Donnerstag, 20. Januar 2022

Great Women #287: Lotte Laserstein

Von der Künstlerin, die ich heute in meiner Reihe vorstellen will, habe ich anlässlich einer Ausstellung 1992 zum 125. Gründungstag des Vereins der Berliner Künstlerinnen in der Berlinischen Galerie erfahren: Lotte Laserstein. Dass ihr Werk in Deutschland so lange vergessen gewesen ist, liegt daran, dass nach dem Zusammenbruch 1945 mit der gegenständlichen Kunst der zwanziger Jahre radikal gebrochen wurde und einzig die Abstraktion nach den Jahren der Verfemung im "Dritten Reich" als Rückgewinn ästhetischer Freiheit angesehen worden ist, auch um wieder international Anschluss an die Kunstströmungen der Zeit, an Paris & New York zu gewinnen. Inzwischen, nachdem 2010 aus Privatbesitz bei einer Sotheby’s-Auktion ihr "Abend über Potsdam" für eine halbe Million für die Nationalgalerie erworben werden konnte, ist ihr Werk aus der Verborgenheit herausgetreten, zumindest für die, die das Gemälde in Berlin betrachten konnten.

Preußisch Holland um 1900

"Hätte ich nicht meine eigene Wirklichkeit im Malkasten gehabt, 
diesem kleinen Köfferchen, 
(…) so hätte ich die Jahre nicht durchstehen können, 
in denen mir alles genommen wurde: 
Familie, Freunde und Heimat."

Lotte Meta Ida Laserstein wird am 28. November 1898 in Preußisch Holland ( heute Pasłęk ), einer Kleinstadt im preußischen Landkreis gleichen Namens im Regierungsbezirk Königsberg/ Ostpreußen als erste Tochter der Klavierlehrerin Anna Ida Meta Birnbaum, 31 Jahre alt, und des gutsituierten Apothekers bzw. Apothekenbesitzers - da ist die Quellenlage nicht besonders gut - Hugo Laserstein, 39 Jahre alt, geboren. Beide Eltern sind protestantisch getauft, die Eltern des Vaters sind jüdisch und in Preußisch Holland ansässig gewesen. Bei Meta hingegen ist nur der Vater, der in Danzig verstorbene Landgerichtsdirektor Salomon Birnbaum, Jude. Nach dem Rassengesetz von 1933 wird Lotte später als Dreivierteljüdin betrachtet werden, auch wenn das Jüdische in ihrem Leben nie eine Bedeutung gehabt hat. Die Familie ist assimiliert und durch und durch an bildungsbürgerlichen Werten & Vorstellungen orientiert.

Lotte ist die erste Tochter der Lasersteins. Schwester Käte Rosalie wird zwei Jahre später geboren. 

1901 wird bei Lottes Vater ein Herzleiden diagnostiziert. Eine Behandlung im noblen hessischen Bad Nauheim im Sanatorium eines Spezialisten für Herzkrankheiten erscheint notwendig & erfolgversprechend. Also wird das väterliche Anwesen in Preußisch-Holland samt Apotheke verkauft und in Bad Nauheim durch Meta Laserstein ein Haus erworben, in dem sie mit den Töchtern wohnt. Doch von langer Dauer ist dieser Aufenthalt in Hessen nicht: Hugo Laserstein stirbt am 2. März 1902 im Alter von 42 Jahren. Die kleinen Mädchen sind vier bzw. zwei Jahre alt, als der Vater stirbt. Das Haus in Bad Nauheim bleibt im Familienbesitz,  die Mutter siedelt mit ihren Töchtern aber nach Danzig zu ihrer ebenfalls verwitweten Mutter Ida Birnbaum und deren Schwester Elisabeth "Elsa" Birnbaum um. 

Lotte in der Malschule der Tante
(1910)

Die Tante betreibt eine private Malschule, und von ihr erhält Lotte ab 1908 ihren ersten Zeichenunterricht. Die Großmutter wird eine ebenfalls sehr geschätzte Bezugsperson. Das Mädchen wächst also auf in einem künstlerisch geprägten Milieu und äußert schon früh die feste Grundüberzeugung, Malerin werden zu wollen. Von familiärer Seite wird ihr kein Stein in den Weg gelegt, was den für diese Zeit nicht gerade üblichen Berufswunsch für ein Mädchen anbelangt. Einem kleinen Freund & Verehrer verkündet Lotte selbstgewiss: "Ach, du verschwendest Deine Zeit mit mir. Ich werde nicht heiraten, sondern mein Leben der Kunst widmen."

