Freitag, 16. März 2018

"Ich werde nie wieder den Himmel ohne Rahmen sehen, den die Wände des Gefängnishofes bilden"


"Wir werden den Rest unseres Lebens alleine in einer Zelle verbringen, 
die drei Meter lang und drei Meter breit ist. 
Wir werden eine Stunde am Tag die Sonne sehen. 
Wir werden nie begnadigt werden und im Gefängnis sterben.

So lautet das Urteil. 
Ich strecke meine Hände aus, sie legen mir Handschellen an. 
Ich werde die Welt nie wieder sehen. 
Ich werde nie wieder den Himmel ohne den Rahmen sehen, 
den die Wände des Gefängnishofs bilden. 
Ich steige in den Hades hinab. 
Ich gehe in die Dunkelheit wie ein Gott, der sein eigenes Schicksal aufgeschrieben hat. 
Mein Held und ich verschwinden gemeinsam in der Dunkelheit."

Ahmet Altan,
türkischer Schriftsteller (67),
verurteilt zu lebenslanger Haft 


Heute vor einem Monat, am 16. Februar 2018, dem Tag der Freilassung von Deniz Yüzel,  ist der Schriftsteller und Journalist Ahmet Altan zusammen mit fünf Journalistenkollegen zu lebenslanger Haft verurteilt worden - so gut wie nicht beachtet hierzulande.

Ihm wurde vorgeworfen, er habe in einer TV-Sendung am 14. Juli 2016 "unterschwellige Botschaften" über den Putsch verbreitet, der am Tag danach stattfand. Der 67-jährige Altan war Chefredakteur der mittlerweile geschlossenen Zeitung "Taraf". Im Januar hatte das türkische Verfassungsgericht seine Freilassung angeordnet, ein Gericht in Istanbul blockierte den Beschluss jedoch. 

Source

Ahmet Altan hat in der Türkei schon mehr als 300 Klagen überstanden und auch schon im Gefängnis gesessen, weil er in den vergangenen drei Jahrzehnten immer offen gesagt hat, was er denkt. Dafür wird er von etlichen Menschen in der Türkei geliebt, von Recep T. Erdoğan aber so sehr gefürchtet, dass er ihn zu lebenslanger Haft verurteilen ließ. Anders können sich Kenner des Falles dieses Urteil nicht erklären.

In der Fernsehsendung damals hat Ahmet Altan  geäußert, Herr E. habe dieses schöne Land Türkei kaputt geherrscht, er solle mal aufpassen. Das ist die"sublime Botschaft", auf die sich die Ankläger berufen, Altan habe somit gezeigt, dass er vom bevorstehenden Putsch gewusst hat. Außerdem habe er an den Putschvorbereitungen auch schon seit 2010 gearbeitet, so die Ankläger.


Immerhin ein kleiner Lichtblick in den türkischen Verhältnissen: Nach mehr als 430 Tagen in U-Haft ist vor einer Woche der Investigativjournalist Ahmet Şık ( hier habe ich über ihn berichtet ) vom Gericht frei gelassen worden, ebenso der Chefredakteur der "Cumhuriyet", Murat Sabuncu, dürfen das Land aber nicht verlassen.


Sieht man sich an, wie mit der Meinungsfreiheit andernorts umgegangen wird - im heutigen Fall also am Beispiel Türkei - und welche Verfolgungen & Strafen die Menschen zu erdulden haben, wenn sie von Ihrem Menschenrecht Gebrauch machen, dann kann ich die Larmoyanz bei diesem Thema, die hierzulande immer wieder von bestimmten Mitbürgern an den Tag gelegt wird, fast nicht mehr aushalten.

Hierzulande ist noch keiner eingesperrt worden, wenn er ähnliche Äußerungen in Richtung Frau Merkel macht, wie es Ahmet Altan in der Fernsehsendung in Richtung Herr E. getan hat, nicht einmal, wenn er öffentlich einen Galgen für die Kanzlerin durch die Gegend trägt.

