Freitag, 6. März 2020

Heute vor 75 Jahren

Was ist in den fünf Jahren alles passiert, seit ich zum letzten Mal des Kriegsendes in meiner Heimatstadt im Blog gedacht habe! Die Menschheit scheint weltweit ein Interesse am baldigen Untergang entwickelt zu haben, was ich nicht nachvollziehen kann. Aber wie soll man sich die Wahl solcher Vollidioten in den USA, Brasilien, Großbritannien, der Türkei erklären, die lieber mit der Abrissbirne unterwegs sind als mit dem Diplomatenkoffer? Und dann kriecht im eigenen Land jenes braune Viertel der Mitbewohner wieder aus den Löchern, traut sich lauthals die Geschichte zu verfälschen und maßt sich an, für die Interessen des übrigen Dreiviertels zu sprechen, und gibt verbal denen, die sich auserwählt fühlen, weil sie sich endlich mal als Sieger inszenieren können, das Recht zur Selbstjustiz. Eine Menschengeneration hat es nur gedauert, um gründlich zu vergessen, was Nationalismus, Menschenverachtung und Überheblichkeitsgefühle hervorbringen, nämlich das:

Wer mehr Zeit hat und sich für Köln interessiert, dem empfehle ich dieses Video, für alle anderen noch einmal mein Text von vor fünf Jahren:

Am 6. März 1945 nahmen amerikanische Truppen das linksrheinische Köln ein ( die rechtsrheinischen Stadtteile erst zwischen dem 12. und 15. April ). Damit war in Köln die NS-Herrschaft  zwei Monate vor der Kapitulation beendet. 
Die Bevölkerung empfand die militärische Niederlage zumeist als Zusammenbruch und fürchtete sich vor einer Bestrafung, zum einen, weil die Propaganda vorher den Durchhaltewillen anzufeuern versuchte durch Heraufbeschwören von "Zwangsarbeit unter Negeraufsicht" und "Prügelstrafe für Frauen". Zum anderen aufgrund des Wissens um die ungeheuerlichen Verbrechen des NS-Regimes: Allein im Januar/Februar  waren noch 1800 Widerstandskämpfer in der Stadt ermordet worden. Doch bald konnten die Menschen feststellen, dass die amerikanischen Militärs eine Reorganisation des alltäglichen Lebens angingen, welches bis dahin in Köln nur noch elend & trostlos war.  
Im Oktober 1944 war die Stadt von den Nazis zur "Festungsstadt" erklärt worden & ständiges Ziel von Bombenangriffen. Ein solcher letzter, schwerer Angriff - der 262. - am Morgen des 2. März bombte die Stadt sturmreif, so dass sie wie ein Skelett aussah, über dem eine gigantische Staubwolke hing. Auch der Dom wurde dabei getroffen und drei Gewölbefelder im Mittelschiff stürzten ab. Von den bis dato verbliebenen 120.000 Menschen in der Stadt flohen zwei Drittel ins Umland. 42.000 Menschen hausten jetzt noch in den Ruinen der Stadt, die bei Kriegsbeginn doch 800.000 Einwohner hatte. Einzig der Dom erhob sich über diesen Ruinen, die sonstige Bebauung war zu 95 Prozent zerstört. 
Am 4. März 1945 erreichten dann die ersten amerikanischen Einheiten den Kölner Stadtrand. Die letzten NSDAP - Funktionäre wie der Gauleiter Grohé hatten sich mit einem Motorboot über den Rhein abgesetzt, der Oberbürgermeister sich mit seinen Getreuen durch einen Kanal unter dem Rhein davon gemacht und Pioniere der Waffen-SS hinter den letzten deutschen Einheiten die Hohenzollernbrücke, die letzte noch intakte Brücke, gesprengt. Doch die Nazipropaganda tönte weiterhin deutschlandweit, dass die Kölner jeden Meter und jede Treppenstufe verteidigen würden. 
Am nächsten Tag durchdrang die 3. Division des VII. Amerikanischen Korps den kaum existierenden äußeren Verteidigungsring bei Ossendorf im Westen der Stadt. Nur eine Hand voll Soldaten leisteten Widerstand, so dass die Amerikaner bis zu den Ringen gelangen konnten. 
Gegen 4 Uhr in der Früh begann an jenem 6. März vor siebzig Jahren der letzte Angriff auf die Innenstadt. Die amerikanischen Soldaten stießen in eine merkwürdig stille und menschenleere Ruinenlandschaft vor. Am Nachmittag erreichten sie nach ein paar Panzerscharmützeln den Dom. "Köln ist genommen", meldeten die Zeitungen der Alliierten am nächsten Tag. 
Die Amerikaner richteten sofort eine Militärverwaltung ein und suchten unbelastete Deutsche, mit denen sich eine zivile Verwaltung aufbauen ließ. Ich habe später bei meinen Forschungen immer wieder feststellen müssen, wie gut vorbereitet die Amerikaner diese Reorganisation angingen ( und mich bei den vielen anderen Kriegen später, sei es in Vietnam, Afghanistan, Irak, gefragt, warum diese Fähigkeit so offensichtlich abhanden gekommen war ).  
Schon zwei Monate später nahm Konrad Adenauer seine Arbeit als Kölner Oberbürgermeister wieder auf ( er war von den Nazis nach der Machtergreifung abgesetzt worden ), und im Frühsommer strömten die evakuierten Kölner in Massen in die Stadt zurück und "eroberten" die Ruinen, so dass Adenauers Idee, die Stadt weiter nördlich ganz neu aufbauen zu lassen, schnell ad absurdum geführt worden war. 
Gegen Ende des Jahres lebte fast wieder eine halbe Million Menschen in den Ruinen. Da hatte aber schon die britische Besatzungsmacht die Amerikaner abgelöst, Adenauer wegen Unfähigkeit abgesetzt und einen neuen Oberbürgermeister eingesetzt. Aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Ich selbst habe das alles nicht miterleben müssen. Aber ich bin unter lauter Kriegstraumatisierten aufgewachsen, bei denen das immer in irgendeiner Form Gesprächsthema war. Ich habe nachts vom Bombenalarm geträumt und mich manches Mal im Schlaf unterm Bett verkrochen. Dieses "Nie wieder!" habe ich nicht mit der Muttermilch aufgesogen, ob es in meinen Genen verankert ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass die Angst vor dem Krieg meine Kindheit durchzogen und meine Charakterbildung bestimmt hat. Und von dem Zeitpunkt an, als es mir möglich war, auch mein Handeln.