1912 ziehen die Laserstein-Frauen - Meta, Ida, Lotte & Käte - weiter nach Berlin und lassen sich in der Stierstr. 19 in Friedenau nieder. Dort werden zwei separate Wohnungen gemietet. Lotte und Käte besuchen das Chamisso-Lyzeum am Barbarossa Platz in Schöneberg, eine recht teure Schule. Lotte legt dort 1918 das Abitur ab. Wie die Familie den Krieg überstanden hat, wissen wir nicht.

Wolfsfeld in der Mitte mit weißem Kittel,
Lotte direkt hinter ihm
(1925)
Anschließend beginnt Lotte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Philosophie und Kunstgeschichte zu studieren und macht nebenher eine Ausbildung in Gebrauchsgraphik. Von 1920-21 nimmt sie schließlich Privatunterricht bei Leo von König, einem Maler der Berliner Secession, der sich in den Bereichen Aktzeichnen und Porträtmalerei einen Namen gemacht hatte. 1921, zwei Jahre nachdem auch Frauen zum Studium an den Kunstakademien zugelassen worden sind, schreibt sie sich an der traditionsverbundenen "Akademischen Hochschule für die Bildenden Künste" ein (ab 1924: "Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst" ), neben der Preußischen Akademie der Künste die wichtigste Ausbildungsstätte für junge Künstler*innen. Hier erhält Lotte eine solide handwerkliche Ausbildung, die ihr weiteres Schaffen nachhaltig prägen und auf die sie immer stolz sein wird. Ihr Lehrer ist Erich Wolfsfeld, dessen Werk stark vom Realismus des 19. Jahrhunderts, von Wilhelm Leibl & Adolph von Menzel beeinflusst ist. Lotte wird dessen Meisterschülerin ab 1925.

In den Inflationsjahren 1922-1924 verliert die Familie Laserstein einen Großteil des Familienvermögens, so dass Lotte ihr Studium teilweise als Illustratorin und als Gebrauchsgraphikerin finanziert und die Hochschule um Erlass der Studiengebühren bitten muss. Sie nimmt eine Vielzahl von Gelegenheitsjobs an, darunter das Reduzieren von orientalischen Teppichmustern für einen Teppichhersteller, das Dekorieren von Porzellan und die Illustration eines riesigen anatomischen Lehrbuchs.

Die fleißige und hoch begabte Studentin erhält 1925 auch die sogenannte Ministermedaille, die vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung als Anerkennung für Studientalente vergeben wird. Im selben Jahr freundet sie sich mit Traute Rose an, die zum wichtigsten Modell ihrer Berliner Schaffenszeit und lebenslange Freundin werden wird. Die kommt in vielen Werken vor: "Traute war eine natürliche Athletin und konnte lange und schwierige Posen hervorragend halten."

Lotte Laserstein gelingt, was für eine Künstlerin in den 1920er- und 1930er-Jahren alles andere als selbstverständlich ist: 1927 schließt sie ihr Studium als Meisterschülerin ab und schafft sich durch die Gründung einer Malschule in ihrem ersten eigenen Atelier ( damit ihrer Tante Elsa als Vorbild folgend ) ihre finanzielle Unabhängigkeit, kann sich also mit ihrem Beruf über Wasser halten. Sie ist gut vernetzt: Sie ist Mitglied diverser Künstlerinnenvereine wie dem Deutschen Lyceum-Club, dem Deutschen Staatsbürgerinnen-Verband oder dem Verein der Berliner Künstlerinnern (VdBK). Diese Netzwerke sind wertvoll, bieten sie doch in regelmäßigen Abständen Ausstellungsmöglichkeiten, über die Lotte sich einen Kreis von Auftraggebern und Käufern erschließen kann. 

