Montag, 4. März 2019

Memories are made of these


 "Am 3. März 2009 stürzte im Zusammenhang mit dem Bau der Nord-Süd-Stadtbahn der Kölner Verkehrs-Betriebe der Gebäudekomplex samt zweier benachbarter Wohngebäude ein. Dabei wurden zwei Personen getötet und rund 90 Prozent des Archivguts verschüttet. Nach einem halben Jahr waren 85 Prozent davon geborgen. Die Beschädigungen reichten von leicht bis schwerstens beschädigt. Seit dem Einsturz kann das Stadtarchiv seiner Aufgabe, die Bestände im traditionellen Sinn zu erhalten, zu erschließen und zugänglich zu machen, nicht mehr vorrangig nachkommen. Hauptaufgabe ist nun die Bergung, Restaurierung und Neuordnung. Ein Neubau des Stadtarchivs soll bis 2020 entstehen. Für die Restaurierung wird derzeit ein Zeitbedarf von rund 30 Jahren veranschlagt." ( Quelle: Wikipedia )



Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag und an die Unfassbarkeit der Nachricht, die ich am frühen Nachmittag im Radio hörte. Neun bzw. acht Tage zuvor war ich noch mit meinem Karnevalsstammtisch am Karnevalssonntag wie am Rosenmontag ( als Gewinner des Qualitätspreises ) an den Tribünen vor dem Historischen Archiv der Stadt Köln voller jubelnder Menschen vorbeigezogen. Meine damalige Schulleiterin begrüßte mich dann am nächsten Morgen noch vor der Schultür damit, dass sie froh sei, dass das nicht an Karneval passiert und ich ihr erhalten geblieben bin ( so was hört man ja gerne ). Ansonsten Fassungslosigkeit über Tage hinweg.



Ein Freund des Herrn K., pensionierter Stadtarchivar, war an dem Tag auch im Archiv gewesen, um seinen Forschungen nachzugehen und hatte es gerade für seine Essenspause verlassen. Für ihn brach nicht nur das ganze Archiv, sondern seine Welt zusammen, und inzwischen hat er die Stadt auch verlassen, weil er hier seine Forschungen nicht mehr fortsetzen kann. Der Buchhändlerfreund hatte  an dem Tag auch im Archiv zu tun, war aber schon vorzeitig wieder aus dem Gebäude gekommen,  hinterher aber entsprechend geschockt.






















In den nächsten Tagen, nachdem die Öffentlichkeit wieder in einem gewissen Abstand zum Unglücksort gelangen durfte, gab es immer wieder Mahnwachen und Demonstrationen, die Initiative "Köln kann auch anders" wurde gegründet, und auch wir waren öfter bei den montäglichen Kundgebungen vor dem historischen Rathaus, mit der Forderung,  der Oberbürgermeister Fritz Schramma solle zurücktreten. Das hat er dann auch Ende März 2009 verkündet, indem er von einer erneuten Kandidatur für das Amt Abstand nahm.



3.242 Tage nach dem Einsturz des Archivgebäudes wurde dann endlich der Strafprozess aufgenommen. Und nach 48 Verhandlungstagen, der Vernehmung von 79 Zeugen und unvorstellbaren 100.000.000 Seiten Ermittlungsakten wurde am Ende gegen einen Bauüberwacher der KVB eine achtmonatige Bewährungsstrafe verhängt und drei Freisprüche gegenüber zwei Bauleitern zweier Baufirmen sowie einer Bauüberwacherin der KVB ausgesprochen. 

Der Richter stellte bei der Urteilsverkündung fest, dass die Einsturzursache im Prozess "zweifelsfrei" geklärt werden konnte und es kein Naturereignis, kein Zufall, sondern ein Baufehler - Pfusch eben - zu dem Unglück geführt haben.



In den Archiv befanden sich ungefähr 62.000 Urkunden, 329.000 Karten, Pläne und Plakate, 500.000 Fotos sowie 2500 Tonträger und Videos. 95 Prozent des Bestandes wurden geborgen. Bis Anfang dieses Jahres wurden nach Angaben der Archivleiterin  9051 Stücke vollständig restauriert, darunter 1048 wertvolle Handschriften.  Bis das letzte restauriert ist, werden noch drei Jahrzehnte vergehen. Wer finanziell für den Schaden, der auf 1,33 Milliarden Euro geschätzt wird, haftet, soll ein demnächst beginnender Zivilprozess klären.

Der zwei bei diesem Einsturz ums Leben gekommenen Männer wurde am gestrigen zehnten Jahrestag auch gedacht, als die Schull- un Veedelszöch zum Zeitpunkt des Unglücks stoppten und alle Glocken im Vringsveedel läuteten. Um 13.58 Uhr legte die Kölner Oberbürgermeisterin am Unglücksort einen Kranz nieder.





















