Freitag, 18. November 2016

Über Raif Badawi und einiges mehr


Es wird einmal wieder Zeit, an dieser Stelle von Raif Badawi und anderen Bloggern, die von ihrem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben, zu sprechen.


Glücklicherweise gibt es mal wieder ein Interview, diesmal mit Elham Manea, Raifs in der Schweiz lebende Unterstützerin, das sie der österreichischen "Die Presse" am Dienstag gegeben hat: 
"Gesundheitlich geht es ihm nicht gut. Er hat akute Nierenprobleme und braucht medizinische Unterstützung. Wir wurden nun alle sehr überrascht von der Nachricht, dass er erneut ausgepeitscht werden könnte. Dass ein saudischer Prinz im gleichen Gefängnis ausgepeitscht wurde, ist ein schlechtes Zeichen. Religiöse Kräfte wollen ihre Muskeln zeigen."
Auch sie muss eingestehen, dass die diplomatische Bemühungen bisher nicht geholfen haben und meint, ein Waffenembargo müsste als nächste Stufe der Einflussnahme in Erwägung gezogen werden. Die Zivilgesellschaft in Europa müsse sich einsetzen, wie sie es damals für Bürgerrechtler in Südafrika getan hat. Außerdem empfiehlt sie die Kooperation mit den Teilen der saudischen Gesellschaft, die Reformen will.
"Auf längere Sicht haben die Menschen in Saudiarabien genug. Es geht ihnen nicht nur schlecht in Bezug auf Freiheit und Menschenrechte. Es geht ihnen auch wirtschaftlich nicht gut. Die Menschen, die jetzt Reformen verlangen, wollen das friedlich umsetzen – und auch innerhalb des Systems. Aber wenn die saudische Regierung ihren jetzigen Weg stur weitergeht, wird das nicht ewig funktionieren."
Sie charakterisiert im Interview die Politik der saudischen Führung gegenüber dem Westen als erpresserisch und betont noch einmal, dass Saudi - Arabien Bewegungen unterstützt, die in Europa eine fundamentalistische Lesart des Islam verbreiten, was sie für langfristig schädlich für den Kontinent ansieht.

"Prisoners of consience": Waleed Albukhair, Raif Badawi,
Ali AlNimr und Ashraf Fayadh



Vor 15 Monaten habe ich an dieser Stelle über einen jungen Mann aus Mauretanien berichtet, Mohamed Cheikh Ould M'khaitir, der wegen "Abfall vom Glauben" ( Apostasie ) in seinem Land im Dezember 2014 zum Tode verurteilt worden ist.

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Nun ist sein Prozess wieder aufgenommen worden, begleitet von tumultartigen Kundgebungen außerhalb des Gerichtssaales, bei denen gar bewaffnete Teilnehmer gesichtet wurden. Na klar, dass diese Meute wieder den Tod des jungen Mannes gefordert hat, verbal wie auf Spruchbändern! ( Dazu gibt es auch ein Video bei Al Jazeera. ) 

Doch das Gericht hat die Verhandlung erneut vertagt auf den 20. Dezember dieses Jahres und sich nicht dazu geäußert, wo es erneut tagen wird. ( Neu war auch, dass der Prozess von Nouakchott, der Hauptstadt, nach Nouadhibou, der zweitgrößten Stadt des Landes, übertragen worden war - wahrscheinlich als Folge der internationalen Mobilisierung zugunsten des Täters. )

Das bedeutet für M'khaitir noch mehr quälendes Warten und für all diejenigen, die sich um ihn kümmern und das Recht auf die Freiheit des Denkens und des Ausdrucks durch ihr stetiges Beobachten & Berichten schützen. Der gesamte Vorgang ist verfolgt und dokumentiert worden von der IHEU ( International Humanist and Ethical Union — the world union of Humanist organizations ).

Source: IHEU
Laut der US-amerikanischen Gruppe "Freedom Now", die Rechtsbeistand für den Blogger leistet, hat M'khaitir mehrmals seinen Blogpost bereut, aber die mauretanische Regierung scheint an ihm ein Exempel statuieren und sich als besonders islamtreu darstellen zu wollen und hat die öffentliche Wut geschürt. Der mauretanische Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz hatte nämlich öffentlich erklärt, dass das Gesetz Gottes zu gelten habe, wenn der Prophet beleidigt wird und wenn solche Beleidigungen veröffentlicht werden. Nachdem das erste Urteil verkündet worden war, hatte der Präsident sich damals schon vor seinem Palast an die Menge gewandt & verkündet:
"Ich danke ihnen von ganzem Herzen für ihre massive Teilnahme an einer Demonstration gegen die Person und ihr Verbrechen gegen den Islam, die Religion unseres Volkes, unseres Landes. Die Islamische Republik Mauretanien ist, wie ich es in der Vergangenheit gesagt habe und heute bestätige, nie säkular gewesen und wird es nie sein ... Ich versichere ihnen, dass die Regierung und ich keine Mühe scheuen werden, diese Religion und ihre heiligen Symbole zu schützen und zu verteidigen ... " ( Quelle hier )
Ein Prediger, Abi Ould Ali, bot gar 4000 € für jeden, der den Blogger tötet, und Geschäftsleute lobten angeblich sogar eine Prämie von 10.000 € auf M'khaitirs Kopf aus.

Source
Mauretanien ist eine islamische Republik, in der die Scharia, das islamisches Recht, gilt, aber extreme Urteile, wie die Todesstrafe oder Auspeitschung sind seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr ausgeführt worden. In den letzten Jahren sind mehrere Menschen zum Tode verurteilt worden, meist wegen Mordes oder terroristischer Akte. Die letzte Hinrichtung davor war 1987 ( Angaben von Amnesty International ). 