Lotte Lasersteins "Tennisspielerin" ( oben links ) im "Bazaar" 1930
Source

Die Zeit der Weimarer Republik ist auch eine Zeit der illustrierten Zeitschriften: Umfangreich bebilderte Artikel spielen neben Werbeanzeigen eine Schlüsselrolle bei der Forcierung neuer Trends. Lotte nutzt diese Zeitschriften zur Präsentation ihrer Kunst, allerdings nicht als Auftragsarbeiten wie etwa Jeanne Mammen ( siehe dieser Post ). Ihre Gemälde werden abgedruckt, und das sichert ihr immer wieder eine nicht zu verachtende zusätzliche Vergütung. ( Sie hat sogar eine Presseagentur beauftragt, Rezensionen von ihr zu sammeln. ) Das Berliner Tageblatt äußert sich 1929 zur ihr: "Lotte Laserstein – diesen Namen wird man sich merken müssen. Die Künstlerin gehört zu den allerbesten der jungen Maler Generation, ihr glanzvoller Aufstieg wird zu verfolgen bleiben!"
"Dass Lasersteins Werke viel Anklang in populärkulturellen Medien fanden, dürfte nicht zuletzt auf die Wahl ihrer Bildthemen zurückzuführen sein. Sie richtet sich ganz auf ihr großstädtisches Umfeld in Berlin. Immer wieder setzt sie den Typus der sogenannten Neuen Frau in Szene, den sie mit Bubikopf und androgyner Kleidung auch selbst verkörperte. Selbstsicher präsentiert sie sich und ihre Modelle im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens, als sportliche Tennisspielerin ebenso wie als lässig-elegante Kaffeehausbesucherin. Die junge Frau mit der Puderdose ist ein weiteres Beispiel dafür, das außerdem subtil auf das politische Zeitgeschehen verweist: Vermutlich diente Laserstein in diesem Fall eine der russischen Exilantinnen als Modell, die das Berliner Stadtbild nach der Oktoberrevolution 1917 prägten", schreibt Fabienne Ruppen im Städelblog.

Dieses "Russisches Mädchen mit Puderdose" ist 1928 Lottes Beitrag zum Preisausschreiben der Kosmetikfirma Elida in Zusammenarbeit mit dem Reichsverband bildender Künstler zur Ermittlung des "schönsten deutschen Frauenporträts" und mit einem Preis von 10 000 RM dotiert. Die mediale Aufmerksamkeit, die dem Wettbewerb gilt, verschafft der Malerin wachsende Bekanntheit im ganzen Land. Es kommt aus den 365 eingereichten Arbeiten in die Endrunde der letzten 26. Im Juni des Jahres kauft die Stadt Berlin das Gemälde "Im Gasthaus" - ein beeindruckendes Bild - für 950 Reichsmark. Auch hat sie in dem Jahr als eine von acht Frauen ( unter 182 Teilnehmern ) an der Frühjahrsschau der Preußischen Akademie der Künste teilnehmen dürfen. Im Jahr darauf zeigt sie dort ihr erstes Hauptwerk: "In meinem Atelier". In den nächsten Jahren bis 1931 wird Lotte an ingesamt 22 Ausstellungen teilnehmen. 

Diese Selbstvermarktung spiegelt sich auch in ihren Werken wider: Lotte setzt sich als Schöpferin ihrer Werke mit ins Bild, erscheint im Hintergrund an der Staffelei sitzend oder stehend mit Malerkittel und Palette in der Hand. Das sind Darstellungformen in der Malerei, die schon von den Meister*innen der Renaissance eingesetzt worden sind.

"Maler in den Dünen"
(1933)
Nach dem Tod der Großmutter trennen sich die Laserstein-Frauen: Lotte zieht nach Berlin‑Wilmersdorf, an der Tür befestigt sie ein selbstgebasteltes Schild: Zeichen und Malschule Lotte Laserstein, W 50, Nachodstraße 15, Telefon Rheingau 1611. 

Es ist eine private Malschule für Akademieanwärter, die sich bei ihr auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten können. Eine gewisse Zeit im Jahr reist sie mit dieser Studentengruppe in die Lüneburger Heide, ins Teufelsmoor bei Bremen oder in die Nähe von Cuxhaven an der Nordsee, um Pleinair zu malen. Mit schnellem Strich ist auf einer dieser Studienreisen "Maler in den Dünen" 1933 entstanden, wie immer bei ihr auf Hartfaserplatte. Solche Bilder beweisen, dass die Landschaftsmalerei im Œuvre von Lotte Laserstein nicht erst im Exil zu Tage tritt, sondern schon ihr gesamtes Künstlerinnenleben begleitet hat. 

