Aufgrund meiner Monatsspaziergänge im März & Mai habe ich mich im Netz in puncto Siedlungsbau in Köln umgetan. Und dabei habe ich festgestellt, dass eine dieser Siedlungen in meinem alten Schulbezirk völlig renoviert und neugestaltet worden ist. Vor 34 Jahren, als ich dort zu arbeiten anfing, war diese Siedlung, zumindest in den gutbürgerlichen Kreisen südlich davon im Zoo-Flora-Viertel, als "Rotes Riehl" verschrieen, denn dort wählte man vorrangig SPD. In der Siedlung wohnten viele Arbeiter, die bei Ford am Fließband standen und meist aus der Türkei stammten. Die Wohnungen waren erschwinglich, ohne Bad und Heizung und die Häuser wirkten unscheinbar grau. Dabei war die "Naumann-Siedlung" eine architektonische Perle des "Neuen Bauens"...
Neugierig geworden, stieg ich vor zwei Wochen mal wieder in den Bus, an der Haltestelle, von der aus ich auch zu meiner früheren Arbeit gestartet bin.
Ausgestiegen bin ich dann so, dass ich eine der beiden Einfahrten von Norden in die Siedlung passieren konnte.
Die andere habe ich mit Blick nach draußen auf den Blumengroßmarkt fotografiert.
Und kaum im Innern der Wohnanlage traf ich schon auf ein Beispiel der fortschrittlichen Müllaufbewahrung in dieser Siedlung: Statt in Tonnen wird der nämlich in unterirdischen Kammern gesammelt ( Unterflur-Müllsystem der AWB ).
Unterwegs fiel die äußerst vielfältige Türgestaltung auf.
Bei diesem Türsturz handelt es sich um ein Beispiel, welches den Einfluss expressionistischer Kunst auf die Baupläne des damals 1927-29 leitenden Architekten Manfred Faber veranschaulicht. Manfred Faber und seine Kollegen Otto Scheib, Fritz Fuß und Hans Heinz Lüttgen bedienten sich aus einem Vorrat von Formen, die sie so variabel einsetzten, dass die sachlich-modernen Fassaden der Häuserblöcke individueller wirkten. So gaben sie den Straßenräumen und Plätzen immer wieder andere Akzente.
Eine einheitliche Gesamtwirkung wurde bei der sonst vielgestaltigen Siedlung durch das rot-weiße Farbkonzept erreicht, das Fensterrahmen & Türeinfassungen betonte und das variierend in Putz oder Backstein ausgeführt wurde. Dieses Konzept wurde 2008-18 bei der Totalsanierung der Anlage der Kölner GAG - mit rund 42 000 Wohnungen Kölns größte Vermieterin - mit 565 Wohnungen ( statt ehemals 450 Wohneinheiten à Zwei- und Dreizimmerwohnungen von 45 und 65 Quadratmetern Größe ) wieder deutlich herausgearbeitet und so das Grau zum Verschwinden gebracht, dass ich noch gut kannte. Inzwischen gibt es auch sogenannte Vierspänner mit bis zu 122 Quadratmetern Wohnfläche.
11 Gewerbeeinheiten in Form von Läden dienten einstmals der Versorgung der Bewohner der Siedlung. Der Stadtteil hat inzwischen eine gute Infrastruktur mit zwei mal wöchentlichem Markt, der mit Obst, Gemüse und sonstigen Lebensmitteln versorgt, so dass die Ladenlokale u.ä. inzwischen eine Änderungsschneiderei, einen Kiosk, eine Kita in der ehemaligen Kneipe, ein Quartiersbüro direkt am Naumannplatz oder andere Büros beherbergen.
Während meines Besuches fand ein großer Hofflohmarkt statt. Auf den Dächern von bei der Sanierung neu angelegten Tiefgaragen wurden neue Spiel- und Grünflächen mit überdachten Fahrradstellplätzen, Bänken usw. angelegt. Die einst an diese Hofflächen angrenzenden herkömmlichen Garagen & Kellerräume wurden in Gartenwohnungen umgestaltet. Die sichtbare Häuserzeile im Hintergrund der Grünfläche gehört nicht mehr zur Siedlung.
