Freitag, 23. Oktober 2015

Von Raif Badawi, Frank - Walter Steinmeier, Navid Kermani u.a.


"Finally No Flogging for Today #FreeRaif", twitterte die Ehefrau von Raif Badawi heute um kurz nach 13 Uhr.


Das ist ja schon einmal eine Gewissheit. Gewiss ist auch, dass Außenminister Steinmeier nichts bei seinem Besuch in Riad am letzten Montag erreicht hat.

Unter König Salman wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International schon mehr als 130 Todesurteile vollstreckt, so viele wie seit langem nicht mehr. Amnesty hatte Steinmeier aufgefordert, dies, den Fall Badawi sowie den Krieg im Jemen gegen die Huthi-Milizen anzusprechen. Kritik aus dem Ausland weisen die Saudis ja immer als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zurück...

Am Dienstag zu Besuch in Jordanien antwortete Steinmeier auf die Frage, ob er persönlich den König auf den Fall Badawi angesprochen habe: "Wenn hinreichende Unterschiede in der Beurteilung von Menschenrechtsfragen bestehen, kann ein Außenminister nicht reisen, ohne Menschenrechtsfragen anzusprechen. Das ist geschehen. Wenn wir das tun, dann spreche ich selbstverständlich auch Einzelfälle an. Und ich tue das gegenüber dem saudischen Gesprächspartner, von dem ich den Eindruck habe, dass er die Dinge im Sinne der Menschen, die betroffen sind von Strafen und Repressalien, am besten in der Lage ist, zu helfen und die Prozesse zu befördern. Das habe ich getan." ( Quelle hier & hier )

Aha!

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang - Krieg Saudi - Arabiens gegen den Jemen - finde ich den Inhalt einer Beschwerde, die der ehemalige Tagesschau-Redakteur Volker Bräutigam und der langjährige Vorsitzende des Verdi-Betriebsverbandes beim NDR, Friedhelm Klinkhammer, gegen die ARD auf den Weg gebracht haben. Ihr Vorwurf lautet, dass die ARD sich der Nachrichtenunterdrückung bezüglich der Kriegsverbrechen durch die saudischen Truppen im Jemen schuldig macht. Hier ist die Programmbeschwerde im Wortlaut :

Sehr geehrter Herr Marmor,

trotz Saudi-Arabiens militärischer Intervention im Jemen, trotz aller bekannten Menschenrechtsverbrechen Riads und trotz aller weltweiten Proteste (z.B. gegen die martialischen Bestrafung des Bloggers Raif Badawi) genehmigt die Bundesregierung weiterhin millionenschwere Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Allein im April 2015 winkte Berlin Exporte von 100 Kleindrohnen, Funkzubehör und Ersatzteilen für gepanzerte Fahrzeuge im Wert von 12,8 Millionen Euro durch. Jetzt liegen auch Dokumente über die schrecklichen Folgen dieser deutschen Form von Beihilfe zum Massenmord vor.

Amnesty International berichtete von erschütternden Beweisen für Kriegsverbrechen seitens der von den USA unterstützten saudischen Truppen im Jemen und fordert einen Waffenlieferungsstopp und unabhängige Untersuchungen. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei dem AI-Bericht nicht um Propaganda, sondern um Belege für Verbrechen von derartigem Ausmaß handelt, dass selbst eine der US-Administration nahe stehende Organisation wie Amnesty International nicht mehr umhin konnte, sie anzuprangern.

