Montag, 11. Januar 2021

Lieben Sie Lyrik? {12}

Gerrit Engelke (1890-1918)

Ich will heraus aus dieser Stadt

Ich weiß, daß Berge auf mich warten,
Draußen – weit –
Und Wald und Winterfeld und Wiesengarten
Voll Gotteinsamkeit –

Weiß, daß für mich ein Wind durch Wälder dringt,
So lange schon –
Daß Schnee fällt, daß der Mond nachtleise singt
Den Ewig-Ton –

Fühle, daß nachts Wolken schwellen,
Bäume,
Daß Ebenen, Gebirge wellen
In meine Träume –

Die Winterberge, meine Berge tönen –
Wälder sind verschneit –
Ich will hinaus, mit Euch mich zu versöhnen,
Ich will heraus aus dieser Zeit,

Hinweg von Märkten, Zimmern, Treppenstufen,
Straßenbraus –
Die Waldberge, die Waldberge rufen,
Locken mich hinaus!

Bald hab ich diese Straßenwochen,
Bald diesen Stadtbann aufgebrochen
Und ziehe hin, wo Ströme durch die Ewig-Erde pochen,
Ziehe selig in die Welt!













Gerrit Ernst Manilius Engelke, 1890 in Hannover geboren, wird in der Literaturgeschichte oft als Arbeiterdichter apostrophiert. Als sein Vater, ein Textilhändler, nach Amerika auswandert und Mutter & Schwester ihm folgen, bleibt der Jugendliche alleine zurück und beginnt eine Lehre als Maler & Lackierer, ist allerdings vielseitig talentiert, zeichnet und malt und schreibt 1910 sein erstes Gedicht. Bemerkenswert ist, wie sich der mittellose junge Mann durch die Weltliteratur liest und sich bis 1912 eine umfangreiche private Bibliothek mit über 400 Bänden anschafft, die er aber in Zeiten größter Not wieder verkaufen muss.

Da er sich seinen Lebensunterhalt immer selber verdienen muss, wendet er sich an Richard Dehmel, einem der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker vor dem 1.Weltkrieg, der zu der Zeit Preise für junge Talente verleiht. Der verhilft Engelke 1913 zu einer ersten Publikation in der Zeitschrift "Das neue Pathos" von Paul Zech. Weitere Gedichte erscheinen 1914 in der Zeitschrift "Werkleute auf Haus Nyland". Die Gedichte handeln überwiegend von der Großstadt und der Welt der Arbeit.



Die "Werkleute auf Haus Nyland" ist eine Gruppe junger Dichter,Maler, Industrielle, Kaufleute, Philosophen und Arbeiter ( ein Ehrenmitglied ist spätere Reichsaußenminister Walther Rathenau gewesen ) , die u.a. auch für eine Erneuerung der Literatur eintreten. Zu diesen gehört auch der Schriftsteller Jakob Kneip, mit dem Engelke Freundschaft schließt. Gemeinsam mit Heinrich Lersch und Karl Zielke veröffentlicht er 1916 den Kriegslyrikband "Schulter an Schulter. Gedichte von drei Arbeitern".

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Engelke in Dänemark, um dort in Ruhe an einem Roman zu schreiben. Obwohl er Pazifist ist, meldet er sich nach langem Zögern im Oktober 1914 in Flensburg freiwillig zum Militärdienst. Er wird in Belgien, Frankreich und für kurze Zeit in Russland eingesetzt.

Am 11. Oktober 1918 wird er bei einem Gefecht bei Cambrai durch einen Schuss in den Oberschenkel verwundet, doch erst am nächsten Tag vom Schlachtfeld aufgelesen. Einen Tag später stirbt er in einem englischen Feldlazarett, kurz vor seinem 28. Geburtstag. Seine letzte Ruhe hat er auf dem Soldatenfriedhof von Étaples an der französischen Kanalküste gefunden.


Seine zahlreichen Briefe an Freunde und Bekannte erlauben den Einblick in seine Gedankenwelt, seine Wünsche und Gefühle. Darin berichtet er auch vom Geschehen an der Front und den Grausamkeiten des Krieges. Immer wieder formuliert er seine Sehnsucht nach Frieden.

