Dienstag, 21. August 2018

Lieben Sie Lyrik? {8}


Marie von Ebner Eschenbach
Sankt Peter und der Blaustrumpf
(1893)

Ein Weiblein klopft an's Himmelsthor,
Sankt Peter öffnet, guckt hervor:
- »Wer bist denn du?« - »Ein Strumpf, o Herr ...«
Sie stockt, und milde mahnet er:
»Mein Kind, erkläre dich genauer,
Was für ein Strumpf?« »Vergieb - ein blauer.«
Er aber grollt: »Man trifft die Sorte
Nicht häufig hier an unsrer Pforte.
Seid samt und sonders freie Geister,
Der Teufel ist gar oft nicht dreister,
Geh hin! er dürfte von dir wissen,
Der liebe Herrgott kann dich missen.«
- »Das glaub ich wohl - doch ich nicht Ihn,
O Heilger, wolle noch verziehn!«
Sie wagt es, sein Gewand zu fassen,
Hat auf die Knie sich sinken lassen:
»Du starker Hort, verstoß mich nicht,
Laß blicken mich in's Angesicht
Des Ewgen, den ich stets gesucht.«
- »In welcher Weise, ward gebucht;
Man strebt ihm nach, wie's vorgeschrieben,
Du bist uns fern und fremd geblieben.«
Das Weib blickt flehend zu ihm auf:
»Wär dir bekannt mein Lebenslauf,
Du wüßtest, daß in selgen Stunden
Ich meinen Herrn und Gott gefunden.«
Der Pförtner stutzt: »Allwo? - Sprich klar!«
- »Daselbst, wo ich zu Hause war,
(Mein Handwerk brachte das mit sich)
Im Menschenherzen. Wunderlich
War dort der Höchste wohl umgeben;
Oft blieb von seines Lichtes Weben
Ein glimmend Fünklein übrig nur
Und führte doch auf Gottes Spur.
Ob er sich nun auf dem Altare
Den Frommen reicher offenbare -
Das zu entscheiden ist dein Amt:
Bin ich erlöst? bin ich verdammt?«
Sankt Peter zu derselben Frist
Etwas verlegen worden ist,
Dacht eine gute Weile nach,
Nahm endlich doch das Wort. Er sprach
Und rückt dabei den Heilgenschein:
»Besprich es drin - ich laß dich ein.«


Gefunden bei der Beschäftigung mit einer neuen bemerkenswerten Frau, deren ganze Lebensspanne die des letzten österreichischen Kaisers Franz Josef umfasste und die heutzutage eher in einem falschen Lichte gesehen wird, war sie doch zu ihrer Zeit der Frauenbewegung gegenüber aufgeschlossen, ein Blaustrumpf eben. Wer den Begriff nicht kennt - das sagt Wikipedia dazu:

"Blaustrumpf war gegen Ende des 18. und im 19. Jahrhundert ein Schimpf- und Spottname für Frauen, die nach Emanzipation strebten, damit dem zeitgenössischen Frauenbild widersprachen und als 'unweiblich' galten. Intellektuell gebildete Frauen wurden als Blaustrümpfe karikiert. Der Begriff geht auf die britische Blaustrumpfgesellschaft zurück, galt zunächst für beide Geschlechter und hatte keine abwertende Bedeutung."

Dogmengebundenheit kennt die Ebner - Eschenbach nicht, und statt nach Frömmigkeit zu streben, hat sie Gott in den Menschenherzen gesucht. Sehr sympathisch, finde ich...


10 Kommentare:

  1. Nettes Gedicht, das kannte ich garnicht! Aber sonst ist sie mir eigentlich ziemlich vertraut. Schön, dasz Du an sie erinnerst.
    Morgenkühle Grüsze für einen schönen Dienstag
    Mascha

    AntwortenLöschen
  2. schon als kind sagte man mir, du bist ein heidenkind und ein blaustrumpf...danke dir für das erinnern...liebe grüsse

    AntwortenLöschen
  3. Mir ist sie natürlich ein Begriff, aber bewußt habe ich wohl nie etwas von ihr gelesen, was es offensichtlich nachzuholen gilt.Danke!
    Vuiele Grüße, karen

    AntwortenLöschen
  4. Tolle Frau, bemerkenswertes Leben. Dazu hatte ich mal eine Seminarfacharbeit. GlG Sunni

    AntwortenLöschen
  5. Ein Gedicht ganz nach meinem Herzen. Kommt naiv daher, hats aber total in sich. Da wird Gott ganz schön beeindruckt sein von solchem Blaustrumpfe.

    Marie Ebner-Eschenbach wird leicht verkannt und deshalb besonders Danke, dass Du sie mit dieser Lyrik hier vorstellst.
    Herzlichst, Sieglinde

    AntwortenLöschen
  6. Ich kenne viele Aphorismen von ihr, das treffliche Gedicht nicht. Dankeschön 😃. Liebe Grüße Ghislana 💛

    AntwortenLöschen
  7. pffff - ich bin stolz, ein "blaustrumpf" zu sein - und der "liebe gott" oder irgendwelche "himmel" sind mir schnuppe :-D
    xxx

    AntwortenLöschen
  8. das Gedicht kenne ich auch nicht ;)
    aber es ist sehr gut..
    der Name ist natürlich bekannt durch die Schule

    die Collage ist klasse ;)

    liebe Grüße
    Rosi

    AntwortenLöschen
  9. Jetzt hast du mir spontan Lust gemacht, mir blaue Söckchen zu besorgen. Dabei mag ich blau doch nicht einmal! ;)

    Liebe Grüße
    Sabrina

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.