Freitag, 31. März 2017

Wem kann man noch trauen?


"Kriege gewinnt nicht mehr unbedingt, 
wer mehr Waffen besitzt. 
Kriege gewinnt auch, 
wer den Gegner erfolgreich desinformiert."

Waleri Wassiljewitsch Gerassimow,
russischer Generalstabschef  2013
in einem Beitrag für die Wochenzeitung 
"Militärisch-Industrieller Bote"

"Wir stehen hier (...)
vor genau dieser Wahl:
Wollen wir,
dass es eine Wahrheit gibt,
oder wollen wir immer nur das hören,
was wir hören wollen?"

Timothy Snyder,
Historiker,
Autor von "Bloodlands"*
in einem Interview heute



In Miamis Stadtteil Little Haiti versorgte "Cambridge Analytica" ( der Datenspezialist, der übrigens Steve Bannon mit mehr als 125 000 Dollar bezahlt hat ) vor der Wahl in den USA Einwohner mit Nachrichten über das Versagen der Clinton-Stiftung nach dem Erdbeben in Haiti, um sie davon abzubringen, Hillary Clinton zu wählen. Das Ziel waren potenzielle Wähler wie zweifelnde Linke, Afroamerikaner, junge Frauen. Eine solche Lüge funktioniert dann am besten, wenn sie in Wahrheit verpackt wird, man das Zielpublikum gut genug kennt und eine Ahnung davon hat, welche Wahrheit es hören will.

Wie das sog. Ocean - Modell funktioniert, mit dem "Cambridge Analytica" in diesem Falle gearbeitet hat, ist hier übrigens veranschaulicht und näher beschrieben. "Cambridge Analytica" sind also keine Hexer. Ihr System muss nicht gut sein, es ist nur besser als die bisher verwendeten.

Es sollte jedem überdeutlich klar machen, welche Macht soziale Medien als politisches Werkzeug generell haben, nicht nur auf der Ebene, auf der die Inhalte geteilt werden, sondern auch als Werkzeug, um die jeweilige Zielgruppen analysieren, verstehen und entsprechend ansprechen zu können. 


Ihre Stärke in den sozialen Netzen wissen die neuen rechten Parteien besonders gut zu nutzen, um mögliche Zielgruppen herauszufinden und diese mit entsprechend frisierten & erfundenen Nachrichten anzusprechen und auf diese Weise ihre politischen Ziele zu verbreiten. Heutzutage kann aber prinzipiell jeder Nutzer sich in den sozialen Netzen empören & Reizthemen für seine politische Richtung instrumentalisieren, wie z.B. die Furcht vor Überfremdung, Elitenschelte, die Frage von Krieg und Frieden.

Propaganda hieß das früher - auch unter diesem Namen im vergangenen Jahrhundert ein Instrument, um die Bevölkerung in einer bestimmten Weise zu beeinflussen. Russische Geheimdienste haben dies schon zu Zeiten der Sowjetunion beherrscht. Jetzt haben sie diese Fähigkeiten in die digitale Welt hinübergerettet. 

Beispiele aus der jüngsten Zeit für die neue Art der russischen "Kriegführung" mittels Internetseiten wie "NewsFront", RT ( früher "Russia Today" ) oder "Sputnik", die direkt vom Kreml finanziert und gesteuert werden und miteinander in diversen Formen kooperieren ( und damit dem Leser Glaubwürdigkeit suggerieren: Wenn mehrere Quellen das Gleiche vermelden, MUSS es doch STIMMEN ) sind einmal die Tatsachenbehauptung, deutsche Soldaten hätten bei einem Nato-Einsatz in Litauen ein minderjähriges Mädchen vergewaltigt oder die Meldung vom Januar dieses Jahres, 700.000 Deutsche hätten ihre Heimat verlassen, weil sie Merkels Flüchtlingspolitik nicht mehr ertragen könnten. Nach Silvester 2016 lancierte man von dort auch die Falschmeldung, tausend Einwanderer hätten eine Kirche in Dortmund angezündet.  