Doch sind es vor allem ihre Porträts, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, haben sie doch meist eine bestechende psychologische Tiefe. Swantje Karich nennt es hier den "Lotte-Laserstein-Blick": "intensiv, klar und direkt und doch skeptisch, kritisch, forschend."

Um diese Zeit findet auch ein Stilwechsel bei ihr statt: Den konturbetonten, flächigen Stil gibt sie jetzt zugunsten eines locker gelösten Duktus auf -  ein höchst eigenwillig anmutende Malerei auf hohem technischem Niveau! Beeindruckend ist das hier zu sehen:

"Rückenakt"
(1930)
Source

1931 richtet ihr die renommierte Galerie Gurlitt in Berlin die erste Einzelausstellung aus. Lotte Laserstein ist nicht eine große Avantgardistin, sie steht viel mehr für eine konservative Moderne, entwickelt sich aber zu einem Rising Star in der Weimarer Republik. Sie ist jedoch längst noch nicht auf ihrem Zenit angekommen, denn Werke von ihr sind noch nicht in Museen eingezogen, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen.

Die nach 1933 entstehenden Bilder Lotte Lasersteins hätte den Nazis eigentlich gefallen können und einen Platz finden in deren künstlerischem Kosmos. Wahrscheinlich hat sich aber die Frage nach einer tatsächlichen Mitwirkung am neuen Gemeinwesen aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und ihrer persönlichen Integrität für Lotte gar nicht gestellt. Schließlich wird sie mit der Einführung der Rassegesetze zum "Mischling I. Grades" abgestempelt und damit vom zukünftigen Kulturleben ausgeschlossen. So darf keine Werbung für ihre private Malschule am Schwarzen Brett der Akademie  der Künste anbringen, kann nicht mehr ausstellen, ihre Mitgliedschaft in Kunstvereinen endet und die Beschaffung von Farben und Materialien wird schwierig und muss von Freunden übernommen werden. Außerdem ist sie der antisemitischen Hetze ihres Vermieters ausgesetzt.

Ab 1935 müssen alle Künstler Mitglied im "Fachverband Bund Deutscher Maler und Graphiker" der "Reichskammer der bildenden Künste" sein. Lotte kommt dem nicht nach und muss ihre Malschule schließen. Sie findet eine Anstellung als Kunstlehrerin an der höheren jüdischen Privatschule von Luise Zickel in Berlin-Schöneberg, an der auch ihre Schwester Käte unterrichtet und die dort ihre Lebensgefährtin Rose Ollendorff, ebenfalls Jüdin, kennenlernt. 

Der "Kulturbund Deutscher Juden" ( später "Reichsverband der Jüdischen Kulturbünde in Deutschland" ) weist eine Zusammenarbeit mit ihr mit dem Hinweis zurück, man wolle sich auf den Kreis der Mitglieder der Berliner jüdischen Gemeinde beschränken.

Zunächst denkt die Künstlerin über eine Flucht nach Italien nach. Ende 1937, gerade als das Naziregime offiziell die Grenze zwischen "rassisch reiner" und "entarteter" Kunst zieht, wird Lotte Laserstein eine große Ausstellung in der Stockholmer "Galerie Moderne" offeriert. Das bietet der Künstlerin eine unvorhergesehene Gelegenheit, viele ihrer Gemälde und Zeichnungen einschließlich ihrer selbst außer Landes zu bringen. 

Doch auch in Schweden kann sie nicht uneingeschränkt frei leben & arbeiten und ist auch dort nicht vor antisemitischen Anfeindungen geschützt. Sie erhält Hilfe aus der Jüdischen Gemeinde in Stockholm und geht am 11. Juni 1938 eine Scheinehe mit dem Gemeindemitglied Sven Jakob Marcus, einem 61jährigen Kaufmann, ein, um die schwedische Staatsbürgerschaft und ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Vor den schwedischen Behörden verheimlicht sie, dass sie in Deutschland als Jüdin verfolgt worden ist ( Juden müssen auch in Schweden stets eine Kennkarte mit dem Buchstaben J bei sich tragen ).