Die ARD hat jedoch weder über den Amnesty-Aufruf zum Waffenlieferungsstopp noch gar über die Begründung berichtet, nämlich die von den USA unterstützten saudi-arabischen Verbrechen im Jemen. Die Vermutung liegt nahe, dass den Zuschauern der Zusammenhang zwischen deutschen Waffenlieferungen und saudischen Gewaltorgien gegen die jemenitische Bevölkerung sowie den weiter zu erwartenden Flüchtlingsströmen nicht ersichtlich und verständlich deutlich wird.  
Bereits Ende August war zu beobachten, dass ARD-aktuell schwieg, als die Nachrichtenagenturen von vielen toten Zivilisten nach saudi-arabischen Bombardements im Jemen berichteten. Dieser Massenmord war der ARD in den Hauptnachrichten kein einziges Wort wert.  
Schon im Mai war der saudische Einsatz von Streubomben im Jemen bekannt geworden. Bereits damals haben die Hauptnachrichtensendungen der ARD Informationen totgeschwiegen, offensichtlich im Bemühen darum, die Verbrechen der Saudis und der US-Administration sowie die Unterstützung der Merkel-Regierung dafür nicht zu thematisieren. Das Verschweigen von Fakten und solcher Informationen wie im Amnesty-Bericht gehört zum üblichen Repertoire der Kriegspropaganda und ist nach den Vorschriften des NDR-Staatsvertrages nicht zu rechtfertigen.
Wir fordern Sie zu einer Prüfung auf.

Mit freundlichen Grüßen
F.Klinkhammer
V.Bräutigam

Kritischer Medienkonsum ist dringend angebracht, auch gegenüber den Öffentlich - Rechtlichen...




Zurück zu Raif Badawi bzw. dem "Raif Badawi Award for courageous journalists"Auf der Frankfurter Buchmesse sprach eine achtköpfige Jury dem Marokkaner Ali Anouzla den Preis zu. Er gilt als einer von wenigen unabhängigen Journalisten seines Landes. "Nach Ansicht von Beobachtern hat ihm diese Unerschrockenheit im September 2013 eine politisch motivierte Anklage wegen angeblicher Apologie und materieller Unterstützung des Terrorismus eingebracht. Anouzla drohen bis zu 20 Jahren Haft", begründete die Jury ihre Wahl.

Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse wird auch immer der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Den diesjährigen Preisträger, den deutsch-iranischen Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani, habe ich hier schon des Öfteren  erwähnt. Eine Passage aus seiner Rede, Saudi - Arabien & die Kriege im Orient betreffend, möchte ich als Impuls zitieren ( der ganze Wortlaut ist hier nachzulesen ):
"Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist. Wir lernen nicht aus unseren Fehlern, wenn wir einem Diktator wie General Sissi den roten Teppich ausrollen. Oder wir lernen die falschen Lektionen, wenn wir aus den desaströsen Kriegen im Irak oder in Libyen den Schluss ziehen, uns auch bei Völkermord besser herauszuhalten. Nichts ist uns eingefallen, um den Mord zu verhindern, den das syrische Regime seit vier Jahren am eigenen Volk verübt. Und ebenso haben wir uns abgefunden mit der Existenz eines neuen, religiösen Faschismus, dessen Staatsgebiet etwa so groß ist wie Großbritannien und von den Grenzen Irans bis fast ans Mittelmeer reicht.... 
Und erst wenn unsere Gesellschaften den Irrsinn nicht länger akzeptieren, werden sich auch die Regierungen bewegen."
Bemerkenswert finde ich seine Analyse zum Zustand der Religion des Islam:
"Eher führt der Islam einen Krieg gegen sich selbst, will sagen: wird die Islamische Welt von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, deren Auswirkungen auf die politische und ethnische Kartographie an die Verwerfungen des Ersten Weltkriegs heranreichen dürften. Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion." ***
Und als Spruch für uns alle, sozusagen für unser aller Wände ( statt all der englischsprachigen quotes and truisms, wie man sie im Bloggerland immerzu als Deko sieht ):
"Europa ist das politisch Wertvollste, was dieser Kontinent je hervorgebracht hat"


Genug für heute! Ich habe mal wieder einen großen Bogen geschlagen...












