Mittwoch, 14. Juni 2017

Eye Poetry { 5/17 }


Die Königin

Ich hab dich zur Königin ernannt.
Größere gibt es, größer als du.
Reinere gibt es, reiner als du.
Schönere gibt es, schöner als du.

Doch du bist die Königin.

Wenn du durch die Straßen gehst,
erkennt dich keiner.
Niemand sieht deine Krone aus Kristall, niemand schaut
den Teppich aus rotem Gold,
den jeder Schritt von dir betritt,
den Teppich, der gar nicht da ist.

Und wenn du erscheinst,
rauschen alle Flüsse
in meinem Körper auf, rütteln
die Glocken am Himmel,
und ein Hymnus erfüllt die Welt.

Nur du und ich,
nur du und ich,
meine Liebe,
hören ihn tönen.

Pablo Neruda

Andrea, da hast du was bei mir los getreten! 

Plötzlich lag mein ganzes Leben rückblickend vor mir, alles Mögliche, was mich einmal, teilweise sehr intensiv, beschäftigt hat. Ja, einem Hymnus gleich, auf das Leben, auf die Vielfalt dieser Erde, auf das, was wirklich wichtig & großartig ist und über uns kleine Erdenwürmer hinausreicht, die Natur, die Liebe, die Kunst, die großartigen Ideen & Vorstellungen von Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit & Selbstbestimmung und die Hoffnung darauf, dass das einmal für alle möglich sein wird...


Source
Pablo Neruda - plötzlich stand er vor mir auf der liparischen Insel Salina, wartend auf "Il postino"...

Dieser schöne Film von Michael Radford von 1994 tauchte vor meinem inneren Auge auf, Neruda verkörpert vom unvergleichlichen Philippe Noiret und der zerbrechliche, dem Tod geweihte Massimo Troisi als sein Briefträger.



Und  es dauerte nicht lange, da wuchs auch sie schon auf den kargen Felsen der Insel in die Höhe, die Chile - Tanne: ... "la araucaria de lanzas erizadas era la magnitud contra la nieve"  ( "die Araukarie mit ihren borstigen Lanzen reckte sich stattlich gegen den Schnee" )  und der Große Gesang  ("Canto general" ) toste in meinem Kopf und lies mich auch in der folgenden Nacht kaum schlafen:


Eine neue Stimme kam hinzu: Die der Maria Farantouri, jener griechischen Sängerin, der ich in den Siebzigern, Achtzigern gehuldigt habe, von der ich kein Konzert in Köln versäumt habe, zusammen mit dem genialen griechischen Komponisten Mikis Theodorakis, der zwischen 1970 - 81 Teile des Nerudaschen Gedichtzyklus zu dem Oratorium "Canto General" für zwei Solostimmen, gemischten Chor und Orchester vertont hat. Und der stand nun auch vor mir, mit seinen ausladenden Armbewegungen, immer beim Dirigieren mitsingend, höchst engagiert.

Ihretwegen habe ich Griechisch gelernt, griechisch gesungen, griechisch getanzt in einer Volkshochschulgruppe...

Source
Im ersten Sommer nach dem Sturz der griechischen Junta bin ich in meinen Sommerferien 1975 nach Griechenland gereist - der Beginn einer großen Liebe. Da hatte schon längst das Militär in Chile die demokratisch gewählte Regierung des Salvador Allende hinweg geputscht. Die letzte Rede des Präsidenten im Radio vom 11. September 1973 ( die noch Jahre später Tränen bei mir auslösen konnte ) fügt dem Tableau in meinem Kopf eine weitere Stimme hinzu...

Pablo Neruda selbst erlag übrigens zwölf Tage nach dem Putsch, am 23. September 1973, angeblich seinem Krebsleiden. Nach seinem Tod wurde sein Haus vom Militär geplündert und zerstört, seine Gedichte blieben bis 1990 verboten. 2015 erklärte das chilenische Innenministerium letztendlich, dass Nerudas Tod durch Fremdeinwirkung verschuldet worden war...

Theodorakis, Farantouri, Neruda und seine Frau während der Proben
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Theodorakis, der selbst während der griechischen Junta im Exil war, hatte 1970 Pablo Neruda, damals chilenischer Botschafter in Frankreich, in Paris getroffen. Die für September 1973 avisierte Uraufführung des Oratoriums musste dann ohne den Dichter & Nobelpreisträger von 1971 stattfinden. 

Hunderttausende Chilenen flohen vor dem Terror des Chilenen Pinochet, viertausend kamen auch nach Westdeutschland. 

Unter ihnen auch Olga Cámpora und ihre drei Kinder, die eigentlich aus Uruguay stammten und in Chile Schutz gefunden hatten. 
    