Gerrit Engelke hat den technischen Fortschritt bewundert, aber auch den Zweifel geäußert, dass der Mensch dadurch glücklicher werden wird in einer neuen materiellen Abhängigkeit. Der junge Dichter hat  sich als Demokrat und Weltbürger gesehen und von einem "... vom Krieg befreiten, wieder menschlich-brüderlich werdenden Völkereuropa der Städte, der Arbeit, des Lebens" geträumt.

Engelke wird mancherorts als "das erste literarische Genie, das aus dem Proletariat hervorgegangen ist" angesehen, wobei bei ihm der politische Ton fast gänzlich fehlt. Man darf aber auch nicht diese Arbeiterdichtung mit der gleichsetzen, die wir in den 1960er Jahre durch die Dortmunder "Gruppe 61" um Fritz Hüser und Max von der Grün oder dem "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" kennengelernt haben. Engelke lehnt sich vielmehr sprachlich an Nietzsche, Liliencron und Dehmel an, und der romantische, volksliedhafte Einschlag seiner Lyrik weist ihn als einen der frühen Expressionisten aus. Er selbst hat seine Dichtung aufgeteilt in die a) des Weltmenschen (Stadt- und Weltgedichte), b) des Künstlers (Einfache Gedichte und Lieder) und c) des Fantasten (Kosmische Gedichte).

 Hier sind weitere Gedichte von ihm nachzulesen, hier weitere Texte.





Die Fotos habe ich mir wieder von den jungen Leuten in meiner Familie "geborgt"...

16 Kommentare:

  1. Ein Schneeiglu...
    Oh wie schön liebe Astrid, das würde ich auch zu gerne nochmal bauen.
    Es gab mal einen Winter, da konnten die Jungs, da waren sie klein, ein solches direkt vor der Haustüre bauen.
    Und danach leider nicht mehr.
    Berge warten auf Dich, da liege ich mit meiner Karte ja ein wenig richtig...
    Dir auch hier nochmal alles Liebe zum Geburtstag, dicken Drücker,
    Nicole

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    1. Drück dich auch! Und danke für das Glückslicht, wird gleich leuchten, wenn wir den Geburtstagskuchen genießen werden...
      GLG

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  2. Was für ein feines Sehnsuchtsgedicht von einem jungen Dichter, der in seinem kurzen Leben soviel erleben musste. Ich kannte ihn nicht. Aber ich kenne eine Grafikerin seines Namens. Die muss ich fragen, ob sie mit ihm verwandt ist...Nachdem er auch in dieser Richtung begabt war, könnte es durchaus sein.
    Die jungen Leute aus Deinen Fotos sind ganz allerliebst und sicher haben sie Dir heute schon gratuliert zu Deinem Geburtstag, liebe Astrid.
    Ich habe das auch schon, aber wiederhole es hier gern:
    Happy Birthday und viel Glück, Gesundheit und Segen für Dich!
    Herzlichste Glückwünsche und eine dicke Umarmung von Sieglinde

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  3. Liebe Astrid,
    dieses schöne Gedicht passt ja ganz wunderbar.
    Ich sende dir zu deinem heutigen Geburtstag ganz, ganz herzliche Glückwünsche und hoffe du genießt diesen kalten Januartag.
    Lass dich feiern, lass dich hochleben!
    Alles Liebe
    Jutta

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  4. Die Schneeimpressionen strahlen Ruhe, Frieden und Freude daran aus, liebe Astrid ...sicher wie es der Dichter auch gesehen hat bzw. sich für seine Umwelt wünschte.
    Auch hier alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag - herzliche Grüße, Marita

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  5. was für ein schönes Gedicht
    und so ein tragisches Ende des Autors
    schön deine Bilder dazu
    ich habe auch passende ;)
    vielleicht borge ich mir ein paar Zeilen aus
    liebe Grüße
    Rosi

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  6. Liebe Astrid,
    hier kommt ein herzlicher Geburtstagsgruß verbunden mit allen guten Wünschen für ein gutes und gesundes neues Lebensjahr.
    Mögen viele schöne Momente das Herz im neuen Lebensjahr erfreuen.
    Liebe Grüße Sigrid