Besonders krass ist eine von "Sputnik" initiierte Kampagne gegen den französischen Präsidentschaftskandidaten Emanuel Macron: Mittels eines Interviews mit Nicolas Dhuicq, einem konservativen Abgeordneten des französischen Parlaments, setzte die Internetseite indirekt das Gerücht in die Welt ( "Eine sehr wohlhabende Gay-Lobby steht hinter ihm. Das sagt alles." ), Macron sei schwul. 
"Es war der Ausgangspunkt für eine weltumspannende Verbreitung dieser Falschnachricht. In den darauffolgenden Tagen nehmen mehr als 17.000 TV-Beiträge, Artikel, Blogeinträge und Posts auf Twitter und Facebook darauf Bezug.
Die Zahl der Beiträge ist ein guter Indikator dafür, wie viel Einfluss eine Fake-News auf die politische Debatte eines Landes im Wahlkampf haben kann. Denn viele Beiträge zu dem Thema waren auf Französisch. Macron musste Stellung beziehen. Einige Tage gehörte das Gerücht zu den wichtigsten politischen Themen in Frankreich. Ein Höhepunkt war zwar am 7. Februar erreicht, aber die Debatte reißt bis heute nicht ab." ( Quelle hier, dort ist auch in Schaubildern die Verbreitung des Gerüchts veranschaulicht )
Unwahrheiten finden übrigens am ehesten den Weg in die klassischen Medien, wenn sie ein Körnchen Wahrheit enthalten und sich auf ein tatsächliches Ereignis beziehen:
"In der Hochphase des amerikanischen Wahlkampfs erfuhren die meisten US-Bürger gar nicht durch ihre sozialen Netzwerke von Fake-News. Sie bekamen über die traditionellen Medien davon mit. Allen voran das Fernsehen hat in den Wochen vor der US-Wahl in Nachrichtensendungen und Talkshows über die kursierenden abstrusen Gerüchte und Lügen berichtet. Das machten sie zwar in hehrer Absicht: erklärend und kritisch. Doch sorgten die traditionellen Medien so für ein weitaus größeres Publikum dieser Falschmeldungen." ( Quelle hier )
Ein Beispiel dafür, dass Medien - in diesem Falle Fox - News - als Quelle für ernsthafte Nachrichten angegeben werden, hat der Twittermann selbst geliefert, als er steif und fest, selbst auf Widerspruch seiner Geheimdienste und dem "of Her Majesty"  hin, bei der Lüge blieb, er sei abgehört worden, das wisse er von Fox - News. ( Der Rechtsexperte des Senders, Andrew Napolitano, der im TV das Gerücht ins Rollen gebracht hatte, wurde übrigens am 21. März fürs Erste vom Bildschirm entfernt. )

Die zwanzig erfolgreichsten Falschmeldungen vor der Wahl in den Staaten wurden öfter geteilt, gelikt und kommentiert als die zwanzig erfolgreichsten Berichte seriöser Medien! Das hat das Onlineportal BuzzFeed hinterher ermittelt.

Source
"Flip-Flop" nennt man die Gepflogenheit, plötzlich eine ganz andere, oft gegenteilige Meinung zu einer Sache einzunehmen, um den eigenen Vorteil zu wahren oder seine Popularität zu steigern. Der Twittermann ist auch ein Meister im "Flip-Floppen": Noch im Wahlkampf hat er jegliche Leaks - und wenn es auch noch so dumme Gerüchte waren - gegen seine Konkurrentin Hillary Clinton mit sichtlicher Genugtuung zum Thema gemacht.

Seit er im Weißen Haus sitzt, sieht er das ganz anders: Leaks sind jetzt böse, und wer leakt, gehört grundsätzlich zur Rechenschaft gezogen. So reagiert er derzeit in der Auseinandersetzung mit dem FBI und lenkt davon ab, dass seine Abhörvorwürfe gegen Obama erstunken & erlogen sind und seine eigenen Vertrauten russische Kontakte gepflegt haben, die das FBI untersuchungswürdig findet. Und selbst wenn der FBI - Chef unter Eid aussagt, das sei "Nonsens", prangert der Lügner im Weißen Haus weiterhin eine Staatsaffäre an, die es wohl nicht gab. Es beschämt ihn nicht, wenn er auffliegt, denn es hat ja wie immer keine Folgen. ( Was allerdings die Wahrheitsliebe der Geheimdienste anbelangt, ist kritisches Hinterfragen auch immer angebracht, nur so am Rande... )