Der Neuanfang in Schweden stellt einen gehörigen Kraftakt dar, denn sie muss die Sprache erst lernen, hat keine Freunde und schon gar nicht Familie dort. Aber sie geht vor wie dereinst in Berlin: Sie baut sich wieder ein Netzwerk auf, indem sie sich bei der Emigrantenselbsthilfe Stockholm, gegründet 1938 nach dem Novemberprogrom, an elementaren Hilfsleistungen beteiligt. Sie führt im Namen dieser Organisation durch die Gemäldegalerie des Stockholmer Nationalmuseums und entwirft Einladungs- und Informationsblätter.

Sie kommt aber nicht nur in Kontakt zu anderen Emigranten, die sie in Porträts festhält, sondern über ihre Galeristin und die Jüdische Gemeinde auch zur schwedischen Aristokratie. Auf diese Weise etabliert sie sich als Auftragsmalerin und porträtiert nach und nach das Who’s Who der schwedischen Gesellschaft. Sie ist ungeheuer produktiv, auf zehntausend Werke wird ihr in Schweden entstandenes Œuvre geschätzt ( aus ihrer Berliner Zeit sind nur rund 300 Gemälde und gut 100 Papierarbeiten bekannt ). Künstlerisch wirkt sich diese Beschränkung auf Auftragsmalerei aus, sie malt Landschaft für Landschaft, Honoratioren, ganze Großfamilien vom Enkel über den Hausherrn bis zur Großmutter, egal ob von Adel oder großbürgerlich - alles technisch versiert, aber ohne die Ecken und Kanten und fern von einer Infragestellung dieses Genres, wie man es von ihr aus Berlin gewohnt gewesen ist. "Brachte Laserstein in den Porträts ihrer Berliner Zeit noch das besondere und enge Verhältnis zum Modell zum Ausdruck, rief von nun an die Distanz zum Modell einen neuen Malstil hervor", bemerkt dazu Eva Atlan hier ( dort auch einige Bildbeispiele! ).

Selbst in Sicherheit, sorgt sie sich um ihre Angehörigen in Berlin. Ihre Mutter besucht sie 1939, kehrt aber am 3. September des Jahres nach Berlin zurück. Dort gerät sie, ebenso wie Schwester Käte, immer mehr unter den Druck des Regimes. Sie müssen ab 1941 z.B. den Judenstern tragen. Käte ist für den 31. Deportationstransport aus Berlin nach Auschwitz am 1.3.1943 vorgesehen, taucht deshalb unter. Bei einer Hausdurchsuchung gibt Meta Laserstein den Aufenthaltsort der Tochter nicht preis, wird am 29. Juli 1942 verhaftet und im Dezember 1942 in das Konzentrationslager Ravensbrück überführt, wo sie am 16. Januar 1943 stirbt.

Käte selbst lebt zunächst in der Wohnung der Lebensgefährtin Rose Ollendorf, ab März 1943 ohne Wissen der Besitzerin versteckt in einer ungeheizten Laube in Schmargendorf, die der ehemaligen Lehrerin Roses gehört, ohne Kochmöglichkeiten und im Winter ohne Wasser, aber mit Nachbarn, deren Verrat frau fürchten muss. Ab Februar 1945 leben sie in der Wohnung von Lilly Wust ( bekannt aus "Aimée & Jaguar" ) in der Friedrichshaller Straße in Schmargendorf. Käte übersteht die Zeit zusammen mit Rose Ollendorf schwer traumatisiert, die dritte Mitbewohnerin der Laube begeht im August 1945 sogar Suizid. Im Juli 1946 zieht Käte vorübergehend zu ihrer Schwester nach Schweden, kehrt jedoch 1954 wieder endgültig nach Berlin zurück und unterrichtet als Studienrätin an der Gertrauden-Schule in Dahlem.

"Damenporträt"
(1940er J.)
Lotte kommt mit ihrer Emigration nur zurecht, weil sie sich ein "zweites Leben" dank ihrer Schaffenskraft und ihrer existenziellen Selbstdefinition als Künstlerin aufbauen kann. Eine Krise bleibt auch bei ihr nicht aus, weil ihr zunehmend schmerzlich bewusst wird, wie groß der Unterschied zwischen ihrer "hoffnungslos altmodischen" Malerei und der Nachkriegsavantgarde ist.