Die Rückseiten der Siedlungshäuser sehen eher so aus. Auch die Dachgeschosse, einst Trockenböden, ließen sich zu Wohnungen ausbauen. Dazu wurde bei gleichbleibender Traufhöhe der First der Satteldächer um etwa 60 cm angehoben.
Die profilierten ziegelroten Sprossenfenster, zum Teil über Eck sitzend, wurden in ihren originalen Proportionen, aber mit Wärmeschutzverglasung und Wiener Sprossen nachgebaut. Ein modernes Fernwärmeheizsystem ist ebenfalls installiert worden & berücksichtigt ökologische Erkenntnisse.
Die meisten Häuser sind in nord-südlich verlaufenden Blockrandbebauungen angeordnet. Auch hier galt wieder das Motto des Kölner Siedlungsbaus der GAG: "Lich, Luff & Bäumcher".
Besonders mag ich in dieser Siedlungen die vielen Durchgänge.
Einer führt zu einem Spielplatz, den ich mit meinen Schüler*innen gerne bei großer Hitze aufgesucht habe, weil der viel Schatten bot.
Interessant was bei meinen Forschungen sonst noch so herausgekommen ist: Der Architekt Manfred Faber, da jüdischer Herkunft, wurde von den Nazis drangsaliert. So musste er aus seinem Haus in Ehrenfeld in das "Judenhaus" in der Cäcilienstraße ziehen, bevor er in das Messelager Köln überstellt und von dort aus im Juli 1942 zunächst nach Theresienstadt und am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert wurde, wo er am Tag darauf mit 64 Jahren den Tod fand.
Sein Name war in keinem Kölner Archiv, auch dem der GAG, mehr zu finden und so verschwand der Architekt - berühmt ist seine "Märchensiedlung" in Holweide auf der Schäl Sick, die lange ausschließlich dem Kölner Architektenstar Wilhelm Riphahn zugeschrieben wurde - aus dem Kölner Gedächtnis. Bis eine Riehler Intiative & die Bezirksvertretung Nippes vor zwei Jahren eine Plakette auf dem Naumannplatz anbringen ließen und eine Neugestaltung des Platzes vereinbart wurde. Leider habe ich die Gedenktafel nicht gefunden, dafür Anzeichen für Baumaßnahmen.
Ich hoffe, dieser erneute Ausflug in die Bauhistorie meiner Stadt in der Weimarer Republik hat gefallen. Die Siedlung steht seit 1995 als baugeschichtlich bedeutendes Beispiel der 20er Jahre unter Denkmalschutz. Die Totalsanierung wurde 2011 mit dem Sonderpreis "Denkmalschutz im Wohnungsbau" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sowie dem Deutschen Bauherrenpreis Modernisierung ausgezeichnet und 2021 dann mit dem Kölner Architekturpreis.
Beeindruckende Fotos der Siedlung aus der Vogelperspektive sind
hier zu finden.
Für mich war diese Reise in die Architektur- & Zeitgeschichte gleichzeitig eine in meine ganz persönliche Lebensgeschichte, habe ich doch achtzehn Jahre lang in unmittelbarer Nähe der Naumannsiedlung gearbeitet. Diesen Monatsspaziergang verlinke ich wieder mit
Kristina Schapers Blog.
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenVielen Dank für diese wunderbare Fotostrecke und die historische Einordnung. Ich liebe solche Informationen über Architektur und Städtebau.
Leider ist es für mich kaum möglich, bei dir zu kommentieren, ich habe schon so oft Kommentare geschrieben, die ich dann nicht veröffentlichen oder absenden konnte. Sehr schade. Ich versuche es heute mal wieder….
Vielen Dank auch für deinen Besuch auf meinem Blog und den Kommentar, ich habe mich sehr darüber gefreut.
Liebe Grüße aus Hamburg
Tina (fishkopp)
Liebe Astrid, sehr schön finde ich deine monatlichen Beiträge zu großen historischen Wohnsiedlungen deiner Stadt. Köln bietet anscheinend, ähnlich wie Wien, eine sehr gute und qualitätvolle Bandbreite davon an. Gerne mehr davon, ich begleite dich immer gerne. Und bekomme diesmal in Form den geometrisch gemusterten Türsturzes auch gleich noch Inspirationen für Patchwork mitgeliefert, noch besser ;-)
AntwortenLöschenKann das sein dass du noch nicht mit dem Monatsspaziergang verlinkt hast?