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  7. Liebe Astrid,

    zu Deinem Geburtstag auch von uns alles alles Gute. Der Monat Januar eher ein etwas Unwirtlicher, vor allem wenn er nur naß und huschig ist. Die Farben und die Sonne fehlen meist, aber wir laßen ihn uns deshalb nicht verderben, sondern bieten ihm die Stirn mit all unserer Kraft. Ein Drittel ist schon geschafft, das wäre ja gelacht wenn wir uns ducken wollten. Nein, es geht aufwärts, vorwärts, der Frühling erwartet uns, laß uns ihn nicht enttäuschen, wir stehen bereit zum Gruß. 💐 Montagsblümchen für Dich von Helga und Kerstin

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  8. Liebe Astrid,
    danke für dieses Gedicht und Porträt eines mir bisher völlig Unbekannten. Ja Kriege vernichten soviel geistiges Potenzial, das ist sehr traurig. Werde noch weiter lesen gleich...,
    Nachträglich herzlichen Glückwunsch (ich glaubte immer, es sei der 12.) und vor allem: bleib gesund!
    Liebe Grüsze
    Mascha

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  9. Liebes Steinböcklein ;) Alles Liebe und Gute zum Geburtstag, mein Steinbock hat nächsten Montag Geburtstag. Seinen neunzehnten.. die Zeit vergeht! Dir einen schönen Dienstag und vielen Dank für die gewählten Zeilen. Ich würde auch mal gerne in den Schnee... ach, ja. Herzlichst, Nicole

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  10. Herzliche Glückwünsche nachträglich!!
    Diese Winterbilder sind herrlich. Mal sehen, ob wir außer eisigem Wind auch noch etwas Weiß bekommen. Von Engelke, seiner Lyrik und seinem tragischen Schicksal wusste ich bislang noch nichts. Danke, dass du an ihn erinnert hast!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  11. Liebe Astrid
    mitten aus dem schneeverwehten Vogelsberg, dieser herrlichen Landschaft die uns/mich immer wieder neu beglückt wünsche ich dir alles alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen zu deinem Geburtstag, ein Steinböckle aha...da muss ich mal näher hineinschaun, je nach Aszendent.
    Die Fische und Wassermänner die im Januar oder dann wie ich im Februar Ehrentag haben sind wettermässig ja schwer verwandt und müssen alle feiern in den Sommer verschieben wenn sie außen nicht erfrieren wollen...lacht) im Moment ist hier alles sehr vereist.
    Ich hoffe, denke, wünsche mir du hast einen wunderschönen Tag dennoch udn wirst nicht nur virtuell tüchtig in den Arm genommen.
    alles Liebe für dich und bleib gesund nicht nur damit du uns weiterhin mit deinen wunderbaren Geschichten, Biographien und Lebensgeschichten interessanter Menschen bereichern kannst, denn auch diese war für mich neu und hochinteressant zu lesen...
    herzlichen Dank dafür mit virtuellen Blümchen...hab einen wunderschönen Tag..
    herzlichst angelface

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  12. Liebe Astrid, ich schicke ganz viele gute Wünsche. Die Bilder sind der reinste Augenschmaus. Da haben die Enkel wenigstens eine schöne Zeit.
    Bei Engelke sieht man wieder, wieviele Leben verschwendet wurden. Dieser Wahnsinn der Vernichtung erschüttert mich immer wieder.
    Alles Liebe,
    Magdalena

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  13. oh..

    Geburtstag gehabt?
    Habe ich irgendwie nicht mitbekommen
    da wünsche ich dir alles erdenklich Gute
    und vor allem aber Gesundheit
    liebe Grüße
    Rosi

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  14. Was für ein wunderschönes Gedicht, so hochpoetisch, mit einer fast schon weiblich anmutenden Wortwahl, ein "Great Man"....

    Liebe Grüße, Petra aus der verschneiten Oberpfalz

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  15. von engelke hab ich noch nie gehört, aber das gedicht gefällt mir sehr und ich werde deinem link noch folgen.
    und ja, jetzt sehe ich, wo der viele schnee herkommt :))!
    liebe grüße
    mano

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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