"Nun war Schweden in den 1950ern nicht vergleichbar mit dem Berlin der 1920er: Das Land war sehr konservativ und Laserstein passte sich dieser Umgebung an. Sie malte Auftragsporträts, Bauernkinder und Blumenstillleben, während Jackson Pollock in New York an seinen Drip Paintings arbeitete. So ist sie über die Grenzen von Schweden hinaus in Vergessenheit geraten. Dabei hat sie auch in ihrer zweiten Heimat das erreicht, was sie immer wollte: von ihrer zu Kunst leben. Insofern ist ihre Geschichte eine Erfolgsgeschichte", so Alexander Eiling vom Städelmuseum an dieser Stelle.

In Deutschland ist Lotte Laserstein nach dem Krieg völlig aus dem Blickfeld geraten, da sie in keinem Museum vertreten und auf dem Kunstmarkt nicht präsent ist, hat sie doch einen Großteil ihrer Werke mit ins Exil genommen. Ihre realistische Malweise ist außerdem nicht en vogue, die Abstraktion gilt, wie schon gesagt, als Rückgewinn ästhetischer Freiheit. Die junge Bundesrepublik braucht ein strategisches Gegenbild zur nationalsozialistischen Kunstästhetik und ab dem Ausbruch des Kalten Krieges auch eines zum Sozialistischen Realismus der Sowjetunion DDR. So ist die Künstlerin in dem Werk "Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus 1918-1933" von 1969 mit keiner Silbe erwähnt. In Schweden hingegen ist sie bis zu ihrem Tod landesweit in einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen. Beeindruckend  finde ich ihre "Abendunterhaltung" von 1948.

"Selbstporträt"
(1950)
Source

Am 18. August 1965 kommt Lotte Laserstein noch einmal zum Begräbnis ihrer Schwester Käte nach Berlin. Außer den Lehrern und Schülern der Gertrauden-Schule in Dahlem, an der Käte unterrichtet hat, und den Nachbarn aus dem Haus in dem sie einst gewohnt hat, interessieren sich weder Museen noch Medien für die inzwischen 65-jährige Malerin.

Seit 1954 lebt die Künstlerin in Kalmar in der schwedischen Region Småland an der Südostküste. Im Sommer 1986 macht sich die Engländerin Caroline Stroude, die für eine Ausstellung über Erich Wolfsfeld recherchiert, auf den Weg zu seiner ehemaligen Meisterschülerin. Als Stroude die riesige Sammlung von Werken Lasersteins aus ihrer Zeit in der Weimarer Republik sieht, beschließt sie, ihr eine Sonderausstellung zu widmen. 1987 ist das Werk Lotte Lasersteins sowohl in Agnew’s als auch in der Belgrave Gallery in London zu sehen, mit einem solchen Erfolg, dass Agnew's 1990 beschloss, eine weitere Ausstellung zu veranstalten, bei der Lasersteins Werke zusammen mit denen von Erich Wolfsfeld und ihrem eigenen Schüler Gottfried Meyer gezeigt werden. Die inzwischen hochbetagte Künstlerin findet mit ihren Bildern nun Aufnahme in namhaften Museen in den Vereinigten Staaten und Kanada.

Lotte Laserstein stirbt am 21. Januar 1993, morgen vor 29 Jahren, im Alter von 94 Jahren in Kalmar, bevor eine dritte und letzte Ausstellung bei Agnew’s veranstaltet wird. 

Das sollte nicht das Ende von Lasersteins Geschichte sein: In Deutschland wird sie 2003 durch die Retrospektive "Lotte Laserstein. Meine einzige Wirklichkeit" wiederentdeckt, die Anna-Carola Krausse für "Das Verborgene Museum" kuratiert und die das Werk der Malerin aufgearbeitet hat. 2010 wartet dann die Berliner Nationalgalerie mit einer Überraschung auf: Für eine halbe Million Euro hat sie bei Sotheby's das Laserstein - Gemälde "Abend über Potsdam" erworben, welches die Künstlerin selbst wohl als Schüsselwerk ihrer Kunst betrachtet, das darüberhinaus aber auch eine zeitgeschichtliche Bedeutung hat.

