Dienstag, 3. Mai 2022

Wie oft wollt' mich die Welt ermüden!

Joseph von Eichendorff

aus: 
Der Pilger

Wie oft wollt' mich die Welt ermüden!
Ich beugt auf's Schwert mein Angesicht
Und bat dich frevelhaft um Frieden. -
Du wußtest's besser, gabst ihn nicht.


Die Angst vorm Krieg und der Wunsch nach Frieden begleitet mich schon mein ganzes Leben. Auch der apokalyptische Schrecken vor der Atombombe verfolgt mich so lange. Ich bin ein Flüchtlingskind, dazu ein Kind der Kubakrise, der Stationierung sowjetischer Atomraketen auf der Insel im Jahr 1962. Es gab Instruktionen & Übungen, wie man sich zu verhalten habe ( die Aktentasche übern Kopf! ), es gab eine entsprechende Vorratshaltung im Keller ( Brot & Fleisch in Dosen! ), der Vater blieb Tag & Nacht im Ministerium auf der Hardthöhe in Bereitschaft. Es gehörte völlig selbstverständlich zu meinem, zu unser aller Leben damals, diese reale Möglichkeit, dass ein Krieg von hier auf gleich ausbrechen könnte, auch in den Folgejahren.

Für die letzten dreißig Jahre war diese Bedrohung irgendwie aus unserer Gedankenwelt verschwunden, und wer erst Mitte bis Ende der 1980er Jahre geboren wurde, kennt das Gefühl wohl nicht. Da ist eine Generation, eine Gesellschaft, herangewachsen, die jahrzehntelang ausschließlich in zivilen Kategorien gedacht hat und jetzt auf einmal praktisch über Nacht militärisch denken soll. 

Die aktuellen Drohungen sind für mich irgendwie sekundär. Wenn Putin es möchte, dann sehen wir ohnehin nur noch einen kurzen Blitz. Das war gestern so, ist es heute und wird morgen so sein. Und kurz darauf wird auch in Moskau alles quasi zu grauem Staub. Wer den Atomschlag überleben würde? Insekten. Ein Tier, das eine reelle Chance hat, ist die Kakerlake. Kakerlaken haben alles überlebt, Meteoriteneinschläge, Eiszeiten, Atombombenversuche in der Südsee. Die werden auch Putin überleben und seinen Traum vom großen eurasischen Reich unter seiner Führung bis nach Lissabon. Geschichtsbücher sind dann ohnehin obsolet.



Die Idee, dass durch entsprechendes Agieren diese Bedrohung abgewendet werden könnte, erscheint mir absurd. In russischen Medien und auch von russischen Offiziellen wird schon seit einiger Zeit Deutschland als nach wie vor von Nazis regiert dargestellt und behauptet, der 2. Weltkrieg hätte nie aufgehört und Deutschland wäre nach wie vor ein faschistisches Land. Es liegt also auf der Hand, dass wir als legitimes Angriffsziel der russischen Bevölkerung verkauft werden, wie es im russischen Fernsehen geschieht. Der Fernseh- und Radiomoderator & Chefpropagandist Wladimir Solowjow redet ja jetzt schon davon, dass nicht nur die Ukraine entnazifiziert werden muss, wenn die "Spezialoperation" zu einem Ende gekommen ist. Und er vergisst nicht hinzufügen: "There will be no mercy."

Es ist unabhängig davon, wie wir uns verhalten oder nicht, das Urteil scheint schon festzustehen. Was auch immer Deutschland tut, Putin wird für sein Handeln immer ein ihm passendes Motiv aus der Tasche ziehen, das zeigt er in diesen Tagen deutlich. Mir scheint er in keiner Form berechen- &  beeinflussbar.

Ängste vor einem Atomkrieg zu verbreiten, um Zweifel in der deutschen Gesellschaft bzw. der EU zu säen und deren Entschlossenheit zu gefährden, ist wohl ganz in seinem Sinne. Das hat er ja schon zuvor erfolgreich betrieben im Rahmen der Corona - Pandemie, in Frankreich mit der finanziellen Unterstützung des Rassemblement National usw., unter welch blumiger Bezeichnung seine Fünfte Kolonne auch immer unterwegs gewesen und noch ist und auch in Zukunft, sollte es die geben, sein wird.

Auch dieser Krieg zieht wieder einmal die Wertelinien in unserer Gesellschaft neu bzw./oder macht sie schonungslos sichtbar. Mit solchen, die sich mehr über diejenigen empören, die die Durchsetzung von Recht und Gesetz hochhalten, als über einen Kriegsverbrecher, tue ich mich schwer.