Mit diesen Erinnerungen, aber auch an die schönen gemeinsamen aktiven Jahre mit meinem Stammdesch im Kölner Straßenkarneval sonntags sowie fünf Mal am Rosenmontag war ich gestern befasst. Ich muss zugeben, den Herrn K. und mich ergriff eine arge Wehmut, als wir unsere Karnevalsfreunde am Zugrand ein kurzes Stück begleiteten und der Bloß- und Bumskapell beim Spielen zuhörten. Noch schwermütiger wurden wir, als wir von einzelnen Freunden persönlich begrüßt und umarmt wurden.























Dass es doch so schwer fällt aufzuhören, hatte ich in den vergangenen Tagen und Wochen nicht gedacht. Aber es geht einfach aus Gesundheitsgründen nicht mehr.

Die Fotos zeigen ein paar der sechs Untergruppen unseres Karnevalsstammtisches vom gestrigen Tag. Die Gruppe hat wieder den zweiten Platz von der Jury der "Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums", den Schirmherren der Kölner Schule- und Veedelszöch, zugestanden bekommen.
"Wie man Aussehen und Inhalt wunderbar miteinander verbinden kann, bewies einmal mehr der Stammtisch Ratteköpp. Sie begleiteten die jecken Wiever*, die ihre männlichen Partner auf dem Arm trugen, durch die gesamte Stadtgeschichte  - von Römern, Franzosen und Preußen bis hin zu Tanzmariechen und KG-Präsidentinnen", schrieb der "Kölner Stadt-Anzeiger" heute.
Schaut euch einmal die liebevollen Details der Kostüme und Puppen an, die alle in Eigenarbeit entstanden sind! Ich bin voller Respekt und Bewunderung...







                                                   





* Wiever = Frauen

16 Kommentare:

  1. Liebe Astrid
    Das ist ja unglaublich. Vor allem auch der "Zufall", dass zwei Personen beim Zeitpunkt des Zusammenfalls nicht im Gebäude waren. Wir waren letzten Herbst in Genua und haben uns die eingestürzte Brücke angeschaut. Da läuft einem der Schauer über den Rücken, wenn man an all die sanierungsdürftigen Brücken in Italien denkt, über die man schon gefahren ist.
    Liebe Grüsse
    Paula

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  2. Ich erinnere mich auch noch gut an den Tag, auch wenn ich nicht aus Köln komme. Wir haben das am Anfang gar nicht geglaubt.
    Geniesse die Karnevalszeit in veränderter Form trotzdem und ich finde es so gut, dass man Trauer und Andenken mit Fröhlichkeit und Karneval verbinden kann, es liegt einfach so nah beieinander, genau wie die Zufälle, weswegen es den in den Tod gerissen hat und den anderen nicht.
    Liebe Grüsse
    Nina

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  3. man liest deine Wehmut ganz deutlich mit, aber der Virus lebt ja weiter in der Familie. Zum Bauunglück kann man nur sagen unfassbar was da geschehen konnte durch Menschenhand verursacht und niemand hat es gestoppt. Musste auch gleich an die Brücke in Genua denken an der wir im Herbst vorbeigefahren sind.
    L G Pia

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  4. Auch als Nicht-Kölnerin, aber Geschichts-Begeisterte, ist man ziemlich fassungslos. Und 2 Tote! Das Urteil sei mal nicht kommentiert.
    Was nun deine wundervollen Fotos vom Karneval betrifft ... ich lebe in Hameln-Pyrmont, Niedersachsen. Da macht man sowas nicht. ;-)
    Trotzdem bin ich immer wieder froh, dass alle Umzüge stattfinden. Wo auch immer. In Zeiten wie diesen brauchen wir Normalität, Freude, Fröhlichkeit.

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  5. Wunderbare Kostüme der Wiever und wie sie ihre Männer da mal so richtig auf den Arm nehmen, einfach grandios. Ich bin auch voll Hochachtung.
    Dass Du nur am Rande dabei sein kannst in Zukunft, ist voller Wehmut, das versteh ich gut. Du bist eine richtige Karnevalistin geworden und das bleibt frau auch, auch wenn sie nicht im Zug mitzieht. Deine Familie ist ja voll infiziert und trägt das Erbe weiter.
    Schick siehst Du aus mit Dreispitz und Rose, das sind richtige Frauensymbole von Macht und Schönheit für mich!

    Das mit dem Stadtarchiv war eine schlimme Sache, ich erinnere mich gut. Wie lange die Auswirkungen sind, das hätte ich nicht gedacht und wen ihr alles kennt, die sich gerade noch dort aufgehalten hatten...
    Die Geschichte einer Stadt besteht eben nicht nur aus Karneval, aber in Köln heute schon.
    Ich schau jetzt im TV den Zug und hoffe, dass er läuft...
    Kölle Alaaf, ruft Dir Sieglinde zu!