Auch in Uruguay hatte im Sommer 1973 ein Staatsstreich stattgefunden und Menschen ins chilenische Exil getrieben, die nun weiter fliehen mussten. Auf diesen Umwegen erreichten die Geschwister also als Schüler meine erste Schule in Köln - Holweide. 

Und in den Chor in meinem Kopf mischten sich jetzt noch unsere Protestrufe vor der Botschaft in Bad Godesberg, wo wir als Schulgemeinde die Freilassung des Vaters der Schüler, David Cámpora, immer wieder gefordert haben. Initiiert wurde das alles von Davids Frau, so wie es heute Ensaf Haidar für ihren Mann Raif Badawi tut. Der Erfolg von damals - 1980 ließ das Regime David Cámpora frei - gibt mir bis heute die Zuversicht, dass der bessere Teil der Menschheit auch Raif Badawi zu seiner Familie zurückbringt.  

Die Königin des Gedichtes - nach so viel Kopfkino -  stand plötzlich für mich für die Liebe zum Leben aller Menschen, aller Kreatur. Etwas Königlicheres, Größeres kenne ich nicht...


Damit das alles nicht bloße Imagination bleibt, habe ich gestern Nachmittag dann noch eine MDF - Platte der #15fünfzehn - Aktion "bearbeitet":

Dank dir, Andrea, für diesen Anschubser!


19 Kommentare:

  1. Wie anrührend dein Post ist - herzlichen Dank für die vielen Aspekte rund um das Gedicht - da gibt mir mein dickes Knie die Gelegenheit, entspannt weiterzulesen.
    Liebe Grüße
    Christine

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  2. Da läuft ja mehr als nur ein Film ab bei Deinem Post. Exil-Chilenen kannte ich auch einige damals - ich war bei "terre des hommes" aktiv - und das ganze Elend hat uns alle sehr erschüttert. "Meine" Sängerin war Mercedes Sosa und Il Postino fand ich auch einen wunderbaren Film.
    Griechisch hast Du also auch gelernt und Deine Collage zeugt davon.

    Ja, ein Gedicht kann Vieles bewirken, deshalb sind sie ja so gefährlich - die Dichter. Danke für Deine berührenden Gedanken und Bilder dazu.
    Herzlichst, Sieglinde

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    1. Griechisch - seit zwanzig Jahren nicht mehr genutzt, das kann man vergessen! Aber die Begeisterung der Tochter über ihren Urlaub dort, die Begegnung mit den Menschen - ich muss wieder hin, wenn ich es wieder kann...
      LG

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  3. Wow..., was dir da alles durch Kopf und Herz gegangen ist..., eins zum anderen. Und mir ist, als hätte ich alles miterlebt, was du bescheibst, und jetzt kommen bei mir die Erinnerungen an die Weltfestspiele 1973 hoch, nur Wochen vor dem Putsch, wir haben so oft abends zusammen gesungen, junge Menschen aus aller Welt, zu Füßen des Fernsehturms, in einer seltsamen Mischung von Freude und Sorge... Ein dicker, dicker Neruda-Band steht hinter mir im Lyrikregal... Und dein Fazit..., "... aber die Liebe ist die größte..." Danke dir und liebe Grüße Ghislana

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  4. ... und du hast nun mich einen Blick zurück tun lassen = Gänsehautgefühl bei Farantouri und Thedorakis - Danke für dieses Posting (bin oft bei dir, aber hinterlasse kaum mal einen Abdruck = Entschuldigung - die Zeit ...).

    Herzlichst - Monika

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  5. Jetzt bin ich aber auch geflasht von deinem eindrucksvollen Beitrag! Das zeigt wieder, was alles durch ein Gedicht an Erinnerungen, Gefühlen, Inspirationen, Taten etc. so ausgelöst werden kann. Was für ein Kraft darin stecken kann.
    Auf eine kleine Reise in die (politische und künstlerische) Vergangenheit hast Du mich da mitgenommen. Natürlich kamen mir da auch wieder eine Menge Bilder!
    Ganz herzlichen Dank für Deinen Beitrag!!! Er zeigt wieder, wie bereichernd für sich und andere solche Inspirationen sind.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Welch schönes Gedicht, hätte auch gut zu dem Post mit der Liebe gepasst. Gefällt mir sehr! Wir waren vor 4 Jahren in Chile und haben eine Fahne aus Chile mitgebracht und an dem Spielturm gehängt. Ein Herr im die 70 hat einen Nachbarn daraufhin gefragt, ob dort Chilenen wohnen... Einige Zeit später sprach der Herr meinen Mann an, welcher wohl von Deutschland frei gekauft wurde. Unvorstellbar für mich, die 1973 geboren und auch nie Kontakt direkt hatten. Mein Vater ist aus Ex-Jugoslawien geflohen, aber das war harmlos verglichen damit. Schrecklich wozu Menschen fähig sind.