Aber gebetsmühlenartig wird immer wieder erklärt, man dürfe in unserem Lande nicht seine Meinung sagen, vor allem dann, wenn man sie in epischer Breite darlegen darf, wie jüngst Herr Tellkamp in jener Veranstaltung vor über einer Woche in Dresden. Das ist ein Verhöhnen derjenigen, die für ihre Meinung tatsächlich große Opfer bringen müssen und über die ich an dieser Stelle seit 38 Monaten schreibe. Und zeigt mir, dass der durchaus lesenswerte Autor als Mensch & Bürger in einer pluralistischen Gesellschaft nicht in der Lage ist und bereit auszuhalten, dass seine Ansichten nicht von allen geteilt werden. Meinungsfreiheit bedeutet nämlich, seine Meinung frei äußern zu dürfen, umfasst aber nicht das Recht, dafür nicht kritisiert zu werden. Kritik an geäußerten Meinungen beweist Meinungsfreiheit, da logischerweise nur kritisiert werden kann, was frei geäußert wird. Es ist so bequem, statt zu akzeptieren, dass man zu einer Minderheit gehört, und anmaßend, sich in die Rolle des Opfers zu fantasieren...

Müssen wir jetzt unsere Meinung runterschlucken, nur damit unser Gegenüber sich frei genug fühlen kann, zu sagen, was es will? Geht's noch?







Nachtrag: Ich halte es im Übrigen in puncto Toleranz mit Durs Grünbein, der hier in einem Interview sagte: "Zunächst einmal gibt es in jeder Gesellschaft einen gewissen moralischen Cordon sanitaire. Eine Schutzzone also, jenseits derer die Seuchen beginnen, die Propaganda von Hass und Gewalt. Dieser humanistische Raum ist eine stille Vereinbarung. Der darf unmöglich verlassen werden, sonst steuern wir wieder auf Krieg und Völkermord zu." Und weiter: "Wer aber rassistisch und antihumanistisch argumentiert, stößt auf Widerstände – zu Recht. Es sind die Grenzen, die der Anstand setzt: die Zehn Gebote, die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen oder schlicht das eigene Gewissen." 


8 Kommentare:

  1. Mir fehlen eigentlich die Worte. Trotzdem will ich ein Zeichen hinterlassen. Wegen Ahmet Altan. Und dieser unbeschreiblichen Traurigkeit. - Danke Astrid, für deine Stimme.
    Herzlich, Sibylle

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  2. Gut, dass Du seit 38 Monaten schreibst über solcherart Unmenschlichkeiten und das dazu sehr differenziert und klug.
    So nutzt Du Deine Meinungsfreiheit ausgezeichnet und gibst uns noch dazu die Möglichkeit uns gleichfalls zu äußern.
    Das gefällt mir sehr.

    Kennst Du die österreichischen "Omas gegen Rechts"? Sie haben sich über Facebook kürzlich gegründet und sind eine sehr interessante Frauen-Bewegung.
    Ich verlinke einfach mal. https://www.omasgegenrechts.com/uber-uns/. Wenn das nicht gewünscht wird, dann bitte einfach Omas gegen Rechts googlen.
    Du hast doch kürzlich gefragt, was wir tun können? So könnte eine Antwort lauten.
    Herzlichst, Sieglinde

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  3. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich einmal froh darüber sein würde, türkische Verhältnisse zu kennen. Leider erfährt man ja nicht viel über Grünbeins Rolle in der DDR. Er war bei der NVA, hat in der DDR studiert und dann für DDR-Zeitschriften gearbeitet. Alle Männer aus meiner Familie waren nicht bei der NVA und mussten deshalb ins Gefängnis.... mit Studium und Karriere war da auch nichts. Meinungsfreiheit ist sicher auch eine Frage der Interpretation....

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  4. Tiefstes Mittelalter - es ist so leicht, barbarisch ein Held zu sein... Unfassbar wie das Recht verschwindet, wie es verfault und zu einer persönlichen Angelegenheit des Machthabers wird.
    LG Gerda

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  5. Liebe Astrid,
    es macht sprachlos und ich glaube, es genügt gerade im Hinblick auf Putin, nur noch ein Fünkchen und dann ....!

    Lieben Gruß Eva

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  6. Tränen in den Augen, vor Trauer und vor Zorn.
    Viele Grüße,
    Karin

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  7. Liebe Astrid, danke, dass du auf dieses Schicksal aufmerksam machst! Es ist wirklich schlimm, dass in so vielen Ländern eine kritische Meinung schon ein hinreichender Haftgrund ist. Wir sollten dankbar sein, dass das bei uns nicht der Fall ist, und vor allem das Recht zur Meinungsäußerung auch nutzen, so wie du es tust! Viele verzichten darauf, da sie sich nicht angreifbar machen wollen oder denken, es bringt sowieso nichts. Damit überlassen wir denjenigen das Feld, die grundlegende Vereinbarungen wie zum Beispiel Menschenrechte nicht respektieren. Deswegen freue ich mich über solche Artikel wie deinen.
    Liebe Grüße,
    Amely

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