Den "Abend über Potsdam" hat Lotte Laserstein mit in die Emigration genommen und es hat, so die fama, jahrzehntelang über dem Sofa gehangen als Erinnerung an die Freunde, die sich damals 1930 über den Dächern von Potsdam zusammengefunden haben, darunter auch Traute Rose. Die hat einmal die Entstehung des Bildes so geschildert: 

"Zunächst wurde vor Ort die Gruppe skizziert und der Hintergrund mit der Potsdam-Topografie angelegt. Dann ging es mit der riesigen Holztafel per S-Bahn zurück nach Berlin ins Atelier, wo die Feinarbeit stattfand. Meine Position außen links vor dem Geländer stand fest, ebenso die meines Mannes, der unseren Hund zu seinen Füßen hatte. Die Mittelfigur war zuerst ein Mädchen im roten Pullover, die allerdings nicht lange genug durchhielt und schließlich durch das Mädchen im gelben Hemdchen ersetzt wurde. Der neben ihr sitzende romantische Mann hat auch einen Vorgänger. Er wurde zu seinem großen Bedauern ausgewischt. Das im Vordergrund stehende Mädchen in Grün war passend, konnte aber nicht so lange stehen. Also stand ich Modell für ihre Beine. Mein Mann Ernst, der seinen zurückgelehnten Kopf auf die Hand stützt, hatte am meisten Schwierigkeiten, seine Pose zu halten." ( Quelle hier )

Eine neue Reichweite, was ihre Bekanntheit in Deutschland anbelangt, bekommt Lotte Laserstein dann durch die 2018 im Frankfurter Städel-Museum initiierte und 2019 von der Berlinischen Galerie bzw. der Kunsthalle Kiel übernommene Ausstellung "Lotte Laserstein – Von Angesicht zu Angesicht". Nachdem die historische Epoche so medial in Mode gekommen ist, wäre ein weiterer Blick in die lebendige Kunstszene der Weimarer Republik mittels ihrer Werke lohnenswert, oder?



 

9 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,

    wieder einmal ein Dankeschön für das Vorstellen der mir bis dato unbekannten Künstlerin.

    Viele Grüße
    Claudia

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  2. Was für ein Selbstporträt, auch der Akt...! Ich muss gleich mal mehr nachschlagen. Wie gut, dass sie sich und ihre Kunst nach Schweden hat retten können und auch, wenn sie dort angepasst kreativ war, ist das vielleicht besser gewesen, wer weiß das schon. Schön, dass sie auch noch die Anerkennung bekommen hat (auch zu Lebzeiten) Beeindruckend.
    Danke und liebe Grüße
    Nina

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  3. eine beeindruckende Malerin
    wenigstens verlief ihr Leben nicht ganz so dramatisch
    sie war sehr kreativ wenn sie so viele Werke geschaffen hat
    dass sie heute wieder Anerkennung erlangt ist nicht mehr als Recht ;)

    dankeschön

    liebe Grüße
    Rosi

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  4. Was für eine Entdeckung! Faszinierende Bilder hat sie uns hinterlassen. Ich hab mir gleich auch noch das kleine Filmchen angeschaut. Da hast Du wirklich recht, da sollte man doch mehr Augenmerk in diese Kunstszene investieren.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. Damals wollten wir ins Städel Museum gehen, hatten schon die Karten und die Busfahrt organisiert, dann wurde H. krank. Und ich hatte sie dann aus den Augen verloren.
    Was für eine Malerin! Gut, dass ich ihr heute bei Dir wieder begegne.
    Sie hat bei aller Konvention soviel persönlichen Ausdruck, das ist wirklich beeindruckend.
    Und sie konnte von ihrer Kunst und dem gelernten Grafikberuf leben. Das finde ich zu diesen Zeiten immer ganz besonders eindrucksvoll.
    So schön, dass sie doch noch wiederentdeckt wurde zu Lebzeiten!
    Und heute von Dir für uns.
    Danke sagt herzlich, Sieglinde

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  6. Das ist jetzt mal eine Entdeckung für mich. Ich werde mir gleich noch mehr Informationen besorgen. Ein sehr gelungenes Portrait, danke dafür.
    LG
    Magdalena

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  7. Während P. Zeitung liest (wir sitzen noch am sonntäglichen Frühstückstisch), habe ich mich in die Welt und Kunst der Lotte L. vertieft... Danke für diese Bekanntschaft mit ihr, die bei allem Ungemach so findig und selbstbewusst durch ihr Künstlerinnenleben schritt. Lieben Gruß Ghislan

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  8. Eine wunderbare Entdeckung für mich. Ich habe fest vor, Ihre Werke in Frankfurt und Berlin zu besuchen. DANKE

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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