Ein begabter Flip- Flopper ist auch der ehemalige Sicherheitsberater des Twittermannes, Michael Flynn:
"Im September hatte Michael Flynn in einem Fernseh-Interview noch gespottet: "Wenn man ihnen (Personen in Clintons Umfeld) Immunität zusichert, dann bedeutet das, dass sie wahrscheinlich eine Straftat begangen haben." Aber da ging es ja auch um die vermeintliche E-Mail-Affäre von Hillary Clinton. Jetzt plötzlich ist es Flynn selbst, der gerne Immunität zugesichert bekommen würde. Was immer das heißen mag für seine Straffälligkeit." ( Quelle hier )
Zur Erinnerung: Michael Flynn hatte über den Inhalt seiner Gespräche mit dem russischen Botschafter nicht die Wahrheit gesagt. Entlarvt wurden seine Falschangaben dann durch Mitschnitte des FBI. Trump musste sich darum von ihm trennen. Jetzt soll Flynn vor einem Untersuchungsausschuss des Senats aussagen...

Auch wenn der Präsident & seine Mannen noch so viel lügen ( die "Washington Post" zählt seit dem Amtsantritt mit: bisher 317 ), ihm/ihnen wird immer noch geglaubt & vertraut. Auch so ein Nebeneffekt: Die Inflationierung der Lüge verschiebt die Wahrnehmungsgrenzen der Menschen, lässt Realität & Fiktion verschwimmen. Und bevor eine Lüge aufgeklärt & entzaubert ist, hat der Twittermann schon wieder eine neue, größere drauf gesetzt: Obama wurde doch in den USA geboren? Ja, klar! Es war doch Hillary Clinton, die daran gezweifelt hat. Das habe ich doch nur von ihr...

Allerdings hat sich mittlerweile ein tiefes Misstrauen in die politischen Prozesse in Washington eingefressen: Das kranke Verhältnis des Präsidenten zur Wahrheit "hat Metastasen gebildet, die weit über die Regierungsmannschaft hinaus wuchern." ( Carsten Luther in der "Zeit" )

"In Trump- Land gehört die Beleidigung der Intelligenz inzwischen zum Alltag", schrieb der Kommentator in meiner Tageszeitung.

"Nonsens!" - dieser Weckruf seiner Sicherheitsorgane wird den Twittermann nicht davon abhalten, die Öffentlichkeit mit der nächsten Behauptung in die Irre zu führen. Das war dann schon am letzten Freitag der Fall, als sein erster Beitrag auf Twitter nach dem Scheitern seines neuen Gesetzes zur Krankenversicherung der demokratischen Partei die Schuld am Scheitern gab. Sein gesamtes Gebaren ist eben ein einziger Widerspruch, mit dem er sich über die Demokratie lustig macht.

Umso hellhöriger müssen die Medien auf der Suche nach der Wahrheit bleiben. Und wir sie kritisch - wohlwollend begleiten...

Übrigens: Die größten Medienkritiker - "Lügenpresse" ist ja bei den Rechten das Schlagwort - kupfern doch tatsächlich ganze Artikel bei den so Attackierten ab:

So immer wieder geschehen beim österreichischen Magazin „Info-Direkt“. Dieses Hochglanzmagazin ist eigentlich ein Krawallblatt am rechten Rand, das sich selbst gerne „alternativ" schilt und der FPÖ nahe steht. Es scheut sich aber nicht, ganze Artikel aus den von Populisten immer wieder diffamierten Medien wie "Süddeutscher Zeitung", "Spiegel", "Welt" oder "Wiener Zeitung" abzuschreiben und sie dann mit geringfügigen Änderungen als eigene Meinungen auszugeben.

Der Gipfel der Unverschämtheit: Ein Artikel über die gute Wirtschaftsentwicklung Islands wird bei „Info-Direkt“ doch tolldreist mit dem Satz beendet: „Warum wir davon wohl in ‚Qualitätsblättern‘ nichts lesen …?“ Tatsächlich ist der Artikel aber zu großen Teilen ein Abklatsch eines Beitrages der deutschen „taz“.

Die Online-Version von „Info-Direkt“ ist in den letzten Tagen von Plagiaten gesäubert worden. Doch die Printversionen liegen als Belege vor.

Hasenlauscher bräuchte man, die feinste Nuancen wahrnehmen können...