LG heike
Liebe Heike, ich bin erst heute Mittag von einem Familienfest heimgekehrt und hatte mir eine Abstinenz von "social media" gegönnt ( das für gab es viel Familie ).
LöschenGLG
Super interessant und - wie immer- tolle Fotos! Danke für die Einblicke! Herzlich, Sunni
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
AntwortenLöschensehr interessant, dein Bericht über die Wohnanlage.
Mich spricht sie sofort an. Ich finde sie sehr gemütlich und "geborgen". Vielleicht auch wegen der Sprossenfenster.
Ich würde einziehen.
"Lich, Luff und Bäumcher". Wäre schön, wenn sich heute auch an die Devise gehalten würde.
Viele Grüße,
Claudia
Danke liebe Astrid für diesen schönen Rundgang.
AntwortenLöschenWieder etwas über Köln gelernt.
Solche Siedlungen haben etwas heimeliges.
Bist Du beim Flohmarkt fündig geworden?
Lieben Gruß
Nicole
Ein interessanter Rundgang durch eine historische Kölner Siedlung, die durch die Farben und Fenster optisch sehr ansprechend ist. Die Durchgänge sind wirklich besonders schön gestaltet. Danke dir, liebe Astrid für deine Eindrücke.
AntwortenLöschenEine gute neue Woche wünscht dir Marita
Sehr interessant und architektonisch gelungen und schön. Die Durchgänge hätten es mir auch angetan. ☺️ Und dass der ganze Komplex so gut renoviert wurde, dem eigentlichen Architekten wenigstens die Ehre noch zu teil wurde. Welche Geschichte und Geschichten doch immer auch dahinter stecken.
AntwortenLöschenDanke für s Mitnehmen und eine schöne Woche
Liebe Grüße
Nina
Guten Morgen Astrid, sehr gerne habe ich Dich bei diesem Spaziergang begleitet. Vielen Dank für die schönen Bilder. Das Schicksal des Architekten hat mich sehr getroffen. Immer wieder, wenn ich von solchen Schicksalen lese.
AntwortenLöschenIch wünsche Dir einen schönen Tag, liebe Grüße Tina
Eine schöne Siedlung, tolle Fenster und nette Durchgänge - und Loggien, keine Balkone, find ich viel gemütlicher! Hofflohmärkte finde ich auch klasse.
AntwortenLöschenEs ist sehr interessant, eine Stadt so zu erkunden...!
Herzliche Grüße, Maren
wunderschöne Bilder
AntwortenLöschenda ist die Sanierung aber voll und ganz gelungen
eine Gegend in der man sich zu hause fühlen kann
da würde ich auch gerne wohnen ;)
(wenn die Mieten dann auch noch "passen" )
das Schicksal des Architekten macht mich betroffen
ich kann noch immer nicht verstehen wie hochangesehene Menschen von heute auf morgen nichts mehr wert waren :(
(die "normalen" Leute natürlich auch )
dieser "Zeitgeist" andere zu beschimpfen die etwas mehr auf dem "Kasten" haben als man selber
greift leider heute auch wieder um sich und man muss aufpassen dass da
nichts Schlimmeres draus erwächst
ups .. zu schnell
AntwortenLöschenliebe Grüße
Rosi
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenja, dein Rundgang durch die Siedlung hat gefallen! Ich sehe ja heute zum ersten Mal Bilder von der Anlage und mir scheint, die Renovierung und Modernisierung ist gelungen. Sehr ansprechend und auch schöne Farben! Diese Fensterform habe ich aus Hamburg auch gut in Erinnerung. Dann allerdings in weiß mit Klinkerfassade...
Viele Grüße
Kristina
Liebe Astrid, vielen Dank für diesen Artikel. Du hast mich inspiriert beim nächsten Köln Besuch genau dort einmal vorbeizuschauen. Lieben Gruß, Birgit
AntwortenLöschen...ich glaube zwar nicht, liebe Astrid,
AntwortenLöschendass ich mal wieder in einer Großstadt leben werde, wenn aber doch, dann bitte in so einer Siedlung...in Köln gibt es einen Leipziger Platz? wusste ich auch noch nicht...
wünsche dir einen guten Tag,
liebe Grüße Birgitt