innen des Bauspielplatzes für Demokratie, Frieden und gegen Extremismus führte letztendlich Ende der 1980er Jahre auch zur Umbenennung des Hindenburgparks in Friedenspark.
Am 9. Oktober 2012 wurde ein Denkmal für die Friedenshymne "Imagine" des ehemaligen Beatles John Lennon ganz nah am Fort eingeweiht. Ein aus grauen Basaltsteinen in einem Durchmesser von etwa vier Metern gelegter Kreis enthält in der Mitte das aus hellen Steinen gebildete Wort "Imagine". Das Denkmal wurde auf Initiative des "kölschen Franzus" Maitre Sardou aka Serge Willms nach Vorbild des Denkmals im New Yorker Central Park errichtet:

Obwohl für den Imagine-Schriftzug sogar Carrara-Marmor verwendet wurde, kostete das Denkmal kein Geld, denn es wurde im Rahmen ihrer Ausbildung von drei Azubis unter Leitung des Gartenbauingenieurs Werner Becker vom Grünflächenamt angelegt. Die verwendeten Materialien waren Reste anderer städtischer Bauvorhaben.
Dort wird heutzutage - wie auch an derer Stelle im Park - Boule gespielt.
Die Südstadt ist inzwischen ganz vorne im Engagement gegen Rassismus, was sich auch an dieser Anlage neben dem Bauspielplatz ablesen lässt:
Interessant: In den 1970er-Jahren traf sich hier auch regelmäßig eine Motorradgruppe namens "Hell's Riders", die in Seitenräumen des Forts an ihren Maschinen herumschraubte und schweißte.
( So edel war das Teil nicht, auf dem ich damals zur gleichen Zeit durch die Gegend als Beifahrerin gedüst bin...)
Im Park gibt es auch eine "Gauklerwiese" ( allerdings ist es nicht diese ) für artistische Experimente & Übungen...
Eine Hundefreilauffläche lädt zum Hundetraining ein.
Picknickwiesen wurden gut genutzt.
Efeustamm!
Oder das Platanen - Carrée.
Das ganz klassische Rosenparterre aus Enckes Zeiten ( heute nur noch mit Narzissen bepflanzt ) wird momentan noch von den blühenden Kirschpflaumen und weiteren Boule-Spielern beherrscht:
Ich hoffe, ihr konntet den doch auch etwas textlastigen Monatsspaziergang genießen ( ich bin halt selbst immer überwältigt, wenn ich mehr über meine Heimatsstadt erfahre ). Bei Heike gibt es noch mehr Spaziergänge zum Nachverfolgen!
Liebe Astrid, ich habe dich sehr gerne bei diesem Spaziergang begleitet und dabei mehr über diese Ecke von Köln erfahren. Das Schicksal des Jungen macht mich betroffen, vor allem da so eine Stimmung gegen vermeintlich nicht ganz dazu gehörende bereits wieder entsteht. Es hat zwar lange gedauert, aber immerhin wurde nun ein Versuch unternommen auf ihn und sein Schicksal aufmerksam zu machen. Der Park selbst und auch der Festungsbau sind ebenfalls interessant. Diese bewachsene Pergola ist wunderbar und der Park bereits jetzt gut für allerlei Freizeitaktivitäten genutzt.
AntwortenLöschenDanke für den Spaziergang mit Geschichtslektion 😊
Einen schönen Sonntag und liebe Grüße, heike
Das ist eine so schreckliche Geschichte, da weiß man gar nicht, was man dazu sagen soll. Es macht mich immer wieder sprachlos, wie grausam Menschen (auch/sogar/gerade Kinder) sein können.
AntwortenLöschenDer Park ist aber wirklich sehr schön. Danke für die vielen Fotos! Besonders gut gefällt mir das Schild vom Bauspielplatz. Ich glaube, die heutigen Kinder haben sich die eine oder andere Elterauszeit echt verdient. :-)
LG
Centi
ich bin gerne mit dir gegangen
AntwortenLöschensehr interessasnt was du alles heraus gefunden hast
ich habe gerade einige Bücher gelesen die in der damaligen Zeit spielen
man bekommt schon Beklemmungen wenn man an heute denkt :(
diese Laubengänge und "Alleen" mag ich auch sehr gerne
schöne Bilder hast du gemacht
liebe Grüße
Rosi
Das ist ein schöner geschichtsträchtiger Spaziergang, der mich natürlich auch traurig macht. Unfassbar, dass diese Tat erst 1988 ans Licht kam.
AntwortenLöschenDeine schönen Bilder und die Atmosphäre habe ich genossen. Danke für Deine Mühe und Arbeit uns mitzunehmen.
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag, liebe Grüße Tina
Gern war ich wieder dabei, bei Deinem Stadtspaziergang. Er führte auch in unsere dunkle Vergangenheit, die so weit nicht - mehr - weg ist. Welch tragisches Schicksal der Junge hatte und seine ganze Familie mit ihm. Und wieder haben viele weggesehen.
AntwortenLöschenHeute ist der Park ein Ort für Viele zum Ausruhen und sich Wohlfühlen. Die Gartenarchitektur ist sehr gelungen und Blickachsen haben immer etwas ganz Anziehendes.
Danke fürs Mitnehmen sagt herzlich,
Sieglinde
...wieder ein interessanter Beitrag aus deiner Stadt, liebe Astrid,
AntwortenLöschenund schön bebildert, die Sichtachsen mag ich besonders...
liebe GRüße Birgitt
Liebe Astrid, ich habe dich gerne durch ein Viertel deiner Stadt begleitet und dabei eine Geschichte über das Schicksal eines Jungen gelesen, welches bestürzend ist und nur betroffen macht. Das Mindeste ist da die Erinnerung in Form einer Straßenbenennung, dass er nicht in Vergessenheit gerät.
AntwortenLöschenDeine Bilder aus dem Park und die bewachsene Pergola mag ich auch sehr gern.
Nun wünsche ich dir einen gemütlichen Abend - lieben Gruß von Marita
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenoh die Geschichte ist schrecklich und lange her und doch ist sie wieder so so nah dass es täglich so auch hier passieren könnte. Ich bin jedes Mal wieder erschrocken und fassungslos wenn Menschen so etwas tun können!
Der Spaziergang durch das Viertel hat mir gut gefallen die Parkanlage ist toll aber davon habt Ihr in Köln wirklich Viele und das ist gut so. So einen Platanenhain gibt es bei uns auch auf der Mathildenhöhe, Du musst doch mal anreisen :-))
Liebe Grüße zum Sonntagabend
Kerstin und Helga