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  6. Liebe Astrid,

    ich glaube, dieses schlimme Unglück seinerzeit erschütterte ganz Deutschland.

    Die Faschingskostüme sind wirklich wundervoll, eine tolle Arbeit der Näherinnen. :-)

    Ich hoffe, auch wenn der Abschied vom aktiven Karnevalsleben schwer fällt, dass du dennoch nicht ganz die Freude am närrischen Treiben verlierst.

    Liebe Grüße und ein dreifaches Alaaf
    Christa

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  7. Tja, dat is de kölsche Klüngel...
    10 Jahre und so ein Ergebnis - armselig.

    Vielleicht sollte ich mich für nächstes Jahr in der Karnevals-AG der Schule engagieren, dann darf ich auch mal mitgehen.

    Liebe Grüße
    Astrid rechtsrheinisch

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  8. Ich kann nur ahnen wie glücklich und traurig euch das Zuschauen gleichzeitig macht.

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  9. Dass dieses schlimme Unglück, entstanden durch Pfusch und Schlamperei, ganz besonders die Kölner selber noch lange Jahrzehnte begleiten wird, glaube ich sofort. Ich konnte die Nachricht damals auch erst einmal gar nicht glauben.
    Dass dir der Abschied vom aktiven Straßenkarneval schwer fällt, ist gut nachvollziehbar. Da hängen auch so viele Stunden gemeinsamer Arbeit und Freude mit gleichgesinnten FreundInnen daran.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  10. Liebe Astrid,
    ich kann mich auch noch gut an diesen Tag erinnern, an dem das Stadtarchiv zusammen gestürzt ist. Ich habe zwar keine Bindung zu Köln, aber der Tod zweier Menschen und der Verlust so vieler historischer Dokumente hat mich geschockt. Um so schlimmer, dass dieses Unglück durch Pfusch verursacht wurde. Aber ich bin auch froh, dass nicht noch mehr passiert ist.
    Ich kann nicht verstehen, warum solche Verfahren immer so lange dauern müssen und am Ende kommt ein sehr mildes Urteil heraus.
    Ich wünsche Dir noch eine schöne Woche.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  11. Unbegreiflich, dass ein solch mildes Urteil bei der langen Wahrheitsfindung herauskommt. Damit wurden also noch viel mehr Ressourcen und Geld und Vertrauen in den Rechtsstaat in dem Archivloch versenkt.

    Ich erinnere mich auch noch gut an die Nachricht, gestern wurde ich bei einer Autofahrt durch einen Beitrag von WDR2 erinnert.

    Wußtest du, dass eine "ältere Dame" (was immer das heißen soll), sich im Anschluß an den Einsturz das Leben nahm, weil mit ihrer Wohnung ihr gesamtes Leben verschwunden war? Sehr traurig.

    Ich kann deine Wehmut bzgl. des Karnevals verstehen, auch wenn ich so überhaupt kein Jeck bin. Leider eine der Unannehmlichkeiten des Älterwerdens - nicht alles ist mehr machbar - platt, aber wahr - die Alternative zum Altern ist nun auch nicht wirklich eine!

    Beste Grüße - Brigitte B.




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  12. ach Astrid
    ich kann gut verstehen dass dir wehmütig um das Herz ist
    aber so ganz von weg bist du ja doch nicht
    und mit der Zeit wird es dir sicher auch Freude machen "nur"zuzuschauen
    ich bin kein Fastnachter
    aber meine Kinder gehen ..sie haben das wohl von meiner Schwiegermutter ;)
    und auch mein Mann war als Junggeselle über die tollen Tage unterwegs

    schöne Bilder hast du mitgebracht

    liebe Grüße
    Rosi

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  13. Für mich ist der Einsturz des Stadtarchivs mit sehr besonderen Gefühlen verbunden. Am Tag vorher war unser 2. Enkelkind geboren und wir waren gerade auf dem Weg nach Bonn, um den Neuankömmling zu begrüßen. Ich kann Deine melancholischen Gefühle in puncto Karneval gut verstehen.
    LG
    Magdalena

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  14. Ich ergötze mich gerade an den tollen Farben... ja, diese Katastrophe hat auh mich damals - in weiter Ferne - absolut sprach-und fassungslos gemacht!
    Gut, daran zu erinnern -
    LG Mascha

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  15. Dein Stammtisch ist einfach Ehrungswürdig.
    Ich staune immer wieder, wie wenig Strafe die Großen immer kriegen. Zum Glück ist nicht noch Übleres geschehen.
    Grüße aus dem Karnevalsfreien Berlin
    Andrea

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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