* Timothy Snyder erzählt in seinem Buch drei miteinander verknüpfte Geschichten: Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen und die nichtjüdische Bevölkerung - so wie sie sich tatsächlich zugetragen haben: zur gleichen Zeit und am gleichen Ort zwischen Russland und Deutschland

9 Kommentare:

  1. das ist es was mich erschaudern lässt- die gelogenen und populistischen Meldungen werden mehr wahr-genommen als die Guten!! Und wie blöd müssen diese Menschen sein, wir sind doch durchsichtig genug und dann trotzdem immerwieder Lügengeschichten. Was ist das Ziel?? Macht und Anerkennung und wirtschaftliche Interessen, die <nur< für den eigenen Lügenbereich erfolgreich sind. Wir sollen auf der Strecke bleiben.
    Danke für deinen Post und deine wunderbare und informative Recherche.
    Gruß zu dir und schönes Wochenende
    heiDE

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  2. Liebe Astrid,
    das alles ist sehr bedrückend. Ich hoffe aber immer noch auf genug Menschenverstand bei der schweigenden Mehrheit. Und eine hohe Wahlbeteiligung.
    manchmal schaue ich extra keine Nachrichten, weil ich davon meistens schlechte Laune bekomme. Und die ist in diesen Tagen wichtiger denn je, die gute Laune. Wie sonst soll man widerstehen und widersprechen?!
    Hab ein schönes Wochenende!
    Lieben Lisagruß!

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    1. Kann ich alles gut nachvollziehen. Ich brauche auch Detox - Tage. Aber ich möchte auch mobilisieren, all die, die guten Willens sind. Ich will mir nichts vorwerfen müssen. Timothy Snyder hat sein neuestes Buch auch geschrieben, damit die Menschen vorher sich darüber klar werden, was zu geschehen hat, wenn so ein Ereignis wie der Putsch in der Türkei passiert ( oder ein schlimmes Massaker in den Staaten oder...oder, eben ein Reichstagsbrand )
      Dir auch ein schönes Wochenende!

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  3. Wie Propaganda funktioniert, habe ich eigentlich schon in der Schule gelernt. Sofort fällt mir "The very proper Gander" von James Thurber ein. Unvergessen.
    Mittlerweile haben sich die Medien verändert und das Publikum mit ihm. Es ist doch gewollt, dass die Grenze zwischen Fiktionalität und Realität immer unmerklicher wird. Und die Allgemeinheit findet das toll. Lässt sich z.B. begeistert durch ihre Smartphones ausspionieren (ich hab doch eh keine Geheimnisse, was solls...) und läuft jedem Techniktrend nach.
    Was der PC an Informationen ausspuckt wird geglaubt. Jeder Politiker, der das nicht ausnutzt, wäre doch dumm. Aldous Huxley sagt ja schon:
    "Wer so tut, als bringe er die Menschen zum Nachdenken, den lieben sie. Wer sie wirklich zum Nachdenken bringt, den hassen sie."
    Danke für Deine Unermüdlichkeit.
    Liebe Grüße
    Andrea


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  4. Umso wichtiger die Kinder zu schulen im Umgang mit sozialen Medien und Medien im allgemeinen. Seriöse Berichterstattung und Pseudomedien .. man muss heute seine Kinder lehren, wie man den Unterschied erkennen kann.
    Leicht ist es nicht, aber leicht ist sowas sowieso nie gewesen. Jetzt geht halt alles viel schneller. Das ist die eigentliche Schwierigkeit.

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  5. Danke für deine Recherchen! Harter Tobak, das alles.Ich hoffe weiterhin auf Menschen, die ihren Verstand gebrauchen und dementsprechend handeln.Ich zitiere mal aus einem momentan gelesenen Buch:" Idealismus ist die Fähigkeit,die Welt so zu sehen , wie sie sein könnte, wenn sie nicht so wäre, wie sie ist "
    LG Dodo

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  6. Solange es noch Menschen wie Dich gibt, die über so ein Thema schreiben, gibt es auch Hoffnung. Danke für diesen Post. Man kann nur hoffen, dass der Spuk im weissen Haus noch vor regulärer Amtszeit vorüber ist. Und vor allem, dass das dann keine Falschnachricht ist.
    Viele Grüße, Julia

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  7. ich warte schon ungeduldig auf 'graues' haar....elfi

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  8. Ein so guter Post wieder... Für mich bist du inzwischen eine Instanz, was politisches Denken betrifft. Eine wichtige im Nachrichtendschungel...Danke. Lieben Gruß Ghislana

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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