Ich weiß, dass diejenigen, die zur Zeit innerlich ( und manche davon ja auch mit entsprechender Hardware ) aufrüsten, weil sie von bestimmten politischen Gruppen rhetorisch befeuert werden, nicht zu meinen Lesern zählen. Ich weiß auch, dass die sich nicht überzeugen und von ihrer Weltsicht abbringen lassen. Aber ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag die erreiche, die ähnlich denken, und ich etwas dazu beitragen kann, die Reihen dieser Menschen zu schließen, damit der Widerstand gegen den derzeitigen Zeitgeist deutlich sichtbar wird und sich denjenigen, die sich immer als Volkes Stimme aufspielen, gemeinsam und immer öfter entgegen treten.





Mein freitäglicher Post zu Raif Badawi entfällt heute.

11 Kommentare:

  1. Mittlerweile liebe Astrid weiß ich ja durch das lesen bei dir, welch phantastissche Post du schreibst wenn dich etwas besondern bewegt, interessiert und leidenschaftlich umtreibt, das macht deine seite ja auch so interessant.
    Da die bewegenden ernsten Themen die einem mitnehmen,
    dort das Leichte, Fröhliche und Gemeinschaftliche das einen ebenso mitreißt weil man merkt wie sehr es dich umtreibt und ebenso beschäftigt andere damit zu unterhalten und zu informieren.
    dein heutiger beitrag ist bestimmt etwas was viele interessiert, wenige darüber schreiben.
    ich danke dir, vieles davon hat sich eingeprägt worüber so mancher nachdenken sollte...
    herzlichst mein Danke für dieses Thema und deinen beitrag.
    Angelface

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    1. Ich habe vor 15 Jahren zum 60. Jahrestag in meiner damaligen Schule ein Projekt zum Kriegsende mit den Kindern durchgeführt und sie animiert, ihre Großeltern, alles Kriegskinder, zu befragen. Es sind viele tolle, da völlig bestürzende Berichte, mündlich wie schriftlich, zusammen gekommen.
      Und als wir unsere Ergebnisse anlässlich des 140. Jubiläums unserer Schule ausstellten, kamen auch einige Großeltern und hatten Tränen in den Augen, weil sich endlich, endlich mal einer für sie und ihr Leid interessiert hat.
      Da ist mir das Thema noch mal ans Herz gewachsen, lebe ich doch mit einem solchen Kriegskind seit Jahrzehnten zusammen.
      Ja, ohne Leidenschaft und Engagement für Themen und Sachen möchte ich n nicht leben.
      GLG