*** Das man einer ganz anderen Ansicht sein kann, zeigte mir ein Interview mit Hamed Abdel-Samad auf WDR 5, das man hier nachhören kann. Kontroverse Auseinandersetzungen zum Islam finde ich sehr spannend & angebracht derzeit, gerate im Netz dann allerdings auch schon mal in Abgründe, die mich gruseln  & um die Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung fürchten lassen



8 Kommentare:

  1. Die sachliche Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen lässt ja schon länger zu wünschen übrig...Steinmeiers Einfluss ist leider begrenzt...gerade in der derzeitigen politischen Situation...da darf man sich leider keiner Illusion hingeben. Ich wünsche Euch Kölnern am Wochenende, dass demokratische Kräfte die Oberhand behalten und es friedlich bleibt! LG Lotta.

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  2. "In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt." So Egon Bahr vor Schülern.
    Danke für deine vielen Informationen. Ich werde mich jetzt mal Navid Kermanis Rede widmen.
    Liebe Grüße
    Andrea (die gerne auswandern würde, aber leider nicht weiß, wohin...)

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  3. Liebe Astrid, es ist großartig, wie du nicht locker lässt und recherchierst, wo wir alle (die dies lesen) etwas lernen, nicht nur du selbst. Leider werde ich den Gedanken nicht los, dass es nicht die Interessen des Staates sind, sondern die des Öls und der Waffenindustrie :-( Da müssen unser 'lieben Herren Politiker' katzbuckeln, vielleicht auch auf Anweisung von jenseits des Atlantiks :-(
    Herzliche Grüße, Ingrid

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  4. Ja, danke fürs Dranbleiben und Nachhaken und Weiterinformieren und Zusammenhängeherstellen. Und irgendwie macht man sich doch immer wieder Illusionen, und sei es die, dass es möglich sei, in einer besseren Welt als dieser zu leben ...

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  5. Vielen Dank für deine wöchentliche Zusammenfassung, Astrid.
    Das auch die öffentlich-rechtlichen Sender so einseitig berichten, erschüttert mich dann doch ein wenig, auch wenn ich natürlich eigentlich weiß, dass das der Fall ist. Aber irgendwem will man dann ja eigentlich doch glauben können.

    Bei mir auf Facebook ist dann - leider - auch noch diese Amnesty International Meldung aufgetaucht:
    Die Bitte, per vorbereiteter email einen jungen Saudi-Araber zu unterstützen, der in Einzelhaft sitzt und dem die Vollstreckung der Todesstrafe droht.
    Was er getan hat? Gemordet? bewaffnet beraubt? vergewaltigt? Würde man denken.
    Nein, der damals 17 jährige (!) hat an einer Demonstration gegen die Regierung teilgenommen....

    hier ist der link:
    https://act.amnestyusa.org/ea-action/action?ea.client.id=1839&ea.campaign.id=42755&ea.tracking.id=Country_SaudiArabia%7EMessagingCategory_DeathPenalty&ac=WPF15SAU1

    natürlich weiß man nicht, wieviel eine email oder 75.000 bewirken - aber es ist wenigstens ETWAS, das man tun kann. Und es kostet kein Geld und dauert keine Minute....

    Herzliche Grüße
    Tina

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  6. Ich vermisse schon lange die sachliche Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen, darum werden sie hier auch gar nicht mehr eingeschaltet.
    Herzlichst Ulla

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  7. Ja, ich habe das Interwiew auf WDR 5 auch gehört. Und dazu habe ich gedacht: auch diese Sicht der Dinge ist geprägt von Durchlittenem. Es gibt eben nicht die eine Wahrheit. Genauso wie es nicht den einzig wahren Glauben oder das einzig wahre politische System gibt. All das einzig Wahre führt zu Diktatur, Fanatismus und Faschismus.
    Wenn doch zumindest der kantsche Imperativ unser Handeln bestimmen würde. Das "was Du nicht willst, daß man Dir tu..." müsste eigentlich zum kleinsten gemeinsamen Nenner im Strafrecht aller Völker werden. Weit weg sind wir davon. Danke für Deine zuverlässige Berichterstattung hier!
    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Lisa

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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