Der Blog-Eintrag des angeklagten jungen Mannes hatte die in Mauretanien herrschende Sklaverei angeprangert und Aktionen aus dem Leben des Propheten zitiert, die all die Mauretanier anführen, die ihre Verstöße gegen das seit 2007 in Mauretanien geltende Gesetz* gegen Sklaverei damit rechtfertigen. Nach dem "Global Slavery Index" leben derzeit immer noch 43.000 Menschen in Sklaverei in dem westafrikanischen Land.
Nach § 306 des mauretanischen Strafgesetzbuches ist "[e]very Muslim guilty of the crime of apostasy, either by word or by action of apparent or obvious, will be invited to repent within three days. ( Hervorhebung durch mich ) If the accused does not repent within this time, he is to be sentenced to death, and all of his property shall be confiscated by the government.
Diese Reue hat Mohamed Cheikh Ould M'khaitir längst gezeigt und im April 2016 eine Beschwerde eingereicht gegen die Missachtung der Gesetzesvorschrift, die das Berufungsgericht zurückgewiesen hat. Im Gegenteil: Seine Todesstrafe wurde erneut bestätigt. 

Die Europäische Union und führende Rechtsgruppen wie Freedom Now, Amnesty International, OSSIN, Komitee zum Schutz von Journalisten, Reporter ohne Grenzen und PEN International haben sich bisher für den jungen Mann eingesetzt - bisher erfolglos.

Die Stadt Neapel hat am 3. Juli 2015 Mohamed Ould M'khaitir
die Ehrenbürgerschaft verliehen &
unterstützt ihn, auch bei den Anwaltskosten
Die Erfahrungen mit der Causa Raif Badawi hat bei mir zu dem Schluss & der Einsicht geführt, dass wir im Westen es mit unseren derzeitigen Mitteln & Wegen nicht schaffen, die Menschenrechtler in muslimisch geprägten Gesellschaften aus den Gefängnissen zu holen. Ich sehe aber wohl, dass unsere ausdauernde Aufmerksamkeit & Kontrolle eine gewisse Verschärfung der Situation verhindern kann. Das hoffe ich auch, was die Todesstrafe für Mohamed Cheikh Ould M'khaitir anbelangt.

Demnächst werden wir das ja wohl auch beim Nato - Partner Türkei üben dürfen. Wie Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gegenüber Außenminister Steinmeier geäußert hat, ist ja auch seine eigene Frau für die Todesstrafe für die Putschisten. Wenn das kein Grund ist, die einzuführen...

Himmel, hilf!






* "Die Sklaverei in Mauretanien besteht trotz ihrer mehrmaligen offiziellen Abschaffung – zuletzt 2007 – weiter fort und betrifft die Nachfahren von vor Generationen versklavten und bis heute nicht freigelassenen Menschen, die ʿAbīd (sing. Abd). Sie dienen den „weißen Mauren“ (Bidhan) als Sklaven. Als „schwarze Mauren“ oder Haratin werden die ehemaligen, freigelassenen Sklaven bezeichnet, die nach groben Schätzungen 40 Prozent der Bevölkerung betragen." ( Quelle: wikipedia )

6 Kommentare:

  1. Oh Astrid, es gibt wirklich schwer gestörte Menschen! Dieser Prediger und die Geschäftsleute die Kopfgeld auf einen Blogger aussetzen machen mich sprachlos!
    Entsetzte Grüße,
    Veronika

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  2. Liebe Astrid, ich kann dir nicht genug danken, dass du uns in deinem blog immer weiter auf dem Laufenden hälst. Ich gebe ja zu, dass ich sonst Raif Badawi und andere inhaftierte Menschenrechtler im arabischen Raum aus den Augen verloren hätte.
    Auch wenn ich selten bis nie unter deinen Baldawi-posts kmmentiert habe, so sind sie doch für mich fast die einzige Erinnerung an das Schicksal dieser Menschen.
    Darum hier und heute ein Dank an dich und eine Bestätigung, dass du damit nicht ins Leere berichtest.
    Herzlichst,
    Monika

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  3. Nein, ins Leere berichtest du gewiss nicht. Ich bin immer wieder neu aufgestört. Dass es die Todesstrafe überhaupt immer noch gibt, ist unfassbar. Und die Einzelschicksale dahinter grausam und bedrückend. Lieben Wochenendgruß Ghislana

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  4. Ich kann deine Nachrichten dieser Art auch nicht immer gleich direkt kommentieren. Meist verschlägt es mir zunächst die Sprache. Wie krank diese Welt doch ist.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. Machtgebärden und Drohungen - wie satt ich es habe, davon zu lesen! Nun meint die Türkei auch noch, die EU würde die beleidigte Leberwurst geben, wenn sie sich gen Osten richtet und die EU als "nicht alternativlos" bezeichnet. Am liebsten hätten sie, wir kämen angekrochen und würden darum bitten, dass die Türkei Mitglied würde. Zum Glück sind wir von diesem Punkt noch weit entfernt...

    Hab' Dank für dein (wenn auch schauriges) Update!

    Herzlich
    Steffi

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  6. es ist wirklich unfassbar dass Menschen anderen nach dem Leben trachten nur weil sie etwas anderes denken
    oder auf bestehende Missstände hinweisen..
    wenn sie es nicht mehr dürfen oder können
    müssen die Regierungen und Menschen die frei im Denken sind diesen Part übernehmen..
    danke dir dafür..
    LG
    Rosi

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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