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  7. Bildung- das ist es was ich hier immer wieder erfahre. Astrid, die
    Lehrerin-mit-Leib-und-Seele kommt in so vielen Posts durch. Danke!

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    1. Wenn das AUCH dabei rumkommt, ist es O.K. - Ich komme in das Alter, in dem man immer mehr auf sein Leben zurückschaut. Vor allem, wenn es aktuell so langweilig zu werden droht, weil ich nicht mehr richtig raus kann..
      GLG

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  8. Zu dir zu kommen, bedeutet immer richtig Arbeit - ich schaff es einfach nicht immer, alles zu lesen. Schade, denn immer hast du Interessantes und Wissenswertes zu erzählen. Da ich dieses Gedicht so liebe, wollte ich wissen was du dazu zu sagen hast, so schöne Gedanken.
    Und zum Schluss tatsächlich eine Collage, ich freu mich darüber, sie gefällt mir, obwohl ich den Text nicht verstehe.
    LG Ulrike

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  9. Eine magische Explosion wurde da ausgelöst, liebe Astrid. Und was deine Lebensrückschau betrifft - ich denke, es ist wunderbar, wenn man auf etwas so Interessantes, Kraftvolles, mit Leidenschaft Gelebtes zurückschauen kann wie du! UND du schaust ja längst nicht nur ZURÜCK!
    Tut mir sehr leid, dass ich mich erst jetzt wieder bei dir melde - bei mir war schon wieder fast zwei Wochen lang "Funkstille". Inzwischen war ich knapp zwei Wochen verreist und hab mir am Ende eine heftige Bronchitis eingehandelt. Jetzt bin ich wieder da - und die Erholung von der Kur ist inzwischen mehr oder weniger Geschichte. Aber das wird schon wieder ;-) Deshalb war ich auch nicht bei deiner Linkparty zum Thema Tiere dabei - ich denke, jetzt wird sie wohl nicht mehr offen sein? (wenn ja, gib mir bitte einen Tipp!) Bei mir gibt's ab morgen wieder ANL - ich hoffe, da bist du auch wieder mit deinen Nähwerken dabei!
    Herzliche Rostrosengrüße, Traude

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  10. Wegen diesem Gedicht habe ich mir vor Jahren einen ganzen Gedichtband von Pablo Neruda gekauft. Es ist wundervoll.
    glg Susanne

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  11. da hat ja das gedankenkarussel in deinem kopf wirklich viel ausgelöst! (bei mir ganz anderes...).
    il postino fand ich - vor vielen jahren gesehen - sehr anrührend und habe lust bekommen, ihn mir noch einmal anzuschauen.
    salvador allende war für uns damals ein ganz großer hoffnungschimmer auf eine bessere welt, die dann aber so brutal zerstört wurde.
    den text deiner collage kann ich leider nicht entziffern, aber sie gefällt mir auch so sehr gut - mein sommerblau...
    liebe grüße
    mano

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    1. Das kann auch ich nicht wirklich: Die große Schrift= Lupo, in der kleinen Sprechblase steht "Passen Sie auf!", dann sind da unübersetzbare Geräuschwörter. Und in der großen Sprechblase verstehe ich nur: "O Gott,....kostbare Zeit,..... Reise".
      Ich habe sie ausgesucht, weil mir die griechischen Buchstaben so gefallen.
      LG

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  12. Viele viele der Namen, die du hier erwähnst, sind ein fester Bestandteil meiner Kindheit. Danke.
    Lieben Gruß

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  13. Du kannst griechisch sprechen, singen und tanzen, liebe Astrid!! Das ist eine feine kleine Essenz.. die ich bewundert heraus gelesen habe! Liebste Grüße, Nicole

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  14. Einfach nur wow liebe Astrid! ♥ Toller Post und dass du griechisch sprechen und tanzen gelernt hast, hat mich jetzt auch sehr beeindruckt!
    Liebste Grüße
    Christel

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  15. Eine tolle Basis, liebe Astrid, um tiefer zu blicken und viele Einzelheiten bei Neruda zu finden. Danke für diesen bereichernden Beitrag! Immer ein Vergnügen und ein Lernen, bei dir vorbeizuschauen! LG. susanne

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  16. Was ein Gedicht alles ins Rollen bringt ist gewaltig. Ja früher bemühte man sich noch die Sprache des Lieblingslandes zu lernen. Heute sprechen alle schnell nur noch Englisch. Komme gerade aus dem Tessin sogar die schöne Italienische Sprache wird mit Englisch ausgetauscht für die Touristen.
    L G Pia

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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