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  2. Danke. Man kann ja nicht müde werden, es immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. ein freitagsmüder Abendgruß, ganz lieb den Rhein runter. Eva

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  3. Bei uns war es der 2. Januar 1945, als die gesamte Stadt in Schutt und Asche gebombt wurde. So kurz vor Kriegsende. Ich habe das nicht miterlebt, aber ich kannte Menschen, die ausgebombt wurden. So etwas traumatisiert und wirkt lange nach.
    Hier - und in Syrien und allen Kriegsgebieten.
    Ich kann es auch nicht fassen, dass Amerika sich so entwickelt hat, denn damals waren sie tatsächlich die Rettung und eine Art moralische Instanz. Auch durch ihr insgesamt verantwortungsvolles Handeln. Wo ist diese Haltung geblieben?
    Danke für Deinen engagierten Post!
    GlG Sieglinde

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  4. Danke für diese Erinnerung und Mahnung. Ich hoffe so sehr, dass wir weiter die Mehrheit sind. Die Mehrheit derer, die wachsam und mutig sein wollen. Und uns gegenseitig helfen und nicht müde werden und trotz alledem froh leben.

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  5. Ja, mein Vater hat an einem Bahnhof zwischen Köln und Frankfurt zu der Zeit gelebt und entsprechendes erlebt und viel erzählt, " nie wieder" waren auch seine Worte. Der Schwiegervater wurde mehrfach ausgezeichnet, auch er erzählt meinen Söhnen viel. Ein wunderbares Projekt hast Du da Mal vor Jahren angestoßen! Denn: niemals vergessen!
    Liebe Grüße
    Nina

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  6. Ja. Nie wieder!
    Aber hätte es den Krieg nicht gegeben, würde es mich nicht geben. Meine Eltern hätten sich nie kennen gelernt.
    Europa wäre nie so zusammengewachsen ohne den Krieg.
    Daher gilt es das was nach dem Krieg an Gutem geschehen ist, unbedingt zu bewahren.

    Liebe Grüße
    Astrid rechtsrheinisch

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    1. Das ist bei mir nicht anders und darüber kann man nur froh sein. Aber meinen Kindern und Kindeskindern muss man das nicht antun, das ist mein Herzenswunsch.
      GLG

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  7. Danke, immer wieder DANKE für Deine eindringlichen Texte, liebe Astrid.
    Ja: nie wieder - aber manche Menschen heutzutage stellen sich taub oder hetzen schamlos und dumm. Trotzdem: bleiben wir zuversichtlich und hoffen wir weiters, daß die von Dir Genannten Unsäglichen allesamt nicht mehr lange das Sagen haben mögen.

    Viele herzliche Grüße
    Elena

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  8. Mal wieder gut gemacht, liebe Astrid. Immer wieder und wieder daran erinnern. Das muss einfach sein.
    LG
    Magdalena

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  9. manchmal drängt sich mir das alttestamentarische Bild der 10 Plagen (Auszug aus Ägypten)
    oder auch der 7 Plagen der Endzeit auf
    laufen die Menschen wirklich wie die Lemminge sehenden Auges in ihr eigenes Verderben?
    Oder ist es das was meine Mutter immer sagte.. wenn es dem Esel zu wohl wird geht er auf´s Eis tanzen ..
    über 70 Jahre stetig wachsender Wohlstand .. Frieden .. langt das nicht mehr ..ist das langweilig geworden ?
    "Mann" muss sich wohl wieder beweisen wie bei den prügelnden Fußballfans und anderen Gruppen ?
    Und wenn es nicht mit Fäusten geht .. dann klappt das ja auch noch verbal.. :/
    ich wußte nichts vom Krieg bis wir hier an den Rhein zogen und ich die Ruinen sah
    auch dann war es noch etwas abstraktes für mich
    allerdings träumte ich nachts von Feuer und kaputten Häusern
    meine Eltern haben wohl beide nicht so viel vom Schrecken des Krieges mitbekommen .. meine Mutter war in Schlesien und kam dann mit einem Truppentransport (eigentlich illegal) mit meinem Vater nach Flensburg
    mein Vater war Mechaniker bei einer Fliegerstaffel.. die Flugplätze lagen ja immer etwas ausserhalb ..
    erzählt haben sie nie etwas ..
    mein Mann war allerdings ausgebombt und erzählte manchmal von den Stunden im Keller und wie es war als sie heraus kamen und das Haus war nicht mehr da
    all das ereignet sich stündlich.. minütlich .. quasi vor unserer Haustür
    warum schafft der Mensch es nicht Frieden zu halten

    nachdenkliche Grüße
    Rosi

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